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Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
86 Deutsche Mystik im 14. Jahrhundert.
habung ihren Wert in den Augen des Volkes verloren, und die Geißler schieden zwar nicht aus der Kirche, aber innerhalb derselben verfolgten sie ihren eigenen Weg.
Nicht minder üppig wucherten iu bewußtem Gegensatz zur Kirche die ketzerischen Sekten. Straßburg war wie Köln immer ein Hauptquartier des mittelalterlichen Ketzertums gewesen. Im Jahre 1212 wurden Hunderte von Ketzern verbrannt, und die Dominikaner — damals noch eine Privatgesellschaft — verdienter: sich bei der Gelegenheit als Ketzerrichter ihre ersten Sporen in Deutschland. Jene armen Lente waren tot, andere wuchsen uach, die Ketzerei war unausrottbar. Bald tauchen sie als „Ortlieber", bald als Brüder und Schwestern des freien Geistes auf, bald legt mau ihnen deu Nameu der Begharden und Beginen bei und bringt dadurch vorübergehend auch Verfolgung über die unschuldigen Beginen, wie sie oben geschildert sind.
Jahrhunderte lang trieben solche Ketzer in Straßburg ihr Wesen. Sie gingen in langen Röcken, welche vom Gürtel an vorne herab ausgeschnitten waren, den Kopf bedeckten sie mit kleinen Kapnzen, die Weiber verhüllten ihn mit übergeschlagenem Mantel. So zogen sie durch die Straßen und erbettelten „Brot um Gotteswillen". Die freiwillige Armut erwarb ihnen allgemeine Teilnahme. Sie verbreiteten ihre Ansichten durch Lieder, Predigten und populäre Schriften, in denen sie die Gottheit Christi leugneten, die Kirche für überflüssig erklärten, den Papst als das Hanpt alles Übels bezeichneten, die Sakramente und kirchlichen Zeremonien verwarfen. Im 14. Jahrhundert haben sie sich Lehren Meister Eckards angeeignet, denen sie eine bedenkliche Wendung in ihrem Sinne zu geben wußten.
Eckard setzt den Menschen in ein unmittelbares Verhältnis zu Gott, worin man nicht ersieht, was ihm Kirche, Priester, Sakramente, gute Werke weiter nützen sollen. Wer mit Gott innerlich vereinigt ist, was bedarf der noch zur'seligkeit? Eckard erzählt einmal von einem feiner Beichtkinder, einer Schwester Katrei aus Straßburg, vielleicht einer frommen Begine, die durch freiwillige Armut, dadurch daß sie Familie und Freunde verließ, auf Vermögen und Wohlleben verzichtete, dadurch daß sie sich der äußersten Entbehrung, der Verachtung der Menschen, der grimmigsten Verfolgung aussetzte — in einen solchen Zustand von Heiligkeit geraten sei, daß sie ihm selbst weit voraus war. Nach langen Tagen einsamer Betrachtung und Zurückgezogenheit kommt sie zu ihm mit den Worten: „Herr, freut euch mit mir, ich bin Gott geworden!" Er versetzt: „Dafür sei Gott gelobt! Gehe wieder von allen Menschen weg in deine Einsamkeit; und bleibst du Gott, so gönne ich es dir wohl." Sie ist ihrem Beichtvater gehorsam und begiebt sich in einen Winkel der Kirche. Da geschah es ihr, daß sie die ganze Welt vergaß und so weit außer sich gezogen wurde und aus allen geschaffenen Dingen, daß man sie aus der Kirche tragen mußte und sie drei Tage für tot lag. Wäre ihr Beichtvater nicht gewesen, man hätte sie begraben. Endlich am dritten Tage erwachte sie. „Ach, ich Arme," rief
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Extrahierte Personennamen: Eckard Eckard Katrei
Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Straßburg Christi Straßburg
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Extrahierte Personennamen: Eckard Gregor_Xi Gregor Apostel Rulntan_Merswin Johannes_Tauler
Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Italien Ungarn Rom Wien Gottes Straßburg
Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
90 Deutsche Mystik im 14. Jahrhundert.
hüllen: die Habsucht und Nachsicht der Beichtväter, die Feigheit der Prediger, die Fahrlässigkeit der Bischöfe, die Weltlust der Domherren, die Unkeuschheit der Priester und Mönche. Solche Bnß- und Rügepredigten waren damals noch etwas Nenes. Taulers erste derartige Rede brachte in der Stadt die größte Aufregung hervor. Die Dominikaner waren entrüstet, wollten ihn an einen andern Ort versetzen, und nur der Dazwischenruft der Bürger hatte er es zu danken, daß er überhaupt noch predigen durfte.
Ähnliche Äußerungen des Unmuts über die Geistlichkeit, über die Verderbnis von Papst, Kardinälen und Bischöfen finden sich auch in dem Hauptwerke des Kaufmanns und Wechslers Rnlmann Merswm (geb. 1308, gest. 1382) zu Straßburg. Rulmann Merswin ist eine Art deutscher Daute, freilich in sehr verkleinertein Maßstabe. Sein Buch „von den neun Felsen" schildert in der Form einer Vision die neun Stufen, auf denen man zur Pforte des Himmels gelangt. Die Felsen werden immer herrlicher, der Bewohner immer weniger. Auf dem obersten Felsen weilt nur die geringe Zahl der wahren Gottesfreunde. Noch wenigeren aber ist es vergönnt, einen Blick in das innerste Wesen der Gottheit, in den „Ursprung" zu thun. Kaum ohne Lächeln kann man bei Rnlmann den naiven Bericht über die „große ehrwürdige Schule" lesen, worin der heilige Geist der Schulmeister ist. Wie die Seele des Menschen hineintritt, sieht sie, daß die Schule voll vou Zetteln liegt, auf denen die höchsten Wahrheiten verzeichnet stehen. Bei diesem Anblick wird sie überaus froh und gierig und springt voll Freuden unter die Zettel und wälzt sich darin um und um, bis daß sie voll der höchsten Wahrheiten wird.
Rnlmann Merswin gehörte zu den Vertrautesten des Gottesfreuu-des im Oberlande und war ihm unbedingt gehorsam. Im Jahre 1367 kaufte er auf desseu Veranlassung ein altes, verfallenes Kloster auf dem grünen Wörth, eiuer Insel der Jll, und ließ es wieder herstellen. Er übergab es den Johannitern unter der Bedingung, daß stets ein Laie die Oberaufsicht führen müsse und daß jederzeit wohlhabende Laien darin Aufnahme fänden. Rulmann selbst zog sich hier in ein beschauliches Lebeu zurück und blieb in ununterbrochener brieflicher Verbindung mit dem Gottesfrennde im Oberlande. Als aber Rulmann gestorben war, bemühten sich die Bewohuer des Johauuiterhauses vergeblich, de» Zusammenhang mit ihm ausrecht zu erhalten. Boten wurden ausgefaudt, ihn aufzusuchen; er trat ans dem Dnnkel nicht mehr hervor.
Damit verschwindet auch für uns jede Spur des merkwürdigen Ge-heimbnndes, der es bei großen Absichten zu wirklich eingreifenden Thaten nicht hat bringen können.
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Bibel, Predigt und Kirchenlied im 15. Jahrhundert. 91
14. Bibel, predigt und Kirchenlied int 15. Jahrhundert.
(Nach: Geffcken, Der Bilderkatechismus des 15. Jahrhunderts. Leipzig. 1855. @.1—16. Hoffmann von Fallersleben, Geschichte des deutscheu Kirchenliedes. Hannover. 1861.
S. 150-198.)
Das 15. Jahrhundert ist oft, aber mit Unrecht, gering geschätzt worden. Die unendliche geistige Arbeit dieses Jahrhunderts, auf die allein schon die wunderbare Entfaltung der Buchdruckerkunst hinweist, und ohne welche der geistige Umschwung des 16. Jahrhunderts unmöglich gewesen sein würde, blieb größtenteils unerkannt. Die Wiedererweckung der klassischen Studien von Italien aus, die Entwickelung der Universitäten, die Männer, die man Vorläufer der Reformation oder Reformatoren vor der Reformation genannt hat, waren es, worauf allein die Aufmerksamkeit sich richtete. Aber der Gesichtspunkt „Reformatoren vor der Reformation" ist nur ein einzelner, nicht allein berechtigter. Wir treffen im 15. Jahrhundert viele Männer an, denen die großen informatorischen Gedanken des 16. Jahrhunderts fern lageu, und die doch in ihrer Weise trefflich und nach dem Maße ihrer Kräfte eifrig wirkten. Ihre treue Arbeit trug auch eitteu Teil dazu bei, eine neue Zeit herbeizuführen.
Vor allem lastete schwer auf dem 15. Jahrhundert, daß die Bestrebungen nach einer wahren Besserung der Kirche an Haupt und Gliedern wieder und immer wieder zurückgedrängt wurden. Mit dem Eintritt der Reformation nahm die geistige Strömung der Zeit eine ganz andere Richtung, und wenn der Strom mächtig anschwoll, so konnte es leicht geschehen, daß in seinen Wogen gar nicht mehr unterschieden wurde, was doch aus den Quellen des 15. Jahrhunderts geflossen war.
Zu den Vorurteilen gegen das 15. Jahrhundert gehören besonders die
Meinungen, die Heilige Schrift sei unter den Geistlichen, besonders aber unter dem Volke gänzlich unbekannt und in deutscher Sprache nicht vorhanden gewesen, es sei wenig oder gar nicht in deutscher Sprache gepredigt worden und es habe vor Luther kein deutsches Kirchenlied gegeben.
Bezüglich der Meinung von der Unbekanntschaft des Volkes mit der
Bibel hat man einige Äußerungen von Luther und Matthesius, die gewiß ihre eigenen Lebenserfahrungen in voller Wahrheit ausdrücken, fälschlich dazu benutzt, die Zustände von ganz Deutschland damit zu schildern. Nun war aber die Gegend, in der Luther und Matthesius aufwuchsen, hinter anderen Teilen Deutschlands in geistiger Beziehung weit zurück, und die Erfahrungen, die ein armer Bettelmönch in seiner Jugend machte, sind noch nicht geeignet, den Bildungszustand des ganzen deutschen Volkes zu bezeichnen. In den Werken des 15. Jahrhunderts liegen die unzweideutigsten Zeugnisse dafür vor, daß eine genauere Bekanntschaft mit der Heiligen Schrift bnrchaus keine Seltenheit war. Nehmen wir z. B. Sebastian Braut, so würde wohl in unsern Tagen ein Jurist nicht geringe Aufmerksamkeit erregen, wenn er eine so genaue Kenntnis der Heiligen Schrift zeigte, wie
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Fahrende Schüler. m
bedienen sie sich nun der deutschen Sprache. Sie nähern sich daher in ihrem Wesen immer mehr und mehr den wandernden Spielleuten. Etliche ergreifen die Fiedel, andere lernen deutsche Lieder und Sagen; auch Kunststücke zu erlernen verschmähten manche nicht, als Zauberer und Heilkünstler führten sich viele bei dem Landvolke ein, dessen Unwissenheit und Leichtgläubigkeit ausbeutend.
Allerdings traten all diese Züge nicht erst im vierzehnten Jahrhundert als neue hervor. Einzelne unter den Vaganten hatten schon früher auf solche Weise ihren Unterhalt erworben, aber in dem genannten Jahrhunderte werden diese Züge allgemein. Schon Cäsarius von Heisterbach berichtet in seinem Dialogus (Vii, 16.), daß die Bauern sich in Krankheitsfällen an fahrende Schüler wendeten, und Hugo von Trimberg klagt um das Jahr 1300 in seinem Renner, „daß viele Schüler ihr Hab und Gut auf der Schule verthäten und dann als Spielleute und Gaukler ein Lotterleben führten, daß sie nur in die Schule sähen, um eine Fiedel, Harfe oder Zither daselbst zu finden, daß die Herren sich kein Gewissen daraus machten, solche junge Leute an sich zu ziehen, um mit ihnen um Wein zu würfeln und sich deutsche Sachen von ihnen vortragen zu lassen, wie denn überhaupt die lateinische Sprache in Mißachtung geraten sei und es wohl bestellt wäre, wenn die Pfaffen ebensosehr das Latein liebten, wie den Wein."
Sehr gern führten sich fahrende Schüler bei den Landlenten unter dem Vorgeben ein, sie kämen ans dem Vennsberge. In einem Schwanke des Hans Sachs, vom Jahre 1556, der von einem abergläubischen Bauer Claus Ott zu Langenau im Schwabenlande handelt, kommt folgende Stelle vor:
Eins tags an einem pfinztag spat Ein fahrend schüler zu im eintrat,
Wie sie denn urnbgiengen vor jarn
Und lauter banrenbtrieger warn.
Der sagt her große Wunderwerk Wie er fern aus dem Vennsberg Wer ein meifter der schwarzen Kunst,
Macht den banren ein plaben (blauen) dunst.
Ähnlich spricht sich Heinrich Bebel, der Tübinger Professor der Beredsamkeit, aus in seinem Gedichte „Triumphus Veneris“, einem Gedichte in
lateinischen Hexametern, in welchem nach und nach alle geistlichen und welt-
lichen Stände als Verehrer der Venus auftreten. Im zweiten Buche treten auch auf die fahrenden Scholastiker, „welche die Studien verlassen und in erbärmlichem Aufzuge durch Länder und Städte ziehen. Sie machen sich eine eigene Sprache, damit das Volk ihre Lügen und Betrügereien und die Zuchtlosigkeiten, die sie verüben, nicht bemerke. Sie verstehen kaum drei Worte Latein, können keinen Anspruch auf irgend eine Ehre machen, dennoch lügen sie die einfältigen Bauern an, als feien sie Kleriker, die aber ans Armut die Weihen noch nicht hätten empfangen können, es fehle ihnen t>ac- Geld, womit wir die Heiligtümer, Rom, Altäre und selbst den Himmel
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Extrahierte Personennamen: Hugo_von_Trimberg Hans_Sachs Claus_Ott Heinrich_Bebel Heinrich
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Frauenbildung im Mittelalter. 99
Amalarius von Metz hatte (806) in seinem Regelbuche für Nonnenklöster als Ziel der Schulen für Novizinnen die Erlernung der Psalmen, der Sprichwörter, des Buches Hiob, der Evangelien und der Apostelgeschichte hingestellt. Natürlich standen nicht alle Klöster auf gleicher Stufe. In der Abtei znm heiligen Petrus in Metz studierten die Klosterfrauen das alte und neue Testament, die Kalenderberechnung, die Homilien der Väter, das Kirchenrecht und selbst die bürgerlichen Gesetze. Auch die sieben freien Künste fanden in Nonnenklöstern Berücksichtigung.
Ein ziemlich genaues Bild von dem wissenschaftlichen Leben in den Frauenklöstern des Mittelalters erhält man bei Betrachtung der schriftstellerischen Werke dreier Äbtissinnen. Am berühmtesten ist Roswitha von Gandersheim geworden. In der Vorrede zu ihren „Komödien" spricht sie sich über die Entstehung derselben also ans: „ Es giebt viele Katholiken — und wir selbst gehören zu diesen Tadelnswerten —, welche des schönen Stiles wegen die an sich nichts werten heidnischen Bücher der heilsamen Heiligen Schrift vorziehen. Und es giebt andere, welche zwar Liebhaber der Bibel und im allgemeinen Verächter der heidnischen Schriftsteller sind, aber bezüglich der Dichtungen des Terenz eine Ausnahme machen, letztere gern lesen und, während sie sich an der reizenden Sprache ergötzen, Geist und Herz am sünd-lichen Inhalt beschmutzen und verderben." Um solchen eine bildende und angenehme, zugleich aber ungefährliche Lektüre zu bieten, hat sie sich daran begeben, in lateinischer Sprache sechs kurze Schauspiele zu verfassen, welche in der anziehenden Form der Alten christliche Tugend, insbesondere Keuschheit und Standhaftigkeit im Glauben, feiern und empfehlen sollen. Demgemäß sind Jungfrauen, welche sich der Ehe weigern, sittenlose Mädchen und Wüstlinge, die sich bekehren, Märtyrer, die für Glauben und Unschuld in den Tod gehen, die Hauptpersonen der mit feiner Menschenkenntnis und zartfühlendem Takt geschriebenen Dramen. Was uns hier an der im zehnten Jahrhundert lebenden Nonne zunächst interessiert, ist ihre Hochschätzung der Wissenschaft und ihre Bewunderung der Formvollendung der Klassiker. Im fünften Drama, in dem sie ihre reichert Kenntnisse am meisten offenbart, läßt sie den christlichen Philosophen Paphnntins seine Schüler belehren: „Nicht die Gelehrsamkeit beleidigt Gott, so groß sie auch sei, sondern die Verkehrtheit des Gelehrten. Im Gegenteil ist jene sehr heilsam, wenn sie uns in der Liebe dessen vervollkommnet, der das Wissenswerte erschaffen hat und dem darnach Forschenden Licht verleiht." Von sich selbst aber bedauert sie, daß sie nur eine arme Unwissende sei, die nicht stolz genug wäre, um sich mit den letzten Schülern der alten Autoren in Vergleich zu setzen und die ihrer „armseligen und ungeschliffenen Arbeit" nur etliche dem Mantel der Philosophie entrissene „Läppchen und Fäden" eingesetzt habe.
Von noch umfassenderer Bildung erwies sich zwei Jahrhunderte später die Abtissin des Elsässer Klosters Hohenburg oder St. Odilien, die durch ihren Hortus deliciarum berühmt gewordene Herrad von Landsperg. Diesen „Lustgarten" hat sie „gleich einem Bienlein aus mancherlei Blüten geist-
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Fahrende Schüler. 119
nicht groß sein. In der Eßlinger Schulordnung von 1548 mußte den Schülern der dortigen Schule das Tragen von Weidmessern und Dolchen untersagt werden, und in der Stadt Überlingen mußte sich 1456 die Behörde dem Schulrektor gegenüber verpflichten, die der Strafe sich widersetzenden Schüler aus der Stadt zu treiben, eine Maßregel, die doch nur gegen fremde Schüler gerichtet sein konnte.
Wenige der fahrenden Schüler brachten es später durch eisernen Fleiß und Beharrlichkeit fo weit, wie Johannes Butzbach, dessen im Kloster verfaßte Schriften von großer Gelehrsamkeit Zeugnis ablegen, oder wie Thomas Platter, dem das Baseler Schulwesen ganz wesentliche Förderung verdankt. Mancher Mutter Kind, das mit einem Bacchanten in die Welt gelaufen war, verdarb hinter Zäunen und Hecken, manches auch ward weiter in den Strudel der Unsittlichkeit hinabgerissen und endete wie zwei Mitschüler Butzbachs in der Schule zu Kaadeu, von denen Butzbach später in Erfahrung brachte, daß sie wegen Diebstahls durch den Strang hingerichtet worden waren.
Wo ein fahrender Schüler, wie es zuweilen geschah, an einem Orte als Loeat oder Unterlehrer sich eine Zeitlang festhalten ließ, da war es um die Schule meist fchlecht genug bestellt. Oft blieb ein Bacchant nur während des Winters, wo es sich schlecht reiste, als Lehrer an einem Orte. „Sobald der Schnee abgeht", heißt es in einer Schilderung solcher fahrender Scholasten, „blasen sie ihr Federlein auf und sehen, wo sie das hinweifet, etwan in ein Land, wo sie gute Herren finden, die ihnen viel zu essen und wenig zu thun geben und lassen sie viel schlafen. Es schlagen sich wohl ihrer mehre zusammen, lernen etliche Stücklein fertig singen und brauchen das darnach in den Städten und Dörfern, wenn man's ihnen nur vergönnt; oder nehmen ein Evangeliumbüchlein und lesen die Evangelia vor der Bauern Thüren. Will man ihnen nichts geben, nehmen sie es heimlich weg und lernen so nach und nach stehlen."
Selbst wenn die Schüler in einer Stadt festsaßen, stand es um das Lernen oft übel. War ja doch z. B. Plätters Hauptbeschäftigung in München das Ascheeinkanfen und Seifesieden.
Über den Unterricht in der Elisabethschule zu Breslau sagt Platter: „In der Schule zu St. Elisabeth lasen zugleich zu einer Stunde in einer Stube neun Baccalaurei; die griechische Sprache war aber noch nirgend im Land. Desgleichen hatte noch niemand gedruckte Bücher, der Präceptor allein hatte einen gedruckten Terenz. Was man las, mußte man erst diktieren, dann distinguieren, dann konstruieren, zuletzt exponieren, sodaß die Bacchanten große Scharteken mit sich heim zu tragen hatten, wenn sie hinweg zogen."
Als die erste gute Schule, die Platter angetroffen, nennt er die des Sapibus zu Schlettstadt. „Das war die erste Schule, da mich beuchte, daß es recht zuginge. Sapibus hatte zugleich 900 discipulos, etliche fein gelehrte Gesellen. Da war bazumal Dr. Hieronymus Gemnsäus, Dr. Johannes Huber und sonst viele anbere, die später Doctores und berühmte
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Extrahierte Personennamen: Johannes_Butzbach Thomas_Platter Butzbachs Platter Elisabeth Sapibus Hieronymus_Gemnsäus Johannes_Huber
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Humanismus und Reformation. 127
fein auch der an antik-klassischen Mustern großgezogene Witz eines Erasmus in den „Colloquien", im „Lob der Narrheit" die Thorheiten des damaligen Lebens verspottete, wie derb und schonungslos die „Briefe der Dunkelmänner", an deren Abfassung Hutten bedeutenden Anteil hatte, ferner des Tübinger Humanisten Heinrich Bebel „Facetien" und „Triumph der Venus", und viele andere Schriften der Art die Geißel des Hohnes und der Satire über die Unwissenheit, die sittliche Verkommenheit, Plumpheit und Gemeinheit der Weltgeistlichen und Mönche schwangen, so waren diese Schriften doch eigentlich nur auf einen humanistisch gebildeten Leserkreis berechnet. Darauf weist schon der Gebrauch der lateinischen Sprache hin. Auch wenn diese Schriften überfetzt wurden und ins Volk eindrangen, vermochten sie nicht zur That, zur bleibenden, lebendigen Bewegung zu entflammen. Sie waren immer nur verneinend kritisch. Soll aber im Allgemeinbewußtsein eine nachhaltige Wirkung erzielt werden, so genügt die bloße Kritik nicht, wäre sie auch noch so witzig und scharf. Das Gemüt des Volkes muß in Anspruch genommen werden, damit es nicht nur das Unästhetische und Thörichte der'mißstände erkenne, sondern zugleich ihre Unsittlichkeit in seinem Gewissen lebhaft empfinde und aus diesem Gewissen heraus zur kraftvoll erneuernden That schreite. Ein Aufruf an das Gemüt des Volkes, an fein sittlich-religiöses, wie an sein national-politisches Gefühl verhallt, wenn nicht Gemüt zu Gemüt spricht; nur dann ist ein solcher Aufruf seiner Wirkung sicher, wenn vor dem Auge des Volkes die greifbare persönliche Gestalt eines Volksmannes sich erhebt, dessen Leben in Wort und That all das Dichten und Trachten körperlich in sich darstellt, wovon des Volkes Herz in der Tiefe bewegt ist. Gerade aber diese sittliche Anziehungskraft, diese ethische Wucht der von der ganzen Gewalt der religiösen Zeitfrage getragenen Persönlichkeit hat den Humanisten gefehlt; dieser Mangel hat ihre Erfolge nach Umfang und Tiefe beschränkt.
Was aber im Wunsch und Bedürfnis des Volkes lag, das ging in Erfüllung und gewann eine sichtbare Gestalt in Luther, auf deffeu Handeln die Nation, von allen Seiten für eine neue Entwickelung der Dinge gereift, alsbald ihr aufmerksames Auge richtete. In seinem Wesen und Leben wehte der Geist, an dessen Flammen des Volkes Gemüt sich entzünden konnte. Als er auftrat, war zwar der Inhalt seiner Opposition kein neuer,_ denn schon vor ihm hatte mancher ehrliche Christ gegen den Ablaßunfug sich erhoben und zwar manchmal mit schärferer Ziehung der Folgerungen, als wir sie bei Luther anfangs finden; aber seiner Opposition fühlte jedermann im Volke es an, daß sie nicht ein Erzeugnis bloßen Nachdenkens sei, sondern vielmehr der gewaltig-ernste Ausbruch eines Gemütes, welches in seinen heiligsten Angelegenheiten sich schmählich betrogen und verletzt sah und der Äußerung des inneren Dranges nicht mehr widerstehen konnte. Aus den bescheidenen Worten seiner ersten Kundgebungen vernahm jedermann die Donnerstimme eines Gewissens, dem mit der Frage: ob reden oder schweigen, die Wahl zwischen ewiger Seligkeit und ewiger Verdammnis
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland]]
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Extrahierte Personennamen: Heinrich_Bebel Heinrich
Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
im 16. und 17. Jahrhundert. 145
vinisten" rc. In derselben Predigt werden dann noch lateinische Verse aus Ovids Metamorphosen angeführt.
Lateinische, griechische und hebräische Citate finden sich in den Predigten jener Zeit überhaupt sehr häufig, und zuweilen beurteilte man die Trefflichkeit eines Predigers nach der Menge solcher Citate, sogar auf Dörfern. Die Bauern zu Klettwitz in Sachsen beschwerten sich über ihren Pfarrer, daß er nicht gelehrt genug predige, weil er keine lateinischen Sprüche in seinen Predigten hätte. Umgekehrt baten die Bauern zu Langula bei Treffurt, als 1587 ihr alter Pfarrer, der alles abgelesen hatte, gestorben war, man möchte ihnen wieder einen solchen geben, denn wenn einer seine Predigten so aus dem Kopfe hersagte, so wüßten sie viel, ob es wahr wäre oder nicht.
Der Pfarrer Striegnitz in Meißen predigte über den Propheten Jonas mit dem Thema: 1. Wer dieser Jonas gewesen und woher er den Namen gehabt. 2. Wem er angehört und was er für einen Vater gehabt hat. Beim ersten Teile wird untersucht: a) die alte Opinion von Jonas, b) was sein Name bedeute und c) wie er diesen Namen mit Recht geführt habe. Da werden denn eine Menge männliche uni) weibliche Namen angeführt und ihre Bedeutung erklärt, z. B. Abraham, Isaak, Moses, Gottfried, Ulrich, Katharina, Maria, Agnes, und immer die Ermahnung hinzugefügt, daß man auch nach diesem Namen leben solle. Daran schließt sich eine Erzählung vom Papst Marcello, und schließlich werden lateinische Verse und Redensarten wie Kraut und Rüben unter einander gemengt. Beim zweiten Teile wird ausgeführt, daß man die Namen der Voreltern weder verändern noch ablegen soll; der Beweis wirb von Cicero, Josephus u. a. hergenommen, dann nach Zugabe mehrerer Historien folgt kurz und rmtb der Schluß: „Genug auf biesmal! Ihr habt gehört, 1) wer Jonas gewesen, 2) wem er angehört. Gott helfe, daß wir's behalten und selig brauchen mögen. Amen."
Auch allerlei Zeitereignisse und Stabtgeschichteu faubeu Eingang in die Prebigteu, sogar das, was sich auf die eigene Person des Prebigers bezog. Ein braunschweigischer Prebiger begann 1019 seine Prebigt mit den Worten: „Drei Dinge muß ein Prebiger haben: ein gutes Gewissen, einen guten Bissen und ein gutes Kissen", und dann ging er Über auf die Verbesserung seines Gehalts. Das gleiche Thema kehrte in den Prebigteu ziemlich oft wieber, und Herzog Gustav Aböls von Mecklenburg erließ ein besondres Manbat gegen die „Salarienquerelen" der Geistlichen auf der Kanzel. Wie es mit der Grobheit auf der Kanzel gestanben, ersieht man, wenn noch 1721 das Berliner Konsistorium zu der Verfügung veranlaßt wirb, daß auf der Kanzel nicht Scheltworte, wie „Ochsen, grobe Esel, Flegel" u. bergt, gebraucht werben sollen.
Daneben würde den Gemeinben schon vom Ansang des 17. Jahrhun-berts an auch mancherlei Geziertes geboten, z. B. von Valerius Herberger, der 1611 in einer Prebigt das Thema behanbelt: Geistlicher kräftiger Rosen-
Richler, Bilder a. d. dtsch. Kulturgesch. Ii. lg
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Extrahierte Personennamen: Striegnitz Jonas Jonas Jonas B._Abraham Abraham Isaak Isaak Moses Gottfried Ulrich Katharina Maria Maria Agnes Marcello Cicero Josephus Jonas Gustav_Aböls_von_Mecklenburg Gustav Valerius_Herberger