Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
Regionen (OPAC): Westfalen
Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
Geschlecht (WdK): koedukativ
— 92 —
Augen und etue firme Faust; aber ein Schreiner braucht mehr.
Ich habe mich einmal vom Hochmut verleiten lassen und wollte,
wie Ihr es nennt, einen richtigen Schrank zuwege bringen, weil
mir Hobel und Meißel und Reißschiene auch bei dem Zimmergewerk
durch die Hände gegangen waren. Ich maß und zeichnete und
schnitt die Hölzer zu; auf Fuß und Zoll hatte ich alles abgepaßt;
aber als es nun an das Zusammenfügen und Leimen gehen sollte,
war alles verkehrt. Tie Wände standen windschief und klafften,
die Klappe vorn war zu groß und die Kasten für die Offnungen
zu klein. Ihr könnt das Machwerk noch sehen; ich habe es auf
der Flur stehen lassen, mich vor Versuchung künftig zu wahren; denn
es thut dem Menschen immer gut, wenn er eine Erinnerung an
seine Schwachheit vor Augen hat."
In diesem Augenblicke ließ sich ein lustiges Wiehern aus dem
Pferdestalle gegenüber vernehmen. Der Pferdehändler räusperte sich,
schlug sich Feuer an, blies dem Receptor eine starke Dampswolke in
das Gesicht, sah sehnsüchtig nach dem Stalle und dann gedankenvoll
vor sich nieder. Hieraus nahm er den lackierten Hut vom Kopse,
strich mit dem Arme über die Stirn und sagte: „Noch immer eine
schwüle Witterung." — Dann schnallte er seine lederne Geldkatze
vom Leibe, warf sie mit Getöse auf den Tisch, daß der Inhalt klang
und klirrte, lösete die Riemen und zählte zwanzig blanke Gold-
stücke hin, bei deren Anblick die Augen des Receptors zu funkeln
anfingen, nach denen aber der alte Hofschulze gar nicht hinsah.
„Hier ist das Geld !" ries der Pferdehändler, die Faust geballt
auf den Tisch stemmend, „krieg' ich den Braunen dasür? Er ist
nicht einen Heller mehr wert!"
„Dann behaltet Euer Geld, damit Ihr nicht zu Schaden
kommt!" versetzte der Hofschulze kaltblütig. „Sechsundzwanzig, wie
ich gesagt habe, und keinen Stüber darunter. Ihr kennt mich nun
die Jahre her, Herr Marx, und solltet daher wissen, daß das Tingen
und Feilschen bei mir nichts verschlägt, weil ich nie von meiner
Sprache abgehe. Ich begehre, was mir eine Sache wert ist, und
schlage niemals vor, und so könnte kommen, wer da wollte, er
kriegte den Braunen nicht unter sechsundzwanzig."
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Regionen (OPAC): Westfalen
Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
Geschlecht (WdK): koedukativ
— 128 —
der Braunschweiger und zog den Waffenrock eines gefallenen
Soldaten an, griff dann einige der auf dem Felde herumirrmdeni
Pferde auf und verfolgte so die Spur der Wächter seines Herrn und
befreite denselben unter dem Vorwande, ihn nach Celle bringen
zu müssen.
Trefflich war ihm seine List gelungen. In dem Dorfe Dankersen
unweit Minden lebte Jürges Vater als ein schlichter Bauer mit
seinem zweiten Sohne Hans. Seine Frau war ihm vor wenigen
Jahren gestorben, und so hatte er eine Waise, namens Margaretha,
zu sich genommen, die ihm durch ihren Fleiß und ihr fröhliches
Wesen bald fo lieb wurde, als wäre sie seine eigene Tochter. Munter
verrichtete sie des Tags über die schwersten Arbeiten und des Abends
saß sie fleißig vor dem Spinnrad und sang dazu die traulichsten
Weisen. Wohl war Hans von ihrem lieblichen Wesen entzückt und
hätte sie gern zu seiner Haussrau erwählt, aber er wagte es nicht,
diesem trefflichen Mädchen seine Liebe zu gestehen. Ter Vater hatte
die erwachende Liebe seines Sohnes längst erkannt und sich vor-
genommen, die Sache der Liebenden ins Reine zu bringen. Doch
eine heimtückische Krankheit warf ihn aufs Lager und nach wenigen
Monaten betteten ihn Sohn und Pflegetochter zur ewigen Ruhe. —
Unl diese Zeit war es, als Jürge, von dem Bischof reich mit Land
beschenkt, in sein Heimatsdorf Dankersen zurückkehrte. Durch Krieg
und Schlachten war er ein rauher Mann geworden und trieb sich am
liebsten in den Wäldern umher.
Wohl hatte er Kunde von dem Tode des Vaters erhalten, aber
den Bruder noch nicht besucht, den er haßte, da dieser stets der
Lieblingssohn der Eltern gewesen. Einst, müde von den Anstren-
gungen der Jagd heimkehrend, vernahm er aus dem elterlichen Haus
eine volle, süße Stimme. Neugierig, wer die schöne Sängerin sei,
schlich er näher und erblickte Margaretha; sie stand am Herde und
bereitete Speise für seinen Bruder. Überwältigt von ihrer Anmut
und Schönheit trat er näher, stürzte ihr zu Füßen und flehte um
ihre Liebe. Aber zürnend wies sie ihn ob dieser Zudringlichkeit von
sich. Stumm gehorchte er, indem er hoffte, später sich ihre Liebe
zu erringen. Von nun an mied er die wüsten Zechgelage seiner
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Extrahierte Personennamen: Hans Margaretha Hans Margaretha
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Regionen (OPAC): Westfalen
Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
Geschlecht (WdK): koedukativ
— 129 —
Genossen und schlich oft träumend am Hause des Bruders vorüber,
um die Holde erspähen zu können. Sein Groll gegen Hans wuchs
jedoch täglich, er beneidete ihn, daß er die Geliebte sprechen konnte,
und Rachepläne gegen den Bruder füllten sein Inneres. Endlich
wollte er Gewißheit haben, und eines Tages in Abwesenheit seines
Bruders harrte er auf sie, bis sie in den Garten trat; hier beschwur
er Margaretha aufs neue und beteuerte ihr seine aufrichtige Liebe,
aber vergebens; ängstlich stieß sie ihn von sich, floh in das Haus
und vor dem Kruzifixe des Herrn betete sie um Erlösung von der
Zudringlichkeit des wilden Jürgens.
Als am Abend Hans heimkehrte, fand er die Geliebte in
Thränen. Sie erzählte ihm alles und bat um seinen Schutz. Nun
beichtete Hans, wie er sie seit ihrem Eintritt in das elterliche Haus
geliebt habe, aber nicht gewagt, ihr seine Liebe zu gestehen, jetzt
wolle er sie zu seiner Gattin nehmen und vor allem behüten. Ein
Blick reiner Freude strahlte bei diesen Worten aus ihren Augen und
fest umschlungen hielten sich die so Gefundenen. Doch inmitten
dieses Glücks klirrte das Fenster, Wut in dem Antlitz schrie Jürge:
„Ha, Schändliche, um des Milchbarts willen hast du mich ab-
gewiesen?! Verderben über euch, und sollte es meine Seligkeit
kosten!" —
Hans verrichtete seine Arbeit jetzt mit einem Fleiß und einer
Fröhlichkeit, die Gretchen lange nicht an ihm bemerkt hatte. Jürge
suchte wieder die wilde Gesellschaft seiner Zechgenossen auf und
ergab sich ganz der wilden Gier. Beide Brüder vermieden sich
sorgfältig, denn anch Hans fürchtete den Jähzorn seines Bruders.
So rückte der Hochzeitsmorgeu für Hans und Grete heran,
Stattlich geschmückt standen die Leiterwagen vor der Thür, um das
Brautpaar zur Kirche zu geleiten, die Burschen und Mädchen des
Dorfes folgten als Brautjungfern und Brautknechte unter fröhlichem
Lachen, und jeder freute sich über das hübsche Paar, dem das ganze
Dorf viel Liebe schenkte. Kurz vor dem Eingang des Klosters er-
schallte eine Stimme aus dem Gebüsch: „Die Rache ist reif, zwei
Fliegen auf einen Schlag!" Die Burschen wollten den Frechen
packen; doch sahen sie niemand, nur das Brautpaar ahnte den
Schulze, Heimatskunde. 9
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Extrahierte Personennamen: Hans Margaretha Hans Hans Hans Jürge Hans Hans
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Regionen (OPAC): Westfalen
Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
Geschlecht (WdK): koedukativ
— 130 —
Störer. In der Kirche ging die Traufeierlichkeit ohne Störung
vor sich. Nach der Rückkehr war Tanz und Schmaus in Hansens
Hause und bis zum frühen Morgen ertönten die frohen Stimmen
der Hochzeitsgäste, deren Scherze bald die Wolken von der Stirn
der Neuvermählten scheuchten.
In ungetrübtem Glück verflogen die ersten Wochen dem jungen
Paare, in fröhlicher Arbeit und aufrichtiger Liebe genossen sie ihr
Leben. Tie bösen Worte des Bruders waren fast vergessen. Dieser
jedoch, wenn er nicht mit seinen Zechgenossen beisammen war, brütete
dumpfe Rachepläne. So beaufsichtigte er eiues Tages die Feldarbeit
seiner Untergebenen, und wie er so die Straße lang sah, erblickte er
plötzlich den Gegenstand seiner Rache, den ihm tötlich verhaßten
Bruder. Schnell schickte er seine Arbeiter heim, und auf die Pflug-
schaar gestützt, erwartete er die Aukunft des Bruders, der ein sröh-
liches Liedchen trällernd, mit dem Pfluge über der Schulter heim
zu seinem Weib eilte. Da ergriff der wilde Bruder seine Pflugschaar
und holte mit den Worten: „Stirb, Räuber meines Glückes!" zu
einem tötlichen Schlage aus. Erschreckt sprang Hans zur Seite und
benutzte sein Pflugschaar ebenfalls als Wehr. Nnn folgte Schlag
auf Schlag, bis beide tötlich getroffen zur Erde sanken. Ein leises
„Ich vergebe dir! — — Leb wohl, Gretchen!" aus dem Munde
des einen, ein dumpfes „Zwei Fliegen auf einen Schlag!" aus dem
Munde des andern.
Vergebens erwartete am Abend Margaretha ihren Gatten,
Stunde auf Stunde verrann, noch kehrte er nicht heim. Nichts
Gutes ahnend läuft sie hinaus in die finstere Nacht, bis sie ihren
Mann und daneben den wilden Jürge — beide in ihrem Blute
liegend — findet. Verzweifelt wirft sie sich aus den Geliebten und
suchte vergeblich, ihn mit Küssen zu erwecken. Ihr Glück war für
immer dahin, Wahnsinn nahm ihre Sinne gefangen. Täglich saß
sie auf dem Grabe ihres Mannes, den Hügel mit Waldblumen
bestreuend. Nach Verlauf eines Jahres ward sie eines Morgens
von den Nachbarn tot dort ausgefunden.
Zum Andenken an dieses gransig-romantische Ereignis erhebt
sich an der Chaussee, die von Minden nach Bückeburg führt, links
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Extrahierte Personennamen: Schmaus Hans Margaretha
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Regionen (OPAC): Westfalen
Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
Geschlecht (WdK): koedukativ
— 80 —
großes, einstöckiges Giebelhaus, seiner bedeutenden Länge nach ge-
wöhnlich in drei Teile geteilt. In der Mitte der Giebelseite, durch
ein großes Thor kenntlich, ist die Einfahrt, welche unmittelbar auf
die Tenne führt. Von da wird die Ernte auf dem Speicher bis
zum Dache untergebracht. Rechts und links der breiten Einfahrt
sind die Plätze für das Vieh abgesondert, welches mit den Köpfen
nach innen steht. Die Wohnungen befinden sich entweder neben
den Viehställen an den beiden seitlichen Abteilungen, oder es ist
hinten, am Ende der Einfahrt, noch eine vierte Abteilung angebracht,
welche durch die ganze Breite des Hauses geht. Die Küche im
Hintergrunde des mittleren Raumes ist häufig offen und ohne
Schornstein. „Die Wohnung eines gemeinen Bauern," fagte Justus
Möser, der ausgezeichnete Verfasser der osnabrückischen Geschichte,
der Geschichte seines Vaterlandes, „ist in ihrem Plane so voll-
kommen, daß solche gar keiner Verbesserung fähig ist und zum
Muster dienen kann. Der Herd ist fast in der Mitte des Hauses
und so augelegt, daß die Frau, welche bei demselben sitzt, zu gleicher
Zeit alles übersehen kann. Ein so großer und bequemer Gesichts-
Punkt ist in keiner andern Art von Gebäuden. Ohne von ihrem
Stuhle aufzustehen, übersieht sie zu gleicher Zeit drei Thüren,
dankt denen, die hereinkommen, heißt sie bei sich niedersitzen, behält
ihre Kinder und ihr Gesinde, ihre Pferde und Kühe im Auge,
hütet Keller, Boden und Kammer, spinnt immerfort und kocht
dabei. Ihre Schlafstelle ist hinter diesem Feuer, und sie behält aus
derselben eben diese große Aussicht, sieht ihr Gesinde zur Arbeit
aufstehen und sich niederlegen, das Feuer anbrennen und verlöschen
und alle Thüren auf- und zugehen, hört ihr Vieh fressen, die
Weberin schlagen und beachtet Keller, Boden und Kammer. Jede
zufällige Arbeit bleibt in der Kette der übrigen. Sowie das Vieh
gefüttert und die Dresche gewandt ist, ruht sie wieder hinter ihrem
Spinnrade. Diese vereinigten Vorteile machen, daß die Bauern
lieber beim Herde als in der Stube sitzen."
Auch andere Gewohnheiten haften an den liebgewonnenen Ein-
richtnngen des Hauses, obgleich durch Landesart, größeren Aufwand
und obrigkeitliche Anordnungen im einzelnen Abweichungen bedingt
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Regionen (OPAC): Westfalen
Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
Geschlecht (WdK): koedukativ
— 85 —
Darunter brennt das Holz oder Reisig aus eisernen Böcken, die es
in zwei Gabeln wie zwischen zwei Hörnern tragen. Die Schlaf-
stellen der Familie befinden sich an den Wänden herum in so-
genannten Schlafschränken, deren Thüren nachts geöffnet werden.
In der Mitte des ganzen Raumes steht der riesige Familientisch,
an dem mittags und abends die Mahlzeiten abgehalten und sonst
alle Verrichtungen des Hauses und der Wirtschaft vorgenommen,
werden.
Das Gesinde schläft in Abschlägen aus der Tenne beim Vieh
oder auf dem großen Heuboden über demselben. Hühner und Tauben
sind in kleinen Anbauten an der Tenne untergebracht. Das Ganze
überschatten meist riesige alte Eichen, Buchen oder Erlen. Obstzucht
in einem kleinen Baumgarten ist nicht selten. Blumenzucht aber
findet sich nirgends als etwa beim Schullehrer oder beim Pastor.
An das Haupthaus schließt sich außer dem Garten der eingefriedigte
Hof, auf dem sich die Scheune und der Kornspeicher befindet.
Kennt ihr das Land im Schmuck der Eichen?
Kennt ihr das Land im Schmuck der Eichen,
Wo Wittekind und Armin stand,
Und wo von ihren mächtigen Streichen
Mit Blut getränkt das Sachsenland,
Wo einst die Feme sprach die Acht
Und Gottesfurcht im Herzen wacht,
Wo hell das Gold der Seele glüht
Und tief noch gründet das Gemüt?
Es ist der roten Erde Land,
Vom Fels zum Meer als treu bekannt.
Wo freie Männer trutzig stehen
Am Hammerfeuer, auf dem Feld,
Wo sinnig noch die Frauen gehen
Und ihre Würde Wert behält,
Wo Gastlichkeit die Hand dir beut,
Ein ossen Wort nicht einer scheut,
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Regionen (OPAC): Westfalen
Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
Geschlecht (WdK): koedukativ
— 174 —
geworden. Der letzte Sprößling, Kuno, liebte die holdselige Tochter
Hilda — sie soll nach anderen Gertrud geheißen haben — des
reichen Grafen von Rieneck auf dem gegenüberliegenden Berge nahe
bei Rödinghausen und wurde wiedergeliebt. In einer Sommer-
nacht war er einst im Walde. Ta ertönte ein leiser Pfiff und
plötzlich trat ein altes, gebeugtes Mütterchen vor ihn hin und sprach:
„Kehre heim, sonst bist du ein Kind des Todes," und das Weib
oerschwand im Walde. Hinter ihm rauschte es, und als sich der Lynt-
burger umsah, stürzte ein verkappter Ritter auf ihn zu und nun
begann ein erbitterter Kampf. Die langen Schwerter fuhren durch
die Luft und trafeu die eisenfesten Panzer so hart, daß die Funken
stoben. Ta fuhr Lyntbnrgs Schwert sausend hernieder und zu
Tode getroffen sank der Meuchelmörder zur Erde. Der Lyntburger
löfete seiuen Harnisch, nahm die eiserne Sturmhaube vom Haupte
und der kühle Wind erfrischte das erhitzte Gesicht; dann legte er sich
unter eine dicke Buche und schlief vor Ermattung ein. Am anderen
Morgen trat das graue Mütterchen an den Schläfer heran und rief
ihm mit gellender Stimme zu: „Tu bist jetzt Sieger im heißen
Streit geweseu, aber es kommt die Zeit, daß dein Schwert wird
Unglück über dein Haupt bringen." Als der Ritter sich nach dem
Weibe umschaute, war es im Walde verschwunden. Nun ging der
Jüngling zu dem toten Ritter, öffnete ihm das Visier, und als
er das starre Gesicht erblickte, schrie er laut auf, er hatte seinen Vet-
ter, den Stromberger, der auch um die Tochter des Ritters Rieneck
freite, erschlagen. Hilda verachtete den Stromberger. Darüber er-
bittert, hatte er beschlossen, Kuno zu töten. Kuno eilte zu seinem
kranken Vater und erzählte, was im Walde geschehen war. „O,
mein Sohn," so sprach der Vater, „fliehe, bald werden die Strom-
berger kommen und die Burg zerstören, wenn sie dich hier finden."
Nun sattelte er sein Pserd und verließ trauernd die väterliche Burg.
Tie Söhue aus den umherliegenden Burgen stellten sich als
Freier der schönen Hilda ein; aber vergebens, auch die edelsten
Jünglinge mußten abziehen, sie fanden keine Gnade vor den Augen
des Burgfräuleius; denn Kuno von Lyntberg besaß voll und ganz
ihr Herz. Täglich stand sie auf dem Erker und schaute sinnend in
das Thal, dabei flössen Thränen aus ihren Augen. Sie dachte an
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Regionen (OPAC): Westfalen
Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
Geschlecht (WdK): koedukativ
— 91 —
gefügten Stücke das letzte Geschick. Der Schulze stieß mit dem Fuße
die vor das Rad gelegten Steine hinweg, faßte den Wagen bei der
Stange, um das geflickte Rad zu prüfen, und zog ihn ungeachtet
seiner Schwere ohne Anstrengung quer über den Hof, fo daß die
Hühner, Gänse und Enten, welche sich ruhig gesonnt hatten, mit
großem Geschrei vor dem rasselnden Wagen entflohen und ein paar
Schweine aus ihrem eingewühlten Lager grunzend auffuhren.
Zwei Männer, von denen der eine ein Pferdehändler, der
andere ein Rendant oder Receptor war, hatten, unter der großen
Linde am Tische vor dem Wohnhause sitzend und ihren Trunk der-
zehrend, der Arbeit des alten, rüstigen Mannes zugesehen. „Das
muß wahr sein," rief jetzt der eine, der Pferdehändler; „Ihr hättet
einen tüchtigen Schmied abgegeben, Hofschulze!"
Ter Hoffchulze wusch in einem Stalleimer voll Wasser, welcher
neben dem kleinen Amboß stand, sich Hände und Gesicht, goß dann
das Feuer aus und sagte: „Ein Narr, der dem Schmied giebt,
was er selbst verdienen kann!" Er nahm den Amboß auf, als sei
er eine Feder, und trug ihn nebst Hammer und Zange unter einen
kleinen Schuppen zwischen Wohnhaus und Scheuer, in welchem
Hobelbank, Säge, Stemmeisen, und was sonst zu Zimmer- und>
Schreinergewerk gehört, bei Holz und Brettern mancher Art stand,
lag oder hing.
Indem der Alte sich unter dem Schuppen noch zu schaffen
machte, sagte der Pferdehändler zu dem Receptor: „Wollen Sie
glauben, daß der auch alle Pfosten, Thüren und Schwellen, die
Kisten und Kasten im Hause mit eigener Hand flickt, oder, wenn
das Glück gut ist, auch neu zuschneidet? Ich meine, wenn er wollte,
könnte er auch einen Kunstschreiner vorstellen und würde einen
richtigen Schrank zuwege bringen."
„Ta seid Ihr ^im Irrtum," sprach, der Hofschulze, der das
Letzte gehört hatte und, das Schurzfell jetzt abgethan, im weiß-
leinenen Kittel aus dem Schuppen trat. Er setzte sich zu den beiden
Männern an den Tisch, eine Magd brachte ihm auch ein Glas;
er that seinen Gästen Bescheid und fuhr dann fort: „Zu einem
Pfosten, zu einer Thür und Schwelle gehören nur ein Paar gesunde
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Regionen (OPAC): Westfalen
Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
Geschlecht (WdK): koedukativ
— 95 —
mann ausstechen, so will ich nicht Marx heißen. Das Erdreich ist
seit uralter Zeit zusammen geblieben. Und sparsam und sleißig
ist der Nichtsnutz von jeher gewesen; das muß man ihm lassen. Sie
sahen ja, wie er sich abplagte, nur um dem Schmied die paar
Groschen Verdienst zu nehmen."
Während der letzten Reden hatte der verdrießliche Pferdehändler
sachte in die Geldkatze gegriffen und den zwanzig Goldstücken, gleich-
sam gleichgültig thuend, noch sechs hinzugefügt. Der Hofschulze
trat wieder in die Thür, und der andere sagte brummend, ohne
ihn anzusehen: „Da liegen die sechsundzwanzig, wenn es ein-
mal nicht anders sein soll."
Ter Hofschulze lächelte schalkhaft und sprach: „Ich wußte wohl,
daß Ihr das Pferd kaufen würdet, Herr Marx; denn Ihr sucht für
den Rittmeister in Unna eins zu dreißig Pistolen, und mein Bräun-
chen paßt Euch dazu, wie bestellt. Ich ging auch nur in das Haus,
um die Goldwage zu holen, und sah vorher, daß Ihr Euch unterdessen
besonnen haben würdet."
Der Alte, welcher in seinen Bewegungen bald etwas ungemein
Rasches, bald wieder die größte Bedächtigkeit zeigte, je nachdem das
Geschäft war, das er trieb, setzte sich an den Tisch, wischte langsam
und sorgfältig seine Brille ab, spannte sie über die Nase und fing
nun an, die Goldstücke genau zu wägen. Zwei oder drei musterte er
als zu leicht aus, worüber der Pferdehändler ein heftiges Gezeter
erhob, welchem der Hofschulze schweigend und kaltblütig, die Wage in
der Hand behaltend, zuhörte, bis der andere statt der verworfenen
vollwichtige hervorholte. Endlich war die Sache beendigt; der Ver--
käuser packte bedächtig das Gold in ein Papier und ging mit dem
Pserdehändler nach dem Stalle, um ihm das Pferd zu überliefern.
Ter Einnehmer wartete die Rückkehr der beiden nicht ab. „Mit
solchem Klotz ist nichts anzufangen," sagte er, „aber wenn du uns
nur nicht so ordentlich ans die Termine bezahltest, wir wollten
dich —!" Er fühlte nach feinen urkundlichen Papieren in der
Tasche und schlich vom Hofe.
Aus dem Stalle traten der Pferdehändler, der Schulze und ein
Knecht, welcher zwei Pferde, das des Händlers und den erkauften
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Regionen (OPAC): Westfalen
Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
Geschlecht (WdK): koedukativ
— 96 —
Braunen, hinter sich her führte. Der alte Schulze sagte, indem er
das Tier zum Abschied streichelte: „Es thut einem immer leid,
wenn man eine Kreatur, die man aufzog, losschlägt; aber wer kann
dawider? — Nun, halte dich brav, Bräunchen!" rief er, und gab
ihm einen herzhaften Schlag auf die runden, glänzenden Schenkel.
Ter Pferdehändler war indessen aufgestiegen und sah mit seiner
langen Figur und der kurzen Schoßjacke unter dem breitkrämpigen,
lackierten Hute, mit seinen erbsengelben Hosen über den dürren
Lenden und den hoch hinaufreichenden ledernen Gamaschen, mit
seinen Pfundsporen und mit seiner Peitsche wie ein Wegelagerer aus.
Er ritt, ohne Lebewohl zu sagen, fluchend und wetternd davon, den
Braunen am Leitzaum nachziehend. Keinen Blick warf er nach dem
Gehöfte zurück; das Pferd dagegen drehte mehrere Male den Hals
um und wieherte wehmütig, als wollte es klagen, daß seine gute Zeit
nun vorüber sei. Der Hofschulze blieb, die Arme in die Seite
gestemmt, mit dem Knechte stehen, bis der Zug durch den Baum-
garten verschwunden war. Dann sagte der Knecht: „Das Vieh
grämt sich." „Warum sollt' es nicht?" erwiderte der Hofschulze;
„grämen wir uns doch auch! Komm auf den Futterboden, wir
wollen Hafer messen!"
Aus dem Oberhos von K. L. Jmmermann.
Das Lied der Westfalen.
Ihr mögt den Rhein, den stolzen, preisen,
Ter in dem Schoß der Reben liegt;
Wo in den Bergen ruht das Eisen,
Ta hat die Mutter mich gewiegt!
Hoch auf dem Fels die Tannen stehn;
Im grünen Thal die Herden gehn;
Als Wächter an des Hofes Saum
Reckt sich empor der Eichenbaum.
Ta ist's, wo meine Wiege stand.
O, grüß dich Gott, Westfalenland!
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