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1. Deutsche Prosa - S. 32

1900 - Gera : Hofmann
32 Theodor Mommsen. der Barbaren, Tag und Ort des Kampfes vorher mit dem Feinde ausgemacht, auch wohl vor dem Beginn der Schlacht ein einzelner Gegner zum Zweikampf herausgefordert. Die Einleitung zum Kampf machten Verhöhnungen des Feindes durch unschickliche Geberden und ein entsetzliches Gelärm, indem die Männer ihr Schlachtgelärm erhoben und die Frauen und Kinder durch Aufpauken auf die ledernen Wagen- deckel nachhalfen. Der Kimbrer focht tapfer — galt ihm doch der Tod auf dem Bett der Ehre als der einzige, der des freien Mannes würdig war —, allein nach dem Siege hielt er sich schadlos durch die wildeste Bestialität und verhieß auch wohl im voraus den Schlachtgöttern dar- zubringen, was der Sieg in die Gewalt der Sieger geben würde. Dann ward das Gerät zerschlagen, die Pferde getötet, die Gefangenen aufgeknüpft oder nur aufbehalten, um den Göttern geopfert zu werden. Es waren die Priesterinnen, greife Frauen in weißen linnenen Ge- wändern und unbefchuht, die wie Jphigenia im Skythenland diese Opfer vollzogen und aus dem rinnenden Blut des geopferten Kriegs- gefangenen oder Verbrechers die Zukunft wiesen. Wie viel von diesen Sitten allgemeiner Brauch der nordischen Barbaren, wie viel von den Kelten entlehnt, wie viel deutsches Eigen fei, wird sich nicht ausmachen lassen; nur die Weise, nicht durch Priester, sondern durch Priesterinnen das Heer geleiten und leiten zu lassen, darf als unzweifelhaft deutsche Art angesprochen werden. So zogen die Kimbrer hinein in das unbe- kannte Land, ein ungeheurer Knäuel mannigfaltigen Volkes, das um einen Kern deutscher Auswanderer sich zusammengeballt hatte, nicht unvergleichbar den Emigrantenmasfen, die in unseren Zeiten ähnlich belastet und ähnlich gemischt und nicht viel minder ins Blaue hinein übers Meer fahren; ihre schwerfällige Wagenburg mit der Gewandtheit, die ein langes Wanderleben giebt, hinüberführend über Ströme und Gebirge, gefährlich den zivilisierteren Nationen wie die Meereswoge und die Windsbraut, aber wie diese launisch und unberechenbar, bald rasch vordringend, bald plötzlich stockend oder seitwärts und rückwärts sich wendend. Wie ein Blitz kamen und trafen sie; wie ein Blitz waren sie verschwunden, und es fand sich leider in der unlebendigen Zeit, in der sie erschienen, kein Beobachter, der es wert gehalten hätte, das wunderbare Meteor genau abzuschildern. Als man später anfing die Kette zu ahnen, von welcher diese Heerfahrt, die erste deutsche, die den Kreis der antiken Zivilisation berührt hat, ein Glied ist, war die un- mittelbare und lebendige Kunde von derselben lange verschollen.

2. Deutsche Prosa - S. 9

1900 - Gera : Hofmann
Arbeit und Muße. 9 Tagesfragen, die heute alle Welt aufregen und morgen verklungen sind, fern vom verwirrenden Treiben der Partei, dem Ewigen und unbedingt Gültigen unverwandt zugewendet, um mit gesammelter Kraft die mensch- liche Erkenntnis zu erweitern. Aber die geistige Erwerbslust ist ziellos wie die weltliche, und je mehr sich die Forschung über den Stoff erhebt und den Gesetzen nachgeht, welche allen Erscheinungen zu Grunde liegen, um so rastloser zieht sie den Menschen mit sich fort. Darum ist der scheinbar Freiste der am meisten Gebundene, und der in Muße Schwelgende entbehrt ihrer am meisten; denn seine Arbeit hat keinen natürlichen Ruhepunkt, sein Tagewerk keinen Feierabend. Wenn die müde Welt ausruht, bleiben seine Gedanken in voller Anspannung, und ein ungelöstes Problem erhält ihn Tag und Nacht in Aufregung. Das Leben des Forschers ist von den Hellenen als das des Menschen würdigste, reinste und erhabenste anerkannt worden. „Glück- selig der Mann," sagt Enripides in den Worten, welche von den Athenern auf Anaxagoras bezogen wurden, „glückselig der Mann, so der Forschung Gebiet durchwandelt und nicht an dem verderblichen Zwist teil hat, der nie Unrechtes gewollt. Sein Blick schaut still in der ew'gen Natur nie alternde Ordnung; er Prüft, wie sie ward und wodurch sie entstand. In solchem Gemüt kann nimmer der Keim unlauterer Thaten entsprießen." Dennoch hat sich bei den Hellenen erst später ein besonderer Stand ausgebildet, dessen Geschäft in der Muße liegt, und als er sich bildete, traten sofort mancherlei Gefahren und Übelstände zu Tage. Die Sophisten waren die ersten, welche vom Wissen Profession machten und dadurch den Grundsatz der Hellenen verleugneten, welche jede einseitige Virtuosität für eine Mißbildung hielten. Sie trennten sich zugleich vom Gemeindeleben; sie suchten sich über jede örtliche Be- schränktheit zu erheben, von jeder Überlieferung frei zu machen, alles nach theoretischen Gesichtspunkten zurecht zu legen und zu reformieren. Wer leugnet, daß sie eine Fülle fruchtbarer Keime der Erkenntnis an das Licht gefördert haben! Aber die schöne Harmonie, die Unmittelbar- keit und frohe Sicherheit des antiken Lebens, woraus die Kunstschöpfungen der klassischen Zeit hervorgegangen sind, war dahin, und während die großen Philosophen, Sokrates, Platon, Aristoteles, alles daran setzten, mit dem Volksbewußtsein in Einklang zu bleiben, indem sie den Inhalt desselben klärten, vertieften und vielseitig verwerteten, machte die Sophistik einen Riß, welcher niemals geheilt worden ist. Die großen Weisen von Hellas nannten ihre Wissenschaft nur „Liebe zur Weisheit", weil sie ganz aus dem unwiderstehlichen Drange nach Erkenntnis hervorgegangen war und keinerlei äußeren Zweck hatte.

3. Deutsche Prosa - S. 10

1900 - Gera : Hofmann
10 Ernst Curtins. Was sie gefunden, sollte kein Standesbesitz sein; sie teilten es mit, wie die Sonne ihr Licht ausströmt, die empfänglichen Geister erhellend und erwärmend. Von den Sophisten wurde die Wissenschaft, welche sich als ein Zweig am Stamme des Volkslebens bescheiden und still ent- wickelt hatte, zu einem Ziergewächs gemacht, welches der Eitelkeit diente, und als eine Nutzpflanze gezogen, um Ehre, Geld und Einfluß zu er- langen. Tugend und Weisheit wurde in Lehrkursen für so und so viel Minen feilgeboten. Der gewerbsmäßige Betrieb der Wissenschaft war eine Umkehr der normalen Verhältnisse, und sie rächte sich an dem Stande selbst, der die Muße zum Geschäfte und das Wissen zu einer Erwerbsquelle gemacht hatte. Die talentvollsten Sophisten haben nur vorübergehenden Glanz gewonnen, und wir kennen sie nur aus dem, was die Vertreter der volkstümlichen Weisheit gegen sie gesagt haben. Während aber die Gründer der Sophistik, die Zeitgenossen des Perikles, an der gewaltigen Bewegung der Zeit ihren vollen Anteil hatten und zum Teil eine schöpferische Geisteskraft zeigten, wurden die Nachzügler immer kümmerlicher und ärmer. Die aus der Isolierung hervorgehende Einseitigkeit wurde immer größer; die Wissenschaft ohne lebendigen Inhalt artete in einen trocknen Formalismus aus, in eine pedantische Schulweisheit, welche die Menschen lächerlich machte, die darin ihre Lebensaufgabe suchten und sie mit anspruchsvollem Dünkel vortrugen. Daher der üble Klang des Worts „Scholastikos", d. h. des ganz der Muße Lebenden, der ältesten Benennung eines Gelehrten von Fach, mit welcher man schon im Anfang der Kaiserzeit einen ver- knöcherten Pedanten bezeichnete, und wir erinnern uns alle der köst- lichen Scholastikosgeschichten, welche uns ans der Schulbank die Elemente des Griechischen versüßten. Die Lehre, welche aus diesen Betrachtungen folgt, ist eine wohl zu beherzigende, die uns nicht immer klar vor Augen steht. Sie lautet, daß die wahre Wissenschaft an keinen Gelehrtenstand gebunden ist, daß volle Gelehrtenmuße eine gefährliche Mitgift ist, und unser Lebensberuf mancherlei Entartungen ausgesetzt ist, wie das Beispiel der ersten Professoren, der Sophisten, und ihrer Nachfolger zeigt. Wir werden in unserer Art zu denken und zu wirken immer zwischen den Sophisten und Philosophen der Hellenen unsern Stand- punkt zu nehmen haben. Entweder ist das Erkennen unser alleiniges Ziel oder ein Mittel zum Zweck, indem das Streben nach Erkenntnis von allerlei Nebenrücksichten auf äußere Vorteile allmählich so über- wuchert wird, daß unter diesen Schlinggewächsen der edle Baum ab- stirbt. Entweder lösen wir uns vom Volke, dem wir angehören, und wollen etwas Besonderes sein, eine bevorzugte Kaste, welche auf die

4. Deutsche Prosa - S. 83

1900 - Gera : Hofmann
Eduard Zeller. 83 Wir nehmen von dem Gestorbenen Abschied — einen Abschied, bei dem wir dennoch wissen, daß Bismarck der Unsere nun erst recht bleibt und daß sein Besitz, den der Kampf seiner Lebenstage unmittelbar auf die beschränkte, die ihm anhingen, sich nun allmählich immer nur dehnen und dehnen kann: denn er war der Verkörperer des Ganzen unserer Nation, und dem Ganzen muß seine Nachwirkung und muß sein Bild nun zu eigen werden. Wir grüßen ihn in bitterer Traurig- keit und doch auf ein Wiedersehen: ein Wiedersehen inmitten unserer Welt, in der wir ihn treffen sollen, alle Jahre und alle Tage: so lange deutsches Leben und deutsches Wesen bestehen, wandelt er mitten unter uns. Und nur dem, den unser Auge gesehen und unser Ohr gehört hat, dem geliebten Toten, dem sagen wir heute, in den Tiefen unserer Seele erschüttert, unser Fahrewohl. Nationalität und Kumanität. Vorgetragen 1873. Eduard Zeller, Vorträge und Abhandlungen. Zweite Sammlung. Leipzig. Reisland. Unter den Verbindungen, in welche die Natur selbst den Menschen gestellt hat, sind zwei die umfassendsten: die Verbindung des einzelnen mit seinem Volke und seine Verbindung mit der Menschheit. In dem Ganzen der Beziehungen, welche uns mit unseren Volksgenossen ver- knüpfen, besteht unsere Nationalität; auf dem Gefühl unseres Zu- sammenhangs mit der Menschheit beruht die Humanität. Diese zwei großen Formen der menschlichen Gesellschaft stehen aber zu ein- ander in einem gewissen Gegensatz, welcher unter Umständen sogar zum Widerstreit fortgeht. Die Nationalität hat den durchgreifendsten Einfluß auf alle realen Lebensverhältnisse; sie bedingt für die meisten, mit der Gleichheit der Sprache, die Möglichkeit des gegenseitigen Verkehrs; auf ihrem Grunde baut sich das Staatsleben auf, welches unser Dasein nach allen Seiten mit seinen Ordnungen umfaßt und durchdringt. Dieser realen Gemeinschaft gegenüber erscheint der Satz von der Zu- sammengehörigkeit aller Menschen als der Ausdruck eines sittlichen Ideals, nicht eines thatsächlichen Verhältnisses; denn in der Wirklichkeit stehen wir ja nur mit dem kleinsten Teile des Menschengeschlechts in Verbindung, alle anderen dagegen sind uns teils ganz unbekannt, teils haben sie wenigstens auf unseren Zustand so wenig einen Einfluß, als wir auf den ihrigen. Aber doch hängt die Reinheit und Allgemeinheit unseres sittlichen Bewußtseins von der Kräftigkeit ab, mit der jenes 6*

5. Deutsche Prosa - S. 53

1900 - Gera : Hofmann
Heinrich von Treitschke. 53 Königin ^5uise. (Rede, gehalten am 10. März 1876 im Kaisersaale des Berliner Rathauses.) Heinrich von Treitschke, Historische u. politische Aufsätze. 4. Bd. 1897. (Leipzig, Hirzel.) In Wort und Schrift, in Bild und Reim ist die hochherzige Königin, zu deren Gedächtnis ich Sie hier versammelt sehe, oft gefeiert worden; in der Erinnerung ihres dankbaren Volkes lebt sie fort wie eine Lichtgestalt, die den Kämpfern unseres Befreiungskrieges den Pfad weisend hoch in den Lüften voran schwebte. Wollte ich dieser volks- tümlichen Überlieferung folgen oder gar jener Licht ins Lichte malenden Schmeichelei, die nach den Worten Friedrichs des Großen wie ein Fluch an die Fersen der Mächtigen dieser Erde sich klammert, so müßte ich fast verzweifeln bei dem Versuche Ihnen ein Bild von diesem reinen Leben zu geben, wie der Künstler sich scheut das unvermischte Weiß auf die Leinwand zu tragen. Das ist aber der Segen der historischen Wissenschaft, daß sie uns die Schranken der Begabung, die endlichen Bedingungen des Wirkens edler Menschen kennen lehrt und sie so erst unserem menschlichen Verständnis, unserer Liebe näher führt. Auch diese hohe Gestalt stieg nicht wie Pallas gepanzert, fertig aus dem Haupte des Gottes empor, auch sie ist gewachsen in schweren Tagen. Sie hat, nach Frauenart in schamhafter Stille, doch in nicht minder ernsten Seelenkämpfen wie jene starken Männer, die in Scham und Rene den Gedanken des Vaterlandes sich eroberten, einen neuen reicheren Lebensinhalt gefunden. Dieselben Tage der Not und Schmach, welche den treuen schwedischen Unterthan Ernst Moritz Arndt zum deutschen Dichter bildeten und dem Weltbürger Fichte die Reden an die deutsche Nation auf die Lippen legten, haben die schöne anmutvolle Frau, die beglückende und beglückte Gattin und Mutter mit jenem Heldengeiste gesegnet, dessen Hauch wir noch spürten in unserem jüngsten Kriege. Wie die Reformation unserer Kirche das Werk von Männern war, so hat auch dieser preußische Staat, der mit seinen sittlichen Grund- gedanken fest in dem Boden des Protestantismus wurzelt, allezeit einen bis zur Herbheit männlichen Charakter behauptet. Er dankt dem liebevollen frommen Sinne seiner Frauen Unvergeßliches. Am Ausgange des dreißigjährigen Krieges blieb uns von der alten Großheit der Väter nichts mehr übrig als das deutsche Haus; aus diesem Born, den Frauen- hände hüteten, trank unser Volk die Kraft zu neuen Thaten. Dem öffentlichen Leben aber sind die Frauen Preußens immer fern geblieben, im scharfen Gegensatze zu der Geschichte des katholischen Frankreichs. Ganz deutsch, ganz preußisch gedacht ist das alte Sprichwort, das jene

6. Deutsche Prosa - S. 54

1900 - Gera : Hofmann
54 Heinrich von Treitschke. Frau die beste nennt, von der die Welt am wenigsten redet. Keine aus der langen Reihe begabter Fürstinnen, welche den Thron der Hohenzollern schmückten, hat unsern Staat regiert. Auch Königin Luise bestätigt nur die Regel. Ihr Bild, dem Herzen ihres Volkes einge- graben, ward eine Macht in der Geschichte Preußens, doch nie mit einem Schritte übertrat sie die Schranken, welche der alte deutsche Brauch ihrem Geschlechte setzt. Es ist der Prüfstein ihrer Frauenhoheit, daß sich so wenig sagen läßt von ihren Thaten. Wir wissen wohl, wie sie mit dem menschenkundigen Blicke des Weibes immer eintrat für den tapfersten Mann und den kühnsten Entschluß; auch einige, nur allzu wenige, schöne Briefe erzählen uns von dem Ernst ihrer Gedanken, von der Tiefe ihres Gefühles. Das alles giebt doch nur ein mattes Bild ihres Wesens. Das Geheimnis ihrer Macht lag, wie bei jeder rechten Frau, in der Persönlichkeit, in dem Adel natürlicher Hoheit, in jenem Zauber einfacher Herzensgüte, der in Ton und Blick unwill- kürlich und unwiderstehlich sich bekundete. Nur ans dem Widerscheine, den dies Bild in die Herzen der Zeitgenossen warf, kann die Nachwelt ihren Wert erraten. Nach dem Tage von Jena mußte auch Preußen den alten Fluch besiegter Völker ertragen: eine Flut von Anklagen und Vorwürfen wälzte sich heran wider jeden Mächtigen im Staate. Noch schroffer und schärfer hat in den leidenschaftlichen Parteikämpfen der folgenden Jahre die schonungslose Härte des norddeutschen Urteils sich gezeigt; kein namhafter Mann in Preußen, der nicht schwere Ver- kennung, grausamen Tadel von den Besten der Zeit erfuhr. Allein vor der Gestalt der Königin blieben Verleumdung und Parteihaß ehr- fürchtig stehen; nur Eine Stimme von Hoch und Niedrig bezeugt, wie sie in den Tagen des Glückes das Vorrecht der Frauen übte, mit ihrem strahlenden, glückseligen Lächeln das Kleine und Kleinste zu verklären, in den Zeiten der Not durch die Kraft ihres Glaubens die Starken stählte und die Schwachen hob. — Das gute Land Mecklenburg hat unserem Volke die beiden Feld- herren geschenkt, welche die Schlachten des neuen Deutschlands schlugen; wir wollen ihm auch die Ehre gönnen, diese Tochter seines alten Fürstenhauses sein Landeskind zu nennen, obgleich sie fern dem Lande ihrer Väter geboren und erzogen wurde. An dem stillen Darmstädter Hofe genoß die kleine Prinzessin mit ihren munteren Schwestern das Glück einer schlicht natürlichen, keineswegs sehr sorgfältigen Erziehung. Da sie heranwuchs, erzählte alle Welt von den wunderschönen mecklen- burgischen Schwestern. Jean Paul widmete ihnen seine überschwängliche Huldigung. Goethe lugte im Kriegslager vor Mainz verstohlen zwischen den Falten seines Zeltes hervor und musterte die lieblichen Gestalten mit gelassenem Kennerblicke; seiner Mutter, der alten Frau Rat, lachte

7. Deutsche Prosa - S. 62

1900 - Gera : Hofmann
62 Heinrich von Treitschke. steht das Schlütersche Standbild des ersten Königs, von ihrem Gemahle einst „dem edlen Volke der Preußen gewidmet;" dort im Vorzimmer der Ofenschirm stammt noch aus den Hohenfriedberger Tagen, da der große König wie ein junger Gott von Sieg zu Sieg stürmte, irgend eine übermütige kleine Prinzessin hat zierlich die Inschrift darauf ge- stickt: pour nous point d’Alexandre, le mien l’emporte! Und da- neben diese jammervolle Gegenwart! Der Staat ausgestoßen aus dem Kreise der großen Mächte, mitten im Frieden von feindlichen Truppen überschwemmt, verspottet und verschmäht von seinen Landsleuten. Die deutsche Nation fand kein Wort des Mitleids, nur Hohn und Schaden- freude für die Besiegten. In Preußen aber lebte noch die alte Treue. Fürst und Volk traten einander näher, wie im verwaisten Hause die Überlebenden sich inniger zusammenschließen; der ärmliche Hofhält zu Königsberg und Memel empfing von allen Seiten rührende Beweise der Teilnahme, der König lud seine getreuen Stände als Paten zur Taufe der jüngsten Prinzessin. Dies stolze und trotzige Ostpreußen, das Stiefkind Friedrichs des Großen, schloß in Not und Trübsal, ohne viele Worte den Herzensbund mit seinem Herrschergeschlechte, der im Frühjahr 1813 seine Kraft bewähren sollte. Die schwere Natur Friedrich Wilhelms verwand nur langsam die Schläge des Unglücks; er glaubte oft, daß ihm nichts gelinge, daß er für jedes Unheil geboren sei. Da er einmal mit der Königin die Gräber der preußischen Herzöge im Chore des Doms zu Königsberg besuchte, fiel sein Blick auf die Grabschrift: „meine Zeit in Unruhe, meine Hoffnung zu Gott". „Wie entsprechend meinem Zustande!" rief er erschüttert und wählte sich das ernste Wort zum Wahlspruch für sein eignes Leben. Nur das Pflichtgefühl hielt ihn aufrecht unter der Bürde seines schweren Amtes. Er begann mit Scharnhorst die Herstellung des zerrütteten Heeres und berief den Freiherrn vom Stein für den Neubau der Verwaltung. Mit herzlichem Vertrauen begrüßte die Königin den Mann „großen Herzens, umfassenden Geistes: Stein kommt, und mit ihm geht mir wieder etwas Licht auf." Sie war mit ihm und ihrem Gemahle einig in dem Gedanken, daß es gelte alle sittlichen Kräfte des erschlafften Staates zu beleben; fast wörtlich über- einstimmend mit den allbekannten Worten, die der König seiner Berliner Hochschule in die Wiege band, schrieb sie einmal: „wir hoffen den Verlust an Macht durch Gewinn an Tugend reichlich zu ersetzen". Die Acht Napoleons trieb den stolzen Reichsfreiherrn aus dem Lande, gerade in dem Augenblicke, da ein neuer Krieg des Imperators gegen Oesterreich sich vorbereitete und die Königin ans eine Erhebung des gesamten Deutschlands hoffte. Sie besaß nach Frauenart wenig Verständnis für die mächtigen Interessen, welche trennend zwischen den

8. Deutsche Prosa - S. 129

1900 - Gera : Hofmann
Bernhard ten Brink. 129 Shakspere, der Dichter und der Mensch. (Gekürzt?) 1888. Bernhard ten Brink, Shakspere. Fünf Vorlesungen ans dem Nachlaß. 2. Anst. (Straßburg, Trübner.) 1894. .... Es liegt in meinem Plan, in diesen Vortrügen der Reihe nach die wichtigen Probleme zu berühren, welche durch die Erscheinung Shakspere angeregt werden. Recht in das Herz des Gegenstandes wollen wir einzudringen versuchen — in den Entwicklungsgang des Dichters, in die verschiedenen Seiten, welche sein entwickeltes Denken, Wollen und Können der Betrachtung darbietet. In erster Linie haben wir die Frage zu erörtern, die seit einer Reihe von Jahren zu einer brennenden geworden ist: „das Verhältnis zwischen dem Dichter und dem Menschen" oder, wie wir die Frage auch formulieren könnten, die Möglichkeit der Identität zwischen dem Dichter und dem Menschen Shakspere. Es ist nicht erst seit gestern, daß man von einem Shakspere- mythus zu reden begonnen hat; aber wer diesen Ausdruck heute an- wendet, der denkt dabei an etwas ganz anderes als vor dreißig bis vierzig Jahren . . . Es wird Ihnen ja bekannt sein, daß gegenwärtig nicht etwa von einem, sondern von einer ganzen Anzahl von Schriftstellern — zumal in England und Amerika — der Satz verfochten wird, daß der große Dichter, den wir studieren und verehren, mit Unrecht den Namen Shakspere führt, daß Hamlet, Macbeth, Othello, Lear und was noch sonst das Siegel dieses einzigen Geistes trügt und uns als Shaksperes Werk überliefert ist, einen ganz andern Urheber hat als jenen William Shakspere, der im Jahre 1564 zu Stratford am Avon geboren wurde, sich dort in jugendlichem Alter verheiratete und Kinder zeugte, der später nach London ging, als Schauspieler und Schauspielunternehmer sein Glück machte und im Jahre 1616 in seiner Heimat starb: jene historisch ausreichend identifizierte Persönlichkeit sei in keiner Weise für den Schöpfer zu halten jener herrlichen Dramen, welche das Entzücken von Gelehrten und Ungelehrten bilden. Er habe diese Werke höchstens für die Bühne etwas zugerichtet, im übrigen aber nur seinen Namen dazu hergegeben, den wahren Autor zu verdecken. . . . Wenn wir den historischen Shakspere für den Dichter der Werke halten, die seinen Namen tragen, so thun wir dies in Übereinstimmung mit einer beinahe dreihundertjährigen Tradition, welche sich auf eine solche Fülle von glaubwürdigen zeitgenössischen Zeugnissen stützt, wie *) *) Die Bacon-Theorie ist im Original etwas ausführlicher behandelt. M. Henschke, Deutsche Prosa. 9

9. Deutsche Prosa - S. 139

1900 - Gera : Hofmann
Shakspere, der Dichter und der Mensch. 139 Um die Zeit, wo Shakspere — ein vierzehnjähriger Knabe — die Schule verlassen haben mag, begann der Horizont seines Lebens sich mählich zu verfinstern. Es war zuerst der Wohlstand seiner Familie, der ins Schwanken geriet, um dann zu sinken, tiefer und immer tiefer zu sinken. Wir können die traurige Entwicklung der Dinge, welche die Familie Shakspere in Armut stürzte und um ihr Ansehen brachte, ihr Haupt John Shakspere seiner Aldermanswürde verlustig gehen ließ und endlich seiner persönlichen Freiheit beraubte, in Stratforder Urkunden deutlich genug verfolgen, vom Jahre 1578 bis zum Jahre 1587, wo die Entwicklung ihren Höhepunkt, jedoch noch immer nicht ihren Abschluß erreicht. In eben diese Zeit fällt jene Krisis in Shaksperes Leben, welche den Übergang aus den Knaben- in die Jünglingsjahre bezeichnet: das Erwachen jugendlicher Sehnsucht und Leidenschaft; die erste Jugendliebe mit ihren Träumereien, ihrer Schwärmerei — diesmal leider auch mit ihren Verirrungen, ihren für das ganze Leben bestimmenden Folgen. Im November 1582 ist William Shakspere im Begriff, sich zu verheiraten — er, der Achtzehnjährige, mit einem um acht Jahre älteren Mädchen — im Begriff, sich zu verheiraten, wie es scheint, ohne Ein- willigung seiner Eltern; bemüht, beim Bischof von Worcester die Er- laubnis zu seiner Vermählung mit Anna Hathaway zu erwirken. Bald daraus muß die Trauung stattgefunden haben. Und nun denke man sich den jugendlichen Familienvater in den nächsten Jahren seiner Ehe — wie er sich allmählich klar wird über das Mißverhältnis, welches schon die Verschiedenheit im Alter zwischen ihm und seiner Gattin aufrichtete; wie er sich klar wird über mannig- fache Aussichten, die Welt und Leben ihm geboten Hütten, und über die Fesseln, die ihm den Kampf um das Dasein erschweren und die er sich selber angelegt — wie die Schwierigkeit, den Bedürfnissen seiner kleinen Familie gerecht zu werden, sich von Tag zu Tag steigert, und die wachsende Zerrüttung der Vermögensverhältnisse seines Vaters seine Lage allmählich zu einer unhaltbaren macht. Da mag wohl der junge Ehemann von Reue, Beschämung, Verzweiflung und in der Verzweiflung von einer Art Galgenhumor ergriffen worden sein, er mochte den Versuch machen, ans Augenblicke die drückenden Sorgen von sich abzu- schütteln, und sich in Gesellschaft übermütiger Burschen auf tolle Streiche eingelassen haben. Jene Tradition, wonach Shakspere in Stratford mit lustigen Gesellen ein lockeres Leben geführt und allerlei Unfug, insbesondere auch Wilddiebstahl verübt haben soll, so übertrieben oder ungenau sie in manchen Einzelheiten auch ist, mag einen Kern von Wahrheit enthalten. Worauf es uns wesentlich ankommt, ist dies:

10. Deutsche Prosa - S. 142

1900 - Gera : Hofmann
142 Bernhard ten Brink. Bretterwelt hinausdrang. Und auch hier bietet seine Biographie uns charakteristische Zuge, die uns in sein Inneres einen Blick werfen lassen. Vom Jahre 1592 bis zum Jahre 1599 sehen wir den Dichter die Höhe seiner Kunst ersteigen und zugleich in der Kunstwelt und in der Gesellschaft sich eine gesicherte, allgemein anerkannte Stellung erobern. Im ersten Jahrzehnt des siebzehnten Jahrhunderts schafft er dann seine tiefsten, großartigsten Werke. Aber noch bevor er den Höhepunkt erreicht, sehen wir ihn die ersten Schritte thun, um sich für seine späteren Jahre in seiner Geburtsstadt ein ruhiges Heim zu bereiten. Shakspere hatte in London die Heimat und die Seinigen nie aus den Augen verloren; sobald er es vermochte, hatte er die Seinigen an seinem beginnenden Wohlstand teilnehmen lassen, zweifellos auch häufiger sie auf längere oder kürzere Zeit besucht. Bereits i. I. 1597 aber begann er sich in Stratford anzukaufen, den Plan vorzubereiten, den er dann nicht wieder fahren ließ. Und gegen das Jahr 1609 — etwas früher oder später — gelangte der lange gehegte Lieblingsgedanke endlich zur Verwirk- lichung. Der Dichter verließ die Bühne und die Großstadt und zog sich nach seiner stillen Heimat, zu Wald und Wiese, zu Frau und Kindern und Enkelin zurück, um die ihm noch beschiedenen Tage in edler Muße und ruhig beschaulichem Genuß zu verleben. So schloß sich das Ende seines Lebens wieder dem Anfang an zur schönen Voll- endung des Kreislaufes. Shaksperes Leben, mit dem seiner dramatischen Zeitgenossen ver- glichen, ist ebenso singulär, wie seine Werke sich unter den ihrigen ausnehmen. Der einzige unter ihnen, der keine akademische Erziehung genossen, der in einfachen Verhältnissen, in vertrautem Verkehr mit der Natur groß geworden, seine Bildung mehr dem Leben als der Schule ver- dankte. Früher als einer von den andern hatte Shakspere seine Zu- kunft gestaltet in einer Weise, die nichts Großes für ihn erhoffen ließ. Aber das, woran ein anderer zu Grunde gegangen wäre, wurde ihm nur ein Sporn, ein neues Lebensblatt mit frischem Mut zu beginnen. Enger als irgend einer seiner dramatischen Nebenbuhler schloß Shakspere sich in London dem Bühnenleben an. Aber weit entfernt, in dem lockeren Getriebe, wie so viele andere, an Seele und Leib zu Grunde zu gehen, erwuchs er zum Mann, zum Künstler und Dichter, zur geistigen und auch zur materiellen Selbständigkeit und Unabhängig- keit. — Wohlhabend, angesehen, berühmt, verließ er dann in der Kraft seiner Jahre das Theater und die Großstadt, um als Landedelmann in der Heimat seine Tage zu beschließen.
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