272 Die mittlere Zeit.
Ihre rotgelbe Farbe wurde durch eine Art von Seife noch erhöht und ihre Fülle durch eine Pomade aus Talg oder Butter und Buchenasche befördert. Die Männer, welche es wachsen ließen wie das Frauengeschlecht, banden es rückwärts gegen den Scheitel in einen Schopf oder Knoten zusammen; der Bart wurde abgeschoren. Sie trugen einen einfachen Mantel, oft nur ein Tierfell, die Weiber dagegen Kleider von selbstgewobener Leinwand. Die Nahrungsmittel waren: Fleisch, geronnene Milch, Butter und Käse, Vogeleier, Fische, Haferbrei, Bier und eingetauschter Wein, den man gewöhnlich aus Bufselhörnern trank, die oft' mit Silber beschlagen waren. Religiöse Feste, Hochzeiten, Leichenfeierlichkeiten, Volksberatungen waren mit Trinkgelagen verbunden, bei denen man unter Begleitung musikalischer Instrumente sang. Bei solchen Gelagen kam es sehr oft zu Raufereien.
8 99.
Kcltgiott der Germanen. Ständeunterschied. Mrgerliche Verfassung.
279) Die Religion der Germanen war ursprünglich Naturdienst, wie die aller asiatischen Völker. Man verehrte vorerst die Naturkräfte in ihrem geheimnisvollen Walten und dachte sich dieselben dann bald als persönliche göttliche Wesen. Der oberste Gott ist Odin oder Wodan, von dem die Äsen (Göttersöhne) abstammen. Neben den Äsen gibt es noch Halbgötter. Der vornehmste ist Tnisko, der erdgeborne Gott, und dessen Sohn Mannus, der Stammvater aller Menschen. Wodan thront zu Asgard, der Götterheimat, wo die Walhalla ist, die Himmelsburg, in der nach ihrem Tode die gefallenen Helden von edlem Geschlecht sich erfreuen. Auch an wohlgesinnte Dämonen wie an neckende und schadende Plagegeister glaubte man. Die heiligen Orte der Germanen waren Tempel, insbesondere aber geheiligte Haine und Opferplätze im Freien. Leider wurden auch Menschenopfer dargebracht, wobei namentlich viele Kriegsgefangene geschlachtet wurden. Die Priester standen in großem Ansehen. Sie waren neben den Königen die höchsten Diener des Staates und die Erforscher des göttlichen Willens in allen öffentlichen Angelegenheiten. Als solche waren sie auch zugleich die Richter und Vollstrecker der Todesurteile bei Staatsverrätern und die Bewahrer der Nationalfeldzeichen. Es gab auch Priesterinnen, weissagende Frauen, die aus den Eingeweiden der Opfertiere, aus dem Blute der getöteten Gefangenen, aus dem Geräusche der Wellen 2c. prophezeiten.
280) Die politische Verfassung beruhte ganz auf dem Grundbesitze, der allein rechtsfähig machte. Im Vollgenuß der Rechte befanden sich die Freien, welche ein unveräußerliches Grund-
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§ 16. Die Ägypter. 39
Sonnendienst, zu welchem sich die Verehrung aller Naturkräfte gesellte. Man dachte sich diese als lebende und in der Welt wirkende Wesen. Vorzüglich verehrte man einen dreieinigen Gott, der sich als Kueph oder Schöpfergeist, als Phtha oder Weltschöpfer und als Amu oder Götterkönig offenbarte. Nach den zwölf Zeichen des Tierkreises gab es auch zwölf oberste Götter, denen zu Ehren das Land in zwölf Tempelbezirke eingeteilt war. Jeder Bezirk hatte wieder drei Nomen oder Unterbezirke, um die Dreiheit des obersten Gottes anzudeuten. Unter den vielen niedern Göttern verehrte man besonders Osiris und Isis. Osiris war das Sinnbild der lebenspendenden Sonne und des frucht-barkeitschenkenden Nils, Isis das Sinnbild des Mondes mit seinem wohlthätigen Einflüsse ans die Erde. Neben dem Götterdienste zog sich aber auch ein armseliger Tierdienst hin, der mit dem Götterdienst insofern zusammenhing, als die heiligen Tiere für die Begleiter der Götter und ihnen geweiht galten. Vor allen heilig war der Stier Apis, der in Memphis seinen Tempel und Priester hatte, die ihn bedienten. Da man ferner glaubte, daß Seelen, welche sich im menschlichen Leibe durch die Sünde verunreinigten, zur Strafe nach dem Tode in die Körper von Tieren zu wandern vernrteilt würden, so scheute man sich, manche Tiere zu töten. So verfiel z. B. jeder, der eine Katze oder einen Habicht, wenn auch nicht geflissentlich, tötete, ohne Erbarmen dem Tode. Man glaubte auch, daß die Seele nur so lange lebe, als der Leib erhalten werde. Deshalb verwandte man auf die Erhaltung der Toteu eine große Sorgfalt und schützte dieselben durch Einbalsamieren vor Verwesung.
39) Obwohl wir keine ägyptischen Bücher mehr haben, so wissen wir doch, daß in den Tempeln eine Menge Handschriften aufbewahrt wurden. Es gab eine dreifache Schrift: die Hieroglyphen oder die heiligen Schriftzeichen, die Priesterschrist. und die Volks fchrift. Bedeutend war der Handel, den die Tempel unter sich und mit den auswärtigen Priesterkolonien trieben, die von ihnen ausgegangen waren. Diese hatten ägyptische Kunst und Bildung mitgenommen und verbreiteten sie unter deu Völkern, zu welchen sie zogen. Die vielen Kanäle, welche sie der Überschwemmung des Nils wegen durch das Land führen mnßten, beförderten zugleich die Schiffahrt. In dem fruchtbarer! Unterägypten, oder dem Delta, blühte neben dem Ackerbau auch der Garten-, Obst- und Weinbau. In den Städten waren viele Gewerbsleute, namentlich solche, welche die Papyruspflanze verarbeiteten und Kleider, Decken, Fahrzeuge und Papier daraus verfertigten. Vor allem aber waren die Werke der Architektur
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8
der ein kleines Kreuz aufgerichtet ist. Diese Kugel be-
deutet wieder die Erde und das Kreuz darauf soll uns
erinnern, daß Christus auf die Erde gekommen ist, um
das Menschengeschlecht zu erlösen. Die Vorstellung, die
Erde ist eine Kugel, ist also der christlichen Welt keine
fremde gewesen, nur wurde sie nicht so viel besprochen
wie heutzutage.
Die Anziehungskraft der Erde.
Aber, heißt es, wenn die Erde eine Kugel ist, so
muß ja, was seitwärts und noch mehr, was unterhalb
derselben ist, von ihr weg-, und Gott weiß wohin in den
Weltenraum hinausfallen, wenn es nicht an die Unter-
fläche und Seitenfläche der Erde gebunden oder befestigt
ist. So hören wir, daß das feste Land von Wasser oder
dem Weltmeere umgeben ist, dieses muß also auch an der
Seiten- oder Unterfläche der Erde sein; wie soll aber das
Wasser dann nicht wegfallen, und die Meerestiefe nicht
geleert werden? Man sagt ferner: Wie soll ein Schiff
fahren können, wenn die Erde rund ist und es also ab-
wärts geht wie an der Halde eines Berges, und wie
käme vollends ein Schiff wieder herauf? Wie könnten
Menschen gehen und stehen seitwärts an der Erde und
unterhalb derselben? Solcherlei und ähnliche Fragen hört
man gar viele. Darauf haben wir nur eine Antwort:
Gott hat die Erdkugel so eingerichtet, daß überall alles
in Ordnung bleibt und alle Theile der Kugeloberfläche
von Menschen oder von Thieren belebt sein können, ob
sich diese auf dem festen Erdboden bewegen oder auf dem
Wasser schwimmen oder in der Luft dahin schweben. Er
legte in die Erde, in ihren Mittelpunkt, eine Kraft,
welche von dort aus strahlenförmig an alle Punkte der
Erdoberfläche und noch weit über diese hinausreicht. Diese
Kraft heißt man gewöhnlich Anziehungskraft, weil die
Erde durch sie alles anzieht und zwar in der Richtung
gegen den Mittelpunkt hin, so daß sich gar nichts von
ihr entfernen kann, außer man wende Gewalt an. Doch
hilft auch die Gewalt nicht; denn man mag einen Stein
in die Höhe schleudern oder durch die Kraft des Pulvers
in die Höhe treiben, er kommt immer wieder herab.
Was also auf der Erde ist, wird durch die Anziehungs-
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12
seitwärts an dem Senklothe, die Erde senkrecht abwärts
gegen den Mittelpunkt der Erde; weil der Mittelpunkt
aber 860 Meilen entfernt ist, die Gebirgsmasse jedoch ganz
in der Nähe, so vermag sie das Senkloth von der senk-
rechten Linie abzulenken, wiewohl nur sehr wenig.
Senkrecht. Oben und unten.
Fig. 1. Jeder Körper fällt
senkrecht zur Erde
(wenn er in seinem
Falle oder Sinken
nicht gestört wird),
oder er fällt in der
Richtung gegen den
Mittelpunkt der Erd-
kugel; würde er nicht
* an der Oberfläche der
Erde Widerstand fin-
den, so würde er bis
an den Mittelpunkt
der Erde fallen. Das
gilt von jeder Seite
der Erdkugel, wie die Zeichnung 1 veranschaulicht (es
liegt viel daran, daß man sich dies recht klar mache).
Fig. 2. Wenn also ein Schiff auf
<i dem Meere segelt (2), zuerst
in der Stellung a, so wird
es mit allen seinen Theilen
gegen den Mittelpunkt der
Erde gezogen; das gleiche
ist der Fall bei der Stellung
b; es findet kein Zug statt
gegen die Richtung x x;
ebenso in der Stellung c;
auch da geht aller Zug ge-
gen den Mittelpunkt der
Erde, nicht in der Richtung
von 2 z; es hat also mit
dem Hinunterfallen keine
Gefahr. Stellt einen Men-
schen auf diese Punkte, so
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53
Stunden einen Raum von 5400 Meilen durchläuft, so
muß sich in dem Weltmeere unter dem Aequator noth-
wendig eine Strömung zeigen, weil die flüssige Masse,
das Meer, dem gewaltigen Umschwünge wegen der Ver-
schiebbarkeit der Wassertheile nicht so leicht folgen kann
als die fest zusammenhängende, nicht verschiebbare Erb-
masse. Wirklich findet man auch unter dem Aequator
eine Strömung, wir können sie aber aus verschiedenen
Gründen nicht als einen vollständigen Beweis von der
Achsendrehung der Erde gelten lassen. Das Wasser an
dem Aequator ist beträchtlich wärmer als das Wasser
unter höheren Breiten und in den Polgegenden, wo es
bekanntlich an seiner Oberfläche zu ewigem Eise gefroren
ist. Nun zeigt die Naturkunde, daß das kalte Wasser
schwerer ist als ein wärmeres, und daraus folgt, daß das
Meer von den höheren Breiten gegen das Meerwasser
unter dem Aequator, das schwerere gegen das leichtere,
einen Druck üben muß. Das kältere, schwerere Wasser
fließt in Folge dieses Druckes von den nördlichen und
südlichen Breiten gegen den Aequator hin, während um-
gekehrt das wärmere Wasser von dem Aequator gegen
die nördlichen und südlichen Breiten hinströmt. Auf diese
Weise entsteht nicht bloß eine Aequator-, sondern es ent-
stehen auch Polarströmungen, so daß der ganze Ocean
von verschiedenen, zum Theil nach der Jahreszeit wech-
selnden Strömungen durchkreuzt werden muß, deren genaue
Kenntniß dem Seefahrer von großem Nutzen ist. Diese
Strömungen beweisen demnach keine Achsendrehung der
Erde, sind aber für den Erdball selbst von großer Wich-
tigkeit; denn die Polarströmungen erfrischen Meer und
Luft unter dem Aequator, und die lauen Ströme, welche
von dem Aequator in höheren Breiten ausgehen, erwär-
men Meer und Luft in jenen Gegenden. Einer solchen
Strömung, welche aus dem atlantischen Meere an die
Küsten von Norwegen, Lappland u. s. w. ankommt, ver-
dankt es der europäische Norden, daß er nicht wie die
nördlichen Küstenländer Asiens unter den gleichen Breiten-
graden eine unbewohnbare Eiswüste ist, sondern noch
Nadelhölzer, Birken und mancherlei Kräuter hervorbringt,
so daß noch nutzbare Thiere ihr Fortkommen finden, und
der Mensch zu leben vermag. Jene Strömung hat näm-
lich immer noch 7° Wärme mehr als das Meereswasser
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64
jener Breiten, und dieser laue Wasserstrom theilt der
Luft von seiner Wärme mit, und verhindert andererseits,
daß die aus dem Eismeere herantreibenden Eismassen sich
an der Küste anhäufen und sie vergletschern.
2. Die Passatwinde.
Was von der Einwirkung des Erdumschwunges auf
das Weltmeer gesagt wurde, gilt aus demselben Grunde
auch auf das Element der Luft, das noch leichter ver-
schiebbar ist, als das Wasser. Wir kennen auch wirklich
eine Luftströmung, die sogenannten Passatwinde, welche
auf beiden Seiten des Aequators als Nordest und Südost
wehen und von den Schiffern wohl benutzt werden. Es
ist aber eben so gewiß, daß durch die große Wärme in
den Gegenden des Aequators die erwärmte Luft in die
Höhe steigen, und nord- und südwärts abfließen muß,
während die kältere und deßwegen schwerere Luft gegen
den Aequator hinströmen und so die Passatwinde ver-
ursachen muß, wenn die Erde sich auch nicht um ihre Achse
drehte. Zudem sind die Passatwinde nicht die einzigen
regelmäßigen Lufströmungen, sondern es gibt deren nach
dem Wechsel der Jahreszeiten noch verschiedene andere,
und wir haben also abermals keinen bestimmten Beweis
für die Achsendrehung unserer Erde.
3. Versuche mit dem senkrechten Falle.
Es ist schon einmal gesagt worden, daß ein fallender
Stein, Apfel u. s. w. während seines Falles die Bewe-
gung in der Richtung des Gegenstandes beibehält, von
welchem aus er geworfen wird; ein Ball, hieß es, wel-
cher auf einem schnellfahrenden Dampfschiffe in die Höhe
geworfen wird, fliegt während seines Steigens und Fal-
lens zugleich in derselben Richtung weiter, in welcher das
Dampfschiff fährt; wirft ein Matrose von dem Mast-
korbe eines Schiffes, das schnell dahin segelt, ein Tau
oder sonst etwas auf das Verdeck herunter, so fällt es
senkrecht herunter auf das Verdeck und folgt also während
seines Falles dem Gange des Schiffes. Diese allgemein
bekannte Thatsache hat man vielmal, zuletzt Professor
Benzenberg auf dem seitdem niedergebrannten Michaelis-
thurme in Hamburg, zu geistreichen Versuchen angewandt.
Er ließ aus der Höhe von 340 Fuß Bleikugeln herunter»
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73
Sonnenstrahl die meiste Wärme entwickelt, so haben
die Tropengegenden die größtmögliche Sonnenwärme,
wenn die Sonne senkrecht über ihnen steht. Die Sonnen-
wärme mindert sich, je schiefer der Sonnenstrahl auffällt.
Für den Aequator beträgt die größte Abweichung des
Sonnenstrahls von der senkrechten Richtung nur 23*/2°;
dies ist der Fall, wenn die Sonne auf einem der Wenve-
kreise steht, daher ist auch die Abnahme der Wärme auf
dem Aequator nicht besonders merkbar, insofern die Wärme
von der Sonne abhängt und nicht durch Winde und an-
dere Ursachen bedingt wird. Daher findet auf dem
Aequator kein eigentlicher Wechsel der Jahreszeiten statt;
es ist dort immer Sommer, der aber durch gewaltige
Regengüsse gekühlt wird. Beträchtlicher aber ist der Ab-
stand der Sonne für die beiden Wendekreise; steht z. B.
die Sonne auf dem südlichen Wendekreise, so ist sie von
dem nördlichen nicht weniger als 47° entfernt und so viel
beträgt die Abweichung des ihn treffenden Sonnenstrahls
von der senkrechten Linie., was schon eine beträchtliche
Verminderung der entwickelten Wärme zur Folge hat.
Indessen ist auch dort kein eigentlicher Winter, weil diese
Entfernung der Sonne nur kurze Zeit dauert, und es
tritt daher auch dort kein eigentlicher Wechsel der Jahres-
zeiten ein, insofern derselbe von der Sonne und nicht
von den Luftströmungen und örtlichen Ursachen abhängt.
Je höher die Gebirge sind, um so mehr mindert sich die
Wärme, während Sandwüsten dieselbe steigern. Sind
die Luftströmungen aus den Aequatorgegenden ausge-
schlossen oder gehemmt, ist die Gegend wasserreich und
waldig, so wird die Sonnenwärme bedeutend geschwächt,
während unter den umgekehrten Verhältnissen das Gegen-
theil stattfindet. (Man vergleiche den klimatischen Unter-
schied Oberägyptens und Arabiens mit den Gebirgsge-
genden Ostindiens, die wie jene unter dem nördlichen
Wendekreise liegen, des südlichen Afrikas und des südlichen
Amerikas.)
In der heißen Zone, die ein so bedeutendes Stück des
Erdballs einnimmt, sind die Erzeugnisse des Thier- und
Pflanzenreichs am größten und manigfaltigsten; der Ele-
phant, die Giraffe, das Nilpferd, Nashorn, der Löwe und
Tiger, das Krokodil, die Riesenschlange haben dort ihre
Heimath und ebenso die größten Insekten und Würmer,
Lesebuch Vh. 4
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11
versuchen; ein kurzer Zug oder Ruck bewegt nicht so schnell
als ein länger dauernder. Die Erde aber zieht oder reißt
den Stein oder die Kugel unaufhörlich und ohne Unterbre-
chung herunter an sich, daher muß er immer schneller fallen;
in der ersten Secunde beträgt der Fall 15 Fuß, in der
zweiten 60, in der dritten 135, in der vierten 240 u. s. w.
So zeigt sich die Thätigkeit der Anziehungskraft alle
Tage und alle Stunden; wir wollen sie aber auch noch
unter nicht alltäglichen Umständen sehen. Durch die Luft-
pumpe kann man aus einer gläsernen hohlen Kugel oder
einem gläsernen hohlen Cylinder die Luft auspumpen, wie
man durch eine gewöhnliche Pumpe Wasser oder eine
andere Flüssigkeit auspumpen kann. Wird nun aus einem
solchen Glase die Luft ausgepumpt und läßt man in dem
Glase eine Bleikugel und eine Flaumfeder niederfallen
(daß eine eigene Vorrichtung vorhanden sein muß, ver-
steht sich von selbst), so fallen beide zu gleicher Zeit auf,
oder die Flaumfeder fäll! so schnell als die Bleikugel.
Das heißt mit andern Wertem: die Flaumfeder wird
von der Erde angezogen wie die Bleikugel, und die Blei-
kugel wie die Flaumfeder, keine stärker und keine schwächer,
denn es ist die gleiche Kraft, welche beide faßt und zieht.
Ein anderes Beispiel von der nicht alltäglichen Wir-
kung der Anziehungskraft. Beim Feldmessen braucht man
das sogenannte Senkloth, auch wohl nur Senkel genannt.
Einmal waren nun mehrere Naturforscher mit einer großen
Messung beschäftigt und ihr Instrument mit dem Senklothe
war in der Nähe des großen Andesgebirges in Amerika
aufgestellt« Da bemerkte einer derselben (Condamine),
daß das Senkloth nicht senkrecht hing, sondern gegen das
Gebirge hin abwich. Das wiederholte sich bei jeder Auf-
stellung, jedesmal wich das Loth ab und zog seitwärts
gegen die Gebirgsmasse. Das geschieht nicht etwa blos
in Amerika, sondern überall in der Nähe von Gebirgs-
maffen, und man hat darüber die genauesten Beobach-
tungen angestellt. Äas bewirkt nun das Abweichen des
Senklothes von der senkrechten Linie? Die Anziehungs-
kraft der Erde zieht es senkrecht, aber die Gebirgsmasse
ist auch ein Stück Erde, und hat als ein Theil der Erde
auch Anziehungskraft, aber eine um so viel schwächere
als die Erde, um so viel sie kleiner ist, als die ganze
Erde. Die Anziehungskraft der Gebirgsmasse zieht nun
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Ü1
Erde während der Sekunden, in welchen der Stein steigt
und fällt, beträchtlich von Westen nach Osten fortbewegt;
und wenn jemand von einem Baumast herunterspringt
oder herunterfällt, so kann er unmöglich gerade unter dem
Aste auffallen, da, während er fällt, die Erde sich unter
ihm fortbewegt. Die Antwort auf diesen Einwurf ist die,
daß ein fallender Körper die Schnelligkeit der Bewegung
des Ortes beibehält, von welchem er fällt. Der Baum-
ast bewegt sich wie der Flecken Erde senkrecht unter ihm
mit der gleichen Schnelligkeit gegen Osten, und der Mensch,
welcher herunterspringt oder fällt, bewegt sich mit der
gleichen Schnelligkeit während seines Falles gegen Osten,
mit der er sich in dieser Richtung bewegte, als er noch
auf dem Aste saß; und der in die Höhe geworfene Stein
steigt und fällt, während er sich mit derselben Schnellig-
keit gegen Osten bewegt, wie des Knaben Hand, der ihn
geworfen hat. Man kann sich von diesem Naturgesetze
im täglichen Leben überzeugen. Wer z. B. von einem
schnellfahrenden Wagen in der entgegengesetzten Richtung
der Fahrt herunterspringt, wird hart, manchmal tödtlich,
zur Erde geschleudert, während er in der Regel unbe-
schädigt davon kommt, wenn er in der Richtung der Fahrt
hinauöspringt. Denn der Körper des Hinausspringenden
folgt während des Sprunges schwebend der Richtung der
Fahrt mit der ganzen Schnelligkeit des Gefährtes; springt
er daher in der entgegengesetzten Richtung, so reißt ihn
eine Gewalt zu Boden, die so stark wirkt, als die Schnel-
ligkeit des Gefährtes.
Ein anderer Fall ist auch allgemein bekannt. Wer
z. B. auf dem Verdecke eines schnell dahin brausenden
Dampfschiffes fährt, kann einen Apfel, einen Ball oder
was er will, in die Höhe werfen, er kommt gewiß in
seine Hand zurück, vorausgesetzt, daß er gerade in die
Höhe geworfen wird. Das könnte nun unmöglich der
Fall sein, wenn sich der Apfel oder Ball während seines
Steigens und Fallens nicht mit eben der Schnelligkeit in
der Richtung fortbewegen würde, in welcher das Dampf-
schiff fährt. Die gleiche Bewandtniß hat es mit einem
Kunststücke, das man bei sogenannten Kunstreitern ge-
wöhnlich zu sehen bekommt. Während das Pferd im
vollen Rennen begriffen ist, springt der Reiter durch ein
Faß (das natürlich keinen Boden hat) und kommt wieder
3*
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55
fallen; die Bleikugeln behalten, schloß er, während des
Falles die Schnelligkeit bei, mit welcher sich die Thurm-
höhe, von der sie fallen, bei der Umdrehung der Erde
bewegt. Diese Thurmhöhe bewegt sich aber schneller von
West nach Ost als der Fuß des Thurmes, weil die Thurm-
höhe während 24 Stunden einen Kreis beschreibt, dessen
Durchmesser um 340 Fuß größer ist als der Durchmesser
des Kreises, den der Fuß des Thurmes während der
gleichen Zeit beschreibt, wie z. B. die Schaufeln eines
Mühlrades während derselben Zeit einen größeren Kreis
beschreiben und deßwegen schneller laufen als die Speichen
des Rades. Kommt also die Bleikugel unten an, so fällt
sie nicht senkrecht unter dem Punkte auf, von dem aus
sie gefallen ist, sondern weiter ostwärts, weil sich dieser
Punkt auf der Thurmhöhe schneller gegen Osten bewegt,
als der Fuß des Thurmes und der senkrechte Punkt unter-
halb, auf den die Bleikugel fallen mußte, wenn die Blei-
kugel nicht die Schnelligkeit des Höhenpunktes in der
Richtung gegen Osten beibehielte. Dies traf richtig ein
und zwar so, wie es die Berechnung jener Schnelligkeit
ergeben hatte. Somit war also ein Beweis für die Achsen-
drehung der Erde gegeben. Dieser Beweis befriedigt
jedoch nicht alle Anforderungen, weil ein Luftzug, eine
Störung in der Vorrichtung des Falles, z. B. eine Er-
schütterung, auf den Fall der Kugel wirken kann, rñrd
die Abweichung von dem senkrechten Einfallspunkte nur
einige Linien beträgt, also so gering ist, daß eine nicht
einmal wahrgenommene Störung das Ergebniß des Falles
wesentlich verändern kann.
4. Unterschied der Pendellängen.
Im vorigen Jahrhundert begab sich ein französischer
Naturforscher, Richery (sprich: Rischery), nach Cayenne
in Amerika, einer französischen Besitzung in der Nähe des
Aequators. Er hatte von Paris eine genaue Pendeluhr mit-
gebracht. Als er dieselbe in Cayenne gebrauchte, so bemerkte
er bald, daß sie zu spät ging; deßwegen mußte er den
Pendel kürzen, d. h. das Pendelloth höher richten, und nun
ging sie wieder richtig. Als er aber nach Paris zurückkehrte,
so ging ihm seine Uhr gerade um so viel zu frühe, als
sie ihm in Cayenne zuerst zu spät gegangen war, und er
verlängerte nun das Pendel um ebenso viel, als er das-
TM Hauptwörter (50): [T21: [Erde Sonne Tag Jahr Mond Zeit Stunde Punkt Abschnitt Periode], T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht]]
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