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Britannien, über die Wogen), Räch England laufen alle Radien des
Seeverkehrs zusammen, und das leuchtet nicht nur den Europäern
ein, sondern auch den Amerikanern. Hat man doch triumphierend
auf die verblüffende Thatsache hingewiesen, daß der schnellste Weg,
um von New-^)ork aus Post, Passagiere und Güter nach Brasilien
zu bringen, über den britischen Hafen — Liverpool führt. Und
andererseits hat England von dem Mutterlande aus ein Kolonial-
reich erworben, das den sünsten Teil der nicht vom Wasser bedeckten
Landmasse unserer Erdoberfläche einnimmt. Wenn man weiter be-
denkt, daß der vierte Mensch auf Erden ein englischer Unterthan ist,
wird man das stolze Wort des Staatsmannes Fox begreisen können:
England ist nur unser Absteigequartier, aber die Welt, die Welt —
das ist das eigentliche England! 1
Wir treten in die dritte Periode der englischen Geschichte, in die
Zeit des kolossalen industriellen Ausschwungs, die England „zur
größten Werkstätte der Welt" gemacht hat. Die vorhandenen physi-
kalischen Anlagen des Landes haben, wie Ritter sagt, diese staunens-
werte Metamorphose herbeigeführt. Die unerschöpflichen Mineral-
schätze des Bodens fanden dann erst ihre wahre Verwertung, als die
schwarzen Diamanten, an denen England gleichermaßen reich ist, in
ihrer Verwendbarkeit für den Maschinenbetrieb richtig erkannt waren.
So hat sich Englands neueste Zeit eigentlich aufgebaut auf den drei
Faktoren Eisen, Steinkohle und Dampfmaschine. Die Jndustrie-
bezirke Englands drängen sich sozusagen um die Irische See herum
und haben, abgesehen von den großen Kohlenlagern von Rewcastle
und Südwales hauptsächlich ihre Stätte in dem westlichen Mittel-
england und den Lowlands von Schottland, wozu noch in Irland,
allerdings ohne die gleichzeitige Ausbeutung der unterirdischen Kohlen-
schätze, die berühmte Leinenindustrie der Provinz Ulster kommt.
Die Kohlenflöze haben in England einen fast unerschöpflichen Reich-
tum. Es arbeitet in den Bergwerken eine halbe Million Arbeiter;
bis unter das Meer werden in den Küstenstrichen die Atollen ge-
trieben, so daß man zu Häupten die Brandung der See rauschen
boren kann, und man rechnet aus den Kops der Bevölkerung einen
Verbrauch von 4000 kg Kohlen. Da das Klima äußerst milde ist,
— die englische Sprache kennt kein Wort für Schlitten — alfo zum
Heizen nicht viel Kohlen im Lande verwendet werden, so kann man
sich denken, einen wie enormen Verbrauch die industriellen Zwecke
für sich in Anspruch nehmen. Und hier hat sich der kaufmännische
Geift des Volkes und seine praktische Anstelligkeit in glänzendster
Enthaltung gezeigt. Ter oben erwähnte Ritter sagt staunend, daj;
* Daher hat auch der Seeheld Nelson die meisten Denkmäler in England.
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Extrahierte Personennamen: Ritter Nelson
Extrahierte Ortsnamen: Britannien England Brasilien Liverpool England England England England England Englands Englands Schottland Irland England England
— 12 —
man hat den kolossalen Palast, nachdem er seiner ursprünglichen Be-
stimmung gedient hatte, in weit vergrößertem Maßstabe wieder in
Sydenham aufgebaut, um die Kühnheit des imposanten Baues zu ver-
ewigen. Dort bleibt er nun dem staunenden Blick der Bewunderer-
modernster Architektur erhalten und ausbewahrt. Die hohen Türme
der Notredamekirche in Paris könnten sich recht gut unter dem Mittel-
teil des Palastes bergen, und als das Handeltest in London gefeiert
wurde, haben in dem Gebäude 30000 Zuhörer Platz gesunden.
England hat in dem eben abgelaufenen Biktorianischen Zeitalter
des 19. Jahrhunderts den Höhepunkt seiner glänzenden Entwickelung
gehabt, und es ist eingetroffen, was Thomson in der ersten Hülste
des 18. Jahrhunderts in dem Liede sang, das seitdem das berühmte
englische Nationallied Rule Britannia geworden ist:
thy cities shall with commerce shine
All thine shall be the subject inain
And eyery shore it circles, thine.1
Das Charakteristische ist, daß die Engländer zum größten Teil
ein städtisches Leben sichren. Großbritannien, das eine kolossale
Volksdichte besitzt, hat von seinen ca. 40 Millionen Einwohnern ein
Drittel in den 24 Großstädten wohnen, und ebenfalls nur ein Drittel
in den Landorten. Jeder siebente Engländer endlich ist Londoner,
und damit kommen wir auf dieses Unikum im Weltenrund zu sprechen,
von dem der Franzose sehr richtig gesagt hat: Londres n'est plus
une yille, c'est une province couverte de maisons. lind diese
ganz singuläre Bedeutung verdankt London seiner einzigartigen Lage;
es ist die ,,Schifssstadt" (von dem eeltischen lhong Schiff), und schon
Tacitus muß es nennen eopia ns^otiatoi-uni et comineatiium celebre,
berühmt durch die Menge der Kausleute und den Handelsverkehr.
Die ganze Fläche der Stadt umsaßt über 5 ^M., also etwa so viel
wie das ganze Fürstentum Reuß ä. L., und daraus stehen die Häuser
— so viel wie in der ganzen Lombardei —, von der mansion des
Adligen bis zur cottage des Arbeiters. So ist es in Wahrheit das
caput et compendium totius regni, wie es die alten Geographen
nannten, und zwar spiegelt es in seinen einzelnen Stadtteilen die
Zustände und Lebensäußerungen des gesamten Königreichs wieder.
In Westminster und Westend ist es der Sitz des Hoses und des
Parlaments, in der City vereinigt es den Großhandel, in South-
wark ist es Fabrikstadt und in Eastend der erste Seehasen des Landes,
der mehr Kaussahrteischisfe besitzt als ganz Frankreich. Natürlich
sehten auch nicht die Schattenseiten einer so riesigen Menschen-
* „Der Städte Pracht vor Handel glänzt,
Ja dir nur lauscht das Meer — dir nur,
Und jeder Strand, der es umkränzt!" in der Nagelschen Ubersetzung.
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Extrahierte Ortsnamen: Sydenham Paris London England Westminster Westend Eastend Frankreich
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anhäufung. Man hat behauptet, daß es vielleicht niemanden gäbe,
der alle Straßen und Viertel von London gesehen hatte, und der
Kohlendampf, für den in der schweren, nebligen Luft gar kein rechter
Abzug vorhanden ist, hat namentlich im Herzen der Stadt alles wie
mit schwarzem Lack überzogen, so daß Kuppel und Schiff der präch-
tigen Paulskirche trotz aller Reinigung und Wäsche einen recht ver-
räucherten Eindruck machen. Und dazu überkommt den Fremden das
Gefühl der trostlosen Vereinsamung. „Die Ausdehnung, die Un-
erschöpflichkeit Londons, die Unmöglichkeit, das Ende zu erreichen,
und wenn man auch meilenlang sortgeht, bringt es mit sich, daß
der Fremde sich in dieser Stadt so unheimlich einsam suhlt." Die
Orientierung ist ja natürlich auch nicht leicht; giebt es doch 37 Königs-
straßen, 10 Wellingtonplätze und 30000 Londoner, die den Namen
Smith führen. Nirgends findet sich daher auch ein solches Massen-
elend wie gerade in London, und schon vor 50 Jahren zählte man
über 30000 Menschen, die keine bestimmte Beschäftigung oder nach-
weisbare Existenzmittel hatten. Während also in der Regentsstreet
die prachtvollen Läden alle Reichtümer der Erde aushäusen, während
über die Londonbridge täglich eine Menschenmasse flutet, die man
aus 120000 berechnet, neben 20000 Fuhrwerken, sterben zahlreiche
Menschen den Hungertod, und namentlich um die Weihnachtszeit werden
überall in Lmnpen oder Zeitungspapier gewickelte Pakete aufgelesen,
die ausgesetzte Kinder enthalten; durchschnittlich im Jahre 3000.
Diese letzte Betrachtung leitet dazu über, daß sich auch in dem
Gesamtbilde, das wir hier zum Schlüsse von dein heutigen glänzenden
Kulturzustande Englands entwersen müssen, neben den unleugbaren
Lichtseiten tiese Schattenseiten finden werden.
Was zunächst den Zustand der Landwirtschaft betrifft, so ist ja
der Eindruck der landschaftlichen Bilder in den ebenen Partieen ein
überaus wohlthuender und anmutiger, und das Nationallied rühmt
in einem seiner Verse, to thee (o Britannien) belongs the rural
reign. Die östliche Ebene Englands ist „ein reiches Getreide- und
Wiesenland, unübertroffen an Fruchtbarkeit des Bodens und an
Sorgfalt und Mannigfaltigkeit des Anbaus". Die Abgrenzungen
der Felder aus lebendigen Hecken (fences) geben der landschaftlichen
^cenerie etwas ungemein Freundliches, und die überall befindlichen
Baumgruppen, die den Wald anderer Länder ersetzen müssen, ver-
schaffen Englands Bodenverhältnissen den Charakter des Parkartigen.
Hierzu kommt die mit Recht bewunderte Viehzucht. Berühmt sind
die Wagenpferde aus Aorkshire, die Schinken aus Westmoreland, die
irischen Rinder und die schottischen Schafe. Aber es fehlt auch nicht
an manchen Zügen, um uns dies Bild nicht allzu rosig erscheinen
zu lassen. Das Zauberhafte des ganzen Eindrucks wird doch recht
beeinträchtigt durch die Eigenart des Klimas. Der Golfstrom, der
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Extrahierte Personennamen: Smith
Extrahierte Ortsnamen: London Londons London Lmnpen Englands Britannien Englands Englands Westmoreland
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werk den Schornstein einer chemischen Fabrik mit 160 m, und im
Schiffsbau und in den Armstrongkanonen galt Britannien lange Zeit
als führende Meisterin der vervollkommneten Technik. ^ Aber mehr
und mehr sängt dieser Ruhm an zu erblassen. Noch in den Zeiten,
die der Aushebung der napoleonischen Kontinentalsperre folgten,
überschwemmten die englischen Fabrikwaren bis zur Unerträglichst
den deutschen Markt, und in Birmingham, dem „^.andladen der
Welt", war alle mögliche Fabrikation vertreten, vom Luxusgegenstand
bis zum Regenschirm und zur Stecknadel. Doch heute haben die
ausländischen Jndustrieen sich gewaltig emancipiert. Von der ameri-
kanischen zu geschweigen, ist vor allem die deutsche Fabrikation der
englischen dicht aus den Fersen, und das made in Germany ist zum
ehrenvollen Zeugnis geworden sür deutschen Gewerbsleiß und deutsche
Energie in Bezug aus Handel und Vertrieb.
Wir müssen aber noch eine andere Schattenseite des englischen
Jndustrielebeus berühren. Man hat dem englischen Volkstum vor-
geworfen, in der Zeit seiner neuesten ruhmwürdigen Entwickelung
zu sehr den Krämergeist und engherzigen Egoismus spüren zu lassen;
Egoismus an und sür sich könnte ja nicht so ohne weiteres dem
Volke zum Vorwurf gemacht werden, gehört vielmehr zu den berech-
tigten nationalen Eigentümlichkeiten. Jeder Engländer ist, wie man
das glücklich gesagt hat, „eine Insel sür sich". Seine Vorliebe für
sein eigenes Besitztum ist bekannt; das my liouse is my Castle
kennzeichnet dieses stolze Glück und diese Freude an seinem Eigen-
tum, die Behaglichkeit, sich auszuruhen an seiner fire side. Und
alles in der Häuslichkeit soll gediegen sein, namentlich nach dem
Grundsatz: Der Mensch ist, was er ißt, die Leibesnahrung, in der
die krästigen Beefsteaks und mutton chops (Hammelrippchen) eine
Hauptrolle spielen. Diese Lebensweise und Ernährung hatte schon
dem alten Justus Moser imponiert, und er vergleicht, als er von
der kolossalen Sprunggelenkigkeit der Eimbern berichtet, mit dieser
Virtuosität der Vorfahren das fleifchgenährte und sportssrohe Eng-
ländertum in seiner Zeit, wobei er mit etwas geringschätzigem Seiten-
blick aus die Ernährung seiner Landsleute hinzufügt: Rübenfresser
schickten sich dazu nicht lnämlich zu so staunenswerten Sprung-
leistungen). Wenn also der Engländer weltbekannt ist in der Pslege
und Ausgestaltung einer behaglichen Häuslichkeit, so hat sich in diese
Richtung aus das persönliche Wohlbesinden allmählich ein kalter
Geschäftsgeist eingeschlichen, der sich allzuwenig um das Wohl seiner
Mitmenschen kümmert. Allerdings sind ja noch immer das gewaltige
Greenwichspital sür die alten Seeleute und die Westminsterabtei mit
1 „Das ganze Land erscheint wie ein großer, dicht mit Geleisen belegter
Bahnhof".
Hanncke, Erdkundl. Aufsätze. Ii. 2
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stand der Zerstörungswut der barbarischen Landeskinder, und die
Bendomesäule, die man wirklich umgestürzt hatte, gelang es später
wieder aufzurichten und in ihren ehernen Tafeln zusammenzufügen.
Ähnlich wie in Napoleon Vendee konnte man übrigens auch hier
recht den Wankelmut der Menge und die wechselnden historischen
Geschicke Frankreichs studieren. Ursprünglich schmückte das der
Trajanssäule nachgeahmte Monument mit seinen an die Thaten
von 1805 erinnernden Bronzeplatten die Statue Napoleons I., dann
wurde diese in den realistischen Zeiten durch eine riesige Lilie er-
setzt, und gegenwärtig sieht wieder ein Napoleonsbild* herab auf das
Straßengetümmel. Der zweite Zertrümmerer des alten Paris, aber
diesmal in wohlmeinender Abficht und in der Aufgabe eines Wohl-
thäters der Stadt, war der Kaiser Napoleon Iii. Die alte Stadt
war nicht schön, und es galt, mit eiserner Faust und eisernem Besen
in dem Gewirr der Straßen und Gäßchen Wandel zu schaffen und
eine Stadt der Paläste hinzuzaubern. Diese Absicht ist setzt erreicht;
Paris ist eine der schönsten Städte geworden. Und der größte Schmuck
der Stadt sind die Boulevards, die sich entlang der alten Umfaffungs-
mauer hinziehen, schöne breite Straßen mit Alleen in der Mitte und
eingefaßt von Palästen. Sie umsäumen von der Kirche Maddeine
her im Norden die Stadt, 11 Straßen hintereinander, wie in einer
Kette sich aneinander schließend. Und wiederum in dem Glanz und
der Pracht dieser Straßen schießt den Vogel ab an luxuriösester Aus-
stattung und an Großartigkeit des Verkehrs der boulevard des Ita-
liens, „das eigentliche Rendezvous der Pariser feinen Welt". — In
Paris ist es ein eigen Ding; mitten aus der zauberhaftesten Um-
gebung, aus Ortlichkeiten, die geschmückt sind mit allen Reizen der
Natur und erfüllt mit dem lebendigsten, frisch pulsierenden Leben,
steigen wie Gespenster die schreckhaften historischen Erinnerungen auf
und rufen uns Scenen ins Gedächtnis, die zu den abscheulichsten
in der Geschichte gehören. Am ästende der Stadt, wo setzt die Juli-
säule ragt, lag früher der düstere Vau der Bastille, und man wird
hier an den 14. Juli 1789 erinnert, wo die Volksmassen diese
Zwingburg des Despotismus erstürmten; von der Kirche S. Germain
Auxerrois ertönte das Signal in der Bartholomäusnacht 1572; das
scheußlichste Mordfest begann, und man berechnete schließlich, daß
2000 Hugenotten in Paris und etwa 20000 weiter in ganz Frank-
reich von den fanatifierten Katholiken ermordet feien. Am äugen-
fälligsten tritt der Kontrast einer reizvollen Gegenwart und einer
schaurig-düstern Vergangenheit uns entgegen in der Place de la
Concorde. Man nennt ihn den schönsten Platz der Welt. Mitten
zwischen dem Tuileriengarten, den champs Elysees, von wo es
hinausgeht in das berühmte bois de Boulogne, der Seine und den
beginnenden boulevards gelegen, geschmückt mit dem Obelisken von
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Extrahierte Personennamen: Napoleon Napoleons_I. Napoleon Germain
Auxerrois
Extrahierte Ortsnamen: Frankreichs Paris Paris Paris Paris Frank- Boulogne
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veranschlagen sind wie Festungen, so hat sich bei dem Kriege von
1870 diese Thatsache für den Aufmarsch der französischen Truppen
an der Landesgrenze als ein entschiedenes Behinderungsmittel heraus-
gestellt. Die deutschen Truppen konnten in dem maschenartigen Netz
Deutschlands rasch befördert werden; bei den Franzosen gab es immer
den Umweg über die Hauptstadt, und die parallelen Ausstrahlungen
nach der Grenze hin fehlten.
,Jm Bewußtsein des französischen Volkes hat sich erst allmählich
die Uberzeugung Bahn gebrochen, daß Paris Herz und Mittelpunkt
des Landes sei. Beranger in seinen chansons bringt nur seine
glühende Vaterlandsliebe zum Ausdruck; Frankreich ist für ihn
France adoree, douce contree, ober er nennt es reine du monde,
o France, o nia patrie. U«d in seiner schönen nostalgie, wo die
Freunde ihn in Paris die ländliche Heimat vergessen machen wollen,
ruft er zum Schlüsse aus:
adieu Paris, doux et brillant rivage,
oü l'etranger reste comme encliaine!
Ah je revois, je revois mon village,
Et la montagne, oü je suis ne.
Erst seit Viktor Hugo hat die wahnsinnige Vergötterung dieser
einen „capitata dn monde civilise" begonnen, und einen Vorschmack
von der dithyrambischen Begeisterung, mit der die neue Lehre verkündet
wird, mögen die verstiegenen Phrasen des Dichters geben, worin er Paris
„den Mittelpunkt" nennt, „in dem sich das Nervenleben der Welt kon-
zentriert; wenn es schaudert, schaudern wir alle— und die pracht-
volle Feuersbrunst des Fortschritts wird von ihm angefacht!"
Was den Charakter der heutigen Franzosen betrifft, so hat man
manche Züge, die von den alten Galliern berichtet werden, an den
Enkeln und Abkömmlingen wiedererkennen wollen. Man hat das
Urteil über die Celtenschlachten prima proelia plus quam virorum
postrema minus quam feminarum esse zum Teil auch aus heutige
Eindrücke übertragen, da in dem oft erwähnten elan das Stürmische
des ersten Angriffs noch innner zum Ausdruck kommt. Mit voller Be-
rechtigung hat man sodann das in der antiken Zeit beobachtete argute
loqui der Gallier auch deu heutigen Franzosen als unverbrüchliches
Erbstück zuerkannt. Die bonmots und geistvollen Antithesen sind ein
unleugbarer Schmuck der französischen Sprachweise und ihrer klassi-
schen Dramen. Endlich hat man daraus hingewiesen, daß im Gegen-
satz zu dem rastlos rührigen Engländer der Franzose Freund einer
behaglicheren Lebensweise ist und sehr charakteristisch den einen Wunsch
an sich spüren läßt, als Rentier leben und sein Leben beschließen zu
können. Damit hängt wohl auch die auffallende Langsamkeit in der
Volksvermehrung zusammen, so daß Frankreich, das doch säst den-
selben Flächenraum besitzt wie das Deutsche Reich, nur etwa vier
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Extrahierte Personennamen: Viktor_Hugo Viktor
Extrahierte Ortsnamen: Deutschlands Paris Frankreich Paris Paris Paris Frankreich Deutsche_Reich
Die Mittelmeerländrr.
3jla§ Bcittelmeer war für die Alten die Thalatta, der Inbegriff
des Meeres und aller maritimen Interessen. Der Okeanos
verschwamm für sie im Dämmerlichte, und so blieb es wesentlich bis
1492, wo das dritte Zeitalter der Menschheit, nämlich nach dem
potamischen und thalassischen das oceanische begann. So erscheint
diese große Wasserellipse (2 Millionen □km) mit ihren beiden
Brennpunkten Athen und Rom seit der Zeit des Altertums hoch-
bedeutsam. Heutzutage hat sich dieser Ruhm etwas verflüchtigt; wir
können das Mittelmeer eigentlich nur als Durchgangsmeer betrachten,
seitdem der Kanal von Suez den Zugang zu dem Indischen und
Stillen Ocean mit ihren weitaus wichtigeren Handels- und Lebens-
interessen eröffnet hat. Das Mittelmeer zerfällt in eine Menge
einzelner Becken und Buchten mit sehr verschiedener Tiefe. Das
Adriameer ist wie unsere Ostsee stach, das Asowsche Meer (palus
Maeotis der Alten) sogar so seicht, daß tiefer gehende Seeschiffe es
gar nicht befahren können, und daß es in jedem Winter zufriert,
und auch sonst finden sich an den Meerengen unterseeische Land-
rücken, so daß z. B. über der von den Engländern Adventures ge-
nannten Bank zwischen Sicilien und Afrika <ca. 120 km breit) das
Meer nur etwa 60 m Tiefe hat und sich deshalb auch durch allerlei
Tücken auszeichnet. „Die Araber tauften das Kap Bon das ver-
räterische Kap, und die Griechen wagten es lange Zeit nicht, aus dem
östlichen in das westliche Becken des Mittelmeeres überzugehen." Sonst
hat das Mittelmeer aber auch sehr bedeutende Tiefen, so die fast
oceanischen Abgründe im Süden von Kreta <4000 m) und die ^eile
des Meeres südwestlich von Genua. Weil die Alten daran gewöhnt
waren, das Mittelmeer als ein abgeschlossen für sich bestehendes Ganze
zu betrachten, so entstand auch die Sage, daß der Timavus (jetzt
Timavo) in dem kalkigen Plateau in der Nähe von Trieft die n7]yr]
fraxätt)]g sei, der Quell des Meerwassers.
Das Mittelländische Meer ist allerdings darin eigentümlich, daß
bei seiner Lage in warmein, fast heißem Klima die Verdampfung
größer ist als der Zufluß von süßein Wasser. Daraus erklärt sich
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Extrahierte Ortsnamen: Athen Rom Suez Sicilien Afrika_
Fahrt durch den Apennin ist ermüdend; kahle Kalkselsenrücken um-
geben uns, und viele Tunnel müssen wir passieren. Aber das Herz
des Reisenden läßt keinen Unmut aufkommen, winkt ihm doch als
nächstes Reiseziel — Florenz.
Herz, ahnst du schon das himmlische Firenze,
Wie es sich hebt am gelben Arnostrome
mit seinen Tünnen, seinem Marmordome?
Die „Stadt der Renaissance" mit ihrer zweihundertjährigen Blüte-
zeit leuchtet ewig in dem Gedächtnis der Menschen, und wir haben
alle Veranlassung, uns eingehender mit Firenze zu beschäftigen. Wohl
der interessanteste Punkt in Florenz ist der Ponte Vecchio, eine Brücke,
die, über den Arno gespannt, mit den Läden der Goldschmiede bedeckt
ist. Sie verbindet zwei berühinte Paläste, die Ussizien und den Palast
Pitti. Beides sind jetzt weltberühmte Gebäude mit den herrlichsten
Sammlungen, der Pittipalast dient zugleich als Wohnplatz der könig-
lichen Familie, wenn sie zum Besuche erscheint.
Hier lernen wir recht würdigen, was wir oben über die besondere
Erschließung des italischen Volkes zum „Kunstsinn" vorausschickten.
Das „talentvollste Volk der Erde" erlebte in Florenz seine eigentliche
Blütezeit — die Renaissance.
Der ganze Renaissancestil ist hervorgegangen aus dem wieder
erwachten Studium der Antike und begann im 15. Jahrhundert zu
erwachen. Hauptsächlich findet er seinen Ausdruck in der Architektur,
und zunächst weniger bei Kirchenbauten als bei Schlössern und Palästen.
Das mittelalterliche Wohnhaus zeigte den burgähnlichen Charakter,
und dem tragen auch die ersten Palastbauten der Renaissance noch
Rechnung in der sogenannten Rustika des untersten Stockwerkes. Dann
aber wird über ihr die Fassade belebt und gegliedert durch Gäulen-
stellungen, rundbogige Fenster und ein ausladendes Gesims. Der
Palast Strozzi ist der sprechendste Beweis der neuen geistvollen Stil-
art, auch der Palast Pitti gehört zur Frührenaissance. Die An-
Wendung dieser eigenartigen Auffassung in der Architektur für die
Kirchenbauten fügte noch den Kuppelbau hinzu; das bewnndertste
Monument bleibt in dieser Beziehung die Peterskirche in Rom, deren
gewaltige Kuppel (150 111 hoch) sich über den Gräbern der Apostel
Petrus und Paulus wölbt. Neben der Architektur zeigte sich der er-
wachende Kunstsinn in den herrlichsten Skulpturarbeiten, und gerade
darin haben die Florentiner eine unverwüstliche Begabung gezeigt.
Der Heros dieser Zeit ist der unsterbliche Michel Angelo mit seiner
wunderbaren Kenntnis des anatomischen Körperbaues, der, wie das
vielfach bei den Koryphäen der Renaissancezeit zu Tage tritt, die viel-
seitigsten künstlerischen Talente in sich vereinigte und zugleich Maler,
Bildhauer, Architekt und Dichter war. In den Nischen der Usfizien
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Extrahierte Personennamen: Arno Apostel Michel_Angelo
Extrahierte Ortsnamen: Florenz Florenz Florenz Strozzi Rom
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er dem alten Faust, der seine Leute ähnlich wie die Holländer in
den Seeprovinzen mit Deicharbeiten und Polderschöpsungen emsig
und segensreich schaffen läßt, die Worte in den Mund legt, er fühle
sich zufrieden und beseligt:
Im Vorgefühl von solchem Glück
Genieß' ich jetzt den höchsten Augenblick!
Die Holländer sind zu rechten Wasserbaukünstlern geworden.
Schon die mächtigen Seekanäle, die z. B. Amsterdam westwärts und
nordwärts mit dem offenen Meere verbinden, und die bewunderten
Schleusenbauten bei Katwyk, durch die der Rhein „aus seiner Ver-
sandung in die See hinausbugsiert wird", beweisen dies; staunens-
werter ist die Austrocknung des Haarlemer Meeres zu einem mächtigen
Polder und kulturfähigen Lande, und neuerdings will man sogar den
Zuydersee abdämmen, so daß etwa V3 der Wasserfläche für Ackerbau
und Wiesenwuchs gewonnen wird. Denn Wiesen und Weiden sind
dem Holländer immer erwünscht; beruht doch aus ihnen seine be-
rühmte Viehzucht, deren Haupterträgnis die prächtigen Käse sind.
Aber in erster Linie sind die Holländer doch eine seefahrende Nation,
und in den Tooneels hört er am liebsten die Späße des Matrosen
Jom und bewundert die Thaten des Seehelden Ruyter. Daher sind
auch am mächtigsten die beiden See- und Handelsstädte Amsterdam
und Rotterdam 1 emporgeblüht. Der Stadtbau von Amsterdam ist
eigentlich schon an und für sich eine Kulturthat ersten Ranges. Man
hat in den Sumps- und Moorboden mächtige Bäume hineingetrieben,
um dann aus diesem Pfahlwerk erst die Steinbauten zu errichten.
So steht das Rathaus aus einem Roste von 14000 mastbaumgroßen
Pfählen, und Erasmus scherzte, er kenne Leute, die wie Krähen aus
den Gipfeln der Bäume wohnen. Das Ungünstigste in diesen dam-
städten ist die Beschaffung des Trinkwassers, und nach Rotterdam
müssen eigene Schiffe das genießbare Wasser herbeischaffen.
Niederländisches Wesen und holländische Eigenart haben von je
auf uns Ostdeutsche einen bedeutungsvollen Einsluß gehabt. Schon
Albrecht der Bär berief Ansiedler aus Flandern und Holland und
nützte ihre fleißige Arbeit und ihre landwirtfchaftlichen Kenntnisse
zum Besten seiner Mark; die Namen kleiner Städte, wie Niemegk
und Brück, sollen an Nymwegen und Brügge erinnern. Dann kamen
die Zeiten des Rittertums, und wieder will man in Deutschland die
flandrische Einwirkung spüren. Denn über Flandern sollen zu uns
die neuen bitten der französischen Ritter gekommen sein, was man
aus den niederdeutschen Formen Wappen (und nicht Waffen), Tölpel
(und nicht Dörfer) beweisen will. In den Zeiten der Blüte der
1 Über Rotterdams Handelsbedeutung s, Teil I, S. 59.
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Extrahierte Personennamen: Albrecht Niemegk Rotterdams_Handelsbedeutung
Extrahierte Ortsnamen: Amsterdam Rhein Amsterdam Rotterdam Amsterdam Rotterdam Flandern Holland Deutschland
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Zeit haben auch die poetischen Künste in Schweden ihre Pflege ge-
fünften, und Esaias Tegner hat mit seiner Frithjossage ein in alle
Sprachen übersetztes Meisterwerk geliefert. — Die heutigen Schweden,
die man wegen der „von der Residenz und dem Adel beliebten sran-
zösischen Tünche auch die Franzosen des Nordens" nennen möchte,
deren Bezeichnung als „maritime Germanen" uns aber doch besser
gefallen will, haben in ihrer äußeren Erscheinung etwas entschieden
Germanisches: blaue Augen, blonde Haare und die Rosenwangen der
Jugend. In ihrem Charakter prägt sich Ernst und Schweigsamkeit
aus; auch soll der Reichtum an schönen Liedern, die wir aus den
Konzertsälen kennen, weniger ein Erzeugnis der allgemeinen Volks-
eigentümlichkeit sein als der Ausfluß der musikalischen Begabung der
Gebildeteren. Die Natur des Landes verurteilt die Schweden zu ab-
geschlossenerem Leben, und in der einsamen „stuga" ^Bauernhaus»
werden mit wunderbarer Zähigkeit die Gestalten der nordischen
Mythologie, der Trollen 1 und Elsen, des Strömkarls, Ägirs und des
Neck festgehalten und ihre Thaten in wunderbaren Erzählungen von
Geschlecht zu Geschlecht berichtet. Das Land ist lutherisch, das Ein-
kommen der Pfarrer aus dem Lande mager genug, und die Schilderung
eines solchen schwedischen Pfarrers, der gezwungen ist, Ackerbau und
Fischfang zu seinem eigenen Erwerb zu treiben, ist in dem Roman:
Tie Leute von Hemsoe ergötzlich zu lesen.
In der Bodenbeschaffenheit des Landes kann man drei Gürtel
oder Zonen unterscheiden. Die ungünstigsten Verhältnisse finden sich
in der nördlichen, dem Norrlande, in das weit hinein von Norden
her die Lappen übergesiedelt sind. Diese nördlichen Teile Schwedens
sind weit rauher als die unter gleichen Breiten liegenden Küsten-
streifen Norwegens. Der nördlichste Leuchtturm Schwedens steht in
Haparanda, das unweit des nördlichen Polarkreises liegt, wo man
am längsten Tage die Mitternachtssonne sehen kann. Übrigens giebt
es auch weit nach Süden hinein in Schweden den Juni und Juli
hindurch keine eigentliche Nacht. Haparanda baut Schiffe, die bis
nach Brasilien segeln. Von hier dehnt sich bis Umea 140 Stuuden
lang ein Wald aus. Der am weitesten nach Norden hinaufgehende
Baum ist die Birke; doch bestehen die Wälder Norrlands größtenteils
aus Nadelholz. „Gleichwie in dem Waldlande Rußlands erscheint
auch ganz Norrland", sagt L. von Buch, „von einem hohen Punkte
übersehen, als ein ungeheurer, grenzenloser Wald, den nichts unter-
bricht als hin und wieder der leere Raum, den kleine Seen ein-
nehmen, und kleine blaue Berge am Rande. Nur die Gegend der
Flüsse ist bewohnt und belebt, das übrige traurig und tot. Auch an
den rauschenden Flüssen, die nicht umsonst den Lachs heraussteigen
1 Trollhätta bedeutet Zauberhut.
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Extrahierte Personennamen: Esaias_Tegner Ernst Haparanda L._von_Buch