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1. Deutsches Lese-, Lehr- und Sprachbuch für Schule und Haus - S. IV

1865 - Göttingen : Deuerlich
Iv stillen bescheidenen Veilchen — mehr will dies Büchlein nicht — ein Plätzchen gönnen, wo es im Verborgenen blüht! Das Lesebuch hat aber anch eine gemüthliche Aufgabe. Es würde zu langweilig und ermüdend für die Kinder sein, wenn es sich nur mit trocknen Abrissen an ihren Verstand und ihr Ge- dächtniß wenden wollte; auch das Herz und Gemüth wollen ihr Recht haben. Deshalb muß das Lesebuch klare, volle, abgerundete Darstellungen, Lebens - oder Charakterbilder, enthalten, Prosa mit Poesie wechseln lassen rc. — Daß verschiedenartige Lettern zur äußern Darstellung gewählt werden mußten, um die Lesefertigkeit zu fördern, bedarf wohl kaum der Erwähnung. Daß außerdem durch die Wahl der Schriftart der einzelnen Stücke in Absch. 2., 3. und 4. stets ein besonderer pädagogischer Zweck verfolgt wird, leuchtet dem kundigen Lehrerauge von selbst ein. Das vorliegende Lesebuch soll nun zunächst eilt Schullesebnch sein, indem es entweder bei etwaiger Einführung unmittelbar als Grundlage des Unterrichts dient oder aber auch dem Lehrer solcher Schulen, die kein Lesebuch besitzen, einen Leitfaden für seinen Unter- richt bietet. Und indem auch wohl im häuslichen Kreise der Land- bewohner daraus vorgelesen wird oder indem das eine oder das andere Kind es cuicl) noch nach seiner Schulzeit einmal wieder zur Hand nimmt, würde es zugleich die Aufgabe eines Haus- und Volksbuchs erfüllen. Wenn endlich selbstredend ein Lesebuch kein Buch für die Kirche ist, so soll es sich doch in den Dienst der Kirche stellen, zumal ja die Schule auch eine Kinderkkche ist. Es wird nun noch nöthig sein, über den Plan und Gang dieses Büchleins etwas zu sagen. Es ist entworfen mit steter Rück- sicht auf die in der Bekanntmachung des Königl. Consistorii vom 31. März 1856 für den Vvlköschnlunterricht aufgestellten Grund- sätze und soll deshalb, wie schon gesagt, die ganze Volksschulbildung soweit sie nicht durch Bibel, Gesangbuch, Katechismus und Rechnen- buch erzielt wird, zum Vorwurf nehmen. Der erste Abschnitt enthält, den eigentlichen Lesestoff: Erzählungen rc. Die erste Abtheilung enthält eine Sammlung von Erzählungen rc. zu Luthers Katechismus. Der bibl. Ge- schichtsunterricht soll die Entwickelung des Reiches Gottes zeigen, der Katechismnönnterricht die christlichen Heilswahrheiten in geord- neter Darstellung den Kindern zuführen und das Gesangbuch mit seinen Liederschätzen und das Bibellcsen als Schöpfen aus der Quelle selbst bei dieser christlichen Ausbildung mithelfen. Das Lesebuch hat nun aber zu zeigen, wie die in das Herz hinein gepflanzte christliche Wahrheit im Leben Frucht bringt und Gestalt gewinnt. Das soll eben durch diese Ge- schichten rc. geschehen. Daß beim 3. Gebot das Kirchenjahr, > bei der 2., Bitte die Bibelgesellschaft, die Mission, die Gustav-Adolfs- Stiftung und die innere Mission vorgeführt wird, wird man hosfent-

2. Deutsches Lese-, Lehr- und Sprachbuch für Schule und Haus - S. V

1865 - Göttingen : Deuerlich
lich ebenso in der Ordnung finden, als daß beim 1. Artikel die Hauptkräfte unsrer Seele, so weit sie zum Verständniß der Heils- wahrheiten im Katechismnsuntcrrichte nöthig sind, abgehandelt wer- den. Eine nähere Bezeichnung der einzelnen Theile des kl. Kat., wozn diese Erzählungen re. gehören, ist wohl zur Genüge durch die Ueberschriften und durch die Trennung der einzelnen Abtheilungen durch Striche gegeben, und hielt ich Bezeichmckigen, wie z. B. „Er- zählungen zum' 1. Gebot" für überflüssig. — Daß aber der Gang der 5 Hauptstücke und kein anderer genommen ist, bedarf hoffentlich der Entschuldignng nicht. Ebenso ist wohl keine Andeutung darüber nöthig, wie diese Geschichten beim Katechisiercn verwendet werden können *). Die vermischten Lesestücke wollen außer der Lesefertigkeit' auch die Klugheit des Lebens durch Warnung, Belehrung rc. befördern. Die k l e i n en Er z äh lu n g e n u nd F a b e ln sind haupt- sächlich auf kleinere, die größeren auf größere Kinder be- rechnet; die poetischen Erzählungen sollen zum A usw endig- le rneu, die Gesangtexte (unter denen sich auch einige Kern- lieder finden, die in unsern Gesangbüchern leider vermißt'werden) zum Singe lì und die Sprichwörter zur Ergänzung des Vo- rigen dienen. Der zweite Abschnitt, die Weltkllnde, ist auf folgenden Gang berechnet. Während wir im Sommer geril ins Freie, in die offen daliegende Natur hinaus eilen, sitzen wir in den langen Winterabenden gern ini trautem Zimmer und lalischen der Erzäh- luilg von fremden Ländern rc. So, meinte Langrehr, solle auch während des Sommers in der Schllle Natilrknnde uiib wäh- rend des Winters Geographie und Geschichte getrieben wer- den. Darauf ist allch dieser Abschnitt berechnet. Der Passus „Die drei Naturreiche" beschäftigt sich mit der heimatlichen Natur lllld giebt neben dem Populär-Systematischen eine Reihe von Einzelbildern, all denen das Kind lernen soll, mit ästhetischem **) und christlihem ***) Sinne die Natur zll be- trachten, weshalb hier von den Giftpflallzcn rc. ans guten Grün- den keine Rede ist; wohl aber ist auf das Praktische Rücksicht genommen f). — Der folgende Theil: „Natnrkräfte lllld Na- turerscheinungen" giebt das ans der Naturlebre für jedermann Nöthige; der folgende, voni Menschen, beschäftigt sich hauptsäch- lich mit unserm Körper, worauf wir ja allch schon durch die Erkl. des 1. Art. hingewiesen werden. Der Theil: „Gesundheit, Krankheit, Tod" war seiner praktischen Wichtigkeit wegen nicht zu entbehren. Hier war zugleich der passende Ort zur Beschreibung der Giftpflanzen. So weit der Sommcrcnrsuö! *) Dieses wird in meinen demnächst im Verlage dieses Büchleins erscheinen- den "Katechismus tabelle»" näher dargelegt werden. °") S. z. B. Nr. 31. **") S. z. B. N. 4». f) Z. B. in Nr. 32. 33.

3. Deutsches Lese-, Lehr- und Sprachbuch für Schule und Haus - S. VII

1865 - Göttingen : Deuerlich
vrt und das Weltgebäude vorgeführt, woran sich manches Andere, z. B. vom Kalender anschließt. Der dritte Abschnitt, Bibelknnde, will die im Consistorial- ausschrciben vom 3l.märz 1856 geforderte übersichtliche Kennt- niß der' heil. Schrift und ihre Bücher vermitteln und somit gewissermaßen ein Wegweiser durch das Gesammtgebiet der Bibel sein uiib den bibl. Geschichtsunterricht abschließen. Der Theil „Land und Volk d er Offenbarnn g" giebt das für Volksschu- len Nöthige ans der bibl. Geographie und Alterthums- tünde. / Der vierte Abschnitt wendet sich einem Gegenstände zu, über den die pädagogischen Acten noch längst nicht geschlossen sind, der N Sprachlehre. Das erwähnte Ausschreiben fordert neben den allgemeinen Uebungen des Ab- und Aufschreibens rc., des Buchstabiereuö ans dem Kopfe und des Dictierens, daß sich der Sprachunterricht ans Lesebuch schließen und mit dem Schreiben verbunden werden solle. Ich glaube, es ist entschieden nicht die Absicht jenes Ausschreiben, zu einem regellosen Um- herschweifen oder zum unästethischen Zerzausen der schön- sten literarischen Produkte zu ermuntern: nein, der Unterricht soll nur nicht todter Schematismus sein, sondern Leben mtb Gestalt gewinnen. Am leichtesten wird sich der Unterricht ans Lesebuch schließen können, wenn dieses selbst dazu die Hand bietet. Die Verbindung mit dem Schreiben wird am leichtesten durch Auf- gaben erzielt. So glaube ich im Sinne der erwähnten Verord- mlng gehandelt zu haben, wenn hier eine geordnete Aufgaben- sammlmng ans dem Gebiete der Nedetheile, der Satz- lehre, der Rechtschreibung und der Geschäfts aussähe gegeben wird, welche cö ermöglicht, den Sprachunterricht Hand in Hand mit dem Schreiben gehen zu lassen. Ist dieser Gang ordent- lich durchgearbeitet, dann mag man zur Wiederholung zum Constrnieren prosaischer Stücke schreiten, nie aber gemüth- liche Sachen zerzausen. — Daß neben den hier gegebenen speciellen Sprachübungen das oben erwähnte allgemeine Arbeitsfeld des Ab- schreibend rc. nicht vernachlässigt werden darf, ist wohl selbstver- ständlich. Der Anhang (einen Reim über die Länder Deutschlands, die Zeittafel, die Uebersicht Per deutschen Bundesstaaten und einige Ge- bete enthaltend) wird manchem gewiß willkommen sein. Die Lesestücke selbst sind ans den mannigfachsten Büchern ent- nommen; viele von ihnen haben in unsrer Volksschnlliteratnr längst Lichte der deutsche» Geschichte für das Kind klar lw'rd. Wie kann man z. B. in der Schule die Rcformationsgeschichte unsers engern Vaterlandes dnrchnchme», ehe das Kind die Reformation überhaupt kennt? — '2. Die Ki rch en g e schi ch te (mit Ausnahme einzelner Stücke im 3. Absetzn.), den» ist nicht die deutsche Ge- schichte mit der Kirchengeschichte eben so eng verwachsen, wie Deutschland mit dem Christenthume?

4. Deutsches Lese-, Lehr- und Sprachbuch für Schule und Haus - S. 2

1865 - Göttingen : Deuerlich
2 sprach: Wenn du mich an einen Ort hinführen kannst, wo es nie- mand sieht, so will ich mitgehen. Nun, sagte Jakob, so komm mit in die Milchkammer; dort wo,llen wir eine Schüssel voll süßen Rahm verzehren. Anna sprach: Dort sieht cs der Nachbar, der auf der Straße Holz spaltet. So komm mit mir in die Küche, sagte Jakob, in dem Küchenschranke steht ein Topf voll Honig, in diesen wollen wir unser Brot eintunken. Anna sprach: Dort kann die Nachbarin hineinsehen, die am Fenster sitzt und spinnt. So wollen wir unten im Keller Aepfel essen, dort ist cs so dunkel, daß es gewiß niemand sieht. Anna sprach: O, mein lieber Jakob, meinst du denn wirklich, daß uns dort niemand sieht? Weißt du nichts von jenem Auge dort oben, das die Mauern dnrchdringt und ins Dunkle sieht? Jakob erschrak imb sagte: Du hast Recht, liebe Schwester, Gott sieht uns auch da, wo kein Menschenauge uns sehen kann; wir wollen daher nirgends Böses thun. Anna freute sich, daß Jakob ihre Worte zu Herzen nahm und schenkte ihm ein schönes Bild, darauf war das Auge Gottes mit Strahlen umgeben und darunter stand: Gieb Gott, daß ich dein heilig Ange scheu ' Und rein vor dir von jeder Sünde sei.. 3. Gott wird geben einem jeglichen nach seinen Werken. Als ein Prophet eines Tages ans einem Berge zu Gott nm höhere Kenntniß flehte, ward ihm der Befehl, er sollte von den Höhen, worauf er stand, in die Ebene blicken. Hier floß eine klare Quelle. Ein reisender Soldat stieg bei derselben von seinem Pferde und trank. Kaum war der Reiter fort, so lief ein Knabe von der Heerde-nach einem Trunk an diesen Ort. Er fand den Geldsack bei der Quelle, der jenem hier entfiel; er nahm ihn und entwich, worauf nach eben dieser Stelle ein Greis gebückt am Stabe schlich. Er trank und setzte sich, um auszuruhen, nieder; sein schweres Haupt sank zitternd in das Gras, bis er im Schlaf des Alters Last ver- gaß. Indessen kam der Reiter wieder, bedrohte diesen Greis mit wildem Ungestüm und forderte sein Geld von ihm. Der Alte schwört, er habe nichts gesunden, der Alte fleht und weint, der Rei- ter flucht und droht und sticht zuletzt, mit vielen Wunden, den ar- men Alten wüthend todt. Als dieses der Prophet sah, fiel er be- trübt zur Erden, doch eine Stimme rief: „Hier kannst du inne werden, wie in der Welt sich alles billig fügt, denn wisse, cs hat der Greis, der jetzt im Blute liegt, des Knaben Vater einst erschla- gen, der den verlornen Raub zuvor davon getragen." 4. Die schlitzende Hand Gottes. Zwei kleine Mädchen von 11 bis 12 Jahren wollten an einem Wintertage ihre Verwandtin und Gevatterin besuchen. Diese wohnte in einem Nachbardorfe im Gebirge. Die Kinder nehmen den Spinn- rocken in die Hand und gehen aus ihrem Dörflcin nach dem Walde

5. Deutsches Lese-, Lehr- und Sprachbuch für Schule und Haus - S. 4

1865 - Göttingen : Deuerlich
4 Gott schickt", sprach er, „das ist gut" und schlief ein im Finstern. Da schlich ein Löwe daher und zerriß den Esel; den schlafenden Mann aber sah er nicht wegen der Dunkelheit. „Ich wußte es," sagte dieser, als er ciujmdjtc, „was Gott schickt, das ist gut!" und ging auf das Stadtthor zu. Es war nun offen; als er aber hin- einkam, war die ganze Stadt leer; Räuber waren in der Nacht hineingefallen, hatten die Einwohner weggeführt oder getödtet; er war allein glücklich der Gefahr entronnen. „Nun wahrlich!" sprach er, „es ist alles, alles gut, was Gott schickt, und wo wir etwas davon am Abend nicht begreifen, dürfen wir nur geduldig den Morgen abwarten, der wird alles hell machen!" — Welcher Mor- gen, mein Kind? Wunderbarlich führt Gott in die Welt, durch die Welt und aus der Welt. Mein Vater, führ mich immerdar Nur selig, wenn auch wunderbar. ti. Herr Gott, du bist Misere Zuflucht für und für! Es war ein Sonntag-Morgen. Die Sonne schien hell und warm in die Stube; linde, erquickende Lüfte zogen durch die offnen Fenster, im Freien unter dem blauen Himmel jubilierten die Vögel, und die ganze Landschaft, in Grün gekleidet und mit Blumen ge- schmückt, stand da im Sonutagsgcwande. Aber während nun drau- ßen überall Freude herrschte, brütete im Hause, in jener Stiche nur Trübsal und Trailer. Selbst die Hausfrau, die sonst immer hei- tern und guten Muthes war, saß heute mit iimwölbtem Antlitze und mit iliedcrgeschlagenem Blicke da beim Morgenimbiß, und sic erhob sich zuletzt, ohne etwas zil essen, vom Sitze, ltitb eine Thräne aus dem Auge wischend, eilte sie gegen die Thür zu. Es schien aber auch in der That, als wciin der Fluch auf diesem Hause la- stete. Es war Theuruug im Lande; das Gewerbe ging schlecht; die Ausgaben wiirden immer drückender; das Hauswesen verfiel von Jahr zu Jahr mehr, und es war am Ende'nichts zu erwar- ten als Armut und Schande. Das hatte den Mann, der sonst ein fleißiger und ordentlicher Bürger war, schon seit langer Zeit trübsinnig gemacht, dergestalt, daß er an seinem fernern Fortkom- men verzweifelte und manchmal sogar äußerte, er wolle sich ein Leid anthun und seinem clcnben trostlosen Leben ein Ende machen. Da half denn auch kein Zureden von Seiten der Frau, die sonst immer aufgeräumten Sinnes war, und alle Trostgründe seiner Freunde, geistliche und weltliche, verschlugen nichts und machten ihn nur schweigsamer und trübseliger. Da ists beult kein Wunder gewesen, daß zuletzt auch die Frau all ihren Muth und ihre Freude verloren hat. Es hatte aber mit ihrer Traurigkeit eine ganz eigene Be- wandtnis;, wie wir bald hören werden. Als der Mann sah, daß auch sein Weib trauerte und nun forteilte, hielt er sie an und sprach: Ich laß dich nicht aus der Stube, bis du mir sagst, was

6. Deutsches Lese-, Lehr- und Sprachbuch für Schule und Haus - S. 6

1865 - Göttingen : Deuerlich
6 8. So der Herr will. Ein Bauer ging über Feld auf einen Markt. Untcrwcgcs be- gegnete ihm ein Bekannter und fragte, wohin er gehe. Der Bauer antwortete: „Ich gehe auf den Markt und kaufe mir ein Paar Ochsen." „So der Herr will!" setzte jener wohlmeinend hinzu. Der Bauer erwiderte dreist: „Das habe ich nickt nöthig; ich habe mein Geld für die Ochsen in der Tasche." Es war schon ziemlich spät und des Tages über tiefer Schnee gefallen. Der Bauer ver- fehlte den Weg, wurde von einem Unbekannten noch weiter irre ge- führt und endlich gar seiner Barschaft beraubt. — Nach einigen Tagen kehrte der Bekannte im Bauernhöfe ein und fragte nach ds^n neuen Ochsen. Der Bauer antwortete ganz kleinlaut: „Freund, du hattest Recht; ich muß gvttesfürchtiger werden." Jac. 4, 15. Ihr solltet sagen: So der Herr will und wir leben, wollen wir dies oder das thun. !). Alle Welt fürchte den Herrn; denu wer unter Gottes Hand sich nicht biegen will, muß drunter brechen. Ein Dachdecker arbeitete hoch oben auf der Spitze eines Kirch- turmes. Da riß das Seil, mit beut er sich am Knopfe befestigt hatte und er fiel vom Turme herab auf das Kirchdach. Hier wollte er sich halten; aber er rollte vom Dache hinab auf den Linden- baum, der an der Kirche stand. Hier wollte er sich wieder halten; aber die Aefte brachen und er siel von Ast zu Ast und endlich her- ab auf das Pflaster. Die Leute hatten mit einem Geschrei des Ent- setzens ihn fallen sehen, rannten herbei und meinten ihn zerschmet- tert zu finden; aber der Dachdecker lebte und war ganz unversehrt und rieb sich die Augen; denn er wusste gar nicht, wie ihm gesche- hen war. Mittlerweile mehrte sich der Menschenhaufe um ihn, und jeder ließ sich die Geschichte erzählen und endlich rief ein Wirt: „Daö ist doch zu wunderbar! Der Tag muß gefeiert werden; kommt mit in mein Hans, der Mann muß sichs heute einmal wohl sein las- sen!" Gesagt, gethan! Zwei nahmen den Dachdecker in die Mitte, die andern folgten, und im Triumph gings ins Wirtshaus, wo gezecht, gelärmt tmd Vivat gerufen wurde bis iu die späte Nacht. Der Dachdecker wollte sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, auf fremde Kosten sich gütlich zu thun, aß ltub trank und hörte dabei nicht auf, immer wieder voit neuem die Geschichte seines wnu- derbaren Sturzes ju erzählen. Des lieben Gottes, der scineit En- geln über ihm Befehl gethan, gedachte er babei mit keiner Silbe; vielmehr erzählte er den Hergang also, als sei das tlicht Gottes Beschirmung, sondern eine besondere Geschicklichkeit und Besonnen- heit von ihm selber gewesen, zuerst auf das Dach, dann auf den Liudenbaum und dann ganz allmählich von Ast ztl Ast bis herun- ter auf das Pflaster zu fallen, und zuletzt vermaß er sich sogar,

7. Deutsches Lese-, Lehr- und Sprachbuch für Schule und Haus - S. 8

1865 - Göttingen : Deuerlich
3 noch mehr gearbeitet als sonst, weil die Mutter um der Kinder willen diesen Nachmittag nicht gearbeitet hatte und er nun für die Mutter mitarbeiten wollte. Sie erzählte ihm, daß cs ihr auf dem Markte so traurig zu Muthe gewesen sei. Er aber ist gar nicht traurig und sagt: „Wir haben wohl nichts zu essen als schwar- zes Brot und Kartoffeln; aber wir sind dabei sammt unsern Kin- dern gesund, und an Kleidung hat Gott es uns auch noch nicht fehlen lassen. Und das Beste haben wir umsonst, nämlich Gottes Wort, und wenn wir beten und in den Wegen Gottes wandeln, so haben wir allezeit einen gnädigen Gott." Da wurde die Mut- ter fröhlich, und als Eltern und Kinder sich zum Abendbrot nie- dergesetzt und das Tischgebet gesprochen hatten, da schmeckte ihnen das Schwarzbrot zu der Milch von ihren beiden Ziegen eben so schön, als wäre es Honigkuchen und Semmel. 11. Wo euer Schatz ist, da wird auch euer Herz sein. Ein reicher Herr ans der Nähe von Stockholm ging ans sei- nen Gütern spazieren und traf einen armen Tagelöhner aus dem Gebirge an. Er ließ sich mit ihm in ein Gespräch ein und fragte ihn: „Weißt du, wem das Gut dort am See gehört?"— „Nein," sagte der Tagelöhner. „Es gehört mir. Und jenes dort am Walde und das Schloß auf dem Berge, weißt du, wes sie sind?" „Nein." ,,Die sind auch mein. Ja alles, was bu hier ringsum sehen kannst, {ft mein." Der Arme stand einen Augenblick still, drückte den Spaten in die Erde, nahm die Mütze ab, zeigte geil Himmel und sprach: „Ist der da oben auch dein?" 12. Werfet euer Vertrauen nicht weg! Karl war zwölf Jahre alt, da seine Mutter starb, die als eine arme Witwe bei der Thcurnng sich und ihr Kind kümmerlich ernährt hatte. Als sic starb, bezahlte die Herrschaft den Sarg und Predigers Küster und Gemeinde begruben sie umsonst. In der er- sten Zeit nach ihrem Tode ging Karl bei guten Leuten im Dorfe umher und bat um Brot und bot sich einem jeden, der ihm was gab, zu fleißigen Diensten an, wenn ihn nur jemand haben wollte. Dabei verließ er sich auf Gott, der ihm das Leben gegeben habe und es ihm anch gewiß gnädig erhalten werde; denn er war von seiner Mutter fromm und christlich erzogen worden. Endlich lenkte Gott das Herz des Herrn im Dorfe; er erbarmte sich seiner und machte ihn zum Diener seines Sohnes. Er erhielt die Erlaubniß, denn Unterrichte, den derselbe erhielt, beiwohnen zu dürfen, und weil er aufmerksam und fleißig war, lernte er was Tüchtiges. Als er und sein junger Herr nun größer wurden, rettete Karl diesem durch seine Treue und Tapferkeit einst das Leben, wofür ihn dieser spä- ter als Administrator über seine Güter setzte. Er verwaltete diese Stelle mit Umsicht und Treue.

8. Deutsches Lese-, Lehr- und Sprachbuch für Schule und Haus - S. 10

1865 - Göttingen : Deuerlich
10 dürftig bin, denn unsre beiden Söhne sind eben vor meinen Augen ertrunken!" Die Heldin fühlte wohl ihre Schwachheit, denn'sie fiel in eine schwere Ohnmacht; darnach aber sprach sie: „Der Herr hats gegeben, der Herr hats genommen, der Name des Herrn sei ' gelobt." 15. Befiehl dem Herrn deine Wege. Paul Gerhard, einer der vorzüglichsten Liederdichter der Deut- schen, weigerte sich, als Gehülfsprediger an der Nicolaikirche zu Berlin, einige das Christenthum betreffende, aber der heiligen Schrift nicht ganz gemäße Befehle des damaligen Kurfürsten Friedrich Wil- helm zu vollziehen und wurde daher seines Amtes entsetzt iiub des Landes verwiesen. In dieser traurigen Lage entschloß er sich, nach Sachsen zu reisen, wo sein betrübendes Schicksal bereits bekannt geworden war. Als er unterwegs mit seiner Familie in einem Gasthause übernachtete und seine Gattin sich über das Unglück ih- res Mannes sehr grämte, suchte dieser sie zu beruhigen und erin- nerte sie unter andern auch au die Worte des 37. Psalmes: „Be- fiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf ihn, er wirds wohl machen." Er selbst war sehr gerührt durch diesen Spruch des frommen Davids, ging in den Garten, der bei dem Wirtshanse war und dichtete das herrliche Lied: „Befiehl du dein'e Wege —". Als er fertig' war, lad er es seiner Frau vor und sie wurde ruhi- ger. Am späten Abend traten zwei Fremde in die Gaststube und erzählten unserm Gerhard, welchen sie aber nicht kannten, daß sie als Abgeordnete des Herzogs Christian von Sachsen. kämen, um einen iu Berlin abgesetzten Prediger Namens Gerhard gu suchen. Gerhard sagte ihnen, daß er derjenige sei, den sie aufsuchen sollten, worauf sie ihm sogleich ein Schreiben des Herzogs überreichten, »-der,, bekannt mit dein traurigen Schicksale des Dichters, ihn: wie- der eine Versorgung anbot. Gerhard wandte sich, vor Freuden weinend, nachdem er das Schreiben gelesen hatte, zu seiner Gattin, indem er ausrief: Sieh, wie Gott sorgt. Sagte ich dir nicht: Be- fiehl dem Herrn deine Wege —! Als das' Lied später gedruckt auch in Friedrich Wilhelms Hände kam, bereuete er fein hartes Urtheil. ____________ 16. Aus einem Munde geht Loben und Fluchen; cs sollte nicht also sein. Klausens Kinder sahen und hörten von ihren Eltern nichts Gutes. Die Mutter war zanksüchtig und unwirtschaftlich, der Va- ter aber oft betrunken. Dabei trieb er Handel mit gestohlenen Waren oder schmuggelte, wobei seine arglistigen Anstalten, wovon seine Kinder oft Zeugen waren, es machten, daß er niemals ertappt wutde. Ein Gebet kam nie über seine Lippen, wohl aber war sein drittes Wort immer ein Fluch, und eine ganze Reihe greulicher Verwünschungen führte er immer im Munde. Da mochten denn

9. Deutsches Lese-, Lehr- und Sprachbuch für Schule und Haus - S. 12

1865 - Göttingen : Deuerlich
12 nein Menschen Vertrauen, zu keinem Dinge Kraft, zu keinem Un- ^ .ckernchmen fröhlichen Muth zìi haben. Er verfiel auf Trunk und < Spiel. Seine Wirtschaft kam dadurch zurück, und ciu Unglück «, nach dem andern. Von Gott und seinem Wort kam er gänzlich zurück. Sein Antlitz ward bleich, sein Blick unstätt; sein Körper fiel zusammen und er wandelte wie ein Todtengerippe. Endlich wurde er aufs Krankenlager geworfen; lange und furcht- bar kämpfte er mit dem Tode und konnte nicht eher sterben, bis er seinen Frevel bekannt hatte. Man sprach nicht gut an seinem ' Grabe. Keine Thräne wurde ihm nachgeweint. 19. Der gewissenlose Witwer. Ein Witwer hatte zwei Kinder und wollte wieder heiraten, aber keine andere als eine reiche Braut. Endlich fand er eine, die ihn mit der Bedingung nehmen wollte, wenn er hundert Thaler bares Geld hätte. Er für sich hatte nun nicht so viel, sondern um so viel zu erlangen, beschloß er, seine Kinder um einen Theil ihres Mutterguts zu betrügen. Das that er und vergrub mit Hülfe seiner Braut des Abends vorher, als er bei bcu Gerichten Nichtigkeit mit seinen Kinderic machen und bcu Nachlaß seiner ver- storbenen Frau beschwören sollte, einen Beutel mit hundert Tha- lern. Denn er glaubte thörichter Weise, nun könne er sicher schwö- ren, daß er nicht mehr hätte, als was er angäbe, da er doch nichts mehr im Hanse habe. Als er geschworen hatte und nun sein Geld wieder holen und Verlöbnis; halten wollte, da war das Geld fort, denn ein im Backofen liegender Bettler hatte durch die Thür zuge- sehen und war des Nachts mit dem Gelde davon gegangen. Er lief eiligst zu seiner Braut und glaubte, sie habe'es im Scherz weggenommen; als sie eö aber ln Abrede stellte, ward er unwillig und sie gcriethcn in den heftigsten Streit, der mit großer Erbitte- rung endigte. Sie wollte ihn mm nicht heiraten, sondern verklagte ihn, weil er sie eine Diebin gescholten lind hart geschlagen hatte, und er ward, als die That ans Licht kam, als Meineidiger und Betrüger, und sie als Theilnehmerin am Betrttge scharf gestraft. 20. Die brave Stiefmutter. Minna heiratete einen Witwer mit drei kleinen Kindern. Au ihrem Hochzeitstage betete sie'zu Gott: „Ach Herr, mein Gott! das Schicksal aller Menschen kömmt auf deinen Willen an. Ich soll die Gehülfin dieses Mannes werden, indem ich an die Stelle der verstorbenen Frau trete, also auch ihre Pflichten übernehmen und die Mutter dieser armen verlassenen Kinder werden soll. Es mag dies aber wohl eine schwere Sache sein; doch ich gelobe es dir, all- wissender Gott, wie ich cs auch an deinem heiligen Altare ja be- schwöre, meine Pflicht treu zu erfüllen. Alle Tage will ich mich an meinen Schwur mimmi. Hilf mir, o treuer Gott, durch dei- nen heiligen Geist. Amen!" Als sie aufstand, nahm sie ein ro-

10. Deutsches Lese-, Lehr- und Sprachbuch für Schule und Haus - S. 17

1865 - Göttingen : Deuerlich
17 schwer; als wären es Pfundsteine, fielen sie auf die dürren Schindeln. „Jetzt, Mutter," sagte Johannes, in die Stube tretend mit seinen Leuten, „jetzt istö unter Dach, Mutter, und alles ist. gut ge- gangen; mag cs jetzt stürmen, wie cs will, und morgen schönes oder böses Wetter sein, ich Habs unter meinem Dach." — „Johan- nes, aber über deinem Dach ist des Herrn Dach." sagte die Mut- ter feierlich; und als sie das sagte, ward cs hell in der Stube, daß man die Fliegen sah an der Wand, und einjdonner schmet- terte'über dem Hause, als ob dasselbe mit einem Streiche in Mil- lionen Splitter zerschlagen würde. „Herr Gott, es hat eingeschla- gen!" rief der erste, der konnte; alles stürzte zur Thür hinaus. Das Haus stand in vollen Flammen; ans dem Dache heraus brannten bereits die eingeführten Garben. Wie stürzte alles durch einander! Die alte Mutter allein behielt die Besinnung; sie griff nach ihren beiden Krücken, sonst nach nichts, suchte die Thür und einen sichern Platz und betete: „Was hülfs dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele! dein und nicht mein Wille geschehe, o Pater!" Das Haus brannte ab bis auf den Boden; gerettet wurde nichts. Auf der Brandstätte stand der Bauer und sprach: „Ich Habs unter meinem Dache! Aber über deinem Dache ist des Herrn Dach. hat die Mutter gesagt!" Und seit dieser Stunde spricht er nichts mehr, als: „Ich Habs unter meinem Dache! Aber über deinem Dache ist des Herrn Dach, hat die Mutter gesagt!" 26. Selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren. An Sonn- und Festtagen pflegte Wilhelm eine halbe Stunde vorher, che die Predigt anging, sich von allen Geschäften zu entfer- nen-und die Epistel oder das Evangelium dnrchznlesen und darüber nachzndcnken. Wenn er zur Kirche ging, dann vermied er allerlei Geschwätz von Neuigkeiten vor der Kirchthür, und ging deswegen nicht eher als bis cb eben Zeit war, aber auch nicht so spät, daß er etwa das Anfaugslied versäumt hätte. Sein Gemüth war vor- bereitet, und er war begierig, was über die Worte, deren Inhalt er nach dem Maße seiner Einsichten sich schon selbst ausgelegt hatte, der Prediger ihm noch für bessere Erkenntniß verschaffen würde. In der Predigt schlief er nicht oder hatte etwa fremde Gedanken, sondern er war beständig bemüht, mit dem Prediger fortzudenken und den Gang der Rede zu verfolgen. Und daher kam es nun, daß er so viel aus der Predigt behalten hatte und nachher sie mit seinen Kindern wiederholen konnte. Davon hatte aber nicht allein er selbst, sondern auch sein ganzes Haus wahren Vortheil, denn jeine Kinder behielten Gott ihr Lebelang vor Augen und im Her- zen, und sein Gesinde wurde treu und gewissenhaft.
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