Zeit der Rückströmung. — § 47. Verfassungskämpfe. 141
Ii. Rückströmung. Das Bedürfnis der Ruhe nach soviel Erschütterungen, die Erinnerung an das viele in Frankreich vergossene Blut, und der dadurch hervorgerufene Abscheu vor Staatsumwälzungen bringen eine Rückströmung hervor, die ebenso durch die Anschauung der Fürsten von dem Werte einer festbegründeten Selbstherrschschaft wie durch die romantische Gefühlsrichtung (§ 44, Iii) der Gebildeten genährt wird. *
a) Die Fürsten. (26. September) 1815 Abschluss der (26.Sept.) ,,heiligen Allianz“ zwischen dem Zaren Alexander I., dem 1815 Kaiser Franz I. und dem Könige Friedrich Wilhelm Iii.,
den Vertretern dreier verschiedener christlicher Bekenntnisse!
Ihr Gelöbnis: „ihre Völker gemäss der göttlichen Lehre Christi zu regieren als von Gott verordnete Familienväter in enger und unauflöslicher Brüderlichkeit“. Bürgschaft einer solchen Regierung nach der Vorstellung der Fürsten die Selbstherrschaft. Beitritt der meisten europäischen Staaten zu der Allianz (nur England, der Papst und die Pforte treten nicht bei).
b) Die Staatsmänner. Fürst Metternich, österreichischer Staatskanzler, ein schlauer und gewandter Diplomat, doch ohne ideale Begeisterung und Seelengrösse (schon beim Wiener Kongress thätig: das engherzige Zurücktreten Österreichs von der Stellung als Wacht am Rhein durch Aufgabe des Breisgaus sein Werk) bestimmt den Geist europäischer Diplomatie.
Seine Aufgabe, die verschiedenartigen Volksstämme Österreichs dem Zepter des Kaisers unterwürfig zu erhalten, sucht er durch Unterdrückung jeder freieren Regung zu erfüllen.
Daher ängstliches Überwachungssystem und politische Verfolgungswut (der italienische Dichter Silvio Pellico). Unmittelbar ist sein Einfluss auf deutsche und italienische Staatsleitung ; mittelbar lenkt er auch die meisten übrigen europäischen Staatsmänner. Verständigung auf Fürstentagen („Fürstenkongresse“ zu Aachen, Troppau, Laibach, Verona). Abmachung, jeden Staat in dem sich Volksbewegungen erheben, auf den Boden der Ordnung zurückzuführen.
Iii. Aufhebung der Verfassungen, i) Der
König Ferdinand I. von Neapel folgt der Einladung zu dem Fürstentage in Laibach und willigt trotz feierlich ge-
* Der katholische Philosoph Baader stützt u. a. die fürstliche Selbstherrschaft mit der Forderung einer Durchdringung der Staatskunst mit der Religion.
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Extrahierte Ortsnamen: Frankreich England Rhein Aachen Troppau Laibach Verona Laibach
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In der Wiener Schluakte vom Juni 1820 sicherten sich dann die einzelnen Bundesstaaten gegenseitige Hilse bei Aus-stnden zu und garantierten einander ihre Souvernitt. Doch erhielten die freiheitlichen Ideen neue Nahrung durch Vorgnge auerhalb Deutschlands.
b) Preußen und der Zollverein.
1. Whrend der Bundestag als Werkzeug sterreichs den nationalen Bedrfnissen entgegentrat, vollzog Preußen, obwohl in den allgemein .deutschen und europischen Angelegenheiten sich sterreich unterordnend, seine Neuordnung im Innern und begrndete im Zollverein die wirtschaftliche Einheit Deutschlands,
beides unabhngig vom Bundestage und als Vorbereitung der politischen Neugestaltung. Die erstere wurde erschwert durch die Gegenstze zwischen den alten und neuen Provinzen (die Rhein-lande berwiegend katholisch und halb-sranzsisch, daher hier die Universitt Bonn 1818) und das Widerstreben des seudalen Adels, konnte deshalb nur einem starken Knigtume und seinem an bedeutenden Mnnern reichen Beamtentums gelingen. Sie beschrnkte sich zunchst aus die Ordnung der Provinzialverwal-tung (10, spter 8 Oberprsidien, im April 1815) und die 1815 gesetzliche Feststellung der allgemeinen Wehrpflicht im September 1814. Dagegen kam die 1815 vom König verheiene Reichs-verfasfung, obwohl Wilhelm von Humboldt 1819 das Ministerium des Innern bernahm, nicht zur Ausfhrung, wobei auch
die Vorgnge in Sddeutschland und sterreichs Einflu mitwirkten; vielmehr verblieb es bei der Errichtung von Provin- -uni zialstnden im Juni 1823, in denen der Adel das der- 1823 gewicht behauptete.
2. Die notwendige Reform der Finanzen, welche das Zoll-gesetz vom Mai 1818 (Verlegung aller Zlle an die Staats- 1818 grenzen, mige Schutzzlle) und die Einfhrung einer allgemeinen Gewerbe- und Klassensteuer 1820 anbahnten, war bei
der Zerrissenheit des preuischen Staatsgebiets nur durch den Anschlu der Nachbarlnder an das preuische Zollsystem durch-fhrbar (Eichhorn, Maaen, Motz). Doch konnte deren Widerstand nur langsam berwunden werden, zumal die Interessen ost sehr verschiedene waren, indem die groen Handelspltze den freien Handel, die Industriegebiete Schutzzlle (gegen England) for-derten. Zunchst traten nur einige Kleinstaaten bei (Schwarzburg-Sondershausen 1819, Anhalt-Bernburg 1826, Anhalt-
Kaeuimel und Ulbricht, Grundzge Lh. 16
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wie gegenber den Unabhngigkeitstendenzen der Italiener, der Czechen und der Magyaren. Bei den Czechen erweckten sprachwissen-schaftliche und historische Studien das Bewutsein ihres Volkstums (Dobrowsky, Palacky, Kollar, der Urheber des Panslavismns); die Magyaren arbeiteten seit 1825, gefhrt von ihrem Adel, auf Wie-derherstellung ihres Staatsrechts hin, schufen eine Litteratur in der Volkssprache (Petfi, Jokaj, 1842 die ungarische Akademie) und ersetzten 1844 die lateinische Amtssprache durch die magyarische. Die Bewegung, beschleunigt durch die Finanznot, begann im niedersterreichischen Landtage und richtete sich zunchst auf die ^ Gewhrung einer Konstitution. Ihr weichend trat Metter- Mrz nich am 13. Mrz 1848 zurck und der Kaiser verhie eine 1848 Reichsversammlung. Daraus forderte die czechifche National-Partei die Wiederherstellung des bhmischen Gesamtstaats und bildete einen Nationalausschu (Graf Thun); in Ungarn wurde der Palatiu Erzherzog Stephan zur Berufung eines neuen libe-ralen Ministeriums (Franz Dek, Ludwig Kossuth) gentigt,
neben dem aber in Pest schon ein Sicherheitsausschu auftrat; in Lombardo-Venezien brach der offne Aufstand aus (s. unten S. 268). So war sterreich auer stnde, in die deut-schen Wirren einzugreifen.
3. In Preußen schien trotz der groen Aufregung, die sich in Tumulten und zahllosen Adressen kundgab und durch die Nachricht von der Erhebung in Wien noch gesteigert wurde,
alles in geordnete Bahnen geleitet zu sein, da der König am lg 18. Mrz die Berufung des Landtags fr den 2. April und Mrz Antrge auf die Begrndung eines deutschen Bundesstaates ver-hie. Allein aus der begeisterten Huldigung fr den König ging durch Miverstndnis und Aufhetzung ein wtender Barrikaden-kmpf hervor, der, obwohl von den Truppen siegreich gefhrt,
doch den König so erschtterte, da er das Militr zurckzog, ein neues Ministerium (Graf Arnim, Schwerin, Auerswald) berief und am 20. Mrz eine allgemeine Amnestie erlie; Prinz Wilhelm ging nach England (am 22. Mrz Begrbnis der Gefallenen). Seine Verheiung aber, sich an die Spitze Deutsch-lands zu stellen, blieb wirkungslos, denn die Kraft des preu-ischen Knigtums war gelhmt, der König selbst von tiefster Abneigung gegen die ganze Bewegung erfllt. So fiel ihre Leitung nicht an die preuische Krone, sondern an den sddeutschen Liberalismus, dem der preuische Staat ganz antipathifch war.
17*
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Extrahierte Ortsnamen: Petfi Jokaj Ungarn Wien Schwerin England
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2. Den ruhigen Fortgang seiner Thtigkeit verbrgte dann die Haltung des Reichsregiments (seit Herbst 1521 in Nrnberg), das die Forderung des einer Reform an sich geneigten Papstes Hadrians Vi. (Adrian von Utrecht 152223), als Bedingung jedes Zugestndnisses an Deutschland das Wormser Edikt streng durchzufhren, zurckwies und ein Concil in Deutsch-laud binnen Jahresfrist verlangte (Februar 1523).
3. Dann aber unterbrach den Frieden der Aufstand der 1522 Reichsritter unter Sickingen (15221523). Zur Verwirk- bis lichung ihrer unklaren Ziele (Sicherung ihrer Selbstndigkeit gegenber den Fürsten, Einziehung der geistlichen Frstentmer
und gewaltsame Durchfhrung der Kirchenreform) schlo die rheinische, srnkische und schwbische Reichsritterschaft in Landau ein brderliches Verstndnis" (August 1522). Aber die Verstndigung mit den Stdten milang auch Hutten, und Sickingens Angriff aus das Erzstist Trier scheiterte nicht nur an der tapfern Verteidigung der Hauptstadt, sondern trieb auch Hessen und Pfalz zum Bndnis mit Trier. Whrend die Reichsritter meist un-thtig blieben und dann vereinzelt vom schwbischen Bunde berwltigt wurden, erlag Sickingen selbst inzwischen gechtet dem Angriff der drei Fürsten aus dem Landstuhl (April und Mai 1523). In seinen Fall verwickelte er auch Hutten, der als armer Flcht-ling unter Zwiuglis Obhut in Usnau bei Zrich starb.
4. Der Aufstand erschtterte die Stellung des Reichsregi-ments gegenber den Fürsten, die ihn allein besiegt hatten. Gleich-zeitig erregte es die Besorgnis der Reichsstdte durch das Projekt einer Reichszollgrenze. Beide erzwangen deshalb aus dem Reichstage von Nrnberg Anfang 1524 die Entlassung der bisherigen Mitglieder und die Verlegung seines Sitzes nach Elingen, damit die Auslsung jeder geordneten Reichsregierung. Der Kaiser aber verbot den zur Regelung der kirchlichen Frage in Speier beabsichtigten Reichstag, und der Sonderbund von Regensburg (zwischen sterreich, Bayern, Salzburg und
elf Bischsen) zur selbstndigen Durchfhrung des Wormser Juli Ediktes Juli 1524 entschied die konfessionelle Spaltung 1524 Deutschlands.
5. Andrerseits begann die kirchliche Neugestaltung, da Fürsten und Bischfe sie ablehnten, durch selbstndiges Vorgehen der Gemeinden nach Luthers Anweisung, zuerst in Kursachsen (Wittenberg, Zwickau, Altenburg), Erfurt, Magdeburg, in der Oberlausitz und in Schlesien (Breslau), in den sddeutschen
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Extrahierte Personennamen: Adrian_von_Utrecht August Sickingen
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schsse im Januar 1848 erffneten gnstige Aussichten, zumal der König die regelmige Berufung des Landtags verhie.
3. In seiner romantischen Stimmung bewies der König der katholischen Kirche weitherziges Entgegenkommen, indem erden Verkehr der Bischfe mit Rom vllig freigab, die verhafteten Erzbischse entlie und den Weiterbau des Klner Domes in Angriff nahm (Dombaufest im September 1842). Mit alledem frderte er freilich nur den Ultramontanismus. Zwar rief nun innerhalb des Katholicismus selbst die Ausstellung des sge-nannten heiligen Rockes (Christi) in Trier 1844 namentlich in Schlesien die deutsch-katholische Bewegung (Johannes Ronge, Czerski) hervor, deren Anhnger Ostern 1845 ein Eon-eil in Leipzig veranstalteten, doch bewies sie geringe innere Kraft und wurde in Bayern, Kurhessen und Sachsen zunchst nicht zugelassen. Da sich hier mit der Verstimmung der die ab-lehnende Haltung der Regierung gegenber den Forderungen der liberalen Opposition (Landtag 1842/3) die grundlose Besorgnis vor katholischen Umtrieben verband, so kam es in Leipzig im August 1845 schon zu blutigen Austritten.
4. In der protestantischen Kirche bevorzugte Friedrich Wilhelm Iv. im Einvernehmen mit dem Kultusminister von Eichhorn die strengglubige Richtung, doch erfllte die Ge-neralfynode 1846 seine Erwartungen nicht. Andrerseits gelangten die Gemeinschaften, die sich von der Union trennten, die Freigemeinden, die auch nach Sachsen sich verbreiteten, und die separiert-altlutherischeu Gemeinden nur zu geringer Bedeutung. Trotz solcher Spaltungen bewies die Entstehung
1843 des Gustav-Adolf-Bereins 1843 zur Untersttzung evangelischer Glaubensgenossen in der Diaspora, da ein starkes Gefhl der Gemeinschaft in der deutsch-evaugelischeu Kirche lebe.
5. Alle diese Bewegungen steigerten das Interesse an ffent-lichen Angelegenheiten, doch richtete sich dasselbe ganz vorwiegend auf freiheitliche Gestaltung der Einzelstaaten. Das National-gefhl und damit das Bedrfnis nach krftigerer Einigung Deutschlands wurde zuerst durch die Bestrebungen Frank-
1840 reichs nach der Rh eingrenze 1840 (Beckers Rheinlied, Schneckenburgers Wacht am Rhein"), nachhaltiger noch durch die schleswig-holsteinische Frage erweckt.
6. In S ch l e s w i g - H o l st e i n, das, obwohl nur Holstein zum Deutschen Reiche und zum Bunde gehrte, ein einheitlicher Staat und mit Dnemark nur durch Personalunion verbunden war,
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Extrahierte Ortsnamen: Rom Klner_Domes Christi Schlesien Leipzig Bayern Kurhessen Sachsen Leipzig Sachsen Deutschlands Rhein" Holstein
Von der ersten französischen Revolution bis zur Gegenwart. 297
ihrer Waffen durch die rasche und elegante Kriegführung Preußens verdunkelt worden war. Schon gleich nach dem Prager Frieden wurden jenseits der Vogesen Stimmen laut, welche Napoleon Iii. tadelten, daß er dem Könige Wilhelm in seinem Siegeslaufe nicht entgegengetreten sei; auf Böhmens Feldern habe die französische Ehre — gloire nennen sie es — einen gewaltigen Schlag erlitten, man müsse Rache für Sadowa nehmen, schrieen sie, wie einst ihre Väter Rache für Belle Alliance verlangten. Daneben fing man an die Schritte der Regierung immer schärfer zu kritisieren, besonders nach dem traurigen und für Frankreich durchaus nicht ehrenvollen Ausgange der mexicanischen Expedition ; man blickte ferner mit unverhohlenem Neide auf die,sich immer mehr befestigende Einheit Italiens und auf die ruhige Entwickelung der deutschen Verhältnisse, die ebenfalls zur Hoffnung auf baldige feste Vereinigung der jetzt noch durch den Main geschiedenen germanischen Stämme berechtigte; gerade als ob es Frankreichs Recht sei um sich herum nur politische Auflösung und Zersplitterung zu erblicken. Ein Funke nur in diese Pulvertonne, und man mußte auf eine furchtbare Explosion gefaßt sein. Fast wäre schon im Jahre 1867 der Krieg um Luxemburgs willen entbrannt.
Im Wiener Frieden war dieses Ländchen besonders der starken Die Luxem-gleichnamigen Festung wegen, deren man zum Schutze gegen französische 6ur9er^ra0e’ Zugriffe zu bedürfen glaubte, dem deutschen Bunde zugewiesen worden; der Landesherr war der nichts weniger als deutsch gesinnte König von Holland, während Preußen die Besatzung der Stadt Luxemburg bildeten.
Nach Auflösung des deutschen Bundes hätte Napoleon gar zu gerne durch Kauf das Land an sich gebracht und würde feinen Plan durchgesetzt haben, wenn es blos auf den König-Großherzog angekommen wäre. Doch dem trat Preußen entschieden entgegen; um jedoch aus der anderen Seite seine Friedensliebe zu beweisen, willigte es in den Vorschlag des Londoner Congresses (1867), Luxemburg als neutrales Land seinem früheren Besitzer zu lassen, die Festung dagegen zu schleifen.
So war diese Frage glücklich aus der Welt geschafft, ohne daß die Mißstimmung der Franzosen gegen den norddeutschen Bund gehoben worden wäre. Die unruhigen Geister zu beschwichtigen, war nun Napoleons Iii. Hauptaufgabe. Zu diesem Zwecke steuerte er, wenn auch langsam und vorsichtig, einer liberaleren Regierung zu, wählte sich nach Rouhers, des sogenannten Vicekaisers, Rücktritt ein Ministerium aus den Reihen der Opposition und ließ sogar durch eine beeinflußte allgemeine Volksabstimmung sich der Zufriedenheit des Landes mit feiner Regierung versichern. Wichtiger waren feine Bemühungen um eine bessere Bewaffnung des Heeres. In dem Wahne, daß hauptsäch-
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Extrahierte Ortsnamen: Frankreich Italiens Main Frankreichs Luxemburgs Holland Luxemburg Luxemburg Napoleons
Die schweizerischen Wirren.
499
einheimischen Markte wenigstens auf gleichem Fuße aufnehmen zu können.
Mußte mau es sich zuletzt gefallen lassen, daß die national-ökonomischen
Ueberzeugungen preußischer und anderer Staatsmänner sich mit einem
folgerichtigen Schutzzollsysteme nicht vereinigen können, so hätte man
doch so viel erwarten dürfen, daß die Resultate der Zollkonferenzen
wenigstens den betheiligten Deutschen zuerst bekannt gemacht würden,
so aber erfuhren diese dieselben jedesmal zuerst aus triumphierenden
Artikeln englischer Zeitungen, was jedenfalls kein günstiges Vorurtheil
für die Unabhängigkeit der Leiter eines Vereins, den man als „deutschen"
betonte, erwecken konnte und das deutsche Selbstbewußtsein demüthigte.
Dennoch gewann der Zollverein eine solche Lebenskraft und trieb seine
Wurzeln so tief, daß nicht allein die Staatskassen seiner nicht mehr ent-
rathen können, sondern auch das Verkehrsleben der Staaten des Zoll-
vereins so zusammengewachsen ist, daß die Wiedererrichtung der alten
Zollschranken geradezu in das Reich der Unmöglichkeit gehört und selbst
das Ausland den Zollverein als eine, wenn auch unvollkommene natio-
nale deutsche Einrichtung anerkennt und dessen weitere Entwicklung nach
Kräften zu hindern sich bestrebt.
Vierzehntes Kapitel.
Die schweizerischen Wirren (1830—1840).
Wie 1802 die Gegner der helvetischen Republik die einheitliche
Verfassung derselben wohl umzuwerfen, aber keine andere statt derselben
einzuführen vermochten, sondern Napoleons allgewaltige Vermittlung
Ruhe und Verfassung (Mediationsakte) bringen mußte, so ging es auch
1814, als der „erhabene Vermittler" gestürzt wurde. Die ehemals
herrschenden Städte und die Urkantone erklärten die Mediationsverfas-
suug mit Beistimmung der fremden Gesandten als aufgehoben, erneuer-
ten aber auch zugleich alle ihre Ansprüche auf die ehemals von ihnen
bevogteten Landschaften und Orte, z. B. Bern auf Waadt und Aargau,
welche dagegen ihre gesammte waffenfähige Mannschaft aufboten; andere
Theile, z. B. der katholische Aargau, wollten selbstständig werden, wie-
der andere sträubten sich länger, dem bisherigen Kanton anzugehören,
z. B. die Landschaft Gaster, welche schwyzerisch werden wollte. Diesem
Treiben that das Wort der Allierten Einhalt, sowie sie auch die Bun-
desverfassung von 1815 vermittelten und die leitenden Grundsätze für
die Kantonalverfassungen aufstellten. Die Schweizer hatten sich über
den Wienerkongreß in keiner Weise zu beklagen, denn das Gebiet der
Eidgenossenschaft wurde durch Genf, Neuenburg, Pruntrut und Wallis
vergrößert, der Eidgenossenschaft ewige Neutralität zugesichert, und selbst
32*
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Die Zeit von 1815 bis 1857.
hatten, erklärt sich von selbst. Der Bundestag half ihnen dazu, indem
er am 23. August 1851 die Grundrechte förmlich aufhob; die alten
Konstitutionen wurden wieder hergestellt oder die neuen so revidiert, daß
die Regierungen und der Bundestag ihre Zustimmung geben konnten;
theilweise jedoch, wie z. B. in Hannover, das in der Sturmeszeit die
loyalste Haltung gezeigt hatte, blieb die Revision bis 1857 noch im
Gange. Dagegen sind die meisten Mittelstaaten in der Ordnung der
kirchlichen Angelegenheiten dem Beispiele Oesterreichs und Preußens noch
nicht gefolgt und unterhandeln noch fortwährend mit dem heiligen Stuhle.
Im Wesentlichen kann der Ausgang jedoch nicht zweifelhaft sein: ihre
unveräußerlichen Rechte könnten der Kirche nur durch Unterdrückung vor-
enthalten werden, was keine deutsche Regierung beabsichtigen kann, und
sodann macht sich die Thatsache immer mehr geltend, daß da die Ein-
tracht am wenigsten leidet, daß da die Genossen der christlichen Bekennt-
nisse am friedlichsten Zusammenleben, wo die Rechte derselben am schärf-
sten gesetzlich abgegränzt sind. So war es vor der ersten französischen
Revolution in Deutschland und in der Schweiz; die Bekenner jedes
Glaubens hatten ihre vielfach verbrieften und besiegelten Rechte, die man
gegenseitig anerkannte; es gab wohl auch Prozesse, die Hauptsache aber
kam nie in Frage und der Friede blieb ungestört. Jetzt ist die Parität,
das politische Zusammenleben verschiedener Bekenntnisse, in Deutschland eine
allgemeine geworden, daher die schärfste Scheidung der religiösen Rechte
dringend nothwendig; Feindseligkeit wird durch das Recht nicht gepflanzt,
denn wer sein Recht festhält, der achtet auch das des andern und kann
keine Unterdrückung oder Schmälerung desselben wollen, die Gegensätze
aber werden immer bestehen, so lange es verschiedenen Glauben gibt;
nur allgemeine religiöse Charakterlosigkeit könnte den Versuch wagen,
die Bekenntnisse zusammenzuquirlen und den Völkern statt kirchlicher
Dogmen eine philosophische Bettelsuppe zu reichen.
Dreißigstes Kapitel.
Das zweite französische Kaiserthum.
Die erste französische Republik brauchte doch von 1792—1804 zu
ihrer Verwandlung in die Militärmonarchie, die zweite dagegen machte
dieselbe in einer wunderbar schnellen Weise durch. Die Législative
förderte das Werk wesentlich; den 31. Mai gab sie ein neues Wahl-
gesetz, durch welches über 3 Millionen Franzosen das Stimmrecht ver-
loren, am 16. Juli ein neues Preßgesetz; fast gleichzeitig votierte sie dem
Präsidenten eine Dotation von 2% Millionen Franken, so daß derselbe
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Extrahierte Personennamen: August
Extrahierte Ortsnamen: Hannover Oesterreichs Deutschland Deutschland
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In den beiden grten Staaten, Preußen und Oester-reich, kam es nicht zu Aufftnden. In Oesterreich folgte auf Franz I., welcher 1835 starb, dessen Sohn Ferdinand I. (18351848). Er frderte wie sein Vater den Wohlstand des Landes, es blieb aber bei den bisherigen Regierungsgrund-stzen, indem der Fürst Metternich auch unter ihm den frheren Einflu behielt.
Ein bedeutender Schritt zur Einigung Deutschlands ge-schah durch die Grndung des deutschen Zollvereins, welche von Preußen ausging. Oesterreich, dem Preußen in politischen Fragen sich unterordnete, legte kein Hinderni in den Weg. Schon 1818 hatte Friedrich Wilhelm Iii. alle Zollschranken zwischen den einzelnen preuischen Provinzen auf-gehoben; es traten alsbald mehrere kleine deutsche Staaten dem preuischen Zollverbande bei. In den zwanziger und dreiiger Jahren entwickelte sich der deutsche Zollverein, welcher mehr als acht Tausend Quadratmeilen und mehr als fnfund-zwanzig Millionen Einwohner umfate. Der Zollverein diente zum Schutze der deutschen Gewerbe und deutschen Handels gegen das Uebergewicht fremder Maaren; ein groer Aufschwung in dem gewerblichen Verkehr war die Folge.
Der König Friedrich Wilhelm Iii. endigt am 7. Juni 1840 sein vielbewegtes Leben. Sein ltester Sohn, der hochge-bildete und kunstsinnige Friedrich Wilhelm Iv. bernahm nach ihm die Regierung.
Friedrich Wilhelm Iv. (18401861) wollte dem Volke freiere Bewegung gnnen und errichtete durch Patent vom 3. Februar 1847 den vereinigten Landtag, von dessen Zustim-mung die Erhebung neuer Steuern und Anleihen abhngig ge-macht wurde. Auf diesem Landtage fand aber das Verlangen nach greren Freiheiten und einer wirklichen Constitution einen uerst lebhaften Ausdruck.
2. Vs dem Jahre der Revoluttou 1848 bis zum preuisch-sterreichischen Kriege 1866* Deutsche Eiuheitsbestrebuugeu.
Im Jahre 1848 brach in Frankreich eine neue, die dritte siegreiche Revolution aus. Ludwig Philipp, der nicht ohne
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Extrahierte Ortsnamen: Oesterreich Deutschlands Oesterreich Frankreich
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unbedingten Reaktion auf wirtschaftlichem Gebiet, besonders
in agrar- und gewerbepolitischer Hinsicht (Reaktion — Gegen-
wirkung, im politischen Sinne das Bestreben, allen Neuerungen des
Fortschritts möglichst entgegenzuwirken). Seit 1897 sind im Reichs-
tag folgende Gruppen der wirtschaftlichen Vereinigung vertreten:
Oer Bund der Landwirte oder auf katholisch-süddeutschem
Boden die Bauernbünde; die Christlich-Sozialen,'
die Deutsch-Sozialen,- die Mittel st ands-ver-
e i n i g u n g (verfolgt die Interessenvertretung der Handwerker
und Kleinhändler). Eine konservative Nebenbewegung mit aus-
geprägt antisemitischen Grundsätzen ist ferner die
Deutsche Reformpartei, früher Deutsch-soziale
Reformpartei genannt.
Als letzte Erscheinung der Interessengruppen-Bildung finden
wir den Hansabund, der für die gemeinsamen Inter-
essen von Gewerbe, Handel und Industrie und für volle
Gleichberechtigung aller Erwerbs st ände eintritt.
2. Die liberalen Parteien bilden mit den Sozialdemokraten
die Linke des Reichstages. Oer Liberalismus (liberal lateinisch
— freigebig, gütig) ist auf der Idee der allgemeinen Menschen-
rechte, des Fortschritts, der bürgerlichen Gleichheit und freiheitlichen
Ausgestaltung der Verfassung und Verwaltung, der Hebung und
Betonung des Einzelmenschen, des Freihandels und des freien
Gewerbes, der freien Berufswahl und Freizügigkeit aufgebaut.
Sein Aufblühen fällt hauptsächlich mit der industriellen Entwicklung
Deutschlands zusammen.
Im Jahre 1859 gründeten patriotisch gesinnte deutsche Männer
den Nationalverein zu Frankfurt a. M. unter dem ver-
dienstvollen Präsidenten Rudolf von Bennigsen. Vas eigentliche
Gründungsjahr der Partei ist 1861, in dem die Liberalen den Namen
Deutsche Fortschrittspartei annahmen, der auch
die alten Demokraten w a l d e ck und Schulze-Delitzsch
angehörten und M o m m s e n und v i r ch o w als neue Führer
beitraten. Auf den Vorschlag Bennigsens bildete sich mit dem
Norddeutschen Bunde die Nationalliberalepartei, die
ihr Schwergewicht auf die Reichseinheit legte, viele Vertreter des
alten Adels, große und kleine Kaufleute, Bauern, Handwerker,
Arbeiter, viele alte Demokraten, Männer aller Konfessionen gingen
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Extrahierte Personennamen: Rudolf_von_Bennigsen Rudolf Bennigsens