§ 3. Perioden der deutschen Litteraturgeschichte.
5
Nach Luther trat bald wieder eine arge Sprachverwirrung ein, indem die
Gelehrten lateinisch lehrten und schrieben, und indem zur Zeit des 30jährigen
Krieges eine gewaltige Sprachmengerei entstand durch vielfache Benutzung fran-
zösischer, spanischer und italienischer Wörter. Erst mit Anfang des 17. Jahrhunderts
trat, besonders durch Opitz auf dem Gebiete der Dichtkunst und durch Leibniz auf
dem Gebiete der Wissenschaft, ein bewußter Umschwung ein, bis die Sprache in der
zweiten Blnteperiode der Litteratur von Klopstock ab ihre hohe Vollendung erreichte,
als welche sie, im Gegensatz zu der dialektredenden, mehr und mehr zurückgedrängten
Volkssprache, die Umg a n g s s p ra ch e aller Gebildeten geworden ist.
8 3.
Perioden der deutschen Litteraturgeschichte.
Innerhalb der drei genannten Entwicklungsstufen des Hochdeutschen
unterscheiden wir für die Geschichte der poetischen Nationallitteratur,
deren wichtigste Erscheinungen der vorliegende Teil des Lesebuches zur
Kenntnis bringt, folgende acht Perioden:
1. Die Zeit des heidnischen, altdeutschen Volksgesanges und der
Sagenbildung von den ältesten Zeiten bis auf Karl den Großen, 800.
2. Die Zeit des Einflusses der Geistlichkeit auf die Poesie von
Karl dem Großen bis in das erste Jahrhundert der Kreuzzüge, von
800—1150.
3. Erste Bliitepcriode auf dem Gebiete des Volksepos (Nibe-
lungenlied und Gudrun), des höfischen Epos (Heinrich von Veldeke,
Hartmann von Aue, Wolfram von Eschenbach, Gottfried von Straß-
burg), der Lyrik (Walther von der Vogelweide) und der Didaktik
(Freidanks Bescheidenheit) in der Zeit der Kreuzzüge, von 1150—1300.
4. Die Zeit des Verfalles der Poesie, deren Träger Bürger und
Handwerker sind: Meistergesang, Blüte des Volksliedes, von 4300
bis 1500.
5. Das Zeitalter des Vorherrschens der satirisch-didaktischen Poesie
im Jahrhundert der Reformation; Ausbildung des Kirchenliedes,
von 1500—1624.
6. Die Zeit der Poesie der Gelehrten oder die Zeit der Nachahmung,
von 1624—1748.
7. Zweite Blnteperiode, anhebend mit der Herausgabe der drei
ersten Gesänge von Klopstocks Messias im Jahre 1748 und geknüpft an
die Dichter: Klopstock, Wieland, Lessing, Herder, Goethe, Schiller.
8. Die Zeit der Romantiker und der neueren Dichter.
im Hause, die Kinder auf der Gasse, den gemeinen Mann auf dem Markt darum
fragen."
TM Hauptwörter (50): [T1: [Geschichte Dichter Zeit Buch Werk Jahr Gedicht Nr. Bild Geographie], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
TM Hauptwörter (100): [T35: [Dichter Zeit Gedicht Lied Dichtung Schiller Poesie Werk Goethe Sprache], T43: [Zeit Volk Jahrhundert Geschichte Reich Staat Leben Kultur Deutschland Mittelalter], T25: [Wissenschaft Kunst Zeit Sprache Geschichte Schrift Buch Werk Jahrhundert Erfindung]]
TM Hauptwörter (200): [T172: [Dichter Zeit Gedicht Schiller Werk Goethe Maler Dichtung Lied Hans], T173: [Sprache Wort Name Schrift Zeit Buch Form Kunst Art Werk], T91: [Geschichte Krieg Zeit Zeitalter Mittelalter Revolution Reformation deutsch Jahrhundert Ende], T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen], T29: [Geschichte Geographie Nr. Erdkunde Lesebuch Bild Iii allgemein Lehrbuch deutsch]]
Extrahierte Personennamen: Luther Opitz Klopstock Karl Karl Karl Karl Gudrun) Gudrun Heinrich_von_Veldeke Heinrich Hartmann_von_Aue Wolfram_von_Eschenbach Gottfried_von_Straß- Walther Klopstocks_Messias Klopstock Lessing Goethe Schiller
493
Als die deutschen Kaiser nach Italien kamen, stellten sie die welt-
berühmte Abtei unter ihren unmittelbaren Schutz, und so oft auch die
Könige in Unteritalien wechselten, so blieb es doch sür die meisten Her-
kommen, Monte Cassino in Ehren zu halten. Fort und fort mehrte sich
sein Schatz an Gütern und Vorrechten. In den letzten Jahrhunderten
erhielt die Abtei auch wieder ähnliche Besucher wie damals, als der
Berg unter Apollos Schutze stand. Die Mönche sollten Balsame aus
dem heiligen Lande haben; zahllose Kranke pilgerten herbei, mit ihnen
auch gebildete und wohlhabende Männer, welchen das angenehme Wohnen
aus dieser Höhe gefiel, in kerngesunder Luft, bei herrlicher Aussicht und
unter gastlichen Männern höherer Bildung, wie die Benediktiner es waren.
An Wissenschaft, insbesondere an hohem Verdienst in Geschichtsforschung,
ist Monte Cassino auch in der neuesten Zeit nicht arm geworden. Als
die langobardischen Könige zuerst herankamen, mußten die Mönche vor
der Wut und Zerstörung fliehen. Fast anderthalbhnndert Jahre blieb
der Berg einsam: dann bezogen die Benediktiner doch ihr Cassino wieder.
Monte Cassino bildet noch immer eine kleine Stadt sür sich allein.
Man steht auf den ersten Blick, ihrer Bürger Thätigkeit umfaßte vieler-
lei, was zur Wohlfahrt und Veredlung der Menschen diente. Soviel
neugeweißte Gebäude und Säle man sieht, überall blickt doch noch ur-
altes historisches Gemäuer durch, überall wittert eine Luft, die erfüllt ist
von Erinnerungen aus einer langen Kelle von Jahrhunderten. Der
Geschichtsforscher findet nirgends ein schöneres kleines Paradies. Denn
über den Köstlichkeiten alter Pergamente glänzt das lichte Himmelblau,
und kommt er heraus aus den hohen lustigen Büchersäleu, so strömt ihm
erquickend die reine und würzige Luft entgegen. Immer neu aber und
anregend und großartig ist die Aussicht. Wohin man blickt, in die Tiefe
und auf die umringenden Berge, überall haften historische Andenken. Da
unten zu den Füßen des Benediktinerberges, in San Germano, schloß
Kaiser Friedrich Ii. seinen Frieden mit dem Papste: aber hinter jenen Bergen
ziehen die Thäler, wo der letzte Hohenstaufe, der letzte Anjou, der letzte
Aragonier, ein Habsburg, ein Murat und ein Bourbon das Königreich
verlor. Mit wieviel Blut sind die alten Heeresstraßen zum Südreiche
schon getränkt! Wie oft, wie unersättlich wälzte sich Raub und Kriegs-
wut über diese Länder und riß die Blüten nieder vor der Ernte!
Franz v. Löher.
Sis übers Jahr.
Rasch ist die Spanne Zeit vergangen,
Ein neuer Abschnitt bricht heran,
Da schauen wir mit Lust und Bangen,
Auf die zurückgelegte Bahn.
TM Hauptwörter (50): [T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T1: [Geschichte Dichter Zeit Buch Werk Jahr Gedicht Nr. Bild Geographie]]
TM Hauptwörter (100): [T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T58: [Kloster Jahr Mönch Kirche Schweiz Bischof Abt Zürich Bonifatius Bern], T25: [Wissenschaft Kunst Zeit Sprache Geschichte Schrift Buch Werk Jahrhundert Erfindung], T76: [Stadt Straße Haus Schloß Kirche Gebäude Mauer Platz Garten Dorf], T12: [Wasser Luft Erde Höhe Körper Fuß Dampf Bewegung Druck Gewicht]]
TM Hauptwörter (200): [T194: [Kirche Kloster Schule geistliche Gottesdienst Gemeinde Geistliche Leben Staat Priester], T91: [Geschichte Krieg Zeit Zeitalter Mittelalter Revolution Reformation deutsch Jahrhundert Ende], T6: [Berg Fuß Höhe Gipfel Gebirge Schnee Meer Fels Ebene See], T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht], T142: [Stadt Dorf Mauer Haus Burg Straße Kirche Schloß Graben Zeit]]
Extrahierte Personennamen: Friedrich_Ii Friedrich Franz_v Franz
40
I. Beschreibende Prosa: Kulturgeschichte.
huldigten ihm. Ein geistreicheres Leben begann in der krieggewohnten
Stadt, und wo bisher nur Waffen geklirrt und die trockenen Formeln
des Rechtes auf dem Forum getönt hatten, klangen jetzt die melodischen
Weisen der griechischen Musen. Was in der fremden Sprache eine be-
wundernde Freude erregt hatte, wurde in der Muttersprache nachgeahmt,
und die rauhen Töne von Latium milderten sich in dem Wettstreite mit
der ältern Schwester. So erstrebte auch Rom auf den Flügeln der
griechischen Muse einen dauernderen Ruhm, als der war, den ihm
seine Welteroberung zusicherte. Denn vielleicht würde auch die Geschichte
von Rom, wie die von Persien, nur in den Kompendien der Welt-
geschichte leben, wenn nicht der starke Geist der römischen Poesie und
Beredsamkeit, ihre Gesetzgebung und die praktische Weisheit, die das
römische Volk beiden Künsten zu vermählen wußte, die Sprache der Welt-
beherrscherin durch eine Reihe düsterer Jahrhunderte bis auf unsere Zeiten
empfohlen hätten.
Seit der Wiedererweckung des Studiums der klassischen Litteratur ist
die Einwirkung der griechischen Bildung auf die Kultur der neueren
fast ununterbrochen gewesen. Fast zu allen unseren Wissenschaften hat sie
den Grund gelegt, und die wissenschaftliche Methode, die sie bei einigen
Zweigen derselben, wie bei der Philosophie und Mathematik, beobachtet
hat, ist noch nicht übertroffen worden. Vor allem aber haben die Werke
der redenden und bildenden Kunst nie aufgehört, den Kunstsinn zu wecken
und den Geschinack auszubilden. An dem Ruhme der alteu Klassiker ist
der Ruhm der neueren emporgestiegen. Fr. Jakobsl.
2. Der Einfluß der Heerzüge Alexanders d. Gr. auf die Wissenschaft.
In dem Entwicklungsgänge der Menschengeschichte, sofern dieselbe
eine innigere Verbindung der europäischen Abendländer mit dem südwest-
lichen Asien, dem Rilthale und Libyen darstellt, bezeichnen die Heerzüge
der Macedonier unter Alexander dem Großen, der Untergang der
Perserherrschaft, der beginnende Verkehr mit Vorderindien, die Einwirkung
des 116 Jahre dauernden griechisch-baktrischen Reichs eine der wich-
tigsten Epochen des gemeinsamen Völkerlebens. War die Sphäre
der Entwicklung fast maßlos dem Raume nach, so gewann sie dazu noch
an intensiver moralischer Größe durch das unablässige Streben des Er- i
i Friedrich Jakobs, bedeutender Altertumsforscher und Verfasser von Ro-
manen und Erzahlungen, geboren 1764 zu Gotha, 1807 Profesior der alten Litte-
ratur am Lyceum zu München, seit 1810 rvieder in Gotha, roo er 1847 ats Ober-
bibliothekar und Direktor des Münzkabinets starb.
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T1: [Geschichte Dichter Zeit Buch Werk Jahr Gedicht Nr. Bild Geographie], T4: [Reich Zeit Staat Volk Deutschland Jahrhundert Land Macht deutsch Geschichte]]
TM Hauptwörter (100): [T25: [Wissenschaft Kunst Zeit Sprache Geschichte Schrift Buch Werk Jahrhundert Erfindung], T43: [Zeit Volk Jahrhundert Geschichte Reich Staat Leben Kultur Deutschland Mittelalter], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T46: [Universität Berlin Jahr Schule Wissenschaft Leipzig Professor Akademie Hochschule Gymnasium], T14: [König Reich Alexander Perser Stadt Sohn Land Cyrus Babylon Syrien]]
TM Hauptwörter (200): [T127: [Volk Sprache Land Zeit Sitte Kultur Bildung Geschichte Bewohner Stamm], T74: [Zeit Wissenschaft Philosophie Geschichte Philosoph Werk Lehrer Schrift Sokrat Schüler], T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen], T165: [Kunst Wissenschaft Handel Gewerbe Bildung Land Stadt Schule Zeit Volk], T91: [Geschichte Krieg Zeit Zeitalter Mittelalter Revolution Reformation deutsch Jahrhundert Ende]]
Extrahierte Personennamen: Alexanders Alexander Alexander Friedrich_Jakobs Friedrich
Extrahierte Ortsnamen: Latium Rom Rom Persien Alexanders Asien Libyen Gotha Gotha
3. Rom in seiner Bedeutung für Kunst und Wissenschaft.
49
Altertums, Kunst und Wissenschaft auf Griechenland, Gesetze und Ein-
richtungen auf Rom, so viele Dinge, die uns im täglichen Leben um-
geben, auf beiden.
Die griechische Bildung erhielt nicht nur in der römischen eine be-
wunderungswürdige Zugabe, sondern hätte auch schwerlich ohne die römische
Macht Dauer und Verbreitung gewonnen. Es erscheint gerade hier in
der Weltgeschichte eine der größten Verkettungen geistiger Zwecke und nach
Irdischem strebender Kräfte. Vor allem aber darf man in Rom nicht
Italien vergessen. An dem Geiste des Altertums mußte sich die neuere
Bildung emporschlingen, um sich zu etwas allseitiger Vollendetem zusammen-
zuwölben, und in dieser entscheidenden, von allen Punkten ihres Erscheinens
anziehenden Umgestaltung spielt dieses wundervolle, in Himmel, Lage, Er-
zeugnissen, Schönheit und Anlagen der Menschenuatur so begünstigte Land
die erste und bedeutendste Rolle. In den meisten künstlerischen, wissen-
schaftlichen, philosophischen, bürgerlichen, politischen, dann in den großen
durch Handlungs- und Forschungsgeist geleiteten länderverbindenden Ent-
wicklungen menschlicher Thätigkeit schritt Italien dem übrigen Abendlande
in jenen denkwürdigen Jahrhunderten, in welchen das Moderne sich zuerst
in geistiger Würdigkeit dem Antiken gegenüberzustellen anfing, voran. An
diesem neuern Ruhme Italiens haben zwar, wenn man gerecht sein will,
andere Städte größern Anteil, als gerade Rom. Allein alles floß doch
in Italien zu diesem Mittelpunkte zurück, und die Glorie legte sich gleich-
sam freiwillig um das Haupt, das schon so viele Kronen zierten. So
ist Rom für uns eins geworden mit den zwei größten Zuständen, auf
welche sich unser geeinigtes Dasein gründet, dem klassischen Altertum und
dem Emporwachsen moderner Größe an der antiken, und zwar beruht
dies nicht auf trockenen, eingeredeten Verstandesbegriffen. Rom spricht
in allem damit an, in ungeheuren Überresten, in seelenvollen Kunstwerken,
und wohin man den Fuß setzt, in nicht abzuwehrenden Erinnerungen.
Es ist wohl zugleich ein Hauch der Einbildungskraft, ein dichterischer
Schimmer, der diese Stadt umschwebt, ein Schein, der vor einer nüch-
ternen Betrachtung gewisser Art wie Morgenduft verrinnt, aber ein Schein,
welcher, wie der künstlerische und poetische, die Wahrheit reiner und ge-
diegener in sich hält, als die gewöhnlich so genannte Wirklichkeit.
W. v. Humboldti. 1
1 Wilhelm von Humboldt, älterer Bruder Alexanders von Humboldt, be-
deutend als Sprachforscher (hervorragend sein Werk über die Kawisprache (auf der
Insel Javad und als Ästhetiker. Geboren 1767 zu Potsdam, preußischer Staatsmann
seit 1808, abgegangen als Staatsminister 1819, starb er, den Wissenschaften ergeben,
auf seinem Gute Tegel bei Berlin 1835. Sein Briefwechsel mit Schiller und Goethe
ist von großer Wichtigkeit für die Litteraturgeschichte.
Hense, Lesebuch. Iil
4
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T1: [Geschichte Dichter Zeit Buch Werk Jahr Gedicht Nr. Bild Geographie], T4: [Reich Zeit Staat Volk Deutschland Jahrhundert Land Macht deutsch Geschichte]]
TM Hauptwörter (100): [T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T25: [Wissenschaft Kunst Zeit Sprache Geschichte Schrift Buch Werk Jahrhundert Erfindung]]
TM Hauptwörter (200): [T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen], T165: [Kunst Wissenschaft Handel Gewerbe Bildung Land Stadt Schule Zeit Volk], T74: [Zeit Wissenschaft Philosophie Geschichte Philosoph Werk Lehrer Schrift Sokrat Schüler], T63: [Kaiser Macht Rom Zeit Volk Jahr Mann Staat Augustus Name], T25: [Stadt Schloß Straße Garten Berg Dorf Nähe Park Ufer Haus]]
Extrahierte Personennamen: Wilhelm_von_Humboldt Wilhelm Alexanders_von_Humboldt Alexanders Schiller Goethe
Extrahierte Ortsnamen: Griechenland Rom Rom Italien Italien Italiens Italien Rom Potsdam Berlin
20. Herders Einwirkung auf die gesch. u. krit. Betrachtung der Dichtkunst. 181
Geist der biblischen Schriften gewinnen, wie wir bei Herder sie von
Anbeginn finden. Die Bibel war für Herder die erste Bildungsquelle ge-
wesen; nur der Bibel zu lieb war Herder, wie er noch in seinem spätern
Alter erzählt, Theolog geworden; in seinen Kinderjahren hatte er den
Hiob, den Prediger, Jsaias und die Evangelien gelesen, wie er sonst nie
ein Buch auf der Welt las. Schon in einer seiner frühesten Schriften, im
Versuch einer Geschichte der Dichtkunst, stemmt sich Herder fest gegen die
Ansicht, auch die dichterische Seite der Bibel nur als unmittelbar gött-
liche Wirkung zu betrachten und den Ursprung derselben vom Himmel
zu holen. Eine lange Reihe von Abhandlungen, welche Herder unter dem
Namen einer Archäologie des Morgenlandes zusammenzustellen gedachte,
und welche später die Grundlagen seiner Schrift über „die älteste Urkunde
des Menschengeschlechtes" wurden, ist ganz und gar von dem Grund-
gedanken getragen, die älteste alttestamentarische Dichtung, die Schöpfungs-
geschichte, die Geschichte der Sündflut und die Geschichte Moses' als alte
orientalische Nationalgesänge zu betrachteu; wer in dieser Einfalt nicht
Größe fühle, der fühle keine Poesie des sinnlichen Anschauens. Und nach-
dem bereits 1780 die Briefe über das Studium der Theologie diesen
Gesichtspunkt lebendiger Volksdichtung über die gesamte Bibel ausgedehnt
hatten, erschien 1782 Herders berühmtes Buch über den „Geist der
hebräischen Poesie", von welchem Herder mit vollem Rechte sagen konnte,
von Kindheit auf habe er es in seiner Brust genährt. Die hebräische
Poesie war ihm die älteste, einfachste, herzlichste Poesie der Erde, eine
Poesie voll des innigsten Naturgefühles und doch ganz und gar nur das
dichterische Innewerden und Anschauen Gottes und seiner Werke, das sich
bald zur Entzückung hebt, bald zur tiefsten Unterwerfung herabsenkt;
die hebräische Poesie war ihm die naturwüchsige und volkstümliche Dich-
tung eines Volkes, dessen ganzes Sein und Wesen von dem tiefsten und
kräftigsten Gottesbewußtsein durchglüht und erfüllt ist. Frei von allen
theologisch zünftigen Voraussetzungen, hat dieses gewaltige Buch, das
leider unvollendet geblieben ist, erst wieder die Augen für die unvergäng-
liche Poesie der Bibel geöffnet.
Nur wer ein so offenes Auge für das Wesen und die vielgestaltigen
Entwicklungsbedingungen der Volkspoesie hatte, konnte in so großartiger
Weise der Erforscher und Wiedererwecker der alten Volkslieder-
schätze werden, wie es Herder geworden ist. Man belächelt jetzt die über-
schwengliche Begeisterung, mit welcher Herder der Verkündiger des vermeint-
lichen Ossian wurde; diese Begeisterung war der warme, wenn auch
irregeleitete Ausdruck derselben Richtung, welche ihn mit so erfolgreicher
Vorliebe zum Volksliede und zur Volkssage führte. Herder erhob die
vereinzelten Anregungen Lessings zu wirklich wissenschaftlicher Bedeutung.
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T1: [Geschichte Dichter Zeit Buch Werk Jahr Gedicht Nr. Bild Geographie], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
TM Hauptwörter (100): [T35: [Dichter Zeit Gedicht Lied Dichtung Schiller Poesie Werk Goethe Sprache], T25: [Wissenschaft Kunst Zeit Sprache Geschichte Schrift Buch Werk Jahrhundert Erfindung], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T52: [Mensch Leben Volk Gott Geist Zeit Religion Mann Glaube Herz]]
TM Hauptwörter (200): [T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen], T173: [Sprache Wort Name Schrift Zeit Buch Form Kunst Art Werk], T172: [Dichter Zeit Gedicht Schiller Werk Goethe Maler Dichtung Lied Hans], T91: [Geschichte Krieg Zeit Zeitalter Mittelalter Revolution Reformation deutsch Jahrhundert Ende], T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht]]
46
I. Beschreibende Prosa: Kulturgeschichte.
findet sich im Innern des großen indischen Landes ein weites Gebiet, das
von sehr dunkel, fast schwarz gefärbten, von den später eingedrnngenen
helleren arischen Stämmen gänzlich verschiedenen Ureinwohnern bevölkert
ist. . . Wahrscheinlich war zu Herodots Zeiten die schwarze asiatische
Nasse, dessen „Äthiopier vom Aufgange der Sonne" den libyschen wohl
in der Hautfarbe, aber nicht in der Beschaffenheit des Haares ähnlich
waren, viel weiter als jetzt gegen Nordwesten verbreitet, Ebenso dehnten
im alten ägyptischen Reiche die eigentlich wollhaarigen, oft besiegten
Negerstämme ihre Wohnsitze weit in das nördliche Nubien aus.
Zu der Bereicherung des Jdeenkreises, welche aus dem Anblicke vieler
neuen physischen Erscheinungen, wie aus dem Kontakte mit verschiedenen
Volksstämmen und ihrer kontrastierenden Civilisation entsprang, gesellten sich
leider nicht die Früchte ethnologischer Sprachvergleichung, insofern
dieselbe philosophisch, abhängig von den Grundverhältnissen des Ge-
dankens, oder bloß historisch ist. Diese Art der Untersuchung war
dem sogen, klassischen Altertume fremd. Dagegen lieferte Alexanders
Expedition den Hellenen wissenschaftliche Materialien, welche den
lange aufgehäuften Schätzen früher kultivierter Völker entnommen werden
konnten. Ich erinnere hier vorzugsweise daran, daß mit der Kenntnis
der Erde und ihrer Erzeugnisse durch die Bekanntschaft mit Babylon nach
neueren und gründlichen Untersuchungen auch die Kenntnis des Himmels
ansehnlich vermehrt wurde. Allerdings war durch die Eroberung des
Cyrus der Glanz des astronomischen Priesterkollegiums in der orienta-
lischen Weltstadt bereits tief gesunken. Die Treppenpyramide des Belus
(zugleich Tempel, Grab und eine die nächtlichen Stunden verkündende
Sternwarte) war von Mrxes der Zerstörung preisgegeben; das Monu-
ment lag zur Zeit des macedonischen Heerzuges bereits in Trümmern.
Aber eben weil die geschlossene Priesterkaste sich bereits aufgelöst, ja der
astronomischen Schulen sich eine große Zahl gebildet hatte, war es dem
Kallisthenes möglich geworden, Sternbeobachtungen ans einer sehr langen
Periode von Jahren (Porphyrius sagt, für eine Periode von 1903 Jahren
vor Alexanders Einzug in Babylon) nach Griechenland zu senden. Die
ältesten chaldäischen Beobachtungen, deren das Almagest erwähnt (wahr-
scheinlich die ältesten, die Ptolemäus zu seinen Zwecken brauchbar fand),
gehen aber freilich nur bis 721 Jahre vor unserer Zeitrechnung, d. h.
bis zu dem ersten messenischen Kriege. Gewiß ist es, daß die Chaldäer
die mittleren Bewegungen des Mondes mit einer Genauigkeit kannten,
welche die griechischen Astronomen veranlaßte, sich derselben zur Begrün-
dung der Mondtheorie zu bedienen. Auch ihre Planetenbeobachtungen,
zu denen sie eine uralte Liebe der Astrologie anregte, scheinen sie zur wirk-
lichen Konstruktion astronomischer Tafeln benutzt zu haben.
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T11: [Reich König Land Stadt Jerusalem Jahr Syrien Sohn Aegypten Zeit], T22: [Volk Bewohner Sprache Land Bevölkerung Einwohner deutsche Religion Million Stamm]]
TM Hauptwörter (100): [T25: [Wissenschaft Kunst Zeit Sprache Geschichte Schrift Buch Werk Jahrhundert Erfindung], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T14: [König Reich Alexander Perser Stadt Sohn Land Cyrus Babylon Syrien], T95: [Bewohner Sprache Volk Land Bevölkerung deutsche Stamm Religion Neger Einwohner], T81: [Sonne Erde Tag Mond Himmel Nacht Stern Zeit Licht Stunde]]
TM Hauptwörter (200): [T127: [Volk Sprache Land Zeit Sitte Kultur Bildung Geschichte Bewohner Stamm], T74: [Zeit Wissenschaft Philosophie Geschichte Philosoph Werk Lehrer Schrift Sokrat Schüler], T91: [Geschichte Krieg Zeit Zeitalter Mittelalter Revolution Reformation deutsch Jahrhundert Ende], T131: [Licht Erde Sonne Körper Auge Himmel Bild Gegenstand Luft Wolke], T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht]]
Extrahierte Personennamen: Herodots Alexanders Alexanders Cyrus Porphyrius Alexanders
3. Rom in seiner Bedeutung für Kunst und Wissenschaft.
47
Was der Kontakt der Hellenen mit den Völkern indischen Ur-
sprungs in der Epoche der macedonischen Heerzüge unmittelbar hervor-
gerufen, ist in Dunkel gehüllt. Von wissenschaftlicher Seite konnte wahr-
scheinlich wenig gewonnen werden, weil Alexander in dem Fünfstromlande
(in dem Pantschanada), nachdem er das Reich des Porus zwischen dem
cederreichen Hydaspes und dem Acesines durchzogen, nur bis zum Hyphasis
vorgedrungen war, doch bis zu dem Punkte, wo dieser Fluß bereits die
Wasser des Satadru (Hesidrus bei Plinius) empfangen hat. Mißmut
seiner Kriegsvölker und Besorgnis vor einem allgemeinen Aufstande in
den persischen und syrischen Provinzen zwangen den Helden, der gegen
Osten bis zum Ganges vordringen wollte, zur großen Katastrophe der
Rückkehr. A. v. Humboldt N
3. Rom in seiner Bedeutung für Kunst und Wissenschaft.
Wie durch eine besondere Gunst des Geschickes, der wir uns dankbar
erfreuen können, steht Rom für uns da, zugleich als ein Vollendetes und
Unendliches der Einbildungskraft und der Idee, das sich aber in leben-
digem Dasein erhalten hat, mit leiblichen Augen geschaut werden kann.
Goethe nennt dies sehr ausdrucksvoll „die Gegenwart des klassischen
Bodens, die sich dem Gefühl, dem Begriff, der Anschauung offenbart".
Wie der Künstler sich eines Modells bedient, um sich von der festen
Grundlage der Wirklichkeit zur Idee zu erheben, so ist umgekehrt in dieser
Stadt und in ihren Umgebungen die Idee des höchsten Kntistschönen, der
Begriff des welthistorischen Ganges der Menschheit, das Gefühl des not-
wendigen Sinkens alles Bestehenden in der Zeit, wie in einem ungeheuern
Bilde, auf alle Zeiten verkörpert hingestellt. Die Wirkung Roms beruht
nicht ans dem Reichtum, den es in sich saßt; es gilt durch sich" selbst.
Es gewährt „die sinnlich geistige Überzeugung, daß dort das Große war,
ist und sein wird". Seine Größe liegt, neben so unendlich vielem Ein-
zelnen, in etwas, das unentreißbar an das Ganze, an das Gemisch antiker
und moderner Pracht, die Trümmer, welche das Auge meilenweit verfolgt, 1
1 Alex ander von Humboldt, der größte der jüngeren deutschen Natur-
forscher. Geboren 1769 zu Berlin, gebildet zu Frankfurt an der Oder, zu Göttingen
und Freiberg, machte er großartige Reisen und lebte längere Zeit zu Paris, zuletzt
zu Berlin, wo er, eng befreundet mit Friedrich Wilhelm Iv., 1859 starb. Seine
Hauptwerke: „Ansichten der Natur", „Reise in die Äquinoktialgegenden des neuen
Kontinents" und „Kosmos oder Entwurf einer physischen Erdbeschreibung" bekunden
eine große Tiefe und Schärfe des Geistes und enthalten die gründlichsten Forschungen
auf dem Gebiete der Geographie, Ethnographie, Botanik, Zoologie, Mineralogie,
Geognosie, Astronomie u. s. w.
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T1: [Geschichte Dichter Zeit Buch Werk Jahr Gedicht Nr. Bild Geographie]]
TM Hauptwörter (100): [T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T25: [Wissenschaft Kunst Zeit Sprache Geschichte Schrift Buch Werk Jahrhundert Erfindung], T3: [Lage Karte Land Europa Geographie Klima Größe Verhältnis Grenze Gliederung], T14: [König Reich Alexander Perser Stadt Sohn Land Cyrus Babylon Syrien], T46: [Universität Berlin Jahr Schule Wissenschaft Leipzig Professor Akademie Hochschule Gymnasium]]
TM Hauptwörter (200): [T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen], T74: [Zeit Wissenschaft Philosophie Geschichte Philosoph Werk Lehrer Schrift Sokrat Schüler], T128: [Kaiser Heer Reich Stadt Jahr Alexander Rom Zug Tod Konstantinopel], T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht], T20: [Indus Stadt Ganges Gang Hauptstadt Land Siam Indien Fluß Strom]]
Extrahierte Personennamen: Alexander Alexander Goethe Alex_ander_von_Humboldt Freiberg Friedrich_Wilhelm_Iv. Friedrich Wilhelm_Iv.
Extrahierte Ortsnamen: Pantschanada Rom Rom Berlin Frankfurt Paris Berlin
178 I. Beschreibende Prosa: Litteraturgeschichte.
zung der ersten Religionsbegriffe". Die denkwürdige Stelle lautet: „Der
Denkart der Nationen bin ich nachgeschlichen, und was ich ohne System
und Grübelei herausgebracht, ist, daß jede sich Urkunden bildete nach der
Religion ihres Landes, nach der Tradition ihrer Väter und nach den
Begriffen der Nation, daß diese Urkunden in einer dichterischen Sprache,
in dichterischen Einkleidungen und in dichterischem Rhythmus erschienen:
also mythologische Nationalgesünge vom Ursprünge ihrer ältesten Merk-
würdigkeiten. Und solche Gesänge hat jede Nation des Altertums gehabt,
die sich ohne fremde Beihilfe auf dem Pfade ihrer eigenen Kultur nur
etwas über die Barbarei hinaufgebildet. Wo nur Reste oder Nachrichten
sind, da sind auch die Ruinen solcher Urkunden; die Edda, die Kosmo-
gonien oder Theogonien und Heldengesänge der ältesten Griechen, die Nach-
richten von Indianern, Spaniern, Galliern, Deutschen und von allem,
was Barbar hieß, alles ist eine gesamte Stimme, ein Laut von solchen
poetischen Urkunden voriger Zeiten. Wer Jselins Geschichte der Mensch-
heit in einem so merkwürdigen Zeitpunkte beleben wollte, der bringe alle
diese Nationalsagen und mythischen Einkleidungen und Fragmente von
Urkunden in die nackte, dürftige menschliche Seele zurück, die sie auf
solchem Wege zu bilden anfing, und mit allgemeinen Aussichten über
Völker und Zeiten sammle er so aus der Barbarei einen Geist urkund-
licher Traditionen und mythologischer Gesänge, wie Montesquieu einen
Geist der Gesetze sammelte. Dort wenigstens sind überall redende Züge
zum Bilde des menschlichen Geistes und Herzens, wie wir sie in unserem
gebildeten und verkünstelten Zeitalter nicht finden. Alles, was wir vom
Menschen in unseren verfeinerten Zeiten nur in schwachen, dunklen Zügen
sehen, lebt in den Urkunden dieses Weltalters." An einer andern Stelle,
in der Abhandlung über Ossian, nennt Herder die Poesie der Natur-
völker das Archiv des Volkslebens, den Schatz ihrer Wissenschaft und
Religion, ihrer Theogonie und Kosmogonie, der Thaten ihrer Väter und
der Begebenheiten ihrer Geschichte, den Abdruck ihres Herzens, das Bild
ihres häuslichen Lebens.
Namentlich Herders Jugendthätigkeit wurzelt einzig in diesem hohen
Grundbegriffe. Sie ist die Geltendmachung desselben in seiner ganzen
Tragweite; nicht bloß für die Betrachtung der Dichtung und Kunst,
sondern ebensosehr für die Betrachtung der Sprache, der Religion und
der Geschichte.
Am unmittelbarsten und nachhaltigsten wirkte die neue Anschauung
Herders auf die geschichtliche und kritische Betrachtung der Dichtkunst selbst.
Erst jetzt war die Einsicht möglich geworden, daß die Geschichte der
Dichtkunst nicht bloß eine äußerliche Erzählung und Aufzählung der Dichter
und ihrer Lebensumstände und Werke sei, sondern die wissenschaftliche
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
TM Hauptwörter (100): [T35: [Dichter Zeit Gedicht Lied Dichtung Schiller Poesie Werk Goethe Sprache], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T25: [Wissenschaft Kunst Zeit Sprache Geschichte Schrift Buch Werk Jahrhundert Erfindung], T43: [Zeit Volk Jahrhundert Geschichte Reich Staat Leben Kultur Deutschland Mittelalter]]
TM Hauptwörter (200): [T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen], T173: [Sprache Wort Name Schrift Zeit Buch Form Kunst Art Werk], T127: [Volk Sprache Land Zeit Sitte Kultur Bildung Geschichte Bewohner Stamm], T74: [Zeit Wissenschaft Philosophie Geschichte Philosoph Werk Lehrer Schrift Sokrat Schüler], T91: [Geschichte Krieg Zeit Zeitalter Mittelalter Revolution Reformation deutsch Jahrhundert Ende]]
184
I. Beschreibende Prosa: Litteraturgeschichte.
Unsere sich ausschließenden Höhlen berichten von Eiszeiten, wo Renntiere
bei uns heimisch waren. In ungeheuren Zeiträumen vollzogen sich auf
dem deutschen Boden, der in seinem heutigen Zustande so sehr den An-
schein des ewig Unveränderlichen trägt, kapitale Umwälzungen. Der
Vergleich also läßt sich ziehen, daß Goethe auf die geistige Atmosphäre
Deutschlands gewirkt habe etwa wie ein tellurisches Ereignis, das unsere
klimatische Wärme um so und so viel Grade im Durchschnitte erhöhte.
Geschähe dergleichen, so würde eine andere Vegetation, ein anderer Be-
trieb der Landwirtschaft und damit eine neue Grundlage unserer gesamten
Existenz eintreten.
Als Goethe zu schreiben begann, war die deutsche Sprache so be-
schränkt in ihrer allgemeinen Wirkung, wie es der deutsche nationale Wille
in unserer Politik war. Die Nation existierte, fühlte sich im stillen und
ahnte den Weg, der ihr bevorstände. Das war aber auch alles. Unter
den Recensionen, welche Goethe in seinen litterarischen Anfängen schrieb,
spricht er über den Begriff des „Vaterlandes" und begreift nicht, wie
man von uns ein Gefühl wie das fordern könne, mit dem die Römer
sich als Bürger eines Weltreiches empfanden. Unmöglich dünkte uns eine
nach außen gehende Bewegung. Die englische, französische und italienische
Kritik aber nahm von den deutschen litterarischen Produkten nur insoweit
Notiz, als unsere Autoren, im Anschlüsse an die fremden Litteraturen, ihre
Werke gleich so erscheinen ließen, daß sie als ein Teil derselben angesehen
werden konnten. Friedrich der Große galt — wenn ihm überhaupt die
Ehre zu teil ward, mitgezählt zu werden — in Paris als französischer
Autor, und er selbst sah sein Verhältnis nicht anders an. Französisch
wurde in allen Kreisen Norddeutschlands als zweite Muttersprache ge-
sprochen, während in Österreich das Italienische vorwaltete. Voltaire
debattiert im Artikel „Daraus" der Encyklopädie die Qualitäten der
verschiedenen Sprachen als litterarischer Ausdrucksweisen: die deutsche
kommt darunter gar nicht vor. Erst seitdem Goethes „Werther" von Eng-
ländern und Franzosen verschlungen worden war und selbst nach Italien
vordrang, wurde auswärts die Möglichkeit einer deutschen Litteratur höhern
Ranges zugegeben.
Versuche waren vor Goethe oft gemacht worden, die deutsche Sprache
so weit zu erheben, daß in ihr die feineren Wendungen der Gedanken Aus-
druck finden könnten. Über den persönlichen Kreis aber ging die Wir-
kung nicht hinaus. Klopstock, Lessing und Winckelmann hatten ihr eigenes
Deutsch zu schaffen gesucht, indem sie sich die Bildung der klassischen
Sprachen, sowie der französischen und italienischen zu nutze machten, alle
drei aber ohne durchgreifenden Erfolg. Noch mächtiger als sie hat, neben
Goethe, Herder eine deutsche Prosa mit höheren Eigenschaften herzustellen
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T1: [Geschichte Dichter Zeit Buch Werk Jahr Gedicht Nr. Bild Geographie], T4: [Reich Zeit Staat Volk Deutschland Jahrhundert Land Macht deutsch Geschichte]]
TM Hauptwörter (100): [T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T35: [Dichter Zeit Gedicht Lied Dichtung Schiller Poesie Werk Goethe Sprache], T9: [Krieg Deutschland Reich Frankreich Preußen Macht Zeit Kaiser Jahr Frieden], T25: [Wissenschaft Kunst Zeit Sprache Geschichte Schrift Buch Werk Jahrhundert Erfindung], T61: [Mill Staat Deutschland Reich Europa deutsch Million Land England Einwohner]]
TM Hauptwörter (200): [T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen], T173: [Sprache Wort Name Schrift Zeit Buch Form Kunst Art Werk], T29: [Geschichte Geographie Nr. Erdkunde Lesebuch Bild Iii allgemein Lehrbuch deutsch], T95: [Gestein Schicht Wasser Boden Erde Granit Gebirge Masse Sand Teil], T91: [Geschichte Krieg Zeit Zeitalter Mittelalter Revolution Reformation deutsch Jahrhundert Ende]]
12. Aus: „Ideen zur Geschichte der Menschheit". 445
reichen jetzt nicht bloß durch dieses eine Werkzeug die Hände der Euro-
päer! wohin werden sie künftig nicht reichen!
Und wie diese Kunst, so hat das Menschengeschlecht in wenigen
Jahren ungeheuer viel Künste erfunden, die über Lust, Wasser, Himmel
und Erde seine Macht ausbreiten. Ja, wenn wir bedenken, daß nur
wenige Nationen in diesem Konflikte der Geistesthätigkeit waren, indes
der größte Teil der anderen über alten Gewohnheiten schlummerte; wenn
wir erwägen, daß fast alle Erfindungen unseres Geschlechtes in sehr junge
Zeiten fallen und beinahe keine Spur eines alten Gebäudes oder einer-
alten Einrichtung vorhanden ist, die nicht an unsere junge Geschichte ge-
knüpft sei: welche Aussicht giebt uns diese historisch erwiesene Regsamkeit
des menschlichen Geistes in das Unendliche künftiger Zeiten! In den
wenigen Jahrhunderten, in welchen Griechenland blühte, in den wenigen
Jahrhunderten unserer neuen Kultur, wie vieles ist in dem kleinsten Teile
der Welt, in Europa, und auch beinahe in dessen kleinstem Teile aus-
gedacht, erfunden, gethan, geordnet und für künftige Zeiten aufbewahrt
worden! Wie eine fruchtbare Saat sproßten die Wissenschaften und Künste
haufenweise hervor, und eine nährte, eine begeisterte und erweckte die
andere. Wie, wenn eine Saite berührt wird, nicht nur alles, was Ton
hat, ihr zutönt, sondern auch bis ins Uuvernehmbare hin alle ihre har-
monischen Töne dem angeklungenen Laute nachtönen, so erfand, so schuf
der menschliche Geist, wenn eine harmonische Stelle seines Innern be-
rührt ward. Sobald er auf eine neue Zusammenstimmung traf, konnten
in einer Schöpfung, wo alles zusammenhängt, nicht anders, als zahlreiche
neue Verbindungen ihr folgen.
Aber, wird man sagen, wie sind alle diese Künste und Erfindungen
angewandt worden? Hat sich dadurch die praktische Vernunft und Billig-
keit, mithin die wahre Kultur und Glückseligkeit des Menschengeschlechtes
erhöht? Das scharfe Messer in der Hand des Kindes verletzt dasselbe;
deshalb ist aber doch die Kunst, die dieses Messer erfand und schärfte, eine
der unentbehrlichsten Künste. Nicht alle, die ein solches Werkzeug brauchen,
sind Kinder, und auch das Kind wird durch seinen Schmerz den bessern
Gebrauch lernen. Künstliche Übermacht in der Hand des Despoten, fremder
Luxus unter einem Volke ohne ordnende Gesetze sind dergleichen tötende
Werkzeuge; der Schade selbst aber macht die Menschen klüger, und früh
oder spät muß die Kunst, die sowohl den Luxus als den Despotismus
schuf, beide selbst zuerst in ihre Schranken zwingen und sodann in ein
wirkliches Gute verwandeln. Jede ungeschickte Pflugschar reibt sich durch
den langen Gebrauch selbst ab; uubehilfliche, neue Räder und Triebwerke
gewinnen bloß durch den Umlauf die bequemere, künstliche Epicykloide.
So arbeitet sich auch in den Kräften des Menschen der übertreibende
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
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TM Hauptwörter (200): [T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen], T173: [Sprache Wort Name Schrift Zeit Buch Form Kunst Art Werk], T12: [Wagen Wasser Stein Rad Fuß Maschine Pferd Bewegung Hand Schiff], T165: [Kunst Wissenschaft Handel Gewerbe Bildung Land Stadt Schule Zeit Volk], T91: [Geschichte Krieg Zeit Zeitalter Mittelalter Revolution Reformation deutsch Jahrhundert Ende]]