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So hatte sich die deutsche Hansa ihr „Kontor" gesichert, und Now-
gorod — da wo die Wolchow den Jlmensee verläßt — war die
Hauptstätte des Tauschhandels. Man bezahlte im e>. Petershof die
eingehandelten Waren nicht bar, sondern tauschte sie gegen die West-
europäischen Erzeugnisse ein, worunter die flandrischen Tuche die vor-
nehmsten waren. Nowgorod wuchs mächtig an Einwohnerzahl, es
hatte zuletzt 400000 Bewohner, wurde überaus reich, und das russische
Sprichwort besagte: Wer kann gegen Gott und gegen Nowgorod.
Auch die umliegenden Städte blühten auf. Riga, dessen Name
„Getreidespeicher" bedeutet, erhielt damals sein „hanseatisch-reichs-
städtisches" Gepräge. Es wurde der gotische Dom mit herrlichem
Gewölbe gebaut, und die Petrikirche erhielt ihren fast 140 m hohen
Turm, den höchsten Turm in Rußland. Diese Machtstellung der
Republik und der Reichtum Nowgorods reizte den Großfürsten Iwan
den Großen (als Zar Iwan I. Wasiljewitsch), der sich eben von der
mongolischen Oberhoheit befreit hatte und danach strebte, nach dem
Fall des griechischen Kaisertums Rußland emporzubringen — er
nahm ja deshalb auch den zweiköpfigen Adler in das russische Wappen
auf —, und so eroberte er Nowgorod und machte der Selbständigkeit
der Republik ein Ende.
Wenn die frühere Bedeutung von Nowgorod Weliki (— Groß-
neustadt) unwiederbringlich dahin ist, so hat sich der Handelsverkehr
des modernen Rußlands jetzt in Nishnij Nowgorod (= Niederneustadt)
konzentriert, und dieser Ort ist zur berühmtesten Messestadt in dem
Zarenreiche geworden. * Die Stadt liegt äußerst günstig, gerade in
der Mitte des ungeheuren Reiches, und zwar an der Wolga, da wo
der mächtige Nebenfluß, die Oka, in die Wolga mündet. Auf dem
rechten bergigen Ufer der Wolga liegt die Oberstadt, wohl 200 m
über dem Wasserspiegel. Am Wasser des Flusses sind die Anlege-
plätze der Dampfer, und dann geht es auf mächtiger Holzbrücke über
die Oka, die fast 1 km breit ist, zum Messeplatze zwischen Oka und
Wolga. Hier entwickelt sich 40 Tage lang vom 27. Juli ab der
gewaltige europäisch-asiatische Großhandel, zu dem die Waren auf
7 großen Handelsstraßen herbeigeschafft werden; von Petersburg über
Moskau, von Astrachan auf der Wolga, von dem chinesischen Kiachta
über Tjumen, von Bochara über Orenburg, vom Schwarzen Meere
über Taganrog, von den Kaukasusländern wiederum aus der Wolga
und von Archangelsk her auf der Dwina und Kama. „Der Kauf-
mann aus Paris und London macht hier mit dem Perser und Chinesen,
der Schwede aus Finnland mit dem Jakuten aus Sibirien Handels-
geschäste. Das Getreibe auf der Messe kann etwa nur mit dem
Völkergewühl in Mekka verglichen werden." Man rechnet, daß in
1 Frühere Geographen sagen i es ist die äußerste Stadt Europa gegen Aufgang.
TM Hauptwörter (50): [T40: [Polen Ungarn Land Rußland Preußen Stadt Donau Provinz Hauptstadt Königreich], T9: [Tempel Stadt Kirche Säule Zeit Gebäude Bau Mauer Haus Dom], T29: [Handel Industrie Land Ackerbau Fabrik Stadt Deutschland Mill Viehzucht Gewerbe]]
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TM Hauptwörter (200): [T87: [Meer Rußland Wolga Stadt Petersburg Moskau See Ostsee Hauptstadt Ural], T122: [Stadt Hamburg Handel Berlin Bremen Lübeck London Deutschland Frankfurt Verkehr], T0: [Kirche Haus Gebäude Stadt Straße Säule Platz Fenster Seite Palast]]
— 60 —
Während Europa und die occidentalische Kultur auf der Pyrenäen-
Halbinsel schon über 500 Jahre lang den Zwang und die Einwirkung
des Islam abgeschüttelt haben, ist auf der Balkanhalbinsel auch noch
gegenwärtig der Islam, vertreten durch die Türkenmacht, im Besitz
seiner Ländereien. Allerdings hat die verachtete Rajah, also die
christliche Unterthanenschaft, im 19. Jahrhundert große westlich und
nördlich gelegene Stücke von dem türkischen Staatenleib losgerissen,
und so sind die Königreiche Griechenland, Rumänien, Serbien und
das Fürstentum Montenegro als selbständige Staaten entstanden,
während Bulgarien, Bosnien, Kreta nur noch in nomineller Verbin-
dung mit dem Sultanat stehen; aber immerhin glänzt noch von der
Hagia Sophia in Konstantinopel der Halbmond, und das Dasein
des „kranken Mannes", wie man den Sultanstaat nennt, ist weiter
gefristet, weil die europäischen Mächte nicht darüber sich einigen
können, was nach der Vertreibung der Türken aus ihrer Erbschaft
werden soll. Das ist ja klar, die Türkenherrschaft hat den unter-
jochten Ländern keinen Segen gebracht, die Osmanen gehören nach
Asien, und mit Vorliebe lassen sich auch die vornehmen Türken in
Skutari beerdigen, gleichsam als ob ihnen instinktiv das Gefühl inne-
wohnte, daß es mit ihrer Herrlichkeit in Europa bald vorbei sein
würde; — aber die Thatsache ist nun einmal da, politisch muß mit
dem islamitischen Staate in Europa nach wie vor gerechnet werden.
Man schätzt, wenn man die großen wüsten Striche, die die Türkei
in Asien und Afrika besitzt, nicht mit in Anschlag bringt, etwa so,
daß der vierte Teil des Türkenreiches in Europa liegt. Und wiederum
sind unter diesen europäischen Unterthanen nur die Hälste Muhamme-
daner. Man kann sich denken, daß bei diesen für die Türken un-
günstigen gegebenen Verhältnissen die christlichen Unterthanen sehr
zur Empörung neigen, und der Abbröckelungsprozeß wird wohl auch
sürderhin seinen Fortgang nehmen. Wirtschaftlich steht es um die
Türkei recht traurig. Der Türke neigt zum Phlegma, abgesehen da-
von, daß auch seine Religion ihm vorschreibt, an sein „Kismet" zu
glauben, also sein Schicksal als ein prädestiniertes zu betrachten und
der eigenen fleißigen Arbeit nur wenig Kraft zur Förderung seiner
Glückseligkeit zuzuschreiben. Daher liegt es mit dem landwirtschaft-
lichen Betrieb des Landes sehr im argen, nur ein Zehntel der Boden-
fläche ist bebaut. Dazu kommt die greuliche Waldverwüstung, die wir
in sämtlichen südeuropäischen Halbinseln haben wahrnehmen müssen.
Ihr leistet allen Vorschub die vorherrschende Methode der Viehzucht,
die von dem Rind wesentlich absieht und Schafe und Ziegen bevor-
zugt. Der Straßenbau ist überall vernachlässigt, selbst die berühmte
ostwestliche Heerstraße von Durazzo über Saloniki nach Konstantinopel,
die schon im Altertum von einschneidendster Bedeutung war, existiert
nicht mehr; an Eisenbahnen sind mit fremdem Gelde nur ein paar
TM Hauptwörter (50): [T40: [Polen Ungarn Land Rußland Preußen Stadt Donau Provinz Hauptstadt Königreich], T22: [Volk Bewohner Sprache Land Bevölkerung Einwohner deutsche Religion Million Stamm], T39: [Jahr Million Geld Mark Arbeiter Arbeit Zeit Summe Staat Thaler]]
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Extrahierte Personennamen: Durazzo
Extrahierte Ortsnamen: Europa Griechenland Serbien Montenegro Bulgarien Bosnien Kreta Konstantinopel Asien Europa Europa Asien Afrika Europa Saloniki Konstantinopel
— 61 —
Hauptstränge erbaut, die von Konstantinopel über Adrianopel nord-
westlich gerichtete, die den Occidentalen es ermöglicht, Stambul auf
raschestem Wege zu erreichen, und die wichtige Straße von Saloniki
nordwärts nach Belgrad, die mitteleuropäische Waren und den Verkehr
an den Archipel geleitet. Da eben Handel und Wandel in der Türkei
so daniederliegen, ist es mit den Einkünften auch traurig bestellt, die
Türkei befindet sich in einer ewigen Geldklemme und muß sich darum
manche Demütigungen von den europäischen Mächten und Geldbanken
gefallen lassen. Den Löwenanteil an den Einkünften verschlingen
die Kosten des Serails, wo der orientalische Glanz noch aufrecht-
erhalten wird. Das Beamtentum ist nach altgewohnter Sitte un-
ehrlich, und so sieht es mit der allgemeinen Wohlfahrt, zu der auch
die Schulbildung gehört, trübselig aus. Hauptstadt dieses so eigen-
artigen Reiches ist Konstantinopel, und wir verweilen bei der Schil-
derung dieser gottbegnadeten Erdstelle etwas ausführlicher. Man hat
Stambul „den Liebling des Geschickes" genannt, und gewiß vereinigt
selten ein Erdenfleck derart die Gunst äußerer Vorteile und ver-
schwenderischer Naturreize in sich wie gerade Konstantinopel. An der
engsten Stelle gelegen, wo zwei Erdteile sich nahe kommen und der
Zugang zu großen Weltmeeren beherrscht wird, hat Stambul, die
alte Gründung der Megarer, nun schon seit 2600 Jahren eine un-
verwüstliche Lebenskrast und einen sich immer steigernden Wert und
reichste Handelsbedeutung in sich dargestellt. Hier kommt der ganze
Reiz der mediterranen Flora noch einmal zur vollen Entfaltung, die
beiden Ufer, das europäische und asiatische, liegen am Rande des
Bosporus sich so nahe gegenüber, daß die Entfernung vielfach nur
1200 in beträgt und der Schall der Stimme von einem Ufer zum
anderen hinüberdringt. Und mit diesen Vorteilen ist es noch nicht
genug; ein schöner Meerbusen, das goldene Horn, schneidet in senk-
rechter Richtung zum Bosporus noch tief in die Stadt ein und be-
lebt so die ganze Scenerie. Dieser Meeresarm scheidet zugleich das
türkische Stambul, das südwestlich liegt, mit dem Serail an der
Meeresspitze, und die mehr europäischen Vorstädte Pera und Galata.
Jenseit des Bosporus in Asien lagert sich Skutari, und längs des
Bosporus ziehen sich in paradiesischer Vegetation Schlösser und Land-
Häuser hin, wie der schöne Sommersitz des Sultans Beylerbey. Wenn
man diese eng zusammengedrängten Drtlichkeiten in ihrer Einwohner-
zahl zusammenrechnet, so erhält man wohl eine Million Menschen.
Sieht man von einem erhöhten Standpunkt auf die Menschenansiede-
hing herab, so muß man unwillkürlich Konstantinopel eine der schönsten
Städte des Erdenrundes nennen. Nicht nur das Häusergewimmel
und die zauberhafte Natur wollen uns so großartig und entzückend
bedünken, sondern die echten Zuthaten einer orientalischen Stadt, die
zahlreichen Moscheen mit ihren schlanken Minarets machen den Ein-
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Extrahierte Ortsnamen: Konstantinopel Stambul Saloniki Belgrad Konstantinopel Stambul Stambul Stambul Asien Konstantinopel
— 63 —
fuhr des Landes ist ansehnlich an Korinthen, den kleinen getrockneten
Beeren des Rebstocks, und dann an Wein, worunter jetzt wieder der
Malvasier, das Gewächs Spartas, gleich wie im Mittelalter zu Ehren
kommt. Hinderlich ist auch hier der Mangel an Waldwuchs, und
die vorzugsweise gehegten Ziegen lassen auch nicht recht die Bäume
gedeihen. Eine vornehme Einnahmequelle und ein wertvolles Kapital
an Interesse und Beachtung bleibt Griechenland aber immer durch
den stets wachsenden Zuzug der Fremden, die die klassischen Er-
innerungen veranlassen, dem Lande des Perikles, Plato und Sophokles
einen mehr oder minder intensiven Besuch abzustatten. Athen ist daher
mächtig gewachsen; noch in der Türkenzeit hatte es 20000 Einwohner,
jetzt 108000. So wie Edinburgh in Leith seinen Hasen hat, so heißt
Athens Hafen Piräus. Landet man dort, so winken uns schon der
Pentelikon, der Hymettos und Lykabettos entgegen. Fast unmittelbar
an letzterem liegt der Königspalast der neugegründeten Dynastie und
unweit davon die Akropolis mit ihren ehrwürdigen Bauresten. Was
sonst die Ortschaften in und um Griechenland betrifft, so haben die
500 östlich gelegenen Inseln lange nicht mehr die Bedeutung wie im
Altertum. Es ist so, als wenn die ganze Entwickelung des Landes
die körperliche Drehung eines Menschen gemacht hätte; das Antlitz
des Landes sieht nicht mehr nach Osten, nach Asien, sondern man
kann sagen, nach Westen, wo die Schwerpunkte europäischer modernster
Civilisation liegen. Darum sind die westlich von Griechenland be-
findlichen Inseln sehr emporgekommen; man zählt ihrer ungefähr 100.
Volkswirtschaftlich und in Bezug auf Intelligenz haben sie einen be-
deutenden Vorsprung; sie gravitieren nach Italien, haben eine Volks-
dichtigkeit, die diesem benachbarten Königtum ziemlich gleichkommt,
und Korfu (Universität) und Zakynthos sind in jeder Beziehung be-
achtenswerte Städte.
Von den slavischen Landschaften der Balkanhalbinsel, die wie
Montenegro immer selbständig gewesen sind oder sich neuerdings von
der türkischen Oberhoheit losgerissen haben, scheint Bulgarien nebst
Ostrumelien wirtschaftlich am günstigsten zu stehen. Es hat in Varna
und Burgas Häfen am Schwarzen Meere, verfügt noch über nam-
hafte Waldbestände und kann erhebliche Mengen Getreide ausführen.
Auch nimmt, wie in der Türkei, der Rosenstrauch als Ackergewächs
weite Flächen ein, so daß an Rosenöl über 1 x/2 Millionen Lei
(— 1 Frank) in den Handel kommt. Die beiden andern Staaten,
das Königreich Serbien und das Fürstentum Montenegro, stehen
wirtschaftlich zurück und sind schon um ihrer Lage willen ganz von
Osterreich abhängig, das über Belgrad und Eattaro den Handels-
verkehr besorgt. Serbien ist nicht unfruchtbar, spielt aber zumeist
durch seine Schweinemast eine bedeutsamere Rolle. Die Serben um-
gab seit älterer Zeit eine ganz eigene Romantik, ihre Volkslieder
TM Hauptwörter (50): [T40: [Polen Ungarn Land Rußland Preußen Stadt Donau Provinz Hauptstadt Königreich], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T4: [Reich Zeit Staat Volk Deutschland Jahrhundert Land Macht deutsch Geschichte]]
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— 64 —
wurden im westlichen Europa bewundert, und ihre wilde Tapferkeit
erweckte immer von neuem die Aufmerksamkeit und das Interesse der
Abendländer. Belgrad galt als eine der stärksten Festungen, und
sein Name ist mit den Heldenthaten des Prinzen Eugen unauflöslich
verbunden. Endlich müssen wir noch das Königreich Rumänien er-
wähnen, dessen Bewohnerschaft als fünfte romanische Nation erscheint.
Es ist aufgeblüht unter seinem Hohenzollernsürsten und kann ab-
gesehen von dem Getreidereichtum, über den wir schon im ersten Teil
gesprochen haben,1 die Schiffahrt (sowohl auf der Donau als von
Küstendsche aus auf dem Schwarzen Meer) als einen wesentlichen
Faktor der Staatswohlfahrt ins Auge fassen.
Schließlich erinnern wir uns jenes interessanten Wortes von
Plato, daß die wichtigsten Kulturvölker in fröhlichem Wettstreit rings
um das Mittelländische Meer säßen wie die quakenden Frösche um
einen Teich — und können es heutzutage in seiner Berechtigung doch
nicht mehr anerkennen. Wir sind eben seit Platos Zeit aus dem
thalassischen in das oceanische Zeitalter eingetreten. Vielleicht trifft
aber jetzt das Wort Napoleons I. zu, der den Stillen Lcean „das
Mittelmeer der Zukunft" nannte.
* S. 61.
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T49: [Land Klima Europa Meer Lage Asien Winter Insel Afrika Zone], T40: [Polen Ungarn Land Rußland Preußen Stadt Donau Provinz Hauptstadt Königreich]]
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Extrahierte Personennamen: Eugen Napoleons_I.
Extrahierte Ortsnamen: Europa Belgrad Donau Napoleons
— 67 —
werk der römisch-katholischen Kirche betrachtet werden. Diesen Ruf
hat es sich seit Kaiser Ferdinand Ii. erkämpft. Schon war in der
zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts der Protestantismus im Oster-
reichischen gewaltig verbreitet. Um 1560 rechnete man 20, ja
60 Lutheraner auf einen Katholiken, um 1600 war in Kärnten
nur der zwanzigste Teil der Bewohner katholisch, da kam die er-
folgreichste Reaktion der katholischen Kirche. Ferdinand Ii., der in
Steiermark, wo er srüher herrschte, mit eisernem Besen die neue
Lehre ausgerottet und der in Loretto gelobt hatte, seine Dienste wie
in Spanien Philipp Ii. dem alten Glauben zu weihen, ist nach seinem
Siege in Böhmen auf das unbarmherzigste darauf bedacht gewesen,
alles in seinem Lande katholisch zu machen. Er wolle lieber in einer
Wüste herrschen, sagte er, als über einen Staat voll Ketzer. Und
wirklich haben er und seine.nachfolger es erreicht, daß der Katho-
licismus uneingeschränkt in Österreich Geltung hat. Im 18. Jahr-
hundert ist ein zweiter unduldsamer Fürst in den Gebieten, die jetzt
im österreichischen Staatenleibe vereinigt sind, zu erwähnen. Es ist
der Erzbischof Firmian von Salzburg, der seine protestantischen Unter-
thanen grausamer Weise aus dem Lande trieb. Zum Glück fand sich
ein Landesfürst, Friedrich Wilhelm I. von Preußen, der die Ver-
triebenen mit offenen Armen aufnahm und ihnen in Litauen neue
Wohnsitze anwies. Heute bilden diese Salzburger Kolonisten einen
erfreulichen und wertvollen Zuwachs der alteinheimischen preußischen
Bevölkerung, und die damals geübte fürstliche Wohlthat hat tausend-
fältige Frucht getragen. — Ist nun aber auch Osterreich ein Hort
des Katholicismus, so hat darum doch nicht die ganze Monarchie
einen einheitlichen Glauben. Je weiter nach Osten, desto bunter wird
die Mischung, und in einzelnen Städten hat man viererlei, sogar
sechserlei Gotteshäuser. Da finden sich Anhänger der griechischen
Kirche, die aber noch den Papst als Oberhaupt anerkennen, daneben
aber auch orthodoxe Griechen, die sich ganz losgesagt haben;
Evangelische Augsburger Konfession erscheinen neben Evangelischen
Helvetischer Konfession. Die Israeliten bilden mit fast 2 Millionen,
namentlich in Galizien, einen starken Prozentsatz der Bevölkerung,
und endlich zählt „die apostolische Majestät" des österreichischen Kaisers
seit der Besitzergreifung von Bosnien und der Herzegowina auch
islamitische Unterthanen, die durch die Stimme der Muezzine in
ihre Moscheen gerufen werden.
Die zweite Kulturaufgabe, die Osterreich seit je obgelegen hat
und die auch heutzutage als sein nobile officium zu betrachten ist,
besteht darin, das Deutschtum unter dieser östlichen und fremdartigen
Bevölkerungswelt aufrecht zu halten und ihm stets und immer den
gebührenden Rang in dem seltsamen Völkergemisch zuzuweisen. Wie
ein Keil schiebt sich das Deutschtum an der Donau zwischen den
TM Hauptwörter (50): [T27: [Kirche Luther Lehre Kloster Jahr Bischof Schrift Papst Reformation Wittenberg], T22: [Volk Bewohner Sprache Land Bevölkerung Einwohner deutsche Religion Million Stamm], T40: [Polen Ungarn Land Rußland Preußen Stadt Donau Provinz Hauptstadt Königreich]]
TM Hauptwörter (100): [T86: [Kaiser Protestant Katholik Fürst Kurfürst Land Kirche Karl Reichstag Krieg], T61: [Mill Staat Deutschland Reich Europa deutsch Million Land England Einwohner], T69: [Kirche Kloster Stadt Schule Bischof Gemeinde Orden Land Priester geistliche], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T18: [Donau Stadt Ungarn Böhmen Wien Hauptstadt Land Einw. Königreich Mulde]]
TM Hauptwörter (200): [T40: [Protestant Kaiser Kirche Katholik Reichstag Jahr Lehre Reformation Augsburger Land], T78: [Mill Staat Million Deutschland Reich Europa Einwohner Land Jahr deutsch], T127: [Volk Sprache Land Zeit Sitte Kultur Bildung Geschichte Bewohner Stamm], T153: [Donau Ungarn Land Hauptstadt Böhmen Königreich Wien Stadt Galizien Siebenbürgen], T95: [Gestein Schicht Wasser Boden Erde Granit Gebirge Masse Sand Teil]]
Extrahierte Personennamen: Ferdinand_Ii Ferdinand Ferdinand_Ii Ferdinand Philipp_Ii Philipp Friedrich_Wilhelm_I._von_Preußen Friedrich Wilhelm_I.
— 68 —
Nordslaven und Südslaven vor und hat sich hier eine wenn auch
gefährdete, so doch ungemein dankenswerte Stellung geschaffen. Schon
unter den Babenbergern war im Mittelalter Osterreich ein teurer
deutscher Besitz. Hier fand die edle Sangeskunst die aufmerksamste
Pslege, und Walther von der Vogelweide hat oft und gern bei den
babenbergischen Herzögen geweilt. In den früheren Jahrhunderten
hat man den Deutschen auch von je ihre bevorrechtete Stellung be-
lassen, neuerdings erhebt sich, da sich die Völker der anderen Zungen
von ihren alten Lehrmeistern emancipiert haben, ein gewaltiger Kamps
gegen das Vorrecht der Deutschen. Numerisch können ja unsere
Stammesbrüder auch nicht mehr ihre Überordnung ausrecht erhalten;
denn unter den über 40 Millionen österreichischer Staatsangehörigen
giebt es nur etwa zum vierten Teile Deutsche. Ein Glück ist es,
daß ihre sprachlichen Gegner, die alle zusammen die bedeutende
Majorität haben, unter sich nicht einig sind und daß so das alte
lateinische Wort divide et impera einigermaßen zur Geltung kommt.
Den Deutschen stehen gegenüber Magyaren, jener eigentümliche Volks-
stamm, der als einziger unter den nichtindogermanischen in Europa1
sich eine beachtenswerte Stelle in der oceidentalischen Kulturwelt er-
obert hat, Tschechen in Böhmen, Polen und Ruthenen in Galizien,
Slowenen in Kram, Kroaten und Serben südlich davon, Slovaken
im nördlichen und Rumänen im südöstlichen Ungarn, endlich Italiener
in Jstrien und Südtirol. Wenn der alte Jahn Österreich einen
„Bölkermang" nennt, wo für die Gesundheit des Kaisers in 7 Sprachen
gebetet wird, so dürste dies Rechenexempel heute noch nicht einmal
genügen. Recht bunt erscheint diese Mischung der Nationalitäten in
der ungarischen Neichshälste, und man hat zur Charakterisierung der
Bevölkerungselemente das boshafte Beispiel erfunden, wonach der
Deutsche, als er mit seinen Kameraden einen Raum verläßt, äußert,
da stand ein silbernes Kruzifix. Der Magyar antwortet darauf: das
hätten wir können stehlen. Der Slovake sagt mit schmunzelndem
Gesicht: hob's schon, und der Rumäne raunt ihm zu: host's gehobt;
denn in demselben Moment hat er dem Kameraden das gestohlene
Gut schon wieder wegstibitzt. — Die transleithanische Hälfte der
Monarchie hat unter diesem Gegensatz der Nationalitäten weniger zu
leiden als die diesseitige, und hier ist namentlich in Böhmen der
Kampf recht erbittert. Es sind wohl 3/<t der Bewohner Tschechen,
und selbst in Prag zählt man nur 1/1 Deutsche. Jener tschechische
Kutscher brummte, die Deutschen gucken uns rund herum ins Böhmer-
land hinein, und wirklich ist es so. Die Randgebiete sind im Besitze
der fleißigen Deutschen, die die Landwirtschaft und den Hopfenbau
am intensivsten betreiben, so daß Leitmeritz als böhmisches Paradies
1 Er ist aus türkisch-filmischen Volkselementeu zusammengesetzt.
TM Hauptwörter (50): [T22: [Volk Bewohner Sprache Land Bevölkerung Einwohner deutsche Religion Million Stamm], T40: [Polen Ungarn Land Rußland Preußen Stadt Donau Provinz Hauptstadt Königreich], T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd]]
TM Hauptwörter (100): [T95: [Bewohner Sprache Volk Land Bevölkerung deutsche Stamm Religion Neger Einwohner], T18: [Donau Stadt Ungarn Böhmen Wien Hauptstadt Land Einw. Königreich Mulde], T94: [Herr Tag Haus Kind Brot Geld Leute Mensch Hund Mann], T61: [Mill Staat Deutschland Reich Europa deutsch Million Land England Einwohner], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel]]
TM Hauptwörter (200): [T159: [Bewohner deutsche Bevölkerung Sprache Neger Volk Jude Einwohner Stamm Land], T173: [Sprache Wort Name Schrift Zeit Buch Form Kunst Art Werk], T153: [Donau Ungarn Land Hauptstadt Böhmen Königreich Wien Stadt Galizien Siebenbürgen], T196: [Tisch Tag König Hand Wein Herr Haus Gast Abend Frau], T100: [Gott Herr Herz Wort Leben Hand Himmel Vater Kind Mensch]]
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gilt; ebenso sind die Jndustriebezirke vorzugsweise von den Deutschen
bewohnt. Das erweckt den Neid der Tschechen, und in unseren Tagen
wogt da ein heißer Streit. — Wenn man alle diese verschiedenen
Nationalitäten ins Auge faßt, so fragt man wohl erstaunt, was hält
denn diese. Völkergruppen eigentlich noch zusammen? Die Antwort
ist: Die gemeinsame Dynastie und — die deutsche Heeressprache. Das
ist der letzte, aber ein recht fester Kitt, und wenn die Tschechen beim
Namensaufruf mit ihrem Zde! statt: Hier! antworten, so kommen sie
übel an. — Die österreichischen Slaven sind uns ziemlich fremd; aber
wir müssen beachten, daß Ortsnamen in Kram identisch sind mit
pommerschen, wie z. B. Triglaw; es erinnert ja auch die Bezeichnung
für den Peloponnes Morea an Pommern (= po more am Meere;
Morea heißt Meerland). Endlich mögen wir in Norddeutschland noch
bedenken, daß die herumziehenden Drahtbinder und Mausefallenhändler
ungarische Slovaken sind, die sich in ihrer walachifchen Schafhirten-
tracht recht malerisch ausnehmen. An ihnen können wir den süd-
slavischen Typus studieren.
Was die örtliche Lage des österreichisch-ungarischen Staates be-
trifft, so ist zunächst eines zu bemerken. Ein jedes Volk sucht mög-
lichst zum Meere zu dringen, denn von ihm strömen Waren und
Reichtümer in das Land. Für Österreich ist als Axe alles Aus-
tausches und Handelsverkehrs die Donaustraße gegeben, und gerade
da, wo diese Straße sich am meisten dem Meere nähert, sind alle
Vorbedingungen für die Entwickelung eines großen Gemeinwesens
erfüllt. Ein Blick auf die Karte genügt, um zu erkennen, daß alle
diese besonderen und günstigen Umstände bei Wien zutreffen. Und
wenn man fagen will, der Handelsverkehr in Österreich hat mehr
eine nordsüdliche als eine ostwestliche Richtung, so erscheint um so
mehr Wien als selten bevorzugt. In der That, die Kaiserstadt ist
„der Spinne im Kreuz" zu vergleichen; wir haben an dieser Stelle
den „Tummelplatz des Orients und Occidents", und von Ost und
West, von Nord und Süd laufen alle Verkehrs- und Handelsstraßen
auf dieses Centrum. Der Meereshafen von Wien tft, Triest, die
citta fidissima, das südliche Hamburg. Und dieselben Überlegungen
erklären uns auch das Emporkommen der Konkurrentin von Triest,
des zur ungarischen Reichshälfte gehörigen Fiume (ad flumen).
Wenn die polnisch-ungarischen Völker den Weg zum Meere suchten,
so traf etwa von Lemberg aus ihre Straße den Golf von Quarnero,
eben da, wo Fiume liegt und wo auch heute der große Schienen-
sträng der Bahn, die von Lemberg zum Meere sührt, mündet. Und
an dem Schnittpunkte dieser uralten Handelsstraße mit der Donau
liegt — Budapest, die Hauptstadt der ungarischen Monarchie. Durch
unsere bisherigen Ausführungen erhellt die hohe Bedeutung der iftri-
schen Halbinsel für die österreichisch-ungarische Monarchie. Wie eine
TM Hauptwörter (50): [T40: [Polen Ungarn Land Rußland Preußen Stadt Donau Provinz Hauptstadt Königreich], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
TM Hauptwörter (100): [T18: [Donau Stadt Ungarn Böhmen Wien Hauptstadt Land Einw. Königreich Mulde], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T4: [Handel Land Industrie Stadt Verkehr Gewerbe Ackerbau Viehzucht Deutschland Zeit], T16: [Ende Körper Strom Bild Hebel Hand Auge Wasser Gegenstand Seite], T3: [Lage Karte Land Europa Geographie Klima Größe Verhältnis Grenze Gliederung]]
TM Hauptwörter (200): [T153: [Donau Ungarn Land Hauptstadt Böhmen Königreich Wien Stadt Galizien Siebenbürgen], T11: [Kanal Rhein Verkehr Eisenbahn Fluß Land Meer Handel Stadt Deutschland], T183: [Kind Lehrer Schüler Unterricht Schule Frage Stoff Aufgabe Zeit Geschichte], T54: [Staat Zeit Volk Deutschland Leben Reich Jahrhundert Macht Entwicklung Gebiet], T159: [Bewohner deutsche Bevölkerung Sprache Neger Volk Jude Einwohner Stamm Land]]
Extrahierte Ortsnamen: Pommern Norddeutschland Wien Wien Ost Nord Wien Triest Hamburg Triest Fiume Lemberg Lemberg Donau Budapest
— 70 —
„Weintraube" hängt sie in das Meer hinaus, und dies Bild paßt
vorzüglich, mag man dabei an die südliche Vegetation denken oder
an den üppigen Reichtum, der sich an den Besitz des Landes knüpft.
An der Spitze der Halbinsel liegt Pola, das schon zur Römerzeit
wichtig war und das man jetzt als Kriegshafen der österreichischen
Marine das österreichische Portsmouth nennt. Ebenso hat Luffin
Piccolo im Quarnerifchen Busen eine große Anzahl von Fracht-
schiffen. Der eigentliche Wohlthäter Triests ist Karl Vi., und seit
1833 begann der österreichische Lloyd seine Dampser zu bauen, um
den Verkehr mit dem Orient zu unterhalten. Aber es ist thöricht,
wenn jetzt französische Hetzblätter Italien einreden wollen, in betreff
des Mittelmeeres und des Handels auf ihm drohe ihm nicht von
fetten Frankreichs die Gefahr, sondern Osterreich habe es zu sürchten.
Denn Triest und die dalmatinischen Häfen liegen doch nur an einem
Busenmeer des ohnedies schon als Binnenmeer zu betrachtenden
Mittelmeers. Die Handelsrichtung dieser österreichischen Häsen geht
nach dem östlichen Mittelmeer, „nach der Levante. In Bezug aus
den oceanischen Handel kommt Osterreich wenig in Betracht, es be-
sitzt auch keine Kolonieen. Die wachsende Bedeutung Triests könnte
also höchstens Venedig unbequem werden, das früher so verächtlich
von dem Schilfrohrnest (slav. Terst = Schils) zu sprechen pflegte.
Die große Ausdehnung der österreichisch-ungarischen Monarchie
^Cattaro 42^°, Reichenberg beinahe 51° n. Br.; Bregenz beinahe
10°, Ostgrenze 261// ö. L.) bedingt es, daß sich in Natur und
Klima bedeutsame Gegensätze ergeben werden. „In den Umgebungen
von Triest sieht man nichts als Weinberge, Ölbäume und Gärten
voll Feigen, Oleandern, Granaten, Pfirsichen und sogar einige
Cypressen. Dagegen haben wir im österreichischen Schlesien ein rauhes
Gebirgsklima; in Galizien brechen sich die kalten Nordwinde an den
Karpaten und fallen auf das Land zurück, und die Weichsel hat
14—20 Tage den Eisgang fpäter als die Oder, und gar 3—4 Wochen
beträgt der Zeitunterschied gegen die Schmelzperiode der Donau. Natür-
lich sind bei den vertikalen Erhebungen die klimatischen Gegensätze
von ähnlicher Schroffheit. Riva am Gardasee genießt alle Vorzüge
der oberitalischen Seeuser, die Edelkastanie, des südlichen Alpenlandes
schönster Laubbaum, entfaltet ihre mächtige Krone, und bei den
österreichischen Eisriesen der Tauernkette wagt es kaum noch der be-
haarte Gletscherhahnensuß, gegen die unwirtlichen Gipfel vorzudringend
Görz nennt man das österreichische Nizza, Töplitz- ist das böhmische
Paradies, und im Karst haben wir eine völlige Wüste, ohne Baum
und Strauch, ja sast ohne krautartige Pflanzen, wo nur nackte
' Er dringt nvch bis 3600 in nach oben vor.
* Ebenso Reichenberg. S. oben.
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Extrahierte Personennamen: Pola Luffin
Piccolo Karl_Vi Karl
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Steinhaufen das Land bedecken und die eisige Bora über den Boden
fegt. Außer diesen physikalischen Gegensätzen werden wir in merkan-
Wischer und wirtschaftlicher Beziehung genug Unterscheidungen inner-
halb der völkerreichen Monarchie vorfinden, und wir wollen zu diesem
Zwecke die vornehmsten Landschaften nacheinander einer Besprechung
unterziehen.
Man zählt im Osterreichischen Alpen-, Sudeten-, Karpaten- und
Karstlandschaften auf. Wir wollen zunächst mit den Sudetenland-
schasten beginnen. Voran steht Böhmen, das nördlichste Kronland —
aber darum nicht das schlechteste. Es ist ein von Sw nach No ab-
gedachtes Terrassenland von archäischer Bodenformation mit jüngerem
Eruptivgestein und hat daher Kohlen, was für Österreich sehr wesent-
lich ist. Denn das salz- und eisenerzreiche Gebiet der Ostalpen steht
nun in blühendstem Austausch mit dem kohlenreichen, aber salzarmen
Böhmen. Aber auch sonst ist Böhmen ein Industrieland ersten
Ranges und hat in seinem Nordostrande eine Volksdichtigkeit von
über 150 Menschen auf 1 □km. Reichenberg blüht durch Baum-
Wollenwebereien, nach den Gebirgen zu liegen die Glashütten, und
neuerdings wird der schöne böhmische Hopfen verwertet zur Vier-
brauerei. Pilsen genießt darum Weltruf. Dagegen ist der Ruhm des
böhmischen Weines zurückgegangen. Im 16. Jahrhundert gehörte er
zu den gesuchtesten, und der Wachtmeister in dem Schillerschen Wallen-
stein schlürft mit Behagen sein Gläschen Melniker. Die böhmischen
Edelsteine sind gleichermaßen bekannt, namentlich die Granaten. Zudem
i)t das Land äußerst fruchtbar an Getreide, und wenn wir südwärts
nach Mähren vordringen, so gelangen wir an das „mährische Kanaan",
die reiche Getreideebene der Hannaken. Der natürliche Mittelpunkt
des Landes ist Prag, das böhmische Nürnberg, eine herrlich gelegene,
turmreiche Stadt mit lebhaftester Industrie. Aber das macht sie
nicht allein jedem Deutschen wert, vielmehr haben in Böhmens
Blüteperiode die Luxemburgischen Regenten hier die erste deutsche
Universität gestiftet, die kurz vor dem Auszuge der deutschen Stu-
deuten 30000 Universitätsgenossen gezählt haben soll. Der Luxem-
burger Karl Iv. ist überhaupt in jeder Beziehung Böhmens Wohl-
thäter gewesen, was ihm auch die Bezeichnung eintrug: Böhmens
Vater, des heiligen römischen Reiches Erzstiesvater. Die Karlsbrücke
in Prag und sein Standbild an derselben verewigen den Namen
dieses thätigen und erfolgreichen Regenten. — Gewiß haben die
Tschechen in Böhmen allen Grund, den Deutschen dankbar zu sein;
das Land hat überdies immer in der engsten Beziehung zu Deutsch-
laud gestanden, Böhmens Herrscher war einer der 7 Kursürsten des
Reiches und versah auch bei der Krönung sein Erzamt: „es schenkte
der Böhme des perlenden Weins". Und dennoch hat, wie ich schon
oben erwähnte, der tschechische Übermut in den letzten Jahrzehnten
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