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Namens Baur, den beiden Städten Altona und Ottensen
schenkte, erbaut ist. Dieser edle Mann vermachte den beiden
Städten sein ganzes bedeutendes Vermögen zur besseren Er-
ziehung der armen christlichen Jugend, besonders in den
ersten Lebensjahren. An der Weidenstraße, zwischen der
Schauenburger- und der großen Bergstraße, liegt das Schul-
Haus der 1. Mädchen-, und an der Schaueuburgerstraße,
zwischen Weiden- und Steinstraße, das der 1. Knaben-
Mittelschule, letzterem gegenüber ein Volksschulgebäude.
An der Blumenstraße, zwischen Weiden- und Steinstraße, be-
findet sich das evangelische Vereinshaus und daneben
weiter nach O. die Speiseanstalt, in welcher in bedrängten
Zeiten für arme Leute nahrhafte Speisen bereitet werden.
Der Anstalt gegenüber, an der Südseite der Straße, liegt das
Kinderhospital der Diakonissenanstalt. Diese ist an
der Ecke der Blumen- und Steinstraße erbaut. Hier werden
christliche Jungfrauen und Witwen für den Dienst der Kranken-
pflege herangebildet. Daher ist mit der Anstalt ein Kranken-
haus verbunden. Zu ihr gehört auch das Augustenstift
an der Steinstraße, in welchem altersschwache und gebrechliche
weibliche Personen verpflegt werden. Ferner unterhält die
Diakonissenanstalt eine Warteschule und eine „Krippe" in
einem Gebäude an der Gerberstraße. Die sog. Krippe gewährt
Kindern im Alter von sechs Wochen bis zu zwei Jahren von
morgens bis abends freundliche Aufnahme und treue Pflege.
An der großen Bergstraße, zwischen Bürger- und Unzerstraße,
liegt das Altonaer Kinderhospital. Gehen wir die große
Bergstraße in westlicher Richtung zuende, so treffen wir an
der Ecke der Allee die Navigationsschule, wo solche Leute,
welche sich dem Seemannsberufe widmen, in allem unterrichtet
werden, was zur Kunst der Schiffahrt erforderlich ist. An
dieser Stelle ändert die Allee ihre Richtung; sie verläuft von
hier aus nach S. Biegen wir nordostwärts in die Allee
hinein, so sehen wir auf dem Platze vor der Göthestraße den
Behnbrunnen, einen Springbrunnen, der vom Altona-
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15. D ie Reue.
Ein Landmann hatte mit eigenen Händen eine Reihe edler
Obstbäume gezogen. Zu seiner großen Freude trugen sie die
ersten Früchte und er war begierig zu sehen, von welcher Art
sie sein möchten.
Da kam der Sohn des Nachbars, ein böser Bube, in
den Garten und lockte den Sohn des Landmanns, also daß sie
hingingen und die Bäumchen allesammt ihrer Früchte beraubten,
ehe denn sie völlig gereift waren.
Als nun der Herr des Gartens herzutrat und die kahlen
Bäumchen erblickte, da ward er sehr bekümmert und rief: Ach,
warum hat man mir das gethan? Böse Buben haben mir
meine Freude verdorben!
Diese Worte gingen dem Söhnlein des Landmanns sehr
zu Herzen, und er lief zu dem Sohne des Nachbars und sprach:
Ach, mein Vater ist bekümmert um die That, welche wir
verübt haben. Nun hab' ich keine Ruhe mehr in meinem Ge-
müthe. Mein Vater wird mich nicht mehr lieben, sondern mit
Verachtung strafen, wie ich verdient habe.
Da antwortete jener: Du Thor, dein Vater weiß es ja
nicht und wird es niemals erfahren. Du mußt es ihm sorg-
fältig verhehlen und auf deiner Hut sein.
Als aber Gotthold, — denn so hieß der Knabe —- zu
Hause kam, und das freundliche Antlitz seines Vaters sah, da
vermochte er nicht, wieder freundlich zu ihm hinaufzusehen.
Denn er dachte, wie soll ich ihn fröhlich ansehen können, den
ich betrübt habe? Kann ich doch mich selber nicht anblicken.
Es liegt mir wie ein dunkler Schatten in meinem Herzen.
Jetzt trat der Vater herzu und reichte jeglichem seiner
Kinder von den Früchten des Herbstes, und Gotthold desgleichen.
Da hüpften die Kinder herbei und fteuten sich sehr und aßen.
Gotthold aber verbarg sein Angesicht und weinte bitterlich.
Da hub der Vater an und sprach: Mein Kind, was
weinest Du? — Und Gotthold antwortete: Ach! ich bin nicht
werth, daß ich Dein Kind heiße. Ich kann es nicht länger
tragen, daß ich vor Dir ein anderer erscheine, als ich bin und
mich selbst erkenne. Lieber Vater, thue mir ferner nicht mehr
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107
56. Die Krone des Alters.
Wen der Schöpfer ehrt, warum sollen den nicht auch die
Menschen ehren? Auf des Verständigen und Tugendhaften
Haupte ist graues Haar eine schöne Krone.
Drei Greise feierten zusammen ihr Jubelfest und erzählten
ihren Kindern, woher sie so alt geworden. Der Eine, ein Leh-
rer und Priester, sprach: „Nie kümmerte mich, wenn ich zu
lehren ausging, die Länge des Weges, nie schritt ich anmaßend
über die Häupter der Jugend hinweg, und hob die Hände nie
auf zum Segnen, ohne daß ich wirklich segnete und Gott lobte;
darum bin ich so alt geworden." Der Andere, ein Kaufmann,
sagte: „Nie habe ich mich mit meines Nächsten Schaden be-
reichert; nie ist sein Fluch mit mir zu Bette gegangen; darum
hat mir Gott die Jahre geschenkt." Der Dritte, ein Richter
des Volkes, sprach: „Nie nahm ich Geschenke; nie bestand ich
starr auf meinem Sinn; im Schwersten suchte ich mich jederzeit
zuerst zu überwinden; darum hat mich Gott mit einem Alter
gesegnet." — Da traten ihre Söhne und Enkel zu ihnen, küß-
ten ihre Hände und kränzten ihr Haupt mit Blumen, llnb
die Väter segneten sie und sprachen:
„Wie Euere Jugend, sei auch Euer Alter! Eure Kinder
seien Euch, was Ihr uns seid: auf unserm greisen Haare eine
blühende Rosenkrone."
Das Alter ist eine schöne Krone; man findet sie nur auf
dem Wege der Mäßigkeit, der Gerechtigkeit und Weisheit!
Herder.
57. Die Pfeife.
Als ich ein Knabe von sieben Jahren war, füllten mir einst,
an einem Feiertage, meine Verwandten die Taschen mit Kupfer-
münze.- Ich wußte nun nichts eiliger zu thun, als damit nach
einem Kaufladen zu gehen, wo man Kinderspielwaaren verkaufte.
Schon auf dem Wege dahin begegnete ich aber einem andern
Knaben mit einer Pfeife, deren Ton mir so wohl gefiel, daß ich
ihm freiwillig all' mein Geld dafür bot. Vergnügt über mei-
nen Handel eilte ich wieder heim, und durchzog pfeifend das
ganze Haus, denn meine Pfeife machte mir eben so viele Freude,
als ich damit die ganze Familie belästigte. Als meine Brüder,
Schwestern, Vettern und Basen von meinem Handel hörten.
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dem wird sie je vergessen; und diese Hand, auf deren Wunde
du deine mütterlichen Lippen drücktest, wird einstens gewiß dein
graueö Haar niit Rosen- und Myrtenkränzen zieren."
In schweigendem Entzücken traten nun die Gatten, von
ihren Kindern begleitet, in die Stube, durch deren Fenster eben
die untergehende Sonne den einladenden Tisch mit ihrem Rosen-
schimmer röthete, und der Säugling in der Wiege sah mit weit
offnen Augen ruhig um sich, und lächelte den glücklichen Eltern
entgegen. Starke.
73. Die Mutter.
Zn der Gegend von Rocroy arbeitete im Juni 1813 eine
Bäuerin auf dem Felde, und hatte unterdeß ihren Säugling in
den Schatten eines nahen Gebüsches gelegt, wo das Kindlein
süß schlummerte. Plötzlich hört sie etwas rascheln, blickt hin,
und sieht einen Wolf hervorspringen, der so eben den Rachen
aufthut, um das Kind zu greifen und zu fressen. Aber eben so
schnell springt die Mutter herzu, stürzt sich auf die Bestie und
es beginnt ein heftiger und langwieriger Kampf. Endlich gelingt
es der Frau, eine Scheere, ihre einzige Waffe, dem Wolf in
den Leib zu stoßen. Er ist tödtlich verwundet, heult, weicht,
wankt, stürzt nieder. Nun schließt die Mutter ihr gerettetes
Kind in die Arme; ihre Kräfte sind aber erschöpft, die Sinne
vergehen ihr, und, wie todt, sinkt auch sie zur Erde. — Unter-
dessen waren die Nachbarn herbei geeilt und leisteten der Ohn-
mächtigen alle mögliche Hülfe; aber sie gab kein Zeichen des
Lebens mehr von sich, was man auch aufbot, sie wieder zu sich
selbst zu bringen. „Legt ihr das Kind an die Brust!" rief endlich
eine alte Frau. — Kaum war dieß geschehen, so athmete die
Hingesunkene wieder, schlug dann freudig die Augen auf, blickte
ihr Kind an und dann dankbar empor gen Himmel. „Das
wußte ich wol!" sagte die Alte, „ich bin auch Mutter gewesen."
Chr. Niemepcr.
74. Der Mend vor einem Festtage im Hause einer
rechtschaffenen Mutter.
Gertrud, die Frau eines Maurers zu Bonnal, war noch
allein bei ihren Kindern. Die Vorfälle der Woche und der
kommende festliche Morgen erfüllten ihr Herz. Zn sich selbst
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O, kehrst du niemals, niemals wieder,
Du selige Vergangenheit?
Du unvergeßlich theure Stätte! '
— Und wär's ein Häuschen arm und klein —
Und wenn ich Gold und Burgen hätte,
In süßer Rührung dächt' ich dein!
Du heilig Haus, geliebt vor allen!
Wir denken dein in Leid und Glück,
Und wohnten wir in Marmorhallcn,
Wir denken doch an dich zurück. Kaltcnbrenner.
70. Die Lebensführer und Erzieher.
Gott hat den Menschen auf seiner Pilgrimmschaft durch
dieses irdische zum ewigen Leben mancherlei Führer gegeben:
dw Eltern und die Lehrer, das eigene Gewichen, das Buch der
Natur, das Buch der Geschichte der Menschen, das heilige Bi-
belbuch und den werthen, heiligen Geist. Sie sollen uns füh-
ren, leiten, bewahren, behüten, erretten, uns unsre leiblichen und
geistigen Kräfte zur Ehre Gottes gebrauchen lehren, uns tüchtig
machen für Zeit und Ewigkeit. Merke auf sie, höre auf ihre
Stimme, laß dich leiten, führen, behüten, erretten, werde ein
tüchtiger Erden- und einst ein seliger Himmelsbürger, Alles zur
Ehre Gottes.
Zn die Vater- und Mutterarme hat Gott den Menschen
schon als zartes Kindlein gelegt; die Eltern sind die ersten und
gröfesten Wohlthäter der Kinder hier auf Erden. Ihnen
verdankt es nächst Gott sein Leben; in banger Stunde und unter
Schmerzen ist es von der Mutter geboren, und hat diese mit
dem eigenen Leben oft das Leben des Kindes erkauft; im
Schweiße des Angesichts arbeiten Vater und Mutter, um dem
Kinde auch Alles das zu erwerben, was es bedarf zu seines
Leibes und Lebens Nahrung und Nothdurft. Ja nicht
bloß das, was es zur Erhaltung des Lebens bedarf, sondern
auch Alles, was das Leben erst zum Leben macht, was das
menschliche Leben von dem thierischen unterscheidet, verdankt es
den Eltern: sie haben es nicht bloß geboren, sie erziehen es
auch, übergeben es der Schule und Kirche, damit es nicht
bloß die Welt, sondern auch Gott und den Erlöser kennen
lerne Joh. 17, 3., sorgen nicht bloß für sein leibliches
Wohl, indem sie es eine bestimmte Berufsarbeit erlernen
lasten, sondern auch für die geistige und ewige Wohlfahrt
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desselben, indem sie es in der Zucht und Vermahnung
zum Herrn erziehen. Ephes. 6, 4. Darum: 2 Mos. 20, 12:
Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren. Sir. 3, 9.:
Ehre sie mit der That, mit Wort und Geduld. Denn des
Vaters Segen rc. Und weiter: Sir. 7, 29. 30. Ephes. 6,
1—8. 1 Tim. 5, 4. und Sir. 3, 14.
71. Das Bild der Mutter.
Meine Mutter war ein Bild der Liebe, der Demuth und
der stillen Gottergebenheit, wie kaum eine andere Frau, welche
ich gesehen habe. Das war eine Liebe, welche wenig Worte
machte, sondern immer nur in ihrem Herzen sprach: Herr Jesu!
ich, deine arme Magd, will ganz deine sein; hier bin ich, leite
du mich nach deinem Wohlgefallen. Dieser stillen Seele schien
Alles, was dem Zorn, dem Haß, ja nur dem heftigen Unwillen
gleichet, gänzlich ftemd, ja unmöglich zu sein: und ich habe nie
ein hartes Wort über ihre Lippen gehen hören. Wenn der
Vater, in dessen Natur eine starke Anlage zu heftigen Aufwal-
lungen lag, je zuweilen aus menschlicher Schwäche auch ein heftiges
Wort gegen sie sprach, da schwieg sie wie ein Lamm, that ihren
Mund nicht auf. Mit den Dienstboten und Arbeitern zankte
sie nie, sondern verwies ihnen das, was unrecht war, mit sanf-
tem Ernst. Sie urtheilte nie hart über einen abwesenden
Menschen, und mochte dieß Urtheilen auch an Andern nicht
leiden. Und dennoch hat wol selten eine Frau in ihrer ganzen
Umgebung so viel willige Unterwürfigkeit und Gehorsam, so viel
Ehrfurcht und Liebe gefunden als diese. Viele rohe Dienstboten
wurden in ihrem Haushalte gar bald sanft und gut und von
dem Geiste der Gottesfurcht, des Fleißes und der Ordnung
ergriffen, der von der Frau des Hauses ausging. Unser lieber
Herr hat unter seinen Menschen zuweilen Gefäße bereitet, durch
welche er nur wohlthun und segnen, gar nicht strafen will. Ein
solches Gefäß der Liebe und des Segens war meine Mutter.
Sie vermochte selbst uns Kinder nicht auf die gewöhnliche Art
zu strafen; sondern dieses Strafamt übte der Vater stark und
kräftig; die Mutter aber ward durch unsere Unarten nur betrübt
und in sich gekehrt; und wenn wir Kinder dieß bemerkten, that
es uns weher, als des Vaters Zucht und Strafe; denn wir
hatten die Mutter gar lieb. Zuweilen aber, als die Kinder
größer, und den gewöhnlichen Strafen entwachsen waren, sprach
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die Forderungen der Religion und Sittlichkeit: Tugenden, die
wir bald nur noch in der Geschichte und in Gedichten bewun-
dern werden, wenn Gott nicht unserem in Zärtlichkeit und
Selbstsucht aufgelösten Geschlecht vielleicht durch hartes Unglück
eine strengere Erziehung gibt. Lange Ruhe erschlafft Körper
und Geist; und wie die Menschen einmal sind, ertragen sie
Unglück besser als Glück. Um das Glück zu beherrschen, musi
man durchaus die Zuchtruthe einer Tante !gefühlt haben.
Fr. Jacobs.
80. Die drei Söhne eines Bettlers.
Es gibt allerlei Arbeiten, die der ärmste Bauersmann ohne
Mühe anfangen kann, um sein Brot zu verdienen und Weib
und Kind zu ernähren; wer nur aufmerksam, fleißig und sparsam
ist, der verdirbt in der Welt nicht. Das beweiset die Geschichte
von Hansjörg Schmid.
Der alte Hansjörg war ein Bettler, der in Kriegsdiensten
das rechte Bein verloren hatte. Er ging noch vor mehreren
Jahren von Haus zu Haus in den Dörfern am Bodensee, bald
zu Fischbach, bald zu Salmannsweiler, um Brot zu heischen.
— Jetzt aber sitzt der alte Hansjörg als ein reicher Mann im
Lehnstuhl, und die Leute wundern sich seiner, und Niemand
weiß, woher er es hat. Da sagt der Eine: Er hat einen
Schatz gefunden! — Nein, schreit der Andere, der Drache hat
es ihm durch den Kamin gebracht! Nein, schreit der Dritte,
er hat mit dem Teufel ein Bündnis; geschloffen! — Und ich
läge: Ihr seid Alle insgesammt einfältige Tropfen. Ich will's
euch besser sagen: Hansjörg hatte drei Söhne, die er, trotz sei-
ner Armuth, in christlicher Tugend auferzog, und durch die Güte
des Herrn Pfarrers und Schullehrers unentgeltich zur Schule
schickte.
An einem heißen Tage saß Hansjörg auf dem Felde, und
theilte mit den drei Knaben sein Brot.
„Buben!" sagte'hansjörg: „Ihr seid groß genug, und
könnt mit Arbeiten euer Brot verdienen. Aber betteln dürft ihr
nicht, denn Bettelbrot ist bitt're Noth! Diebesbrot bringt
Galgentod! — Du da, Peter, bist vierzehn Jahre alt, hast
zwer gesunde Augen — such' dir 7lrbeit. — Du, Gabriel, hast
10*
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Extrahierte Personennamen: Jacobs Hansjörg_Schmid Fischbach Peter Gabriel
139
geschrei ihres Antonio sie auf. Sie stürzte vor die Hütte und
sahe mit Beben, wie er die kleine zitternde Franziska herbei-
führte, und hörte mit Erstarren, wie er von Weitem rief:
„Mutter, sieh' nur, wie Franziskas Hand da blutet! Eine
Natter hat sie gebissen." Ach Franziska, meine Franziska, eine
Natter! Gott, warum ließ ich sie hier spielen! Hülfe! Ret-
tung !" Das war Alles, was sie mit verschlungenen Armen
ächzte, das war es, was sie einem eben vorüber eilenden Manne
in gebrochenen Worten stammelte. „Junges Weib," sagte der
Wanderer, „ich kann nicht weilen; mein Vater liegt in jenem
Dorfe todtkrank; auch habe ich nur einen Rath: Seht, wo ihr
einen Hund bekommt, der ihr das Gift aus der Wunde saugt,
aber geschwind, geschwind! Sonst weiß ich mchts." Mit die-
sen Worten ging der Mann vorüber und Clementine taumelte,
wie vom Schwindel überfallen, und die Verzweiflung zuckte
auf ihrem blassen Gesichte. Doch nach einem Augenblicke
ward ihr Antlitz heiterer; sie erhob sich schnell und fteudig, wie
wenn man Rettung sieht. „Ein Hund das Nattergift aus
ihrer Wunde saugen?" sagte sie, „das wird ein Hund nicht
thun, aber eine Mutter kann es, eine Mutter thut es!" und
hastig zog sie ihre Tochter an sich, als ob sie von einem Ab-
grund sie wegriß, und drückte die sanften Lippen auf die Wunde
und sog, und sog so innig und lange, als könnte sie hundert-
jähriges Leben aus dieser Wunde saugen. Indem sah Antonio
den Vater sich nähern, stürzte ihm entgegen und erzählte ihm,
was geschehen war und was die Mutter jetzt thue. Vor Ent-
setzen erbleichte der junge Mann und wankte und hielt sich an
dem nächsten Baume. „Was machst du, Vater?" rief der
Knabe, und sprang auf ihn zu, als wollte er ihm helfen; aber
noch ehe er ihn umfaßte, bebte er wieder zurück vor einer tod-
ten Schlange, die er jetzt an des Vaters -Stab gewunden
erblickte und stammelte: „Ach, die Natter war es, ja, so eine
Natter hat unsere liebe Franziska gebissen!" „Nun Gottlob!
Gottlob!" jauchzte der Vater; „das ist keine Natter, das ist
eine unschädliche Schlange, die Niemanden tobten kann." Mit
nassen Augen erreichte er die Hütte, umfaßte die Tochter mit
der Mutter und schloß sie lange an seine Brust und rief mit
trunkener Freude: „Böses, treffliches. Weib, wie hast du mich
erschreckt! Aber Gott sei Dank, die Schlange war nicht giftig;
der Herr sei gepriesen, wir bleiben noch beisammen! und deine
Mutterliebe werde ich nie vergessen, und keins von deinen Kin-
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Extrahierte Personennamen: Franziska_herbei- Franziskas Franziska Franziska Antonio Franziska
163
rechnen, wie es möglich sei, täglich mit 15 Kreuzem auszureichen
und noch so frohen Muthes dabei zu sein, und verwunderte sich
darüber. Aber der brave Mann im Zwilchrocke erwiderte ihm:
Es wäre mir übel gefehlt, wenn ich soviel brauchte! Mir muß
ein Dritttheil davon genügen; mit einem Dritttheil zahle ich
meine Schulden ab, und das übrige Dritttheil lege ich auf Ka-
pitalien an. Das war dem guten Fürsten ein neues'räthsel.
Aber der fröhliche Landmann fuhr fort und sagte: Ich theile
meinen Verdienst mit meinen Eltern, die nicht mehr arbeiten
können, und mit meinen Kindern, die erst lernen müssen; jenen
vergelte ich die Liebe, die sie mir in meiner Kindheit erwiesen
haben, und von diesen hoffe ich, daß sie mich einst in meinem
müden Alter auch nicht verlassen werden. — War das nicht artig
gesagt und noch schöner und edler gedacht und gehandelt? Der
Fürst belohnte die Rechtschaffenheit des wackern Mannes, sorgte
für seine Söhne, und der Segen, den ihm seine sterbenden
Eltern gaben, wurde ihm im Alter von seinen dankbaren Kin-
dern durch Liebe und Unterstützung redlich entrichtet.
Aber ein Anderer ging mit seinem Vater, welcher durch
Alter und Kränklichkeit freilich wunderlich geworden war, so übel
um, daß dieser wünschte in ein Armenspital gebracht zu werden,
das im nämlichen Orte war. Dort hoffte er wenigstens bei
dürftiger Pflege von den Vorwürfen frei zu sein, die ihm da-
heim die letzten Tage seines Lebens verbitterten. Das war dem
undankbaren Sohne ein willkommenes Wort. Ehe die Sonne
hinter den Bergen hinabging, war dem armen alten Greis sein
Wunsch erfüllt. Aber er fand im Spital auch nicht Alles, wie
er es wünschte. Wenigstens ließ er seinen Sohn nach einiger
Zeit bitten, ihm die letzte Wohlthat zu erweisen und ihm ein
Paar Leintücher zu schicken, damit er nicht alle Nacht auf blo-
ßem Stroh schlafen müßte. Der Sohn suchte die zwei schlech-
testen, die er hatte, heraus, und befahl seinem zehnjährigen Kinde,
sie dem alten Murrkopf ins Spital zu bringen. Aber mit Ver-
wunderung bemerkte er, daß der kleine Knabe vor der Thür eins
dieser Tücher in einen Winkel verbarg und folglich dem Groß-
vater nur eins davon brachte. Warum haft du das gethan?
fragte er den Jungen bei seiner Zurückkunft. Zur Aushülfe für
die Zukunft, erwiderte dieser kalt und bösherzig, wenn ich euch,
o Vater, auch einmal in das Spital schicken werde.
Was lernen wir daraus? — Ehre Vater und Mutter,
auf daß es dir wohl gehe! — öebet.
11«=
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160
Aber auch durch sie segnet uns Gott, selbst wenn wir es nicht
erkennen, und ewig weise und gütig waltet über ihr die göttliche
Liebe, so wie der Himmel sich in unwandelbarer Klarheit über
der umdüsterten Erde wölbt. Endlich aber löset die Sonne der
ewigen Liebe das Dunkel und wandelt selbst unsere Leiden zu
Segnungen und Beweisen seiner Erbarmung.
Herder.
85. Das gottselige Kind.
Zn einer ehrlichen und fröhlichen Gesellschaft junger Leute
ward das bekannte Königs-Spiel zur Kurzweil hervorgesucht, da
dann unter andem von dem durchs Loos erwählten Könige einem
Kinde geboten ward, das; es seinem alten Vater, der zugegen
war, neunerlei Ehre anthun sollte.
Das that es nun, ohne langes Bedenken, auf folgende
Weise: 1) sagte es: Mein liebster Vater, ich danke euch für
alles Gute, das ihr mir von Kind auf erwiesen habt, für alle
Sorge und Mühe, die ihr meinethalben gehabt, und für alle
Kosten, die ihr von dem, was ihr in Arbeit und saurem Schweiße
erworben, auf mich und meine Wohlfahrt verwandt habet. 2)
Küsset es ihm die Hand, mit Bezeugung seiner Dankbarkeit, für
alle väterliche, wohlgemeinte Züchtigung. 3) Weil eben Apfel
auf dem Tisch waren, nahm's einen, schälet und zertheilt ihn
und bot die Hälfte dem Vater dar mit dem Anerbieten, wenn
es einmal mit Gottes Segen zu einem Stücklein Brots kom-
men, und es der Vater bedürfen sollte, daß es gern mit ihm
theilen wollte. 4) Bücket es sich, löset ihm die Schuh auf,
zog sie aus und setzt ihm die Pantoffeln hin, dabei meldend,
daß ihm kein Dienst, seinem Vater zu erweisen, gering und ver-
ächtlich sein sollte. 5) Weil es etwas späte auf dem Abend,
sucht es ihm sein Nachtgeräthe und legt es ihm mit holdseligen
Geberden hin. 6) Bot es ihm einen frischen Trunk, zum
Schlaftrunk. 7) Hielt es dem Vater seine Backen dar, mit
Begehren, daß er darauf schlagen sollte, zu bedeuten, daß es
willig wäre, noch anitzo alle väterliche Erinnerung, und wenn
sie auch mit Schlagen geschehen sollte, zu erdulden. 8) Unter-
stund es sich, den Vater mit dem Stuhl aufzuheben und von
der Stelle zu versetzen, anzuzeigen, wie bereit es wäre, da es
nöthig, den alten schwachen Vater zu heben und zu tragen. 9)
Kniet es nieder, und begehrte den väterlichen Segen, welchen
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