I. Familie und Elternhaus
1. Sollessegen.
ie Ivelt ist voll von Gottes Segen,
willst du ihn haben, er ist dein;
Du brauchst nur Hand und Fuß zu regen,
Du brauchst nur fromm und klug zu sein.
Friedr. Wilh. Weber.
2. Guter Worsatz.
as walte Gott, der helfen kann.
Mit Gott fang7 ich die Arbeit an.
Mit Gott, so geht es glücklich fort;
Drum ist auch dies mein erstes Wort:
„Das walte Gott!"
2. All mein Beginnen, Tun und Werk
Erfordert von Gott Kraft und Stark'.
Mein Herz zu Gott ist stets gericht't,
Drum auch mein Mund mit Freuden spricht:
„Das walte Gott!"
Joh. Betichius.
3. Der alle König und seine drei Söhne.
Ein alter König ließ eines Tages seine Söhne zu sich rufen und
sagte: „Ich bin es müde, noch länger zu regieren, auch fühle ich, daß
ich nur noch kurze Zeit zu leben habe. Nun seid ihr mir alle gleich
lieb, und doch kann ich Reich und Krone nur einem vererben. So zieht
denn aus und versucht euer Glück. Wer mir die Gabe zurückbringt, die
für mich alten Mann den größten Wert hat, der soll nach mir den
Thron besteigen."
Da zogen die drei Jünglinge aus, und jeder von ihnen hoffte, die
wertvollste Gabe heimzubringen. Der älteste besann sich nicht lange; er
wußte, daß sein Vater Freude an seltenen Edelsteinen hatte, und kaufte
den größten und schönsten Diamant, den er auffinden konnte. Der alte
N. Gottesleben, Deutsches Lesebuch. I. j
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I. Fainilie und Elternhaus.
sich vor euren großen Augen." So wurden die Eier geschont und er-
halten.
Als nun die Jungen ausgekrochen waren und darinnen lagen, so
nackt und klein, und so hungrig die gelben Schnäbel aufsperrten, da
standen die Kinder wieder dort und die Mutter mit und sagte: „So
arme, kleine Dinger wäret ihr auch, und so ein Nest haben wir euch
auch gebaut und haben euch zugedeckt in der Wiege und haben euch
warm gehalten in Pfühl und Kissen und haben euch etwas in den
Mund gegeben, und der Vater ist ausgegangen und hat das Brot
heimgebracht; und wenn's regnete, und wenn's finster und kalt draußen
wurde, da haben wir euch mit in unser Bett genommen, husch, husch!
— Kinder, tut mir den kleinen Dingern nichts!" —
Das war die Mutterpredigt am Grasmückenneste, nicht eben lang,
aber etlichemal bei derselben Gelegenheit wiederholt. Und das Nest
ward erhalten, und die fünf Jungen sind gestern ausgeflogen.
Oldenburger Volksbote.
11. Die Schwaköen.
1. Mutter, Mutter! unsre Schwalben
Sieh doch selber, Mutter, sieh!
Junge haben sie bekommen,
Und die Alten füttern sie.
2. Als die lieben kleinen Schwalben
Wundervoll ihr Nest gebaut,
Hab' ich stundenlang am Fenster
Heimlich sinnend zugeschaut;
3. Und nachdem sie eingerichtet
Und bewohnt das kleine Haus,
Schauten sie mit klugen Augen
Gar verständig nach mir aus.
4. Ja, es schien, sie hätten gerne
Manches heimlich mir erzählt,
Und es habe sie betrübet,
Was zur Nede noch gefehlt.
5. Eins ums andre wie ein Kleinod
Hielten sie ihr Haus in Hut;
Sieh' doch, wie die kleinen Köpfchen
Steckt hervor die junge Brut!
6. Und die Alten, eins ums andre,
Bringen ihnen Nahrung dar;
O wie köstlich ist zu schauen
So ein liebes Schwalbeupaar!
7. Mutter, weißt du noch, wie neulich
Krank im Bett ich lag und litt?
Pflegtest mich so süß, und abends
Brachte Vater mir was mit.
Adalb. v. Chamisso.
12. Äm Maimorgerr.
1. Kommt, Kinder, wischt die Augen
aus,
Es gibt hier was zu sehen;
Und ruft den Vater auch heraus:
Die Sonne will aufgehen!
2. Wie ist sie doch in ihrem Lauf
So unverzagt und munter,
Geht alle Morgen richtig auf
Und alle Abend unter!
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8
I. Familie und Elternhaus.
9. Sieht alles, was ihr tut und denkt,
Hält euch in seiner Pflege,
Weiß, was euch freut und was euch kränkt,
Und liebt euch allewege.
10. Das Sternenheer hoch in der Höh',
Die Sonne, die dort glänzet,
Das Morgenrot, der Silbersee,
Mit Busch und Wald umkränzet;
11. Dies Veilchen, dieser Blütenbaum,
Der seine Arm' ausstrecket,
Sind, Kinder, seines Kleides Saum,
Das ihn vor uns bedecket;
12. Ein Herold, der uns weit und breit
Von ihm erzähl' und lehre;
Der Spiegel seiner Herrlichkeit,
Der Tempel seiner Ehre;
13. Ein mannigfaltig groß Gebäu,
Durch Meisterhand vereinet,
Wo seine Lieb' und seine Treu'
Uns durch die Fenster scheinet.
14. Er selbst wohnt unerkannt darin
Und ist schwer zu ergründen.
Seid fromm und sucht von Herzen ihn,
Ob ihr ihn möchtet finden.
Matth. Claudius.
13. Wunderbare Rettung aus Sturmesnot.
An einem eiskalten, stürmischen Januarmorgen des Jahres
1895 wurden die Bewohner eines schleswig-holsteinischen Fischer-
dorfes durch einen Kanonenschuß auf der See geweckt. Alle
wußten, was das zu bedeuten habe, und begaben sich in der
größten Eile an den Strand. Etwa ein Kilometer von der Küste
saß ein Schiff auf dem Riff, rettungslos verloren. Die Besatzung
war in die Masten geklettert und hatte sich an das Tauwerk
festgeklammert, um nicht von den Wellen weggespült zu werden.
„Rettungsboot klarl“ ertönte das Kommando. Das Boot wurde
ausgebracht, aber sein beherzter Führer Harro war nicht da; er
hatte sich frühmorgens in das Nachbardorf begeben. Es war un-
möglich, auf ihn zu warten; denn jede Minute konnte das ge-
fährdete Schiff in Trümmer zerschlagen werden. Acht Mann
ruderten hinaus in die tosende See. Sie erreichten das Wrack
und schafften die armen Schiffbrüchigen in das Boot. Aber einer
3. So scheint sie täglich weit und breit
In Schweden und in Schwaben,
Dann kalt, dann warm, zu seiner Zeit,
Wie wir es nötig haben.
4. Von ungefähr kann das nicht sein,
Das könnt ihr wohl gedenken;
Der Wagen da geht nicht allein,
Ihr müßt ihn ziehn und lenken.
5. So hat die Sonne nicht Verstand,
Weiß nicht, was sich gebühret;
's muß einer sein, der an der Hand
Gleich wie ein Lamm sie führet.
6. Und der hat Gutes nur im Sinn,
Das kann man bald verstehen;
Er schüttet seine Wohltat hin
Und lässet sich nicht sehen;
7. Und hilft und segnet für und für,
Gibt jedem seine Freude,
Gibt uns den Garten vor der Tür
Und unsrer Kuh die Weide;
8. Und hält euch Morgenbrot bereit
Und läßt euch Blumen pflücken
Und stehet, wann und wo ihr seid,
Euch heimlich hinterm Rücken;
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I. Familie und Elternhaus.
9
blieb zurück. Er hing hoch oben im Mast, schwer und steif infolge
der Kälte, und sie wagten nicht, ihn herabzuholen; denn das Boot
war schon überladen, der Sturm nahm zu, und aller Leben stand
auf dem Spiel.
Als sie ans Land kamen, war Harro da. Er fragte, ob man
sie alle gerettet habe, und so hörte er denn von dem Letzten im
Mast. »Ich werde ihn holen,“ rief er, „geht ihr mit?“ Aber sie
wollten nicht; sie meinten, es sei unmöglich. In diesem Augen-
blick erscheint seine Mutter am Strande. Sie bittet ihn: „Gehe
nicht! Dein Vater blieb draußen — und Uwe.“ Uwe war ihr
jüngster Sohn, von dem sie seit Jahren nichts gehört hatte. „Gehe
nicht, deiner Mutter zuliebe!“ wiederholte sie. — »Und der da
draußen — bist du sicher, daß auch er nicht noch eine Mutter
hat?“ gab der Sohn zur Antwort. Da schwieg die Alte, und vier
Mann sprangen mit Harro in das Boot.
Das Wrack stand schon ganz unter Wasser, als sie hinkamen,
und es hielt schwer, sich ihm zu nähern. Endlich gelang es. Harro
selbst klettert hinauf in die Wanten, um den fast erfrorenen
Burschen herunterzuholen. Bald liegt er im Boote, und landein-
wärts geht’s. Als man aber dem Strande so nahe ist, daß Harros
kräftige Stimme durch Sturm und Brandung dringen kann, da
winkt und ruft er: „Sagt’s der Mutter, es ist Uwe!“
G. Schillmann.
14. Jas Erkennen.
Ein Wanderbursch mit dem Stab in der Hand
Kommt wieder heim aus dem fremden Land.
Sein Haar ist bestäubt, sein Antlitz verbrannt;
Von wem wird der Bursch wohl zuerst erkannt?
So tritt er ins Städtchen durchs alte Tor,
Am Schlagbaum lehnt just der Zöllner davor.
Der Zöllner, der war ihm ein lieber Freund,
Oft saßen die beiden früher vereint.
Doch siehe, Freund Zollmann erkennt ihn nicht;
Zu sehr hat die Sonn' ihm verbrannt das Gesicht.
Und weiter wandert nach kurzem Gruß
Der Bursche und schüttelt den Staub vom Fuß.
Da tut seine Schwester ihr Fenster auf,
Und er winkt mit dem herzlichsten Gruß hinauf.
Doch sieh — auch die Schwester erkennt ihn nicht;
Die Sonn' hat zu sehr ihm verbrannt das Gesicht.
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I. Familie und Elternhaus.
13
seit unser Vater starb, durch Fleiß erwarb, durch Glück gewann, zu dem
ererbten Dritteil legen. Ihr beide solltet elend sein? Ihr, meine Brüder?
ich allein der Glückliche? Verarmte Brüder, kommt, teilt von neuem!"
— Und sie teilten wieder.
Joh. Nikol. Götz.
18. Eine gute Schwester.
Bei der Stadt Elberfeld hat sich im Jahre 1834 folgende
Begebenheit zugetragen. An einem Bache, welcher zur Wupper
fließt, wohnte ein Fischer. Der hatte drei Kinder: Marie,sieben Jahre
alt, Hänschen und Liese. Die waren über den Steg gegangen, um
auf der Wiese zu spielen. Als der Abend kam, dachte Marie an
den Heimweg. Sie sagte: „Komm, Liese, ich trage dich über den
Steg. Hänschen, du bleibst hier, bis ich dich hole; aber geh mir
ja nicht ans Wasser!“ So trug sie die kleinste hinüber und setzte
sie in das Gras. Aber wie erschrak sie, als sie sich umwandte! Der
kleine Hans, welcher vor kurzem erst laufen gelernt hatte, stand
mitten auf dem Stege.
Sie läuft, ihn zu halten; aber ehe sie ihn erreicht, wanken
die kleinen Füße, und der Knabe stürzt ins Wasser, das ihn mit
sich fortreißt. Ohne Besinnen springt die mutige Schwester ihm
nach. Aber was kann das Kind dem Kinde helfen! Der reißende
Bach treibt sie beide fort. Doch gelang es ihr, den herabhängenden
Zweig einer Weide zu fassen, die am Wasser stand. Laut rief
sie um Hilfe, mehr um das Brüderchen, als um sich selbst be-
sorgt, und auch das Schwesterchen im Grase erhob ängstlich seine
Stimme.
Ein Wanderer, der den Unfall von weitem bemerkt
hatte, eilte zur Hilfe herbei. Da er den Knaben nicht sogleich
sah, so wollte er sie erretten. Aber sie winkte und rief, er sollte
zuerst dem Brüderchen helfen. Der Mann sprang ins Wasser und
brachte den Knaben glücklich ans Land. Da brach der Zweig, an
welchem das wackere Mädchen sich festhielt, und sie versank im
Wasser. Mit großer Mühe rettete der Mann auch sie; denn der
liebe Gott wollte es nicht zulassen, daß eine so liebevolle Schwester
einen so frühen Tod fände, weil sie eher an das Brüderchen als
an sich selbst gedacht hatte.
Nach R. Reinick.
19. Kans Lustig.
Hans Lustig war das Kind armer Leute; sein Vater war ein
Schuhflicker und seine Mutter eine Wäscherin. Jeder, der ihn ansah,
hatte seine Freude an dem muntern Jungen. Als er größer wurde, gab
es immer zu tun für ihn. Bald trug er für den Vater die Stiefel und
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Extrahierte Personennamen: Nikol Götz Marie Liese Liese Hans_Lustig
I. Familie und Elternhaus.
15
Trompeten, beibehalten hatte, lernte es auch. Unermüdlich übte er sich,
am liebsten im Stadtwalde, wo es niemand hörte. Dann blies er oft
für seinen Vater, und alle, die ihn hörten, freuten sich. Unterdessen kam
die Zeit, wo er Soldat werden mußte. In demselben Jahre starben
seine beiden Eltern. Sie segneten ihn; denn er hatte ihnen viel Freude
gemacht. Beim Regimente wurde Hans Musiker und zeichnete sich dabei
so aus, daß er nach wenigen Jahren die erste Stelle bei der Regiments-
musik erhielt.
Am Mittage bei der Wachparade sammeln sich immer viele Leute,
um die schöne Musik zu hören. Mitten unter den Musikern steht ein
Mann, der den Takt dazu schlägt. Das ist niemand anders als Hans
Lustig; sein Titel heißt aber jetzt Herr Kapellmeister.
Rob. Reinick.
20. Die köstlichsten Gewürze.
Ein Prinz wurde auf einem Spaziergange von einem Platz-
regen überfallen und flüchtete sich in das nächste Bauernhaus.
Die Kinder saßen eben bei Tische. Vor ihnen stand eine
große Schüssel voll Kartoffeln und eine andere mit Buttermilch.
Alle ließen sich’s gut schmecken und sahen dabei frisch und rot
aus wie die Rosen.
„Aber wie ist es nur möglich,“ sagte der Prinz zur Mutter,
„daß man eine so einfache Nahrung mit so sichtbarer Lust ver-
zehren und dabei so gesund und blühend aussehen kann?“
Die Mutter aber antwortete: „Das kommt von dreierlei Ge-
würzen her, die ich in die Speisen tue. Erstens lasse ich die
Kinder ihr Mittagessen durch Arbeit verdienen. Zweitens gebe
ich ihnen außer der Tischzeit nichts zu essen, damit sie Hunger
mit zu Tische bringen. Drittens gewöhne ich sie zur Genüg-
samkeit, indem ich sie mit Leckerbissen und Näschereien gar
nicht bekannt mache.“ Clir. v. Schmid.
21. Das Mittagessen im Kofe.
Ein Bedienter konnte seinem Herrn manchmal gar nichts recht
machen, und er mußte vieles entgelten, woran er unschuldig war. So
kam einmal der Herr sehr verdrießlich nach Hause und setzte sich zum
Mittagessen. Da war die Suppe zu heiß oder zu kalt oder keins von
beiden; aber genug, der Herr war verdrießlich. Er faßte daher die
Schüssel mit dem was darinnen war, und warf sie durch das offene
Fenster in den Hof hinab.
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Extrahierte Personennamen: Hans Hans
Lustig Schmid
16
I. Familie und Elternhaus.
Was tat der Diener? Kurz besonnen, warf er das Fleisch, welches
er eben auf den Tisch stellen wollte, mir nichts, dir nichts, der Suppe
nach, auch in den Hof hinab, dann das Brot, dann den Wein und endlich
das Tischtuch mit allem, was noch darauf war, auch in den Hof hinab.
„Verwegener, was soll das?" fragte der Herr und fuhr mit drohendem
Zorn von dem Sessel auf. Aber der Bediente erwiderte kalt und ruhig:
„Verzeihen Sie mir, wenn ich Ihre Meinung nicht erraten habe. Ich
glaubte nicht anders, als Sie wollten heute in dem Hofe speisen. Die
Luft ist so heiter, der Himmel so blau, und sehen Sie nur, wie lieblich
der Apfelbaum blüht, und wie fröhlich die Bienen ihren Mittag halten!"
— Diesmal die Suppe hinabgeworsen und nimmer! Der Herr erkannte
seinen Fehler, heiterte sich im Anblick des schönen Frühlingshimmels auf,
lächelte heimlich über den schnellen Einfall seines Aufwärters und dankte
ihm im Herzen für die gute Lehre. Joh. Peter Hebel.
22. Sprichwörter und Ienksprüche.
1. Salz und Brot macht Wangen rot. — 2. Eine fette Küche macht
einen mageren Beutel. — 3. Viele Köche versalzen den Brei. —
4. Wenn die Maus satt ist, schmeckt das Mehl bitter. — 5. Trink und
iß, Gott nicht vergiß.
6. Vatersorge, Muttertreu'
Ist mit jedem Morgen neu.
7. Zwei Eltern hat ein Menschenkind.
Und einen Gott, nicht mehr,
Und wenn beide gestorben sind,
Am Leben ist doch er.
Fried. Rückert.
23. Zwei Mlsek.
i.
Der Krebs ist schwarz im Leben
Und nach dem Tode rot;
Doch ich bin rot im Leben
Und schwarz nach meinem Tod.
Daß keiner mich berühre!
Schlimm wird es ihm gebethn;
Ob keinen Zahn ich führe,
Doch beiß' ich tüchtig drein.
Theod. Fechner.
2.
Verfertigt ist's vor langer Zeit,
Doch mehrenteils gemacht erst heut;
Sehr schätzbar ist es seinem Herrn,
Und dennoch hütet's niemand gern.
Gottfr. Aug. Bürger.
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I. Familie und Elternhaus.
17
24. Das fremde Kind.
Durch den Schnee und durch die Tannen des Schwarzwaldes
kommt abends am 5. Dezember 1807 ein achtjähriges Mägdlein halb
barfuß, halb nackt, vor das Häuslein eines armen Taglöhners im Ge-
birge und gesellt sich mir nichts dir nichts zu den Kindern des armen
Mannes, die vor dem Hause waren, und gaukelt mit ihnen, geht mit
ihnen mir nichts dir nichts in die Stube und denkt nimmer ans Fort-
gehen. Nicht anders als ein Schäflein, das sich von der Herde ver-
laufen hat und in der Wildnis umherirrt: wenn es wieder zu seines-
gleichen kommt, so hat es keinen Kummer mehr.
Der Taglöhner fragt das Kind, wo es herkomme. — „Oben
herab vom Gutenberg." — „Wie heißt dein Vater?" — „Ich habe
keinen Vater." — „Wie heißt deine Mutter?" — „Ich habe keine
Mutter." — „Wem gehörst du denn sonst an?" — „Ich gehöre nie-
mand sonst an."
Aus allem, was er fragte, war nur soviel herauszubringen, daß
das Kind von Bettelleuten sei aufgelesen worden, daß es mehrere Jahre
mit Bettlern und Gaunern umhergezogen sei, daß sie es zuletzt in St.
Peter hätten sitzen lassen und daß es allein über St. Märgen gekommen
und jetzt da sei. Als der Tagelöhner mit den Deinigen zu Nacht aß,
setzte sich das fremde Kind auch an den Tisch. Als es Zeit war zu
schlafen, legte es sich auf die Ofenbank und schlief auch; so den andern
Tag, so den dritten. Denn der Mann dachte: Ich kann das arme Kind
nicht wieder in sein Elend hinausjagen, so schwer es mich ankommt,
eins mehr zu ernähren. Aber am dritten Tage sagte er zu seiner Frau:
„Frau, ich will's doch auch dem Herrn Pfarrer anzeigen."
Der Psarrherr lobte die gute Denkungsart des armen Mannes.
„Aber das Mägdlein," sagte er, „soll nicht das Brot mit Euern Kin-
dern teilen, sonst werden die Stücklein zu klein. Ich will ihm einen
Vater und eine Mutter suchen."
Also ging der Psarrherr zu einem wohlhabenden und gutdenkenden
Manne in seinem Kirchspiele, der selber wenig Kinder hatte. „Peter,"
sagte er, „wollt Ihr ein Geschenk annehmen?" — „Nach dem's ist,"
sagte der Mann. — „Es kommt von unserm lieben Herrgott." —
"Wenn's von dem kommt, so ist's kein Fehler." — Also bot chm der
Psarrherr das verlassene Mägdlein an und erzählte ihm die Geschichte
dazu, so und so. Der Mann sagte: „Ich will mit meiner Frau reden.
Es wird nicht fehlen." Der Mann und die Frau nahmen das Kind
mit Freuden auf.. „Wenn's gut tut," sagte der Mann, „so will ich's
erziehen, bis es sein Stücklein Brot selber verdienen kann. Wenn's nicht
N. Gottesleben. Deutsches Lesebuch, l. ~
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50
Ii. Aus dem Menschenleben.
65. Einmal ist keinmal.
Dies ist das erlogenste und schlimmste unter allen Sprichwörtern,
und wer es gemacht hat, der war ein schlechter Rechenmeister oder ein
boshaster. Einmal ist wenigstens einmal, und daran läßt sich nichts ab-
markten. Wer einmal gestohlen hat, der kann sein Lebenlang nimmer
mit Wahrheit und mit frohem Herzen sagen: „Gottlob! ich habe mich
nie an fremdem Gute vergriffen." Und wenn der Dieb erhascht und ge-
henkt wird, alsdann ist einmal nicht keinmal. Aber das ist noch nicht
alles, sondern man kann meistens und mit Wahrheit sagen: Einmal ist
zehnmal und hundertmal und tausendmal. Denn wer das Böse einmal an-
gefangen hat, der setzt es gemeiniglich auch fort. Wer A gesagt hat,
der sagt auch gern B, und alsdann tritt zuletzt ein andres Sprichwort
ein: Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht.
I. P. Hebel.
66. Sprichwörter.
1. Lügen haben kurze Beine. — 2. Junger Lügner, alter Dieb.
— 3. Rede wenig, aber wahr! Vieles Reden bringt Gefahr. — 4. Ein
Mann, ein Wort.
5. Zanken zwei, so haben beide Unrecht. — 6. Verzeihen ist die
beste Rache. — 7. Der Klügste gibt nach.
8. Mit dem Hute in der Hand kommt man durchs ganze Land.
— 9. Übermut tut selten gut. — 10. Hochmut kommt vor dem Fall.
— 11. Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein.
67. Aer arme Musikant und sein Kollege.
An einem schönen Sommertage war im Prater zu Wien ein großes
Volksfest. Der Prater ist nämlich eine sehr große, öffentliche Gartenanlage
voll herrlicher Bäume und ist ein Hauptspaziergang und Belustigungsort
der Wiener. Viel Volk strömte hinaus, und jung und alt, vornehm und
gering freute sich dort seines Lebens; auch viele Fremde kamen und
erfreuten sich an der Volkslust. Wo fröhliche Menschen sind, da hat auch
der etwas zu hoffen, der an die Barmherzigkeit seiner glücklicheren Mit-
menschen gewiesen ist. So waren denn hier eine Menge Bettler, Orgel-
männer, Blumenmädchen u. dgl., die sich ihren Kreuzer zu verdienen
suchten.
In Wien lebte damals ein Invalide, dem seine kleine Pension
zum Unterhalt nicht ausreichte. Betteln mochte er nicht. Er griff daher
zur Violine, die er von seinem Vater, einem Böhmen, erlernt hatte.
Er spielte unter einem alten Baum im Prater, und seinen treuen Pudel
hatte er so abgerichtet, daß das Tier vor ihm saß und seines Herrn
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T3: [Stadt Schloß Straße Berlin Kirche Haus Gebäude Platz Garten Universität]]
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I. Familie und Elternhaus.
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26. Pas Kind am Wrunnen.
1. Frau Amme, Frau Amme, das Kind ist erwacht!
Doch die liegt ruhig im Schlafe.
Die Vögleiu zwitschern, die Sonne lacht,
Am Hügel weiden die Schafe.
2. Frau Amme, Frau Amme, das Kind steht auf,
Es wagt sich weiter und weiter!
Hinab zum Brunnen nimmt es den Lauf,
Da stehen Blumen und Kräuter.
3. Frau Amme, Frail Amme, der Brunnen ist tief!
Sie schläft, als läge sie drinnen.
Das Kind läuft schnell, wie es noch nie lief,
Die Blumen locken's von hinnen.
4. Nun steht es am Brunnen, nun ist es am Ziel,
Nun pflückt es die Blumen sich munter;
Doch bald ermüdet das reizende Spiel,
Da fchaut's in die Tiefe hinunter.
5. Und unten erblickt es ein holdes Gesicht
Mit Augen, so hell und so süße.
Es ist sein eigenes, das weiß es noch nicht,
Winkt stumme, freundliche Grüße.
6. Das Kindlein winkt, der Schatten geschwind
Winkt aus der Tiefe ihm wieder.
Herauf, heraus! so meint's das Kind;
Der Schatten: Hernieder, hernieder!
7. Schon beugt es sich über den Brunnenrand —
Frau Amme, du schläfst noch immer!
Da fallen die Blumen ihm aus der Hand
Und trüben den lockenden Schimmer.
8. Verschwunden ist sie, die süße Gestalt,
Verschluckt von der hüpfenden Welle;
Das Kind durchschauert's fremd und kalt,
Und schnell enteilt es der Stelle.
Friedr. Hebbel.
27. Pie zwei Kunde.
Ein Junker hielt sich ein paar Hunde;
Es war ein Pudel und sein Sohn.
Der junge, namens Pantalon,
Vertrieb dem Herrchen manche Stunde.
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