459
8-
Gaualgesheim, den 2. Mai 1853-
Liebe Maria!
Göll sei gedankt! Die grosse Gefahr, in welcher meine liebe Mutter
seit einigen Tagen schwebte, ist glücklich vorüber, die Krankheit ist
gehoben und die Mutter befindet sich auf dem Wege der Besserung,
Ich weiss, liebe Maria! dass Du meine Freude hierüber theilst, so wie
Du auch an meinem Schmerze Theil nähmest. wie ich dies aus Deinen
Briefen ersah, worin Du mit der zärtlichsten Besoigniss Dich nach dem
Krankheitszustande meiner lieben Mutter erkundigtest. 0, wie wohl-
thuend ist die Theilnahme einer Freundin an unserer Freude , an unse-
rem Schmerze! Dafür, liebe Maria! meinen innigsten Dank und die
Versicherung, dass in Liebe allzeit Deiner gedenken wird'
Deine Freundin
Johanna.
9.
Gernsheim, den 2. September 1853.
Geliebter Julius!
Gestern Vormittag neun Uhr, als wir eben in der Schule einen
Aufsatz ausarbeiteten, entstand plötzlich Feuerlärm, und wir sahen
aus dem Schulfenster auf der Südseite unseres Städtchens ein Haus
schon in hellen Flammen stehend. Wir eilten zur Brandstätte und
leisteten durch Wafsertragen alle Hülfe, allein das Wohnhaus, nebst
der Hosraithe wurde ein Raub der Flammen, da Scheuer, Speicher
und Stallung mit Heu, Stroh und Getreide angefüllt waren, wo
daö Feuer reiche Nahrung fand. So war in einigen Stunden Haus
und Hosraithe in eine Ruine verwandelt, und ein braver, fleißiger
Mann größtentheilö seiner Habe beraubt. Sein Vieh wurde noch
gerettet; wo nun aber für dasselbe Futter hernehmen? — Nun man
steuert bei. — Dein guter Vater wurde, wie ich weiß, auch dieses
Jahr in seiner Futterernte reich gesegnet, und er wird aufdeine Bitte
eine Beisteuer an Futter nicht versagen, und dies um so mehr nicht,
als der Brandbeschädigte Euch auch verwandtschaftlich nahe steht, was
ich nun nicht länger verhehlen kann; es ist nämlich Euer guter Vetter
Müller.
Bringe diese Nachricht Deinem Vater auf eine zarte Weise bei
und behalte in freundschaftlichem Andenken
Deinen
Ludwig Berg.
10.
Heppenheim, den 4. September 1653.
Theurer Ludwig!
Deine uns mitgetheilte Nachricht von dem Unglücke unseres ar-
men Vetters Müller hat mich und meinen Vater sehr erschüttert; doch
danken wir Dir herzlich dafür, daß Du uns so schnell davon in Kennt-
niß letztest und so meinem Vater Gelegenheit gegeben wurde, gegen
seinen lieben, unglücklichen Vetter erkenntlich zu sein, wiewohl die
Veranlassung hierzu eine traurige ist. Nächstens werden wir unsern
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Extrahierte Personennamen: Maria Maria Maria Johanna Gernsheim Ludwig_Berg Ludwig Ludwig
300
gesetzt. Dort war der unglückliche Friedrich von aller Welt ab-
geschnitten; er hörte nichts von seinem treuen Weibe, das sich
um ihn blind geweint hatte, nichts von seinem Bruder, der ihn
gerne gerettet hätte. Er konnte sich nirgends bewegen als in
dem engen, düsteren Schloßhvfe, statt daß er sonst jeden Morgen
auf seinem Roß in den Wald sprengte, um Hirsche und Rehe
zu erlegen. Aber auch dem Kaiser Ludwig war es nicht gut
gegangen; er hatte viele Unruhe und Gefahr im Kriege aus-
gestanden und es waren noch immer viele Leute, welche den
gefangenen Friedrich lieber zum Kaiser gehabt hätten als ihn.
Da erinnerte sich Ludwig, daß Friedrich sein Jugendfreund und
immer so treu und ehrlich gewesen war. Eines Abends setzte er
sich auf sein Roß und ritt zu dem Schlosse, wo Friedrich ge-
fangen saß.
„Alter Freund," sprach er, „willst du frei werden?" „Frei?
so daß ich meine Gemahlin und meinen Bruder wieder sehen
könnte?" antwortete Friedrich. „O, dafür täte ich alles!" Nun
eröffnete ihm Ludwig die Bedingungen, unter welchen er
ihn freilassen wolle. „Wenn du mir versprichst und am Altare
schwörest, daß du dich wieder in die Gefangenschaft stellen willst,
wenn du das Versprechen nicht halten kannst, dann bist du frei!"
Friedrich versprach es und beide empfingen am Altare das heilige
Abendmahl zum Zeugnis ihres Bundes. So ritten sie freund-
lich zusammen bis an die Grenze.
Als aber Friedrich nach Hause kam, fand er vieles anders,
als er wünschte. Sein liebes Weib war blind; sein Bruder
war mit seinem Bündnis gar nicht zufrieden und machte ihm
Vorwürfe; es gab sogar Leute, welche behaupteten ein solches
Versprechen brauche man nicht zu halten. Da war Friedrich
nicht imstande die Bedingungen zu erfüllen, welche Ludwig
gemacht hatte, und schon kam die Zeit, in die Gefangenschaft
zurückzukehren, wie er gelobt hatte. Er selbst erschrak, wenn er
an das Gefängnis dachte, worin er drei Jahre geschmachtet hatte.
Als der Tag der Rückkehr kam, da wollten alle die Seinigen
in Tränen über fein trauriges Schicksal vergehen; aber Treue
und Eid galten ihm mehr als alles andere. Er riß sich los
und erschien vor Ludwig. Dieser war so gerührt durch die Red-
lichkeit seines Freundes, daß er rief: „Komm, Friedrich, wir
wollen zusammen die Kaiserkrone tragen!" Von Stund an
lebten sie wie Brüder beisammen, aßen an einem Tisch, schliefen
in einem Bett, und wenn einer abwesend war, besorgte ihm der
andere seine Geschäfte und behütete das Land. Turtma«.
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Extrahierte Personennamen: Friedrich Friedrich Ludwig Ludwig Friedrich Friedrich Ludwig Ludwig Friedrich Friedrich Friedrich Friedrich Friedrich Friedrich Ludwig Ludwig Friedrich Friedrich Friedrich Friedrich Friedrich Friedrich Ludwig Ludwig Ludwig Ludwig Friedrich Friedrich
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Extrahierte Ortsnamen: Amerikas Europas Genua Genua Portugal
466
furchtbare Dampfkraft vollständig zu zähmen. Um diese
nach Belieben verwenden zu können baut man mächtige
Kessel, in welchen man den Dampf erzeugt; von dem Kessel
leitet man den Dampf dahin, wo man ihn haben will, um
Räder, Hebel u. s. w. in Bewegung zu setzen. Nach ai&cke.
f 362. Die sieben Kindlein.
Am frühen Morgen, als es anfing zu dämmern, erhob sich
ein frommer Hausvater von dem nächtlichen Lager und dankte
mit feinem Weibe Gott für den neuen Tag und die Stärkung
des Schlummers. Das Morgenrot aber strahlte in das Kämmer-
chen und sieben Kindlein lagen in den Betten und schliefen.
Da sahen die Eltern die Kindlein nach der Reihe an und
die Mutter sprach: „Es sind ihrer sieben an der Zahl! Ach, es
wird uns hart fallen sie zu ernähren!" Denn es war eine
Teurung im Lande. Der Vater aber sprach: „Siehe, schlum-
mern nicht alle sieben in voller Gesundheit? Und fließt nicht
von neuem das Morgenrot über sie her, daß sie so schön aus-
sehen wie sieben blühende Röslein? Mutter, das beweiset uns
ja, daß der, welcher das Morgenrot macht und den Schlaf sen»
det, sie lieb hat und ihrer nicht vergessen wird."
Und als sie aus dem Kämmerlein traten, da standen an
der Tür vierzehn Schuhe in einer Reihe, immer kleiner, je zwei
für ein jegliches Kindlein. Da sah die Mutter die Schuhe an,
daß ihrer so viele waren, und seufzte. Der Vater aber sprach:
„Mutter, was seufzest du? Haben sie doch alle sieben die mun-
teren Füßlein von ihrem Schöpfer empfangen; wie sollten wir
denn um die Hüllen uns ängstigen? Haben doch die Kindlein
Vertrauen zu uns; wie sollten wir es denn nicht zu dem haben,
der mehr vermag, als wir bedürfen? — Siehe, seine Sonne
kommt! Wohlan, laß uns auch unseren Tageslaus wie sie mit
fröhlichem Mute beginnen!"
Also redeten sie und gingen voll Vertrauen auf Gott an
ihr Tagewerk. Und der Herr segnete ihre Arbeit, daß sie genug
hatten samt den Kindern. srummachn.
363. Das Nordlicht.
Der Nordschein oder das Nordlicht ist eine Röte am Himmels
die in Winternächten von Norden her leuchtet. Die Nordlichter
nehmen manchmal fast den halben Himmel ein, sind von dunkler,
brennender Blutfarbe wie in einer wallenden Bewegung, so daß
schon manchmal Nachbarorte einander mit Feuerspritzen zu Hilfe
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— 232 —
Lehre. Lehrgeld konnte der Kleine freilich keines versprechen; denn seine Eltern lagen schon seit etlichen Jahren im Grabe, und der sterbende Vater, ein armer Glaser in Straubing, hatte dem weinenden Kinde nichts zurücklassen können als Tränen. Aber der junge Fraunhofer, so hieß der Knabe, war brav und lernte eifrig, und es tat ihm gar weh, daß ihn sein Lehrmeister so selten in die Feiertagsschule schickte. Drum kaufte er sich auf dem Trödelmarkt ein altes Buch um ein paar Pfennige; darüber saß und lernte er halbe Nächte und ließ sich auch nichts anfechten, wenn seine Kameraden ihn verspotteten oder sein Meister ihn hart anfuhr. Da geschah es, daß eines Tages das alte baufällige Wohnhaus des Spiegelmachers krachend zusammenstürzte; der junge Fraunhofer wurde unter den Trümmern begraben.
Aber die stürzenden Balken hatten eine starke Decke gebildet über den Knaben und ihn so vor dem Tode beschützt. Wie nun die Nachbarn das Krachen der stürzenden Wände hörten und die Staubwolken aufsteigen sahen, eilten sie voll Schrecken aus den Häusern. Auch der König, der gute Vater Max, kam aus seinem Schlosse herbei, eiferte zur Rettung an und half selber mit, und nach vierstündiger, gefährlicher Arbeit gelang es endlich, den Verschütteten aus dem Trümmerhaufen hervorzuziehen. Als man ihn heraustrug, rief eine mitleidige Nachbarin: „Ach Gott, es ist noch dazu ein armer Waisenknabe!" Da sprach Vater Max: „Er ist keine Waise mehr; ich will sein Vater sein!" Schnell griff der gute König in die Tasche, reichte dem Knaben achtzehn Goldstücke und versprach auch ferner für ihn zu sorgen. Von dem reichen Geschenke zahlte Fraunhofer zuerst sein Lehrgeld. Mit dem übrigen Gelde aber kaufte er sich allerlei Werkzeug, um sich selbst sein Brot zu verdienen. Auch stand ihm ein vornehmer Herr bei, schenkte ihm Bücher und nahm ihn in sein Geschäft auf. Dort erfand Fraunhofer nach langer Mühe ein Riesenfernrohr, mit dem man die Sterne viel genauer sehen konnte als bisher. Jetzt wurde der junge tüchtige Mann weit und breit bekannt, und der König erhob ihn wegen seiner Geschicklichkeit in den Adelstand.
B. Betrachtung des Bildes. Der junge Fraunhofer; seine Retter; Max I.; die Zuschauer; die Trümmer des eingestürzten Hauses.
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Extrahierte Personennamen: Glaser Max Max Max Max Max_I. Max_I.
— 284 —
— „Das Paket," antwortete Palm, „wurde mir von unbekannter Hand zugesendet, wie das öfter im Buchhandel der Fall ist. Und ich habe es an die Adresse weitergeschickt, die darauf stand." Allein die Franzosen glaubten ihm nicht. Sie hatten sich erkundigt und erfahren, Palm sei bekannt als einer der ärgsten Franzosenhasser. „Monsieur," sagte der General, „Sie haben solange Hausarrest, bis Sie sagen, woher Sie die Schrift erhalten haben." Er ließ Palm wieder in seine Wohnung zurückführen; die französischen Gensdarmen bewachten ihn dort. Ein französischer Offizier kam und untersuchte die Räume des Palmschen Hauses. Er sagte, sie seien zu wenig sicher, der Arrestant müsse auf das Rathaus gebracht werden. Um vier Uhr nachmittags führten ihn die Gensdarmen dort hin in das Arrestlokal. Es war ein Gewölbe im Erdgeschoß, gegen das Rathansgäßchen zu. oeirtc 'Frau schickte ihm ein Bett nach. Alle im Hause waren erschrocken. Am andern Morgen gegen sieben Uhr brachten die Gensdarmen ihn wieder heim, damit er Abschied nehme. Der Reisewagen stand vor dem Hause. Während die drei kleinen Kinder den guten Vater weinend 'und heulend umklammerten, fiel die Frau dem Manne um den Hals und bat ihn weinend, ihr den Verfasser zu sagen. „Ich kann ihn dir nicht nennen," antwortete er immer wieder. „Er ist Familienvater wie ich und es kostet ihn sein Leben, wenn ich ihn verrate. Wenn er sich aber für mich selbst stellen würde, dann wäre es gut. Allein stellt er sich nicht, so mag er es jenseits verantworten." Die Frau fiel vom tiefen Schmerz in Ohnmacht. Als sie wieder zu sich kam, waren die Gensdarmen mit dem Gatten fort. Auf Palms Bitten setzte sich der Rechtsanwalt Freiherr von Holzschuher zu ihm in die Kutsche und fuhr mit nach Ansbach. Dort erfuhren sie, aus Paris sei der Befehl gekommen, Palm nach Braunau zu bringen, wo er erschossen wurde.
Die Österreicher in Oberammergau (iso9).
Wie auch nach Oberammergau die Botschaft kam, die Österreicher feien geschlagen worden bei Abensberg und bei Eggmühl und bei Landshut und die bayerischen Truppen seien wieder in München, da dachte der Bauer Andreas Hett: „Nun ist auch bei uns die Luft rein!" Und er ging am nächsten Sonntag nach Ettal und freute sich über seinen Verbündeten, den Kaiser Napoleon. Aber wie er noch aus der Straße war, da begegneten ihm 2 Chevauxlegers, und
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Extrahierte Personennamen: Palm Freiherr_von_Holzschuher Andreas_Hett Napoleon
Extrahierte Ortsnamen: Ansbach Paris Braunau Oberammergau Oberammergau Abensberg Ettal
— 193 —
mit Gesträuch bedeckte Wolfsgrube und so auf einen hervorstehenden Pfahl, daß dieser ihm durch die Brust drang und er elend zu-
grunde ging.
Heute Nacht gegen acht Uhr meldete plötzlich die Glocke mit
wiederholten Schlägen, daß etwas vom Feinde drohe. Alles er-
schrak und eilte aus den Häusern. Während alles in den Gassen herumrennt und jeder nach dem Grunde dieses Schreckensrufes
fragt, gingen ich und Pater Ulrich bei finsterer Nacht durch die Wachen und verließen das Städtchen. Auf Abwegen und über Felder näherten wir uns dem Regenflusse und dem Schnitzhofe, dessen Besitzer unser Untertan war. Gegen zehn Uhr langten wir da an und verbrachten die Nacht auf den Bänken. Doch schickten wir einen Boten ab um auszuforschen, was denn an obigem Tumulte schuld war. Als dieser nach zwölf Uhr zurückkehrte, meldete er, daß wieder alles ruhig sei; es habe der Wächter auf dem Turm nächtliche Feuer gesehen, den Feind vermutet und so in zu großem Eifer die Glocken angeschlagen.
29. November. Heute gingen wir wieder nach Viechtach zurück und nachmittags zum Pfarrer in Geiserstall. Wir trafen ihn aber nicht zu Hause. Er war selbst zum Pfarrer von Böbrach geflüchtet. Und wie wir auf ein Wirtshaus am Regen zugehen, treffen wir diesen, werden sehr freundlich aufgenommen und finden da zwei unserer Mitbrüder, welche der Pfarrer von Geierstall dahin vorausgesandt hatte. Dort blieben wir diese Nacht.
Die Schweden in Kötzting (i6$3).
30. November. Da sich für uns keine Hoffnung auf Besserung unserer Lage zeigte, nahmen wir unseren Plan gegen Passau zu wandern wieder auf und traten beizeiten die Reife an. Noch waren wir nicht weit gekommen, da begegneten uns Leute, die erzählten uns, der ^-eind sei von Cham ausziehend in Kötzting eingefallen
und habe es angezündet. Sie hätten, setzten sie bei, die Brand-
schatzung verweigert und den Feind einigemal abgeschlagen. Der Brand war, wie wir später erfuhren, ein schrecklicher. Unversehens brach
eine Reiterschar hervor, umgab ganz Kötzting und zündete es an
verschiedenen Plätzen an. Vor Schrecken blind und ohne auf Widerstand oder an das Löschen des Brandes zu denken liefen die Einwohner aus den Häusern aus die mit Rauch gefüllten Gassen. Hier
Scheiblhuber, Aus der Heimat. 13
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Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
Regionen (OPAC): Freiburg
Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
— 84 —
37. Die Mimstervolballe.
£)ie Kirche ist das Haus Gottes. Wenn die Menschen in dasselbe hineingehen, so sollen sie vorher sich in Ordnung bringen, damit sie vor Gott hin treten können. Die Mutter zieht deshalb den Kindern am Feiertag schone Kleider au, bevor sie zur Kirche gehen. Aber auch die Seele soll sich vor dem Eintritt in das Gotteshaus schon machen. Und darum haben die Künstler, die das Münster gebaut und geschmückt haben, vor seiner Türe eilte Vorhalle angelegt mit gar ernsten, zum Nachdenken anregenden Bildern. In dieser Vorhalle soll der Mensch vor dein Eintritt ins Gotteshaus ein wenig sich sammeln und so seine Seele schon machen.
Zuerst, meint wir eintreten, sehen wir uns gegenüber das Christkind auf dem Arm seiner heiligen Mutter. Dahinter in den kleineren Figuren und Bildern über deu Türen findest du die Geschichte seines Lebens dargestellt: die Gebnrt des Kindes, die Verkündigung an die Hirten, das Leiden und die Kreuzigung des Herrn, endlich seine Wiederkunft zum Gerichte und das Gericht selber mit der Auferstehung der Toten. Rechts und links von den Türen sind außerdem die Verkündigung des Engels an die hl. Jungfrau, ihr Besuch bei Elisabeth und die Anbetung der Drei Könige abgebildet. Es gibt viele Leute, welche oft unter diesen Figuren vorüber gehen, ohne nach ihnen zu sehen. Wer aber sein Münster kennen und lieb haben will, der geht manchesmal eigens hinüber in die Vorhalle unter dem Turnt und sieht sich alle diese Bilder genau an. Dabei gibts manche L>onderlichkeit zu beobachten: so den Auferstehenden, der sich eben die Stiefel anzieht, dann auch den betenden Teufel, von dem in einem anderen Lesestück die Rede ist, endlich den Judas, der im Baum hängt und dein der Leib aufplatzt. Außerdem aber fallen ganz besonders in die Augen rechts und links an den Wänden die schonen Figuren der klugen und törichten Jungfrauen. Die klugen heben goldene Lämpchen in die Höhe und folgen ihrem Heiland, der in rotem Gewände dasteht und ihnen winkt. Die törichten aber haben geschlafen, ihre Lampen sind leer gebrannt, darum halten sie dieselben abwärts, und ihre ganze Stellung zeigt, daß sie eben erst aufwachen. Neben den törichten Jungfrauen sind sieben andere Jungfrauen abgebildet, von denen eine eben Schule hält; zwei Kinder befinden sich zu ihren Füßen; das eine lernt eifrig in einem Buche, das andere steht traurig da, weil es jetzt gleich die Rute bekommen soll. Diese sieben Jungfrauen bedeuten die sieben Künste, die man in der Schule lernt: die Sprachlehre, die Lehre vom kunstvollen Reden, die Beweiskunst, das Rechnen, das Zeichnen und Messen, die Sternkunde und die Musik. Gauz besonders aber soll man in der Vorhalle des Münsters acht geben auf den Monn, der gleich links neben der Gittertüre steht. Er ist von vorne schön gekleidet; aber sein Rücken ist voll Würmer und eklem Getier. Das ist ein Bild des Sünders, der zwar vor der Welt sich schön und fein gepntzt zeigen kann, dessen schmutzige und kranke Seele aber vor dem Auge Gottes nicht verborgen ist.
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— 3 —
Das Festmahl und der Schwerttanz.
Am Morgen stieg der Häuptling mit den Männern, Frauen und Kindern des Dorfes hinauf zum Gipfel des Berges, wo der heilige Hain mit der Eiche des Gottes Wotan stand. Da lag unter dem Baume der Opferstein; an den Ästen hingen die Feldzeichen für den Krieg und auf dem grünen Anger grasten die Schimmel, die am Feste den Wagen mit dem Götterbilde ziehen mußten. Rings um den Platz ging ein Wall aus Erde und Steinen; hieher flohen die Leute aus dem Dorfe, wenn ein Feind nahte. Ein Pferd wurde herangeführt und mit Blumen bekränzt; das Volk schritt im Zuge singend und betend um den Götterbaum. Jetzt durchschnitt der Priester mit dem scharfen Opfermesser die Kehle des Tieres; das Pferd zuckte und stürzte zusammen. Das Oplerfleifch kochten sie im Kessel, dann aßen sie und tranken aus Hörnern den Göttern zu.
Nach dem Opfermahle trat ein junges Paar mit den Verwandten unter den heiligen Baum. Die Braut überreichte dem Manne Schwert, Spieß und Helm. Da fragte der Vater der Braut den Bräutigam: „Und was schenkst du der Braut als Mitgift?" Der Knecht führte ein Roß heran; die Eltern der Braut prüften das Geschenk und übergaben ihre Tochter dem Manne.
Hieraus stiegen alle wieder hinab ins Dorf, wo schon auf dem Anger die jungen Männer beisammen standen. Sie liefen und sprangen um die Wette und warfen den schweren Stein. Ingo stand' dabei und sah ihnen zu. Da trat der Häuptling zu ihm, stellte ihn den Männern vor und sprach: „Nun zeige auch du, was du kannst!" Da holte Theodulf, ein junger Mann, die Rosse. Erst stellte er ein paar neben-einander, Kopf an Kopf und Schweif an Schweif. Nun nahm er einen Anlauf und sprang hinüber. Die anderen sprangen ihm nach. Bei drei Rossen gelang es nur wenigen und über vier sprang Theodulf allein. Da winkte er dem Fremden, es ihm nachzutun. Ingo neigte den Kopf ein wenig, nahm einen Anlauf und tat den Sprung. Jetzt führte
Theodulf das fünfte Roß heran; nur stellte er die Pferde ein wenig anders, so daß der Schimmel an fünfter Stelle stand. Dann tat er den Sprung, bloß daß er mit dem Rücken ein wenig an den Schimmel streifte. Ingo sprang mit leichter Mühe drein und alle gaben ihm Bei-fall. Da trat Theodulf gekränkt zur Seite. Ein alter Mann
ging auf Ingo zu und sprach: „Wenn ich mich nicht täusche, so kannst
du auch den Sprung über sechs Rosse, den wir den Königssprung
nennen. Führt das sechste Roß herbei!" — Ingo trat zurück, nahm den Anlauf und vollbrachte den Sprung.
l*
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Bei dem Palais der Prinzessin Amalie angekommen, war die Menge noch dichter; denn sie erwarteten ihn da. Der Vorhof war gedrängt voll, doch in der Mitte ohne Anwesenheit irgend einer Polizei geräumiger Platz für ihn und seine Begleiter. Er lenkte in den Hof hinein. Die Flügeltüren gingen auf und die alte, lahme Prinzessin Amalie, auf zwei Damen gestützt, die Oberhofmeisterin hinter ihr her, wankte die flachen Stiegen hinab ihm entgegen. Sowie er sie gewahr wurde, setzte er sich in Galopp, hielt, sprang rasch vom Pferde, zog den Hut, den er nun aber mit herabhängendem Arm ganz unten hielt, umarmte sie, bot ihr den Arm und führte sie die Treppe wieder hinauf. Die Flügeltüren gingen zu; alles war verschwunden und noch stand die Menge entblößten Hauptes, schweigend, alle Augen auf den Fleck gerichtet, wo er verschwunden war. Und es dauerte eine Weile, bis ein jeder sich sammelte und ruhig seines Weges ging.
Und doch war nichts geschehen! Keine Pracht, kein Feuerwerk, keine Kanonenschüsse, keine Trommeln und Pfeifen, keine Musik, kein vorangegangenes Ereignis! Nein, nur ein dreinndsiebzigjähriger Mann, schlecht gekleidet, staubbedeckt, kehrte von seinem mühsamen Tagewerk zurück. Aber jedermann wußte, daß dieser Alte auch für ihn arbeite, daß er fein ganzes Leben an diese Arbeit gesetzt und sie seit 45 Jahren noch nicht einen einzigen Tag versäumt hatte. Jedermann sah auch die Früchte seiner Arbeiten, nah und fern, rund um sich her, und wenn man auf ihn blickte, so regte sich Ehrfurcht, Bewunderung, Stolz, Vertrauen, kurz alle edleren Gefühle des Menschen.
Der König und der General Zielen.
Am Sonnabend den 25. Dezember 1784 ging Zieten trotz seiner 86 Jahre am Ende der Parade aus das Schloß, um feinem Monarchen das letzte Opfer seiner Ehrfurcht zu bringen und ihn nach einer Zwischenzeit von sechs Monaten wieder zu sehen. Die Parole war schon ausgegeben, den Generalen ihre Befehle erteilt und der König wandte sich eben zu den anwesenden Prinzen, als er den betagten Zieten bemerkte, der am andern Ende des Saales stand, zwischen seinem Sohn und seinen beiden Adjutanten. Der König ward von seiner Gegenwart angenehm überrascht und eilte sogleich mit dem Ausruf auf ihn zu: „Wie, mein guter alter Zieten, Er hier! Wie bedaure ich, daß Er die vielen Treppen hat steigen müssen! Ich wäre gerne selbst zu Ihm gekommen. Wie befindet Er sich?" — „Sire," antwortete Zieten, „meine Gesundheit ist
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