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1. Die nichtdeutschen Staaten Europas - S. 103

1901 - Glogau : Flemming
— 103 — So hatte sich die deutsche Hansa ihr „Kontor" gesichert, und Now- gorod — da wo die Wolchow den Jlmensee verläßt — war die Hauptstätte des Tauschhandels. Man bezahlte im e>. Petershof die eingehandelten Waren nicht bar, sondern tauschte sie gegen die West- europäischen Erzeugnisse ein, worunter die flandrischen Tuche die vor- nehmsten waren. Nowgorod wuchs mächtig an Einwohnerzahl, es hatte zuletzt 400000 Bewohner, wurde überaus reich, und das russische Sprichwort besagte: Wer kann gegen Gott und gegen Nowgorod. Auch die umliegenden Städte blühten auf. Riga, dessen Name „Getreidespeicher" bedeutet, erhielt damals sein „hanseatisch-reichs- städtisches" Gepräge. Es wurde der gotische Dom mit herrlichem Gewölbe gebaut, und die Petrikirche erhielt ihren fast 140 m hohen Turm, den höchsten Turm in Rußland. Diese Machtstellung der Republik und der Reichtum Nowgorods reizte den Großfürsten Iwan den Großen (als Zar Iwan I. Wasiljewitsch), der sich eben von der mongolischen Oberhoheit befreit hatte und danach strebte, nach dem Fall des griechischen Kaisertums Rußland emporzubringen — er nahm ja deshalb auch den zweiköpfigen Adler in das russische Wappen auf —, und so eroberte er Nowgorod und machte der Selbständigkeit der Republik ein Ende. Wenn die frühere Bedeutung von Nowgorod Weliki (— Groß- neustadt) unwiederbringlich dahin ist, so hat sich der Handelsverkehr des modernen Rußlands jetzt in Nishnij Nowgorod (= Niederneustadt) konzentriert, und dieser Ort ist zur berühmtesten Messestadt in dem Zarenreiche geworden. * Die Stadt liegt äußerst günstig, gerade in der Mitte des ungeheuren Reiches, und zwar an der Wolga, da wo der mächtige Nebenfluß, die Oka, in die Wolga mündet. Auf dem rechten bergigen Ufer der Wolga liegt die Oberstadt, wohl 200 m über dem Wasserspiegel. Am Wasser des Flusses sind die Anlege- plätze der Dampfer, und dann geht es auf mächtiger Holzbrücke über die Oka, die fast 1 km breit ist, zum Messeplatze zwischen Oka und Wolga. Hier entwickelt sich 40 Tage lang vom 27. Juli ab der gewaltige europäisch-asiatische Großhandel, zu dem die Waren auf 7 großen Handelsstraßen herbeigeschafft werden; von Petersburg über Moskau, von Astrachan auf der Wolga, von dem chinesischen Kiachta über Tjumen, von Bochara über Orenburg, vom Schwarzen Meere über Taganrog, von den Kaukasusländern wiederum aus der Wolga und von Archangelsk her auf der Dwina und Kama. „Der Kauf- mann aus Paris und London macht hier mit dem Perser und Chinesen, der Schwede aus Finnland mit dem Jakuten aus Sibirien Handels- geschäste. Das Getreibe auf der Messe kann etwa nur mit dem Völkergewühl in Mekka verglichen werden." Man rechnet, daß in 1 Frühere Geographen sagen i es ist die äußerste Stadt Europa gegen Aufgang.

2. Die nichtdeutschen Staaten Europas - S. 60

1901 - Glogau : Flemming
— 60 — Während Europa und die occidentalische Kultur auf der Pyrenäen- Halbinsel schon über 500 Jahre lang den Zwang und die Einwirkung des Islam abgeschüttelt haben, ist auf der Balkanhalbinsel auch noch gegenwärtig der Islam, vertreten durch die Türkenmacht, im Besitz seiner Ländereien. Allerdings hat die verachtete Rajah, also die christliche Unterthanenschaft, im 19. Jahrhundert große westlich und nördlich gelegene Stücke von dem türkischen Staatenleib losgerissen, und so sind die Königreiche Griechenland, Rumänien, Serbien und das Fürstentum Montenegro als selbständige Staaten entstanden, während Bulgarien, Bosnien, Kreta nur noch in nomineller Verbin- dung mit dem Sultanat stehen; aber immerhin glänzt noch von der Hagia Sophia in Konstantinopel der Halbmond, und das Dasein des „kranken Mannes", wie man den Sultanstaat nennt, ist weiter gefristet, weil die europäischen Mächte nicht darüber sich einigen können, was nach der Vertreibung der Türken aus ihrer Erbschaft werden soll. Das ist ja klar, die Türkenherrschaft hat den unter- jochten Ländern keinen Segen gebracht, die Osmanen gehören nach Asien, und mit Vorliebe lassen sich auch die vornehmen Türken in Skutari beerdigen, gleichsam als ob ihnen instinktiv das Gefühl inne- wohnte, daß es mit ihrer Herrlichkeit in Europa bald vorbei sein würde; — aber die Thatsache ist nun einmal da, politisch muß mit dem islamitischen Staate in Europa nach wie vor gerechnet werden. Man schätzt, wenn man die großen wüsten Striche, die die Türkei in Asien und Afrika besitzt, nicht mit in Anschlag bringt, etwa so, daß der vierte Teil des Türkenreiches in Europa liegt. Und wiederum sind unter diesen europäischen Unterthanen nur die Hälste Muhamme- daner. Man kann sich denken, daß bei diesen für die Türken un- günstigen gegebenen Verhältnissen die christlichen Unterthanen sehr zur Empörung neigen, und der Abbröckelungsprozeß wird wohl auch sürderhin seinen Fortgang nehmen. Wirtschaftlich steht es um die Türkei recht traurig. Der Türke neigt zum Phlegma, abgesehen da- von, daß auch seine Religion ihm vorschreibt, an sein „Kismet" zu glauben, also sein Schicksal als ein prädestiniertes zu betrachten und der eigenen fleißigen Arbeit nur wenig Kraft zur Förderung seiner Glückseligkeit zuzuschreiben. Daher liegt es mit dem landwirtschaft- lichen Betrieb des Landes sehr im argen, nur ein Zehntel der Boden- fläche ist bebaut. Dazu kommt die greuliche Waldverwüstung, die wir in sämtlichen südeuropäischen Halbinseln haben wahrnehmen müssen. Ihr leistet allen Vorschub die vorherrschende Methode der Viehzucht, die von dem Rind wesentlich absieht und Schafe und Ziegen bevor- zugt. Der Straßenbau ist überall vernachlässigt, selbst die berühmte ostwestliche Heerstraße von Durazzo über Saloniki nach Konstantinopel, die schon im Altertum von einschneidendster Bedeutung war, existiert nicht mehr; an Eisenbahnen sind mit fremdem Gelde nur ein paar

3. Die nichtdeutschen Staaten Europas - S. 61

1901 - Glogau : Flemming
— 61 — Hauptstränge erbaut, die von Konstantinopel über Adrianopel nord- westlich gerichtete, die den Occidentalen es ermöglicht, Stambul auf raschestem Wege zu erreichen, und die wichtige Straße von Saloniki nordwärts nach Belgrad, die mitteleuropäische Waren und den Verkehr an den Archipel geleitet. Da eben Handel und Wandel in der Türkei so daniederliegen, ist es mit den Einkünften auch traurig bestellt, die Türkei befindet sich in einer ewigen Geldklemme und muß sich darum manche Demütigungen von den europäischen Mächten und Geldbanken gefallen lassen. Den Löwenanteil an den Einkünften verschlingen die Kosten des Serails, wo der orientalische Glanz noch aufrecht- erhalten wird. Das Beamtentum ist nach altgewohnter Sitte un- ehrlich, und so sieht es mit der allgemeinen Wohlfahrt, zu der auch die Schulbildung gehört, trübselig aus. Hauptstadt dieses so eigen- artigen Reiches ist Konstantinopel, und wir verweilen bei der Schil- derung dieser gottbegnadeten Erdstelle etwas ausführlicher. Man hat Stambul „den Liebling des Geschickes" genannt, und gewiß vereinigt selten ein Erdenfleck derart die Gunst äußerer Vorteile und ver- schwenderischer Naturreize in sich wie gerade Konstantinopel. An der engsten Stelle gelegen, wo zwei Erdteile sich nahe kommen und der Zugang zu großen Weltmeeren beherrscht wird, hat Stambul, die alte Gründung der Megarer, nun schon seit 2600 Jahren eine un- verwüstliche Lebenskrast und einen sich immer steigernden Wert und reichste Handelsbedeutung in sich dargestellt. Hier kommt der ganze Reiz der mediterranen Flora noch einmal zur vollen Entfaltung, die beiden Ufer, das europäische und asiatische, liegen am Rande des Bosporus sich so nahe gegenüber, daß die Entfernung vielfach nur 1200 in beträgt und der Schall der Stimme von einem Ufer zum anderen hinüberdringt. Und mit diesen Vorteilen ist es noch nicht genug; ein schöner Meerbusen, das goldene Horn, schneidet in senk- rechter Richtung zum Bosporus noch tief in die Stadt ein und be- lebt so die ganze Scenerie. Dieser Meeresarm scheidet zugleich das türkische Stambul, das südwestlich liegt, mit dem Serail an der Meeresspitze, und die mehr europäischen Vorstädte Pera und Galata. Jenseit des Bosporus in Asien lagert sich Skutari, und längs des Bosporus ziehen sich in paradiesischer Vegetation Schlösser und Land- Häuser hin, wie der schöne Sommersitz des Sultans Beylerbey. Wenn man diese eng zusammengedrängten Drtlichkeiten in ihrer Einwohner- zahl zusammenrechnet, so erhält man wohl eine Million Menschen. Sieht man von einem erhöhten Standpunkt auf die Menschenansiede- hing herab, so muß man unwillkürlich Konstantinopel eine der schönsten Städte des Erdenrundes nennen. Nicht nur das Häusergewimmel und die zauberhafte Natur wollen uns so großartig und entzückend bedünken, sondern die echten Zuthaten einer orientalischen Stadt, die zahlreichen Moscheen mit ihren schlanken Minarets machen den Ein-

4. Die nichtdeutschen Staaten Europas - S. 63

1901 - Glogau : Flemming
— 63 — fuhr des Landes ist ansehnlich an Korinthen, den kleinen getrockneten Beeren des Rebstocks, und dann an Wein, worunter jetzt wieder der Malvasier, das Gewächs Spartas, gleich wie im Mittelalter zu Ehren kommt. Hinderlich ist auch hier der Mangel an Waldwuchs, und die vorzugsweise gehegten Ziegen lassen auch nicht recht die Bäume gedeihen. Eine vornehme Einnahmequelle und ein wertvolles Kapital an Interesse und Beachtung bleibt Griechenland aber immer durch den stets wachsenden Zuzug der Fremden, die die klassischen Er- innerungen veranlassen, dem Lande des Perikles, Plato und Sophokles einen mehr oder minder intensiven Besuch abzustatten. Athen ist daher mächtig gewachsen; noch in der Türkenzeit hatte es 20000 Einwohner, jetzt 108000. So wie Edinburgh in Leith seinen Hasen hat, so heißt Athens Hafen Piräus. Landet man dort, so winken uns schon der Pentelikon, der Hymettos und Lykabettos entgegen. Fast unmittelbar an letzterem liegt der Königspalast der neugegründeten Dynastie und unweit davon die Akropolis mit ihren ehrwürdigen Bauresten. Was sonst die Ortschaften in und um Griechenland betrifft, so haben die 500 östlich gelegenen Inseln lange nicht mehr die Bedeutung wie im Altertum. Es ist so, als wenn die ganze Entwickelung des Landes die körperliche Drehung eines Menschen gemacht hätte; das Antlitz des Landes sieht nicht mehr nach Osten, nach Asien, sondern man kann sagen, nach Westen, wo die Schwerpunkte europäischer modernster Civilisation liegen. Darum sind die westlich von Griechenland be- findlichen Inseln sehr emporgekommen; man zählt ihrer ungefähr 100. Volkswirtschaftlich und in Bezug auf Intelligenz haben sie einen be- deutenden Vorsprung; sie gravitieren nach Italien, haben eine Volks- dichtigkeit, die diesem benachbarten Königtum ziemlich gleichkommt, und Korfu (Universität) und Zakynthos sind in jeder Beziehung be- achtenswerte Städte. Von den slavischen Landschaften der Balkanhalbinsel, die wie Montenegro immer selbständig gewesen sind oder sich neuerdings von der türkischen Oberhoheit losgerissen haben, scheint Bulgarien nebst Ostrumelien wirtschaftlich am günstigsten zu stehen. Es hat in Varna und Burgas Häfen am Schwarzen Meere, verfügt noch über nam- hafte Waldbestände und kann erhebliche Mengen Getreide ausführen. Auch nimmt, wie in der Türkei, der Rosenstrauch als Ackergewächs weite Flächen ein, so daß an Rosenöl über 1 x/2 Millionen Lei (— 1 Frank) in den Handel kommt. Die beiden andern Staaten, das Königreich Serbien und das Fürstentum Montenegro, stehen wirtschaftlich zurück und sind schon um ihrer Lage willen ganz von Osterreich abhängig, das über Belgrad und Eattaro den Handels- verkehr besorgt. Serbien ist nicht unfruchtbar, spielt aber zumeist durch seine Schweinemast eine bedeutsamere Rolle. Die Serben um- gab seit älterer Zeit eine ganz eigene Romantik, ihre Volkslieder

5. Die nichtdeutschen Staaten Europas - S. 64

1901 - Glogau : Flemming
— 64 — wurden im westlichen Europa bewundert, und ihre wilde Tapferkeit erweckte immer von neuem die Aufmerksamkeit und das Interesse der Abendländer. Belgrad galt als eine der stärksten Festungen, und sein Name ist mit den Heldenthaten des Prinzen Eugen unauflöslich verbunden. Endlich müssen wir noch das Königreich Rumänien er- wähnen, dessen Bewohnerschaft als fünfte romanische Nation erscheint. Es ist aufgeblüht unter seinem Hohenzollernsürsten und kann ab- gesehen von dem Getreidereichtum, über den wir schon im ersten Teil gesprochen haben,1 die Schiffahrt (sowohl auf der Donau als von Küstendsche aus auf dem Schwarzen Meer) als einen wesentlichen Faktor der Staatswohlfahrt ins Auge fassen. Schließlich erinnern wir uns jenes interessanten Wortes von Plato, daß die wichtigsten Kulturvölker in fröhlichem Wettstreit rings um das Mittelländische Meer säßen wie die quakenden Frösche um einen Teich — und können es heutzutage in seiner Berechtigung doch nicht mehr anerkennen. Wir sind eben seit Platos Zeit aus dem thalassischen in das oceanische Zeitalter eingetreten. Vielleicht trifft aber jetzt das Wort Napoleons I. zu, der den Stillen Lcean „das Mittelmeer der Zukunft" nannte. * S. 61.

6. Die nichtdeutschen Staaten Europas - S. 67

1901 - Glogau : Flemming
— 67 — werk der römisch-katholischen Kirche betrachtet werden. Diesen Ruf hat es sich seit Kaiser Ferdinand Ii. erkämpft. Schon war in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts der Protestantismus im Oster- reichischen gewaltig verbreitet. Um 1560 rechnete man 20, ja 60 Lutheraner auf einen Katholiken, um 1600 war in Kärnten nur der zwanzigste Teil der Bewohner katholisch, da kam die er- folgreichste Reaktion der katholischen Kirche. Ferdinand Ii., der in Steiermark, wo er srüher herrschte, mit eisernem Besen die neue Lehre ausgerottet und der in Loretto gelobt hatte, seine Dienste wie in Spanien Philipp Ii. dem alten Glauben zu weihen, ist nach seinem Siege in Böhmen auf das unbarmherzigste darauf bedacht gewesen, alles in seinem Lande katholisch zu machen. Er wolle lieber in einer Wüste herrschen, sagte er, als über einen Staat voll Ketzer. Und wirklich haben er und seine.nachfolger es erreicht, daß der Katho- licismus uneingeschränkt in Österreich Geltung hat. Im 18. Jahr- hundert ist ein zweiter unduldsamer Fürst in den Gebieten, die jetzt im österreichischen Staatenleibe vereinigt sind, zu erwähnen. Es ist der Erzbischof Firmian von Salzburg, der seine protestantischen Unter- thanen grausamer Weise aus dem Lande trieb. Zum Glück fand sich ein Landesfürst, Friedrich Wilhelm I. von Preußen, der die Ver- triebenen mit offenen Armen aufnahm und ihnen in Litauen neue Wohnsitze anwies. Heute bilden diese Salzburger Kolonisten einen erfreulichen und wertvollen Zuwachs der alteinheimischen preußischen Bevölkerung, und die damals geübte fürstliche Wohlthat hat tausend- fältige Frucht getragen. — Ist nun aber auch Osterreich ein Hort des Katholicismus, so hat darum doch nicht die ganze Monarchie einen einheitlichen Glauben. Je weiter nach Osten, desto bunter wird die Mischung, und in einzelnen Städten hat man viererlei, sogar sechserlei Gotteshäuser. Da finden sich Anhänger der griechischen Kirche, die aber noch den Papst als Oberhaupt anerkennen, daneben aber auch orthodoxe Griechen, die sich ganz losgesagt haben; Evangelische Augsburger Konfession erscheinen neben Evangelischen Helvetischer Konfession. Die Israeliten bilden mit fast 2 Millionen, namentlich in Galizien, einen starken Prozentsatz der Bevölkerung, und endlich zählt „die apostolische Majestät" des österreichischen Kaisers seit der Besitzergreifung von Bosnien und der Herzegowina auch islamitische Unterthanen, die durch die Stimme der Muezzine in ihre Moscheen gerufen werden. Die zweite Kulturaufgabe, die Osterreich seit je obgelegen hat und die auch heutzutage als sein nobile officium zu betrachten ist, besteht darin, das Deutschtum unter dieser östlichen und fremdartigen Bevölkerungswelt aufrecht zu halten und ihm stets und immer den gebührenden Rang in dem seltsamen Völkergemisch zuzuweisen. Wie ein Keil schiebt sich das Deutschtum an der Donau zwischen den

7. Die nichtdeutschen Staaten Europas - S. 68

1901 - Glogau : Flemming
— 68 — Nordslaven und Südslaven vor und hat sich hier eine wenn auch gefährdete, so doch ungemein dankenswerte Stellung geschaffen. Schon unter den Babenbergern war im Mittelalter Osterreich ein teurer deutscher Besitz. Hier fand die edle Sangeskunst die aufmerksamste Pslege, und Walther von der Vogelweide hat oft und gern bei den babenbergischen Herzögen geweilt. In den früheren Jahrhunderten hat man den Deutschen auch von je ihre bevorrechtete Stellung be- lassen, neuerdings erhebt sich, da sich die Völker der anderen Zungen von ihren alten Lehrmeistern emancipiert haben, ein gewaltiger Kamps gegen das Vorrecht der Deutschen. Numerisch können ja unsere Stammesbrüder auch nicht mehr ihre Überordnung ausrecht erhalten; denn unter den über 40 Millionen österreichischer Staatsangehörigen giebt es nur etwa zum vierten Teile Deutsche. Ein Glück ist es, daß ihre sprachlichen Gegner, die alle zusammen die bedeutende Majorität haben, unter sich nicht einig sind und daß so das alte lateinische Wort divide et impera einigermaßen zur Geltung kommt. Den Deutschen stehen gegenüber Magyaren, jener eigentümliche Volks- stamm, der als einziger unter den nichtindogermanischen in Europa1 sich eine beachtenswerte Stelle in der oceidentalischen Kulturwelt er- obert hat, Tschechen in Böhmen, Polen und Ruthenen in Galizien, Slowenen in Kram, Kroaten und Serben südlich davon, Slovaken im nördlichen und Rumänen im südöstlichen Ungarn, endlich Italiener in Jstrien und Südtirol. Wenn der alte Jahn Österreich einen „Bölkermang" nennt, wo für die Gesundheit des Kaisers in 7 Sprachen gebetet wird, so dürste dies Rechenexempel heute noch nicht einmal genügen. Recht bunt erscheint diese Mischung der Nationalitäten in der ungarischen Neichshälste, und man hat zur Charakterisierung der Bevölkerungselemente das boshafte Beispiel erfunden, wonach der Deutsche, als er mit seinen Kameraden einen Raum verläßt, äußert, da stand ein silbernes Kruzifix. Der Magyar antwortet darauf: das hätten wir können stehlen. Der Slovake sagt mit schmunzelndem Gesicht: hob's schon, und der Rumäne raunt ihm zu: host's gehobt; denn in demselben Moment hat er dem Kameraden das gestohlene Gut schon wieder wegstibitzt. — Die transleithanische Hälfte der Monarchie hat unter diesem Gegensatz der Nationalitäten weniger zu leiden als die diesseitige, und hier ist namentlich in Böhmen der Kampf recht erbittert. Es sind wohl 3/<t der Bewohner Tschechen, und selbst in Prag zählt man nur 1/1 Deutsche. Jener tschechische Kutscher brummte, die Deutschen gucken uns rund herum ins Böhmer- land hinein, und wirklich ist es so. Die Randgebiete sind im Besitze der fleißigen Deutschen, die die Landwirtschaft und den Hopfenbau am intensivsten betreiben, so daß Leitmeritz als böhmisches Paradies 1 Er ist aus türkisch-filmischen Volkselementeu zusammengesetzt.

8. Die nichtdeutschen Staaten Europas - S. 69

1901 - Glogau : Flemming
— 69 — gilt; ebenso sind die Jndustriebezirke vorzugsweise von den Deutschen bewohnt. Das erweckt den Neid der Tschechen, und in unseren Tagen wogt da ein heißer Streit. — Wenn man alle diese verschiedenen Nationalitäten ins Auge faßt, so fragt man wohl erstaunt, was hält denn diese. Völkergruppen eigentlich noch zusammen? Die Antwort ist: Die gemeinsame Dynastie und — die deutsche Heeressprache. Das ist der letzte, aber ein recht fester Kitt, und wenn die Tschechen beim Namensaufruf mit ihrem Zde! statt: Hier! antworten, so kommen sie übel an. — Die österreichischen Slaven sind uns ziemlich fremd; aber wir müssen beachten, daß Ortsnamen in Kram identisch sind mit pommerschen, wie z. B. Triglaw; es erinnert ja auch die Bezeichnung für den Peloponnes Morea an Pommern (= po more am Meere; Morea heißt Meerland). Endlich mögen wir in Norddeutschland noch bedenken, daß die herumziehenden Drahtbinder und Mausefallenhändler ungarische Slovaken sind, die sich in ihrer walachifchen Schafhirten- tracht recht malerisch ausnehmen. An ihnen können wir den süd- slavischen Typus studieren. Was die örtliche Lage des österreichisch-ungarischen Staates be- trifft, so ist zunächst eines zu bemerken. Ein jedes Volk sucht mög- lichst zum Meere zu dringen, denn von ihm strömen Waren und Reichtümer in das Land. Für Österreich ist als Axe alles Aus- tausches und Handelsverkehrs die Donaustraße gegeben, und gerade da, wo diese Straße sich am meisten dem Meere nähert, sind alle Vorbedingungen für die Entwickelung eines großen Gemeinwesens erfüllt. Ein Blick auf die Karte genügt, um zu erkennen, daß alle diese besonderen und günstigen Umstände bei Wien zutreffen. Und wenn man fagen will, der Handelsverkehr in Österreich hat mehr eine nordsüdliche als eine ostwestliche Richtung, so erscheint um so mehr Wien als selten bevorzugt. In der That, die Kaiserstadt ist „der Spinne im Kreuz" zu vergleichen; wir haben an dieser Stelle den „Tummelplatz des Orients und Occidents", und von Ost und West, von Nord und Süd laufen alle Verkehrs- und Handelsstraßen auf dieses Centrum. Der Meereshafen von Wien tft, Triest, die citta fidissima, das südliche Hamburg. Und dieselben Überlegungen erklären uns auch das Emporkommen der Konkurrentin von Triest, des zur ungarischen Reichshälfte gehörigen Fiume (ad flumen). Wenn die polnisch-ungarischen Völker den Weg zum Meere suchten, so traf etwa von Lemberg aus ihre Straße den Golf von Quarnero, eben da, wo Fiume liegt und wo auch heute der große Schienen- sträng der Bahn, die von Lemberg zum Meere sührt, mündet. Und an dem Schnittpunkte dieser uralten Handelsstraße mit der Donau liegt — Budapest, die Hauptstadt der ungarischen Monarchie. Durch unsere bisherigen Ausführungen erhellt die hohe Bedeutung der iftri- schen Halbinsel für die österreichisch-ungarische Monarchie. Wie eine

9. Die nichtdeutschen Staaten Europas - S. 70

1901 - Glogau : Flemming
— 70 — „Weintraube" hängt sie in das Meer hinaus, und dies Bild paßt vorzüglich, mag man dabei an die südliche Vegetation denken oder an den üppigen Reichtum, der sich an den Besitz des Landes knüpft. An der Spitze der Halbinsel liegt Pola, das schon zur Römerzeit wichtig war und das man jetzt als Kriegshafen der österreichischen Marine das österreichische Portsmouth nennt. Ebenso hat Luffin Piccolo im Quarnerifchen Busen eine große Anzahl von Fracht- schiffen. Der eigentliche Wohlthäter Triests ist Karl Vi., und seit 1833 begann der österreichische Lloyd seine Dampser zu bauen, um den Verkehr mit dem Orient zu unterhalten. Aber es ist thöricht, wenn jetzt französische Hetzblätter Italien einreden wollen, in betreff des Mittelmeeres und des Handels auf ihm drohe ihm nicht von fetten Frankreichs die Gefahr, sondern Osterreich habe es zu sürchten. Denn Triest und die dalmatinischen Häfen liegen doch nur an einem Busenmeer des ohnedies schon als Binnenmeer zu betrachtenden Mittelmeers. Die Handelsrichtung dieser österreichischen Häsen geht nach dem östlichen Mittelmeer, „nach der Levante. In Bezug aus den oceanischen Handel kommt Osterreich wenig in Betracht, es be- sitzt auch keine Kolonieen. Die wachsende Bedeutung Triests könnte also höchstens Venedig unbequem werden, das früher so verächtlich von dem Schilfrohrnest (slav. Terst = Schils) zu sprechen pflegte. Die große Ausdehnung der österreichisch-ungarischen Monarchie ^Cattaro 42^°, Reichenberg beinahe 51° n. Br.; Bregenz beinahe 10°, Ostgrenze 261// ö. L.) bedingt es, daß sich in Natur und Klima bedeutsame Gegensätze ergeben werden. „In den Umgebungen von Triest sieht man nichts als Weinberge, Ölbäume und Gärten voll Feigen, Oleandern, Granaten, Pfirsichen und sogar einige Cypressen. Dagegen haben wir im österreichischen Schlesien ein rauhes Gebirgsklima; in Galizien brechen sich die kalten Nordwinde an den Karpaten und fallen auf das Land zurück, und die Weichsel hat 14—20 Tage den Eisgang fpäter als die Oder, und gar 3—4 Wochen beträgt der Zeitunterschied gegen die Schmelzperiode der Donau. Natür- lich sind bei den vertikalen Erhebungen die klimatischen Gegensätze von ähnlicher Schroffheit. Riva am Gardasee genießt alle Vorzüge der oberitalischen Seeuser, die Edelkastanie, des südlichen Alpenlandes schönster Laubbaum, entfaltet ihre mächtige Krone, und bei den österreichischen Eisriesen der Tauernkette wagt es kaum noch der be- haarte Gletscherhahnensuß, gegen die unwirtlichen Gipfel vorzudringend Görz nennt man das österreichische Nizza, Töplitz- ist das böhmische Paradies, und im Karst haben wir eine völlige Wüste, ohne Baum und Strauch, ja sast ohne krautartige Pflanzen, wo nur nackte ' Er dringt nvch bis 3600 in nach oben vor. * Ebenso Reichenberg. S. oben.

10. Die nichtdeutschen Staaten Europas - S. 71

1901 - Glogau : Flemming
— 71 — Steinhaufen das Land bedecken und die eisige Bora über den Boden fegt. Außer diesen physikalischen Gegensätzen werden wir in merkan- Wischer und wirtschaftlicher Beziehung genug Unterscheidungen inner- halb der völkerreichen Monarchie vorfinden, und wir wollen zu diesem Zwecke die vornehmsten Landschaften nacheinander einer Besprechung unterziehen. Man zählt im Osterreichischen Alpen-, Sudeten-, Karpaten- und Karstlandschaften auf. Wir wollen zunächst mit den Sudetenland- schasten beginnen. Voran steht Böhmen, das nördlichste Kronland — aber darum nicht das schlechteste. Es ist ein von Sw nach No ab- gedachtes Terrassenland von archäischer Bodenformation mit jüngerem Eruptivgestein und hat daher Kohlen, was für Österreich sehr wesent- lich ist. Denn das salz- und eisenerzreiche Gebiet der Ostalpen steht nun in blühendstem Austausch mit dem kohlenreichen, aber salzarmen Böhmen. Aber auch sonst ist Böhmen ein Industrieland ersten Ranges und hat in seinem Nordostrande eine Volksdichtigkeit von über 150 Menschen auf 1 □km. Reichenberg blüht durch Baum- Wollenwebereien, nach den Gebirgen zu liegen die Glashütten, und neuerdings wird der schöne böhmische Hopfen verwertet zur Vier- brauerei. Pilsen genießt darum Weltruf. Dagegen ist der Ruhm des böhmischen Weines zurückgegangen. Im 16. Jahrhundert gehörte er zu den gesuchtesten, und der Wachtmeister in dem Schillerschen Wallen- stein schlürft mit Behagen sein Gläschen Melniker. Die böhmischen Edelsteine sind gleichermaßen bekannt, namentlich die Granaten. Zudem i)t das Land äußerst fruchtbar an Getreide, und wenn wir südwärts nach Mähren vordringen, so gelangen wir an das „mährische Kanaan", die reiche Getreideebene der Hannaken. Der natürliche Mittelpunkt des Landes ist Prag, das böhmische Nürnberg, eine herrlich gelegene, turmreiche Stadt mit lebhaftester Industrie. Aber das macht sie nicht allein jedem Deutschen wert, vielmehr haben in Böhmens Blüteperiode die Luxemburgischen Regenten hier die erste deutsche Universität gestiftet, die kurz vor dem Auszuge der deutschen Stu- deuten 30000 Universitätsgenossen gezählt haben soll. Der Luxem- burger Karl Iv. ist überhaupt in jeder Beziehung Böhmens Wohl- thäter gewesen, was ihm auch die Bezeichnung eintrug: Böhmens Vater, des heiligen römischen Reiches Erzstiesvater. Die Karlsbrücke in Prag und sein Standbild an derselben verewigen den Namen dieses thätigen und erfolgreichen Regenten. — Gewiß haben die Tschechen in Böhmen allen Grund, den Deutschen dankbar zu sein; das Land hat überdies immer in der engsten Beziehung zu Deutsch- laud gestanden, Böhmens Herrscher war einer der 7 Kursürsten des Reiches und versah auch bei der Krönung sein Erzamt: „es schenkte der Böhme des perlenden Weins". Und dennoch hat, wie ich schon oben erwähnte, der tschechische Übermut in den letzten Jahrzehnten
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