120
Vi. Das Zeitalter Kaiser Wilhelms Ii.
Verkauf bindet sie an Nachbarfamilien, an Nachbargemeinden. Zu diesen müssen Wege gebaut werden. Da sie den verbundenen Gemeinden dienen, tragen diese die Kosten gemeinschaftlich. So verbinden sich verschiedene Gemeinden zu größern Gemeinschaften. Diese nennt man Bürgermeistereien oder Ämter. Nicht jede Bürgermeisterei kann ein Gericht, eine höhere Schule, ein Krankenhaus, eine Brücke aus eignen Kosten unterhalten; aber manche ihrer Bürger bedürfen dieser Einrichtungen. Daraus ergibt sich der Zusammenschluß mehrerer Bürgermeistereien zum Kreis. Kreise werden zu Regierungsbezirken, Regierungsbezirke zu Provinzen, Provinzen zum Staate zusammengeschlossen. So ist die Einteilung im Königreich Preußen; in andern Staaten sind die Benennungen anders, das Wesen ist das gleiche.
Die aussteigende Linie der Verwaltungsbehörden sind Gemeindevorsteher, Bürgermeister oder Amtmann, Landrat für den Kreis, Königliche Regierung für den Bezirk, Oberpräsident für die Provinz, Ministerium für die Gesamtheit der Provinzen, den Staat. Staatsoberhaupt ist der König.
Walter Tell fragt seinen Vater: Wer ist der König denn, den alle fürchten? Tell antwortet: Er ist der Eine, der sie schützt und nährt.
Keine Behörde kann ihre Verwaltung nach eignem Gutdünken führen. Sie ist, namentlich wenn es sich um Steuereinnahmen und Ausgaben handelt, an die Zustimmung einer Vertretung der Bürgerschaft gebunden; außerdem unterliegt die ganze Amtsführung der Aufsicht der vorgesetzten Behörde. Dem Gemeindevorsteher steht ein Gemeinderat, dem Bürgermeister oder Amtmann eine Bürgermeisterei- oder Amtsversammlung, dem Landrat ein Kreistag, der Königlichen Bezirksregierung ein Bezirksausschuß, dem Oberpräsidenten ein Provinziallandtag als beratende und beschließende Behörde zur Seite, das Ministerium ist au die Zustimmung des Abgeordnetenhauses und des Herrenhauses gebunden, des Königs Wille ist durch die von ihm beschworene Verfassung beschränkt. Da die genannten Körperschaften durch die Wahl der Bürger zustande kommen, gilt im ganzen Staate der Grundsatz der Selbstverwaltung.
Als Richtschnur für die Verwaltung einer Dorfgemeinde dient die Landgemeindeordnung, einer Stadtgemeinde die Städteordnung. Die jetzige Städteordnung stammt aus dem Jahre 1856; sie ist eine zeitgemäße Umgestaltung der Steinschen Städteordnung. (Seite 30 ff.)
Städte, die so viel Einwohner haben, wie die Durchschnittszahl eines Kreises beträgt, können aus dem Kreisverbande austreten und einen Stadtkreis bilden. Die Bürgermeister der Stadtkreise erhalten den Titel Oberbürgermeister und die Befugnisse eines Landrats.
Die Stadt Berlin bildet für sich einen Regierungsbezirk.
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3. Zustände der Gegenwart in Verwaltung u. Ordnung von Staat u. Gemeinde. 121
Der Umfang der Staatsverwaltung läßt sich erkennen aus der Benennung der neun Ministerien: 1. Ministerium des Innern, 2. Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten, 3. Kriegsministerivm, 4. Finanzministerium, 5. Ministerium für Landwirtschaft, Domänen und Forsten,
6. Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten,
7. Justizministerium, 8. Ministerium für Handel und Gewerbe, 9. Ministerium der öffentlichen Arbeiten (wie Eisenbahn- und Bauwesen).
Der erste Beamte nach dem Minister ist der Unterstaatssekretär. Die Ministerien zerfallen in mehrere Abteilungen, deren Geschäfte ein Ministerialdirektor leitet. Manchmal bezeichnet schon der Name die Amtszweige, wie Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten. Die Abteilung für Unterrichtsangelegenheiten zerfällt in drei Unterabteilungen: für Hochschulen, für Höhere Schulen, für Volksschulen.
Unabhängig von den Verwaltungsbehörden ist das Gerichtswesen. Die Gerichte zerfallen in Amtsgerichte, Landgerichte und Oberlandesgerichte. In einem Kreise sind ein oder mehrere Amtsgerichte, durchschnittlich kommt auf einen Regierungsbezirk ein Landgericht und auf eine Provinz ein Oberlandesgericht. Die Rheinprovinz hat wegen ihrer großen Einwohnerzahl zwei Oberlandesgerichte, eins in Cöln und eins in Düsseldorf. Höchstes Gericht ist das Reichsgericht in Leipzig.
Die Zugehörigkeit Preußens zu einem großem Staatsganzen, dem Deutschen Reiche, seine Rechte und Pflichten darin, ist in dem Abschnitt über die Reichsverfassung zum Ausdruck gekommen. (S. 98 f.)
Die Kosten der Gemeinde-, Staats- und Reichsverwaltung werden durch Steuern aufgebracht. Den Stadt- und Landgemeinden sind hauptsächlich die Grund-, Gebäude- und Gewerbesteuern, dem Staat die direkten Einkommensteuern, dem Reich die indirekten Steuern überwiesen. Manche Gemeinde erzielt Einnahmen ans Gas- oder Elektrizitätswerken, Wasserleitungen, Straßenbahnen; der Staat aus den eignen Bergwerken in Oberschlesien und im Saargebiet, aus Domänen und Forsten, aus dem Eisenbahnbetrieb, das Reich aus der Post- und Telegraphenverwaltung, der Eisenbahnverwaltung in Elsaß-Lothringen. Den Rest decken die Matrikulorbeiträge der Einzelstaaten.
Werden größere Anlagen ausgeführt, die aus den Steuern eines Jahres nicht gedeckt werden können, z. B. Bau eines Krankenhauses, einer Eisenbahn, eines Kanals, so wird eine Anleihe gemacht, die nach Ablauf eines großem Zeitraums durch erhöhte Zinszahlung zurückgezahlt wird. Solche Anleihen werden in der Reget nur gestattet, wenn es sich um Anlagen handelt, die auch der Nachwelt zugute kommen. Gemeinden, Staat und Reich können Anleihen machen; gleichzeitig muß aber festgesetzt werden, auf wieviel Jahre sich die Zurückzahlung erstreckt.
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6
I. Die Französische Revolution.
Vermögen, um hohe Zinsen der Staatsverwaltung geliehen, war gefährdet.^ Hier liegt ein Grund der Staatsumwälzung.
Verarmung des Bauernstandes. In der ungünstigsten Lage waren die Kleinbauern, Landarbeiter, Tagelöhner. Der Engländer Artur Joung, der in den beiden letzten Jahren vor Ausbruch der Revolution Frankreich bereiste und besonders dem Ackerbauwesen seine Aufmerksamkeit widmete, meint, daß der Ackerbau damals noch auf der Stufe des 10. Jahrhunderts gestanden habe, ausgenommen in Flandern und im Elsaß. Die Felder blieben in jedem dritten Jahre brach; schlechte Geräte, keine eisernen Pflüge (Fig. 14), wenig Vieh, wenig Dünger, schlechte Wege. Seitdem die adligen Herren am Hofe zu Versailles lebten, hatten sie weder Zeit noch Geld, für die Hebung der Hauptnahrungsquelle des Volkes zu sorgen. In einzelnen Bezirken lebte der Landbewohner nur von Buchweizen, in andern wurde das Getreide halbreis verarbeitet. Man konnte die Reife vor Hunger nicht erwarten. Der Steuerdruck war unerträglich. Von 100 Frcs. Erlös nahm der staatliche Steuereinnehmer 53, 14 erhielt der adlige Herr als Eigentümer von Grund und Boden, 14 die Kirchenverwaltung, den Rest bekamen die Kellerratten, d. h. die Beamten der Getränkesteuer und die Salzsteuererheber.
Wie sehr der Steuerdruck die Tatkraft lähmte, geht aus dem Briefe eines Dorfschulzen aus der Champagne an den König hervor. „Wir könnten einige Weinstöcke an den Abhängen pflanzen, aber wir werden so von den Steuerbeamten gequält, daß wir vielmehr daran denken, die gepflanzten auszuwerfen; der ganze Wein würde für sie sein, und uns bliebe nur die Arbeit." Am härtesten drückte die Salzsteuer. Jede
Familie mußte für jede Person jährlich sieben Pfund Salz aus dem Staatsmagazin kaufen, eigne Salzgewinnung war untersagt und wurde mit Galeeren arbeit, im Wiederholungsfälle mit Aufhängen bestraft.
Kein Wunder, daß, wer Gelegenheit hatte, in die Dienste eines reichen Herrn als Lakei trat oder im Handwerk und im kaufmännischen
Beruf Unterkunft suchte. Infolgedessen blieben viele Äcker und Weinberge unbebaut. Unter diesen Umständen konnte Frankreich damals
25 Million Einwohner nicht ernähren; das fruchtbare Land hätte bei vernunftgemäßer Bewirtschaftung mehr als der doppelten Anzahl hinreichenden Wohlstand bieten können. In dem Elend des Bauernstandes liegt ein andrer Grund der Staatsumwälzung.
Die Steuervorrechte. Der Adel und die Geistlichkeit waren fast steuerfrei. In früherer Zeit hatten die adligen Herren die Kriegslasten fast allein getragen; im ritterlichen Kampfe hatten sie in den ersten Reihen
*) Nach Hippolyte Adolphe Taine (1828—1893): L’ancien regime. Schulausgabe von Wershoven. Trier 1907, Jakob Lintz. S. 36—40.
2) Taine, S. 44—48.
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6. Reformen in Preußen.
31
gestanden hatten, wurden nun frei. Sie konnten selbst Land erwerben, Handel und Gewerbe treiben und bei Fleiß und Sparsamkeit es zu einem
gewissen Wohlstände bringen. ,
Die Städte sollten von nun an ihre Verwaltung selbst fuhren, damit die Bürger Anteil an dem Aufblühen der Städte nähmen. Eine neue Städteordnung wurde 1808 erlassen, deren Grundzüge sind:
1 An die Stelle des von der Regierung ernannten tritt der von den Stadtverordneten gewählte Bürgermeister. Der Bürgermeister verwaltet die Stadt nicht im Aufträge des Staates, sondern der Bürgerschaft, die ihn gewählt hat. Der Staat behält sich nur ein Oberaufsichtsrecht vor, um die Bürger gegen Übergriffe des Bürgermeisters zu schützen. ,r ,
2. Der Bürgermeister ist nicht allein Verwalter der Stadt, sondern ihm stehen andre Personen, die ebenfalls von der Bürgerschaft gewählt sind, zur Seite; diese heißen Magistratspersonen, und sie bilden mit dem Bürgermeister zusammen den
Magistrat. .
3. Das Recht, Beschlüsse zu fassen, hat nicht der Magistrat, sondern dre Stadtverordnetenversammlung. Der Magistrat hat die Beschlüsse der Stadtverordnetenversammlung auszuführen.
4. Der Magistrat hat keine richterliche Gewalt mehr, wie früher. Nur der Übertretungen von Polizeivorschriften kann er geringe Strafen verhängen. Gegen jede vom Bürgermeister oder Magistrat verhängte Polizeistrafe kann der Bürger bei dem Königlichen Gericht Berufung einlegen.
5. Die Stadtverordnetenversammlung wird von allen stimmfähigen Bürgern gewählt. Stimmfähig ist jeder Bürger, der gerichtlich nicht schwer bestraft ist, das 26. Lebenjahr erreicht hat und Steuern bezahlt. Jeder dieser Bürger kann auch ut den Stadtrat und in den Magistrat gewählt werden. Die Wahl ist insofern beschränkt, als zwei Drittel der Stadtverordneten Hausbesitzer in der Stadt sein müssen.
6. Zünfte und andre Korporationen verlieren das Recht, Stadtverordnete als Vertreter ihrer Zunft oder Korporation zu wählen. Die Stadtverordneten sind Vertreter der ganzen Bürgerschaft. Sie haben aber von dieser keine Verhaltungsmaßregeln für ihre Abstimmung entgegenzunehmen.
7. Die Gutsherrschaften verlieren das Recht, Stadtverordnete oder Stadtbeamte zu bestätigen.
8. Die Steuerbefreiungen hören auf. Geistliche und Volksschullehrer blieben mit Rücksicht auf die damalige geringe Besoldung frei von Gemeindesteuern.
9. Es gibt nur ein Bürgerrecht in der Stadt; der Unterschied zwischen Groß-und Kleinbürgern hört auf.
10. Das städtische Vermögen ist nicht Staats vermögen, sondern Stadtvermögen. _
11. Die Städte zerfallen in große, mittlere und kleine Städte. Kleine Städte sind solche, die weniger als 3500 Einwohner haben, große, die 40000 und mehr Einwohner haben.
12. Die erste Magistratsperson in großen Städten wird Oberbürgermeister genannt, in mittlern und kleinen Städten Bürgermeister.
13. In kleinen Städten besteht die Stadtverordnetenversammlung aus 24 Mitgliedern, in mittlern und großen Städten mehr, je nach der Bevölkerung.
14. Die Stadtverordneten und städtischen Beamten führen ihr Amt als Ehrenamt unentgeltlich auf die Dauer von 6 Jahren. Dann treten sic ab, können aber wiedergewählt werden. Nur wenn das Amt die ganze Arbeitszeit eines Mannes beansprucht, darf er dafür besoldet werden. Dazu gehören die Bürgermeister und
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32
Tt. Frankreich als Kaiserreich.
die Kämmerer. Bürgermeister werden aus 12 Jahre gewählt und können wiedergewählt werden, Kämmerer sogar auf Lebenszeit. Die Kämmerer sind Verwalter der Stadtkasse.
15. Große Städte werden in Bezirke eingeteilt, an deren Spitze ein Bezirksvorsteher steht. Der Magistrat überträgt dem Bezirksvorsteher einen Teil seiner Arbeiten für den Bezirk, z.b. die Aufsicht über die Wegebauten. Verteilung der Unterstützungen an die Armen des Bezirks.*)
In den meisten deutschen Staaten wurde die preußische Städteordnung nachgeahmt.
Auch die Verwaltung des Staates wurde ganz umgestaltet und die größte Sparsamkeit eingeführt. Was die Königliche Familie an Gold und Silber besaß, gab sie hin, damit Geld daraus geprägt würde, um die große Schuldenlast zu tilgen.
Stein hatte in einem Privatbriefe geschrieben, daß die Bewohner der abgetrennten Provinzen, namentlich die Westfalen, in der Liebe und Treue zu dem preußischen Königshause erhalten werden müßten, damit sie beim Ausbruche eines Krieges sich auf preußische Seite stellten, wohin sie gehörten. Dieser Brief wurde von den Franzosen aufgefangen, und Napoleon verlangte nun die Verbannung Steins. An feine Stelle trat Hardenberg, der im Geiste feines Vorgängers die Verwaltung weiterführte.
Scharnhorst. Die Umgestaltung des Heerwesens unternahm Scharnhorst. Er war, wie Hardenberg, ein geborener Hannoveraner, der in preußischen Dienst getreten war. Scharnhorst war ein Mann von seltnen Eigenschaften. Was er als richtig anerkannt hatte, führte er durch. Sein Wesen war milde, aber entschlossen, genügsam und uneigennützig. In seinem Auftreten wie in seinem Wirken und Schaffen hat er große Ähnlichkeit mit dem Feldmarschall Moltke.
Scharnhorst stellte den Grundsatz auf, daß alle dienstfähigen Söhne Preußens zur Verteidigung des Vaterlandes verpflichtet feien. Kein Wehrpflichtiger konnte sich mehr, wie früher, durch Zahlung einer Geldsumme an den Staat vom Militärdienst loskaufen. So kam die sogenannte allgemeine Wehrpflicht zur Geltung, und der Soldatendienst wurde eine Ehrensache für jeden Bürger.
Im Frieden zu Tilsit war Preußen die Verpflichtung aufgenötigt worden, nicht mehr als 42 000 Soldaten unter den Waffen zu halten. Um trotzdem eine größere Heeresmacht kriegsfähig zu machen, wurden die Soldaten so rasch wie möglich für den Krieg eingeübt, dann sofort entlassen und andre an ihrer Stelle ausgehoben und in gleicher Weise geschult. Ohne daß das stehende Heer die Zahl von 42 000 Mann überschritt, waren auf diese Weise bei Beginn der Befreiungskriege über 250 000 Mann für den Kriegsdienst vorbereitet.
*) In den rheinischen Städten gibt es keinen Magistrat; dessen Rechte übt der Bürgermeister.
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Extrahierte Personennamen: Napoleon Hardenberg Hardenberg Feldmarschall_Moltke
Extrahierte Ortsnamen: Frankreich Westfalen Steins
48
Iii. Preußen bis zum Tode Friedrich Wilhelms Iii.
Herzogtümer Holstein und Lauenburg. Diese gehören jetzt zur preußischen Provinz Schleswig-Holstein.
Durch Aussterben der Fürstenfamilien sind Anhalt-Bernburg und Anhalt-Köthen mit Anhalt-Dessau, Sachsen-Koburg mit Gotha, durch Tausch Sachsen-Hildburghausen mit Meiningen vereinigt worden; neu bildete sich 1826 das Herzogtum Sachsen - Altenburg, das früher mit Gotha vereinigt war. Der Fürst von Hohenzollern-Hechingen und Sigmaringen trat 1849 das Fürstentum an den König von Preußen gegen eine Jahresrente ab, der daraus den Regierungsbezirk Sigmaringen bildete.
Der Deutsche Bund war allerdings ein loses Staatengefüge, aber er repräsentierte doch den Gedanken der Zusammengehörigkeit der deutschen Stämme. Dies kam auch darin zum Ausdruck, daß Streitigkeiten zwischen einzelnen Bundesstaaten durch Schiedsgericht, nicht durch Krieg zu erledigen seien. Völkerrechtlich war der Bund ein Staat, hatte besondere Bundesfestungen, wie Mainz und Luxemburg, konnte Verträge schließen und Krieg erklären, hatte einen Bundestag, der in Frankfurt zusammentrat. Freilich hatten auch die einzelnen Bundesstaaten das Recht, mit dem Auslande Kriege zu führen und Verträge zu schließen, nur nicht gegen die Interessen des Bundes.
Von den Bundesstaaten können Österreich und Preußen als Großstaaten, Bayern als Mittelstaat angesehen werden, die übrigen waren ihrem Länderumfang nach Kleinstaaten, auch die Königreiche Sachsen und Württemberg, deren Gebiete zusammen den Umfang der Provinz Brandenburg unerheblich übersteigen.
Das Königreich Preußen hatte während der Befreiungskriege die größten Opfer gebracht. Die Entscheidungen bei Leipzig und Waterloo hatte Blücher hauptsächlich herbeigeführt; der Länderzuwachs, der ihm durch den Wiener Kongreß zufiel, war wohlverdient. Von seinen frühern Gebieten waren Ostfriesland an Hannover, Ansbach und Bayreuth an Bayern abgetreten worden. Den aus den verschiedensten ehemaligen Bestandteilen neu erworbenen Besitz mit dem alten organisch zu verbinden, war die nächste Sorge der Regierung. Daher wurde zur Vereinfachung der Verwaltung der Staat in acht Provinzen eingeteilt: Brandenburg, Pommern, Preußen, Posen, .Schlesien, Sachsen, Westfalen und Rheinland. Aus jeder Provinz wurde ein Armeekorps ausgehoben; die Zivilverwaltung wurde einem Oberpräsidenten übertragen, der seine Weisungen vom Ministerium erhielt; die einzelnen Provinzen zerfielen in Regierungsbezirke, die Regierungsbezirke in Kreise, die Kreise in Bürgermeistereien, diese in Gemeinden.
Die Provinzen Rheinland, Westfalen, Posen hatten dem Staate einen ansehnlichen Zuwachs an katholischer Bevölkerung gebracht; daher schloß die Regierung mit dem Oberhaupte der katholischen Kirche 1821
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Extrahierte Personennamen: Friedrich_Wilhelms Friedrich Wilhelms
1. Die Umgestaltung Preußens.
49
eine Vereinbarung über die Abgrenzung der einzelnen Diözesen; denn Napoleon hatte auch die kirchlichen Verhältnisse durcheinander geworfen. So hatte er das Erzbistum Cöln aufgelöst und an dessen Stelle ein Bistum Aachen gesetzt. Der Inhalt der Vereinbarung zwischen Regie- • rung und Papst kommt in der päpstlichen Bulle De salute animarum (1821) zum Ausdruck; diese Bulle wurde in die preußische Gesetzessammlung aufgenommen und erhielt dadurch die Wirkung eines staatlichen Gesetzes. Die Diözesen erhielten im ganzen ihren heutigen Umfang. Die Wahl der Bischöfe wird den Domherren übertragen; diese reichen dem König eine Kandidatenliste ein; der König hat das Recht, Personen, deren Wahl er nicht wünscht, als nicht genehm zu bezeichnen; solche dürfen nicht gewählt werden.
Das Vermögen der Kirchen und aufgehobenen Klöster, soweit es von den Franzosen eingezogen und an den Preußischen Staat übergegangen war, wurde nicht herausgegeben; dafür übernahm der Staat die Besoldung der Bischöfe und Domherren, die Kosten der Diözesanverwaltung, die notwendigen Zuschüsse zu gering besoldeten Pfarrstellen, Beitragspflicht zu notwendigen Kirchenbauten, zur Begründung einer theologischen Fakultät an der Universität Bonn und Besoldung der Professoren dieser Fakultät usw.
Verhandlungen mit der lutherischen und reformierten Geistlichkeit hatten 1817 zur Stiftung einer evangelischen Landeskirche geführt.
Auch das Unterrichtswesen wurde neu geregelt. Für die westlichen Provinzen wurde die Universität Bonn 1818 begründet; die Universität Wittenberg wurde nach Halle verlegt. Für die Bedürfnisse der Handelswelt wurden Realschulen eingerichtet, die Gymnasien erfuhren eine zeitgemäße Umgestaltung als Vorbereitungsanstalten für die akademischen Studien. Eine königliche Kabinettsorder des Jahres 1825 regelte die Schulpflicht für die Volksschulen einheitlich für die ganze Monarchie; zur Heranbildung von Lehrern wurden Seminare gegründet.
Die öffentliche Gesundheitspflege, die Überwachung der gesundheitspolizeilichen Vorschriften, wurde ebenfalls durch königliche Verordnung vom Jahre 1817 eingeführt. Jeder Regierungsbezirk erhielt einen erprobten Arzt als Regierungs- und Medizinalrat, jeder Kreis einen Kreisarzt^/
Für die Oberleitung der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-angekegenheiten des Staates wurde 1817 ein besonderes Ministerium eingerichtet, das kurzweg Kultusministerium genannt wird. Bis dahin unterstanden diese Angelegenheiten dem Minister des Innern.
Die Reformen Steins und Hardenbergs auf dem Gebiete der Landwirtschaft wurden auf die neuen Provinzen ausgedehnt; von großer Bedeutung war eine Verordnung, daß die Allmenden, d. i. die der Gemeinde gehörenden Wiesen und Äcker, verkauft oder unter die Bürger
D ah men, Leitfaden. Iv. Neubtg. 4
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71 Thüringen (der Thüringer Wald)._______§ 50
gegliedert wird; es bildet die Scheide zwischen den Thü-
ringern und den Franken (Rennsteig). Ein zusammen-
hängender Wald legt sich wie eine herrliche, grüne, falten-
reiche Decke über das ganze Gebirge, und plätschernde
Bäche eilen hurtig nach beiden Seiten hinab. Im Sommer
wird das von vielen Wegen und Pfaden durchzogene Ge-
birge von'zahllosen Wanderern belebt. Die bekanntesten
Kurorte sind: Friedrichroda, Tabarz (beide am Fuß des
Jnselberges), Ruhla (südl. von Eisenach in einem Kessel),
Ilmenau (am Fuße des 830 m hohen, durch Goethe
bekannt gewordenen Kickelhahns) u. a.
Der Frankenwald, der vom Thüringer Wald zum
Fichtelgebirge hinüberführt, ist eine einförmige, mit
Nadelholz reich bewaldete Hochfläche. Er hat die groß-
ten Schieferbrüche Deutschlands (in der Gegend von
Sonneberg, bei Lehesten und Gräfenthal).
Welche Flüsse fließen zum Wesergebiet, welche zum
2. Drei Glanzpunkte des Gebirges sind das Tal der Schwarza, der Jnsels-
berg und die Wartburg bei Eisenach.
a) Die Schwarza mündet in dem Saaleknie oberhalb Rudolstadt. Sie durchströmt im
Unterlauf ein schluchtförmiges Tal, eines der großartigsten Deutschlands, das sich 12 km ober-
halb der Mündung zu einem gewaltigen Felskessel weitet (Abb. 1, § 50). Bergwände mit Höhen
bis zu 200 in umrahmen ihn; in der Mitte erhebt sich ein freistehendes Felsriff, das die Schwarza
in einer Schlinge mit melodischem Rauschen umfließt, und auf diesem Felsriff steht die Schwarz-
bürg, das Residenzschloß der Fürsten von Schwarzburg-Rudolstadt. — Der Blick vom Fels-
rande hinab (vom Trippstein, T in d. Abb.) in diesen einzigartigen Kessel ist einer der schönsten,
den unser Vaterland zu bieten hat.
b) Der Jnselsberg, im nördl. Drittel des Gebirges, ist zwar etwas niedriger als der Beer-
berg (916 gegen 980 m), gewährt aber wegen seiner freieren Lage einen umfassenderen Blick
(besonders fesselnd der auf die Wartburg, nach Gotha und nach den Rhönkuppeu hinüber.)
Abb. 2, §50. Längsschnitt durch das Nordende des Thüringer Waldes
(vom Jnselsberg nach der Wartburg).
c) Aus einem nördl. Vorberge erhebt sich über Eise nach □ (s. auch Schnitt 2,
§ 50) die Wartburg, ein nationales Heiligtum, von Sage, Geschichte und Dich-
tung verklärt; erbaut als Residenz der Thüringischen Landgrafen. — Walter von
der Vogelweide und Wolfram von Eschenbach; Sängerkrieg; heilige Elisabeth:
Luther I s. Text u. Bild Z. §5q|.
Nordöstl. von Eisenach, an der Hörsel, erstrecken sich der große und der
kleine Hörselberg, steile, nackte Muschelkalkfelsen, an die sich besonders viele
thüringische Sagen knüpfen (Wilde Jagd, Tannhäuser u. a.).
Abb. 1, § 50.
Allgemeine (schematische)
Darstellung des
Schwarza - Kessels.
(Das eingezeichnete Recht-
eck bezeichnet Schloß
Schwarzburg;
T = Trippstein.)
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§ 51 Thüringen (der Harz). 74
Mb. 4, §51. Unteres Bodetal und Brocken.
<Als großes farbiges Anschauungsbild bei F. E. Wachsmuth, Leipzig, erschienen.)
Wir stehen am Eingänge derwodeschlucht bei Thale und blicken zwischen Roßtrappe (dem schroffen
Felsen rechts) und^Hexentanzplatz (links oben, 230 m!) nach Süden. Wir verfolgen die tiefe
Bodeschlucht bis zur weitgedehnten Harzhochfläche, der die Kuppe des Brockens aufgesetzt ist.
§ 51 3. Ter Harz ist eine stehengebliebene, hochflächenförmige, fast ganz mit Wald
bedeckte Scholle (ein „Horst") mit steilen Rändern. Der eintönigen, reizlosen Hoch-
stäche sind einige abgerundete Kuppen aufgesetzt. (Er ist also ein Massenge-
birge ohne Kammentwickelung; vgl. dagegen das Kettengebirge Thüringer
Wald!) Höchste Kuppe der Brocken, 1140 m, im Oberharz, der etwa bis an
die Harzquerbahn Wernigerode—nordhausen reicht.
Stellenweise tritt der Granit zutage. Er bildet entweder ganze Berge
(Brocken) oder ragt als „Klippen" empor !s. Text u. Bttd i, § 511 oder auch,
er ist in den eingeschnittenen Tälern freigelegt, z. B. im Bodetal. — Im Südrand
findet sich vielfach Gips.
Nach Abb. 2, §51: Nenne die nach Norden abfließenden Flüsse (im
Süden Helme mit Zorge zur Unstrut, die Oder zur Leine).
4. Die landschaftliche Schönheit ist an die Flußtäler gebunden, die wie Kerben in den
Steilrand eingreifen. Die großartigeren Täler hat der höhere Nordrand, a) Das Oker-
tal begleiten wunderlich gestaltete Bergformen; im Bett liegen gewaltige Felsblöcke, b) Die
„liebliche Prinzessin Ilse" eilt hurtig vom Brocken hinab; der tnrmförmige Ilsen stein an
ihrem östl. User bietet einen wundervollen Blick hinab auf Jlsenbnrg und die Ebene, c) Die
Holtemme (holde Emma) springt vom Brocken in der „Steinernen Renne" in tollen
Sprüngen von Felsblock zu Felsblock I s. Text u. Bild 3, § 5i~) und durchfließt dann Wernige-
rode, über dem sich ein schönes Schloß erhebt. In der Ebene liegt an der Holtemme Halber-
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§ 59 Schlesien (die Sudeten). 86
Kohlenlager besitzt zugleich große Schätze an Zink-, Blei- und
Eisenerzen; für Zink ist es das Hauptgebiet der Erde. Ein ganzes Nest
von Industriestädten (Eisenindustrie) zeugt wie im Ruhr- und Saarkohlengebiet
von lebhafter gewerblicher Tätigkeit (3 Städte von G, z. B. Königshütte). —
Ein anderer Jndustriebezirk zieht sich amfußeder Sudeten entlang: der
Flachsbau und die Wasserkraft der Gebirgsbäche führten früh zur Leinen-
Weberei. Zellenförmig ziehen sich die großen Weberdörfer an den Bächen hinauf
(Grund?); eins (Langenbielau) hat 20000 Eiuw. Aber der Verdienst ist meist
gering, die Not oft groß (vgl. Erzgebirge).
Städte im Gebiet des schleichen Flachlandes s. § 62e und f.
c) Die Sudeten.
§ 59 1. Die Sudeten bilden einen 300 km langen, 40 km breiten Wall, der ganz
dem Urgebirge angehört. — Zwei Hauptmassen: das Riesen- mit dem
Jsergebirge und die Glatzer Gebirge mit dem angeschlossenen Alt-
vatergebirge (Gesenke); zwischen ihnen das niedrige, kohlenreiche Waldenburger
Bergland; westlich vom Riesengebirge das ebenfalls niedrige Laufitzer Gebirge
(§57), beides wegsame Durchgangsgebiete nach Böhmen. 1866!
2. Das Niesengebirge ist das am schroffsten aufsteigende, steilwandigste
Gebirge Deutschlands. Nur halb so viel Raum einnehmend wie der Harz, erreicht es
fast dessen la/2 fache Höhe (Schneekoppe im Ostflügel des Gebirges 1600 m). Der
nur mit Flechten überzogene Kamm, der mit zahllosen Felstrllmmern bedeckt ist,
überragt den Waldgürtel um mehrere hundert Meter, und die vielgerühmte
Kammwanderung, die etwa 4 Stunden in Anspruch nimmt, bildet den lustigsten
und lohnendsten Spaziergang Deutschlands und hat selbst in den Alpen kein Seiten-
stück (weil dort nirgends ein Kamm so frei für sich liegt). Es ist ein Doppel-
kämm, s. Abb. 1 u. 2, §59. — Eine Wanderung bergauf führt nacheinander
durch die Gebiete der Laubhölzer, der Nadelhölzer, des Knieholzes (Baumgrenze
bei 1300 m), der aromatischen Bergkräuter, der Moose und der Flechten.
3. Über Einzelheiten zum Riesengebirge siehe den Text unter
dem umstehenden Bild.
4. Erinnerung an die Alpen. Infolge des raschen Aufstiegs zu be-
deutender Höhe erinnert manches an die Alpen: die steilen Felswände (besonders
an der Schneekoppe), die tief eingerissenen Schluchten („Schneegruben", s. den
Text unter dem Bild!), die scharfen Felsgrate, die gewaltigen Felstrümmer, die
stürmischen Bäche, die Wasserfälle und die Bergweiden (Matten) mit ihren Senn-
Hütten, hier Bauden = (Holz-)Bauten genannt. (So nennt man aber nicht bloß
die eigentlichen, nur im Sommer bewohnten Hirtenhütten, sondern auch die
tiefer gelegenen, ständig bewohnten Häuser I s. Bild 4, § 591, wie auch die
Hotels.)
§ 60 5. Witterungserscheinungen und ihre Folgen im Riesengebirge. Die Regen-
menge des Kammes ist ziemlich genau doppelt so groß wie die der schlesischen Ebene (140 gegen
68 cm). Infolgedessen ist das Riesengebirge außerordentlich reich bewässert. Von allen Ab-
hängen schweben die Rinnsale gleich silbernen Fäden herab. Häufig brechen aber auch Hochwasser-
katastrophen herein, von denen die des Jahres 1897 die schrecklichste war. Seitdem schuf man
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