93. Zur Charakteristik Philipp's Ii.
339
eine hellenische Volksgemeinde feine Absichten durchkreuzte, so kannte er kein Erbarmen: die Städte wurden zerstört, die Einwohner in die Sklaverei verkauft (so in Potidäa, nicht viel besser in Methone); ja, das ganze Volk der Pkocier hat er mit kaltem Blute der Rache erbitterter Feinde Preis gegeben.
Wenn Philipp auch den macedonifchen Hof in Pella in ein glänzendes Licht als Sitz der Musen zu stellen suchte durch Aufnahme athenischer Schauspieler und anderer Künstler, wenn er auch den Werth einer höher» Bildung, als er selbst genoffen, dadurch anerkannte, daß er sich einen Aristoteles zum Erzieher feines Thronerben erkor und an dessen Seite die adlige Jugend zu einer Pflanzfchule hellenischer Bildung machte, so war dieser Hof doch auch ein Mittelpunkt der Frivolität. Wie in dem heißen Getümmel des Gefechtes, so war dem Könige am wohlsten beim lustigen Gelage, wo derbe Witze, tolle Posten, wüste Trinklieder feinen Beifall fanden und er selbst sich nicht scheute, in trunkenem Zustande vor feiner Umgebung zu erscheinen. Und nicht bloß in der flüchtigen Luft huldigte er der Weise feiner Vorfahren. Ungewarnt durch die Schicksale feines Hauses und die Königsmorde, welche mehr als einmal die Folge ver Vielweiberei gewesen — hat er doch selbst feine Stiefbrüder umbringen lassen, um fernen Thron zu sichern — nahm er außer der Olympias noch sechs Frauen. Oesters bestimmten ihn dabei Rück-sichten der Staatsklugheit, aber auch ihm ist solche Unsitte verhängnißvoll geworden; die Zerrüttung feines Hauses hat ihm einen frühen Tod durch Mörderhand zugezogen und fein ganzes Werk in Frage gestellt.
Philipp's erste Gemahlin Olympias scheint die Untreue ihres Gatten übersehen zu haben, so lange das Erbrecht ihres Sohnes Alexander unangefochten blieb und dieser des Vaters Liebe und Vertrauen genoß. Aber nach feiner Heimkehr aus Griechenland vermählte sich Philipp mit der schönen Kleopatra aus macedonifchem Geschlechte, und um deren Rang als der einzigen rechtmäßigen Königin hervorzuheben, forderte beim Hochzeitmahle ihr Oheim Attalus die Gäste auf, zu den Göttern zu beten, daß die junge Königin echte Könige der Macebonier gebären möge, weshalb es zwischen Alexander und Attalus und feinem Vater Philipp zu so heftigen Ausbrüchen wilder Leidenschaft kam, daß Philipp das Schwert gegen feinen Sohn gezückt haben soll und biefer mit feiner Mutter den Hof verließ, um zu deren Bruder nach Epirus zu gehen. Dock kehrten Olympias und Alexander nach einiger Zeit an den Hof zurück, und zum Unterpfanbe der Versöhnung sollte Alexanders Schwester Kleopatra mit ihrem Oheim von Epirus sich vermählen. Attalus verließ Macedonien in höchsten Ehren, indem er im Frühjahre 336 mit Parmenio nach Asien voraus gefanbt würde, um dort den Krieg zu eröffnen. Auch schwand Alexander's Beforgniß vor einem jüngern Thronerben, da Kleopatra Philipp eilte Tochter gebar. Die blinde Hingebung des Königs an seine junge Gemahlin und deren Oheim Attalus gab die Veranlassung zu seiner Ermordung bei Gelegenheit der Hochzeit seiner Tochter.
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408
Xi. Die Römer.
äußeren Gütern, durch wiffenschaftliche Forschung und ansehnliche Leistungen in plastischer Kunst, Musik und Litteratur. Neben dieser heitern und empfehlenden Seite aber ist der Schatten sehr reichlich: das Volk schmachtete in Knechtschaft, Fürstenthum und Herrenstand waren zwingherrlich, die Staaten gleichgültig gegen einander, der Seehandel gemischt mit Seeräuberei: wissenschaftliche Forschungen besangen durch düstern Aberglauben und Cärimonial-drenst, Prodigienspäherei und Eingeweideschau (Haruspicin), und diesen dienstbar, das Leben aber früh durch wüstes Sittenverderbniß verunstaltet. Den Höhepunkt hatten die Etrusker im dritten Jahrhunderte nach Erbauung Roms erreicht: schon unter Roms Königen hatten Reibungen zwischen diesen und einzelnen Staaten Mittel-Etruriens begonnen; sie dauerten fort, aber der etruskischen Staaten Kraft ward dadurch nicht geübt oder gesteigert, sondern abgenutzt: es ist, als ob Rom, das sich mit etruskischen Einrichtungen ausgestattet, damit seinen Bildnern auch das Mark ausgesogen hätte. Ver-derbniß und Verfall war im vierten Jahrhunderte v. Chr. offenbar, gleichzeitig mit dem griechischen. Ehe aber das Mutterland sich unter Rom beugte, fiel das padanische Etrurien an die Gallier, das etruskische Leben ging daselbst völlig zu Grunde und nur kümmerliches Gut wurde von Flüchtlingen ins rhätische Gebirge gerettet; das campanische Etrurien aber ward im I. 423 v. Chr. von einem Samniterstamme, der vom Gebirge erabstieg, bewältigt. Erst am Ende des großen Samniterkriegs, in welchem Etrusker, Samniter, Umbrer und Gallier zusammen gegen Rom standen, war Roms Obergewalt über das etruskische Mutterland, von dem es schon nach und nach mehrere Staaten losgerissen und sich unterworfen hatte, entschieden.
Auf dem Scheitel Italiens, dem Hochgebirge östlich von Rom, wo der Gran Sasso d'jtalia sein schneebedecktes Haupt 8882 Fuß hoch erhebt, wohnten die Sabiner, ein italisches Urvolk, ausgezeichnet durch das Herbe und Strenge in ihrem Kolksthum, ein harter Kern in harter Schale geborgen. Als das Gebirge dem fröhlich aufsprossenden und sich mehrenden Geschlechte zu enge wurde, begannen Auswanderungen; es war, wird uns erzählt, eine sabinische Sitte, in Zeit der Noth die Weihung aller in dem Jahre der Bedrängniß geborenen Menschen und Thiere an die Götter, zum Opfer nach vollendetem Wachsthum, zu geloben; das Blut der Menschen zu vergießen habe man sich gescheut, aber man habe sie über die Grenze gesandt; dies hieß gelobter Frühling, ver sacrum. Eine solche Weihschaar von Jünglingen und Männern soll nordwärts gezogen und daraus das Volk der Picenten entstanden sein; eine andere gen Süden, daher das Volk der Samniter; von diesen aber stammten die Lucaner, und aus entlaufenen Knechten der Lucaner bildeten sich die Bruttier. Die Sage kann wenigstens für genügendes Zeugniß von der Verwandtschaft jener Völker gelten. Auf diese können aber auch die Nachbarn der Sabiner, die Marser, Pe-
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110. Die Völker des alten Italiens.
409
ligner, Vestiner und Marruciner, wohnhaft um den Fuciner See, Anspruch machen, welche sich nach dem ersten Zusammenstoße mit den Römern mit diesen befreundeten, so daß Florus sagt, Rom habe niemals über sie und niemals ohne sie triumphirt. Die Tugenden des Muttervolks entfalteten sich aber zur herrlichsten Blüte bei den Samnitern, deren Wohnsitze das Gepräge des Sabinerlandes hatten. Hier gesellte sich zu kriegerischer Rohheit und Rüstigkeit ethischer Adel des Sinnes, aus dem preiswürdige Einrichtungen des bürgerlichen Lebens hervorgingen, und selbst Empfänglichkeit für die Weisheit der Griechen. Von ihnen lernten die Römer während des halbhundertjährigen Kampfes die Mittel, sie zu bezwingen. Nur festgeschlossene Einheit mangelte ihnen, im Waffenthum waren sie den Römern gleich, in Rüstung überlegen. Dieses Geschlecht ward von den Römern nicht sowohl gebeugt als ausgetilgt und das Land zur Einöde, doch blieb in den kümmerlichsten Ueberresten des einst zahlreichen Volkes das Andenken an die Größe der Vater und der Groll gegen Rom; der Samniter Pontius Telesi-nus wollte im Manischen Kriege die alte'feindin vertilgen: sein Besieger Sulla ließ die sämmtlichen Gefangenen ermorden, denn dieses Geschlecht, war seine Meinung, könne nie guten Sinn gegen Rom hegen.
Gänzlich entarteten aber die Samniter, welche sich Campaniens bemächtigt hatten: sie, Camp an er genannt, nahmen der etruskischen Vorbewohner Unsitte an; Eapua ward für jegliches Geschlecht Verderberin der Kraft. Im Anfange des Samniterkrieges gaben die Campaner sich in Roms Schutz; ihr Abfall von Rom im zweiten punifchen Kriege hatte die Auflösung der Gemeinde zur Folge.
Latiums Bewohner waren ursprünglich nicht eines Stammes, nicht einer Sprache, nicht politisch einander befreundet; unter Hernikern, Ae-quern, Volskern und Rutulern wohnte ein der Sprache nach den Griechen verwandter Stamm, der wohl den fo leicht erweiterten Namen pe-lasgisch verträgt: aus diesem arbeitete sich die lateinische Sprache zur Geltung neben der etruskischen und oskischen hervor und durch sie bekam das Volk der Latiner einen bestimmten Charakter. Uebrigens floß in Latiums Culten, politischen Einrichtungen und Verhältnissen von drei Seiten der Umgegend, aus Etrurien, dem Sabiner- und dem Opikerlande, so viel zusammen, daß Scheidung des Heimischen und Fremden unmöglich wird.
Die Ligurer, wohnhaft im heutigen Gebiete von Genua und darüber hinaus am nordwestlichen Abhange des Apennin, waren ein armes, aber freiheitstolzes und mannhaftes Bergvolk. Sie kamen von allen Völkern Italiens am spätesten in Berührung mit den Römern und trugen am spätesten gegen diese die Waffen. Im Kampfe für Vaterland und Freiheit übten sie List mit Gewalt, darum heißen sie lügnerisch und räuberisch bei den: Römer. In dem Fortgange des mörderischen Kampfes sann dieser mehr auf Vertilgung als Unterwerfung des unbezähmbaren Feindes.
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Xi. Die Römer.
Von den Inselbewohnern waren die Siculer und Sicaner auf Si-cilien, von den Urbewohnern Latiums stammend, durch Carthager und Griechen zu Grunde gerichtet worden, ehe Roms Macht dahin reichte; die Garden, auch ein Bergvolk, aber den Ligurern nicht gleichzustellen, und die ihnen verwandten Corsen, von den Römern für wilder als Thiere geschätzt, und als Sclaven unempfindlich gegen jegliche Art der Behandlung, scheinen zu den rohesten Stämmen des Abendlandes gehört zu haben.
111. Horns Größe.
(Nach B. G. Niebuhr, kleine historische und philologische Schriften.)
Die Neueren, namentlich Macchiavelli und Montesquieu*), gehen in ihrer Bewunderung der Römer und ihrer Einrichtungen bis zur entschiedensten Parteilichkeit. Die herbe Frugalität der alten Republikaner, ihre Unempfindlichkeit für den Besitz und die Genüsse des Reichthums, die strenge Gesetzlichkeit des Volkes, die feste allgemeine Treue während der schönen Jahrhunderte, in denen die Verfassung, seitdem die Ansprüche der Aristokratie beschränkt waren, in ihrer ganzen Vollkommenheit lebte; der reine Sinn, welcher nie erlaubte, bei innerem Zwist fremde Einmischung zu suchen; die Allmacht der Gesetze und Gewohnheiten und der Emst, womit an ihnen dennoch geändert ward, was nicht mehr angemessen war; das Ideal der Männlichkeit im Bürger und im Staat: alle diese Eigenschaften erregen in uns eine Ehrfurcht, welche wir bei der Betrachtung keines andern Volkes so empfinden können. So ist es ganz natürlich, daß wir, auch abgesehen von dem Glanz, womit Macht und Siege immer umgeben sind, zu den
Römern jener guten Zeit der Republik mit Bewunderung hinaufsehen. Aber wenn wir uns lebhaft in jene Zeiten hineindenken, so wird sich doch ein
Grauen in jene Bewunderung mischen: denn verträglich und abgefunden mit diesen Tugenden, herrschten, von den ältesten Zeiten her, unersättliche Herrschsucht, gewissenlose Verachtung des fremden Rechts, gefühllose Gleichgültigkeit gegen fremdes Leiden, Geiz, als Raubsucht noch fremd war, und eine ständische Absonderung, aus der nicht allein gegen den Sclaven oder den Fremden, sondern gegen den Mitbürger oft unmenschliche Verstockung entstand. Allen diesen Lastern bereiteten eben jene Tugenden den Weg zur
Herrschaft, und gingen fo selbst unter.
Wenn wir nun, bei einem gerechten Urtheil über die Römer, auch diese dunkeln Schatten nicht vergessen müssen, und also ihrer Verherrlichung nur
*) Ersterer in seinen Abhandlungen über die erste Dekade des Livius, letzterer in seinen considdrations.
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111. Roms Größe.
411
mit Einschränkung beistimmen können, so müssen wir auch dem Schicksal einen großen Antheil an der römischen Größe beimessen. Durch den ganzen Gang der Geschichte werden wir sehen, wie oft alle Tugenden des Staates und des Volkes fruchtlos gewesen wären, wenn nicht das Schicksal Rom in Gefahren gerettet und seine Triumphe vorbereitet hätte. Die Völker und die Männer, denen Rom hätte unterliegen können, erschienen zu spät; in den Perioden der Schwäche hatte es nur ihm nicht überlegene Gegner zu bekämpfen, und während Rom Alles an Alles setzte und im Kriege lebte, schonten andere Völker ihre Anstrengungen, weil sie am Siege verzweifelten oder im Grunde ihres Herzens nur weichliche Muße liebten. Keines unter allen ging ihm mit ähnlichem Sinn und einem ähnlichen Ziele entgegen, und schon darum mußte Rom über alle siegen. Philipp's Ruhe am Anfange des hannibalischen Krieges, Mithridates' Unthätigkeit, so lange der marsisch,e-Krieg Roms Dasein bedrohte und ein kleines Uebergewicht entschieden haben würde, darin verkenne keiner Gottes Finger. Denn daß Rom nicht angeboren unüberwindlich war, ist erwiesen durch den Widerstand kleiner echt kriegerischer Völker, die nur durch die Zahl und Macht überwältigt wurden; so aber dienten auch diese Kriege, in den Zwischenräumen zwischen den größeren und entscheidenderen, der Ausartung der Disciplin und Kriegskunst vorzubeugen, welche langer Friede auch bei den römischen Heeren leicht einführte.
Im Fortgang der Begebenheiten, als Roms Eroberungen in einen Körper verwuchsen, verliert die Geschichte gänzlich das moralische und poetische Interesse der vorigen Jahrhunderte, welches schon längst durch Zerrüttungen und Gräuel und das Absterben aller einheimischen Tugenden getrübt war. Wie Vieles aber auch die römische Herrschaft zertreten hat, dankbar müssen wir anerkennen, was sie stiftete und erhielt. Sie hat fast alle Sjätfte gegründet oder belebt, welche innerhalb- ihres alten Ursprunges noch jetzt bestehen ; die Sprachen des westlichen Europa, aus der lateinischen erzeugt, erhielten ihre'litteratur zugänglich, und machten ihre Wiederbelebung möglich. Ja, die römische Herrschaft hat ohne Zweifel Griechenland und die griechischen Schriften erhalten, denn wäre der Osten nicht durch die Kräfte eines großen Reiches geschützt worden, so hätten die Barbaren diese entvölkerten und geschwächten Gegenden wahrscheinlich schon sehr früh, unfehlbar aber in den Zeiten der großen Völkerbewegungen, überwältigt, und mit den entarteten Griechen auch die Schätze vertilgt, welche sie für künftige Jahrhunderte bewahrten. Die Geschichte aller Völker der alten Welt endigt in der von Rom, und die aller neueren Völker ist aus der von Rom entstanden. Sie zeigt uns ein Volk, welches bei seinem unbedeutenden Anfange einem kleinen Saatkorn glich; aber diese ursprüngliche unbedeutende Bevölkerung wurde groß, theilte ihren Charakter Hunderttausenden mit und wurde die Beherrscherin der Völker vom Ausgang bis zum Niedergang der Sonne. Das ganze
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460
Xi. Die Römer.
"achdem ihre Stimmen bei der Consulwahl gegen ihn gewesen waren, so daß seine Bewerbung scheiterte. Als nun in Folge der Entweichung' der Plebejer auf den heiligen Berg, die gerade zur Saatzeit Statt gefunden hatte, und anderer ungünstiger Umstände Theuerung und Hungersnoth in Rom entstand, und man keine andere Hülfe wußte, als daß man auf Staatskosten nahe und fern, auch in Sicilien, Getreide aufkaufen ließ, war Marcius der erste unter denjenigen Senatoren, welche verlangten, man solle die Gelegenheit benutzen, um der plebejischen Gemeinde ihre neuen Rechte wieder zu entziehen: man solle für das vom Staate aufgekaufte, theilweife auch zum Geschenk bekommene Getreide einen so hohen Preis beim Einzelverkauf ansetzen, daß die Plebejer, durch die Unvermögenheit, dasselbe zu bezahlen, gezwungen, auf das Tribunal und ihre übrigen dem Senate abgetrotzten Rechte Verzicht leisteten, um so wohlfeiles Brod zu erlangen. Die Tribunen hörten im Senat mit an, was Marcius und die ihm gleichgestimmten Senatoren wider die Plebejer äußerten; und der Bericht der Tribunen über solche Hartherzigkeit brachte die äußerste Erbitterung hervor, so daß ein Angriff des Volkes auf Marcius, als er aus dem Senate herausging, nur durch die Tribunen selbst abgewandt wurde, die ihn vor das Gericht des Volkes luden. Marcius selbst erklärte, daß er das Recht der Plebejer, über ihn zu richten, durchaus nicht anerkenne. Nichts desto weniger wurde der Gerichtstag angesetzt, und die Plebejer, insbesondere auch vom Lande, erschienen in großer Anzahl. Vor diesen wurde er wegen Angriffs auf die Rechte der plebejischen Gemeinde angeklagt und zur Ausstoßung aus dem Staatsverbande verurteilt. Er ging zu den von ihm so oft besiegten Volskern, um mit diesen seine Vaterstadt zu bekriegen. Dieselben nahmen ihn freudig'auf und stellten ihn bald cut die Spitze ihrer Mannschaft, mit der er eine ganze Reihe kleiner Städte einnahm, die unter römischer Hoheit oder Bundesgenoffenschaft standen, und unwiderstehlich auf Rom selbst vordrang. Hier wollte der Senat, daß die Consulu mit Heeresmacht ihm entgegenzögen; aber das Volk wollte die Waffen nicht ergreifen, sondern forderte vielmehr mit Ungestüm den Frieden. So mußte man sich bequemen, Gesandte hinauszuschicken, ihm eine ehrenvolle Rückkehr anzubieten und Frieden nachzusuchen. Den wollte aber Marcius' nur unter harten Bedingungen gewähren, die man nicht annehmen konnte. Die Priester der Stadt, die ebenfalls zu Marcius hinauszogen, richteten mit ihren Bitten gleich wenig aus. Endlich aber machten sich die römischen Edelfrauen, an ihrer Spitze die Mutter und die Gattin des unerbitterlichen Mannes, letztere mit seinen zwei kleinen Söhnen, auf den Weg ins volskifche Lager, wo denn Veturia nicht durch Weinen und Flehen, sondern durch ernste und strafende Vorstellung des Unrechts, das er an der Vaterstadt und an den Seinen berübe, seine starre Erbitterung endlich besiegte. Er ließ Mutter, Weib und Kinder mit den Frauen nach Rom zurückgehen und brach auf, rückwärts ins Volsker-
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476
Xi. Die Römer.
Gunst der himmlischen Mächte. Er gelobte dem pythischen Apollo, der den Römern das Geheimniß des Sieges geoffenbart hatte, den Zehnten der Beute; er verhieß der Königin Juno, der Schutzgöttin Veji's, noch größere Ehren und glänzenderen Cult, wenn sie einwillige, Veji zu verlassen und nach Rom überzusiedeln. Jetzt gab Camillus den Befehl zum Sturm. Der Minengang füllte sich mit Bewaffneten, indem das Heer von allen Seiten mit täuschendem Eifer die Mauern bekannte. Zu dieser Stunde opferte gerade der König von Veji in Juno's Temvel. und der Opferschauer verkündete, daß demjenigen der Sieg beschieden sei, der diese Opferstücke der Göttin darbringe. Solches vernahmen die Römer, die eben in ihrem Schachte sich rüsteten, ans Tageslicht hervorzubrechen. Sie erhoben sich wie auf ein gegebenes Zeichen aus der Erde und erfüllten das Wort der zweideutigen Weissagung. Die Stadt ward ohne schweren Kampf erobert und geplündert. Schon war alles menschliche Eigenthum aus Veji fortgeschafft: nur die Götterbilder standen noch unberührt; man schickte sich an, auch sie wegzubringen. Der Königin Juno, der Schutzgöttin Veji's, hatte Camillus vorder Bestürmung der Stadt einen Tempel auf dem Aventin gelobt, und die Göttin hatte durch Preisgebung Veji's ihre Geneigtheit kund gethan, das Gelübde anzunehmen. Aber Jeder zitterte, ihr Standbild anzutasten, das nach heiliger Satzung kein Anderer als ein Priester aus einem bestimmten Geschlecht berühren durste. Auserlesene Ritter begaben sich in Feierkleioern in den Tempel und fragten die Göttin, ob es ihr Witte sei, nach Rom zu ziehen? Das Standbild nickte und ein vernehmliches Ja ward gehört. Vier Jahre spater weihte Camillus den Tempel der Juno Regina auf dem Aventin.
Offenbar hat an dieser Erzählung Sage und Dichtung ihren Antheil. Gleich die zehnjährige Dauer der Belagerung scheint der zehnjährigen Belagerung Troja's nachgebildet zu sein. Ein entschieden sagenhafter Zug ist das Nicken der Juno: eben so, daß der unterirdische Stollen, durch welchen die Stadt erobert wird, gerade im Tempel der Juno ausmündet. Auch die Theaterscene, welche die Römer aufführen, indem sie sich gespenstisch ans dem Erdboden erheben, und das Opfer, an welchem Veji's Schicksal hängt, vollbringen, verräth sich als Werk der Sagendichtung. - Am entschiedensten Dichtung ist die Art, in welcher die Sage das Schicksal Veji's mit dem Wunderzeichen des albanischen Sees in Zusammenhang bringt.
Nach der Eroberung Veji's forderten die Tribunen für die Plebs einen üerhdltnifemdßigen Antheil an der veientiscben Feldmark, und es ward fotiar bet Vorschlag laut, nach dem besser gelegenen und schöner gebauten Veji Überzusiedeln. Manchen Patriciern mochte es eine Gewissenssache zu sein scheinen, für das siegreiche Rom das besiegte Veji einzutauschen, eine von den Göttern aufgegebene und verlassene Stadt, deren Untergang zeige, daß der göttliche Zorn auf ihr ruhe, wieder herzustellen und als Vaterstadt zu be-
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134. Der gallische Krieg und die Einnahme Roms. 477
wohnen: deßhalb gewannen sie einige Tribunen zur Jntercession, und als diese aus dem Collegium verdrängt worden, wandten sich die Senatoren einzeln mit Vorstellungen und Bitten an ihre Tribunsgenosien, daß sie nicht beschließen sollten, die siegreiche Vaterstadt mit der besiegten Feindesstadt zu vertauschen. Diese Bitten machten Eindruck und der Antrag wurde verworfen (angeblich von 11 Tribus gegen 10). In der Freude über diesen Sieg beschloß der Senat, jedem Plebejer und zwar nicht nur den Familienvätern, sondern sämmtlichen Freigeborenen jedes Hauses je 7 Jugera vejentischen Landes zu assigniren. Camillus hatte durch Zurückforderung des zehnten Theiles der bereits vertheilten Beute für den pythischen Apollo sich beim Heere verhaßt gemacht und bei den Verhandlungen über die vejentische Feldmark, als Haupt der habsüchtigen patricischen Faction und als Gegner der Tribunen, diesen Haß noch gesteigert. Daher ward er von einem Tribunen (Apulejus) vor das Volksgericht geladen, unter der Beschuldigung, er habe Gegenstände der vejentischen Beute unterschlagen. Da selbst seine Clienten sich weigerten ihn freizusprechen, so ging er, ohne den Gerichtstag abzuwarten, freiwillig in die Verbannung und wurde abwesend zu einer Geldstrafe verurtheilt.
Aus Rom scheidend, vollendete Camillus seine Schuld durch die Bitte an die Götter, daß die undankbare Republik ihn bald und schwer vermissen möge. Nur allzu bald ging dieser ruchlose Wunsch in Erfüllung, obwohl auch der, welcher ihn aussprach, schwerlich das Verhängniß abgewandt haben würde, das jäh und verderbenvoll über Rom hereinbrach.
134. Der gallische Krieg und die Einnahme Aoms
(Nach B. G. Ni^buhr, römische Geschichte.)
-'4' v -. V> v/
Während des Krieges der Römer gegen Veji waren die Gallier, nachdem sie kurz vorher mit Weib und Kindern die Alpen überstiegen hatten, in das nördliche Etrurien eingebrochen, und die Etrusker konnten deßhalb Veji keine Hülse senden.
Als die Gallier vor der etruskischen Stadt Clusium erschienen, riefen die Clusiner der Römer Beistand an; der Senat wähnte, der Name Roms könne genügen, die Barbaren zu entfernen. Drei Fabier wurden ausgesandt, um ihnen im Namen des Senats anzudeuten, daß sie von Roms Schutzgenossen ablassen sollten. Die Gallier antworteten, ihr Land sei ihnen zu eng, aber vertilgen wollten sie die Clusiner nicht, wofern diese ihre Landschaft mit ihnen theilten. Jene, welche sich verlacht fanden, fochten in den ersten Reihen der Clusiner bei einem Ausfall; Q. Fabius stieß einen gallischen Heerführer nieder und ward erkannt, als er dessen Waffen nahm. Alsbald ließ König Brennns zum Rückzüge blasen, damit das Blut der Gesandten sein Volk
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Xt. Die Römer.
nicht versündige, von den Römern wollte er sie fordern, Sühnung erlangen oder einen den Göttern wohlgefälligen Krieg. Er erkor die größten unter feinen riesenhaften Kämpfern, um den Römern die Wahl zwischen Auslieferung der Schuldigen und Krieg zu stellen. Die Fetialen ermahnten, sonder Schonung die Republik von der Schuld zu befreien; die Mehrheit im Senat erkannte, was Pflicht war, aber sie vermochten nicht, sich zu entschließen, Männer aus dem edelsten Geschlecht einem wilden Feinde und dem Mar-tyrertode zu überantworten. ■ Es ward beschlossen, Entscheidung und Verantwortung dem Volke zu überlassen; hier siegte das Mitgefühl, ja, man eilte, die Angeklagten zu consularifchen Tribunen zu ernennen, und befchied die Fremden, so lange einer diese Magistratur bekleide, stehe er'unter keinem Gericht; wenn das Jahr abgelaufen fein werde, und ihr Zorn noch fortdauere, möchten sie die Klage erneuern. Augenblicklich, als diese Antwort berichtet worden, brach das Lager der Gallier auf und eilte rastlos von Clusium gegen Rom. Die Stadt würde ganz ungerüstet überfallen worden sein, wenn nicht ein Mann von der Gemeinde, M. Cädicius, Nachts eine Stimme vernommen hätte, welche verkündigte, die Gallier seien im Anzug. Auf diese Kunde wurden die Wehrhaften eiligst aufgeboten und dem Feinde entgegengeführt, mit dem sie zusammentrafen da, wo die Alia aus den crustuminifchen Bergen gegen die Tiber fließt.
' Ohne irgend Einiges vorgesehen, ohne die Stadt für eine Belagerung versorgt und gerüstet zu haben, eilten die Römer zu einem Treffen, mit dem Alles verloren sein mußte, wohl nicht aus gewähnter Zuversicht des Sieges. Brerntus griff mit auserlesenem Volk und großer Uebennacht die Hügel an, worauf die größtentheils ungeübten Truppen des rechten römischen Flügels standen, und warf die Entgegenstehenden im Augenblick herunter. Abgeschnitten von Rom, floh Alles nach den Ufern der Tiber, in einer ungeheuren, verworrenen Masse, die sich selbst die Flucht hemmte; von allen Seiten brachen die Gallier unter sie ein und die Überwältigten fielen unter ihren Schwertern. Die Wurfspieße der Gallier, vom Ufer in die dichten Schwärme der Schwimmenden, welche sich durch die Tiber zu retten suchten, geschleudert, töbteten eine sehr große Menge; sehr Wenige entkamen mit vollen Waffen, die Meisten hatten sie am Ufer von sich geworfen. Verbreitet über die ganz offene Landschaft von der Alia bis zur Stadt, überließen sich die Gallier ungezügelt der Plünderung, der Trunkenheit und allen Greueln, welche unbeherrschte brutale Schaaren üben. So verzögerte sich die Unternehmung gegen Rom, und das Dasein der römischen Nation ward gerettet.
Denn inzwischen war in der Stadt ein Entschluß gefaßt und ausgeführt. Mnn beschloß, Capitol und Burg mit den Wehrhaftesten zu besetzen und diese mit den Vorräthen zu versehen, welche die gestimmte Bevölkerung in wenigen Tagen aufgezehrt haben würde. Auch Schätze und Kostbarkeiten wurden hinausgeschafft, die Auswandernden, welche sich nach allen Orten
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134. Der gallische Krieg und die (Einnahme Roms. 479
zerstreuten, wo sie Gastfreunde und Mitleiden zu finden hofften, nahmen mit sich fort, was sie tragen und wegführen konnten. Die Heiligthümer wurden zum Theil vergraben, zum Theil nach Cäre geflüchtet. L. Albinius, ein Plebejer, welcher seine Frau und Kinder den Clivus des Janiculus hinauf fuhr, erreichte die Priester und die Vestalmnen, welche die verehrtesten Heilige thümer unter sich vertheilt trugen; er ließ die Seinigen absteigen und nahm auf, so viel sein Fuhrwerk fassen konnte. Zu Cäre wurde Alles gewissenhaft bewahrt, und nach der Räumung führte Albinius, was er fortgeschafft hatte, wieder zurück.
Während das ganze übrige Volk sich rettete, sollen 80 Priester und andere vornehme patricische Greise auf dem Forum, in Feierkleidern auf ihren curulischen Thronen sitzend, den Tod erwartet haben: ein freier gemeinsamer Entschluß unter Gleichen, denen es unerträglich war, den Gottesdienst und die Republik zu überleben, an dem nichts Unwahrscheinliches ist, am wenigsten, wenn die zum Tode Entschlossenen sich feierlich in die Hände des Oberponttfex für die Republik und zum Verderben der Feinde geweiht hatten. Als die Gallier durch das collinifche Thor in die Stadt eingebrochen waren, fanden sie Alles öde und ausgestorbendas Grausen, welches einen Fremden ergreift, der im Sommer in einer Stadt des hohen Nordens um Mitternacht Tageshelle und kein Leben auf der Gaffe sieht, kam über sie. Alle Häuser waren verschlossen, man zog immer vorwärts bis auf das Forum. Hier erblickten sie die curulischen Greise, welche Wesen einer andern Welt zu sein schienen. Zweifelhaft, ob nicht die Götter herabgestiegen wären, um Rom zu retten oder zu rächen, näherte sich ein Gallier einem der Priester und berührte seinen weißen Bart, der Greis schlug ihn zornig mit dem elfenbeinernen Scepter über den Kopf; der Barbar hieb ihn nieder, und Alle wurden umgebracht. Dann begann die Plünderung im ganzen Umfang der Stadt, bald brach hier und dort Feuer aus, und bis auf wenige Häufer auf dem Palatium, welche die Heerführer zur Wohnung für sich erhalten ließen, ward die ganze Stadt eingeäschert.
Auf dem Capitol und der Burg waren an 1000 Bewaffnete versammelt, unter ihnen die überlebenden Consular-Tribunen. Wiederbolt liefen die
Gallier Sturm gegen den Clivus, wurden aber durch verzweifelten Widerstand zurückgeworfen. Darnach rechneten sie auf den Hunger, da an keinen Entsatz zu denken war. Allein, als die Eingeschlossenen ausdauerten, mit Wasser durch Jben Brunnen, der bis auf diesen Tag im Innern des tarpejv sehen Berges ein gleichzeitiges Denkmal der Belagerung ist, versorgt, mit Nahrung zur Nothdurst für ihre kleine Zahl, da rächte sich die wilde Verwüstung: die Gallier selbst begannen auf den Brandstätten großes Ungemach zu leiden. Schon die Hundstage, dann der September, zu Rom von je!,er seuchenvoll, erzeugten Fieber, welche die Fremden bei Tausenden wegrafften, wie Kaiser Friedrich» nordisches Heer in denselben Monaten
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