1867 -
Frankfurt a.M.
: Jaeger
- Autor: Lüben, August, Cassian, Heinrich
- Auflagennummer (WdK): 4
- Sammlung: Geographieschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten, Gymnasium
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Lehranstalt, Gymnasium
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): Jungen
219
L Das Königreich Persien (26,450 Q.-M., 5 Mill. E.)
liegt zwischen dem Kaspi-See und dem persischen Meerbusen, und hat, mit
Ausnahme des südlichen Küstenstrichs und der Wüste, ein mildes, aber
trocknes Klima. Die Perser, von vermischter Herkunft, sind Muhamedaner,
(Schiiten) und Hauptfeinde der Türken (Sunniten); im Aeußern erscheinen
sie als ein schöner, kräftiger,, gewandter und ausdauernder Menschenschlag.
Sie zeichnen sich durch Geist, Verstand (das Schachspiel ist in Persien
erfunden), poetischen Sinn, Milde, Tapferkeit, Mäßigkeit und Höflichkeit
aus. Aber diesen Tugenden kommen folgende Hauptfehler gleich: Falschheit,
Verstellung, Geiz und Eifersucht. Kein noch so feierlicher Eidschwur vermag
ihre Habsucht oder ihren Ehrgeiz zu mäßigen. Araber und Türken sprechen
mit der größten Verachtung von den vielen Complimenter: und den schönen
Worten der Perser. Viele Stämme sind noch Nomaden (Ihlasis); die
Angesessenen nennt man Tadschiks. Sie verfertigen vorzügliche Teppiche,
Shawls, Säbel, Leder-, Gold- und Silberwaaren. Obwohl in Persien der
Islam die herrschende Religion ist, so werden doch auch die Religionen
der Parsen, Juden, Christen re. geduldet. In Persien und Beludschistan
sollen noch 100,000 Anhänger von Zoroasters Lehre sein; die Moslemin
nennen die Feueranbeter in der Regel Guebern, d. i. Ungläubige. — Der
Boden, welcher auf künstlichem Wege bewässert wird, liefert neben unsern
europäischen Getreidearten viel Obst, guten Wein, prächtige Rosen (Rosenöl)
und reichliche Weiden für die Pferde- und Kameelzucht. Auch der Seiden-
bau ist ein nicht unbedeutender Erwerbszweig in Persien, welcher noch ergie-
biger wäre, wenn die Handelsverbindungen des Landes nach Außen sich
günstiger gestalteten und die Sicherheit der Landstraßen von wegelagernden
Räubern nicht gefährdet würde. Der Handelsstand ist sonst in Persien sehr
geachtet; Geistliche und hohe Beamte verschmähen es nicht, Geschäfte zu machen.
Die Perser werden von einem despotischen Herrscher, „Schach", regiert;
die Söhne desselben, Mizars genannt, verwalten die Provinzen, wenn sie
mündig sind. Alle Unterthanen haben gleiche Rechte und werden nach dem
Koran gerichtet. Vor Gericht sollen große Bestechlichkeiten vorkommen und
gräßliche Strafen verhängt werden, z. B. Bastonade, Schinden, Spießen,
Augenausstechen rc. Die bedeutendsten Städte sind: Teheran, 80,000 E.
Schiras, 30,000 E. (Gräber der persischen Dichter Saadi und Hasiz.)
Jspahlu, 60,000 E. Tauris am Urmiasee, 100,000 E. Balfrusch nahe
am Kaspi-See, 250,000 Einw. Herat, früher ein selbständiger Staat, ist
1851 von den Persern erobert worden.
2. Afghanistan (Kabul) mit Herat (12,160 O.-M., 4 Mill. Cinw.)
wird von den nomadisirenden Afghanen bewohnt, welche aus den Hindukuh-
bergen gekommen sind, in mehrere Stämme zerfallen und in immerwähren-
dem Kriege mit einander leben. Auch hier bauen die Tadschiks" das Land,
treiben Gewerbe oder nehmen Theil an dem Handel, welcher durch
Kabuls Lage, wo die Waaren von West- und Ostasien aufgestapelt werden
und Karawanen von allen Richtungen anlangen oder abgehen, begünstigt
wird. Kabul wird vou einem Schach regiert, welcher in Kabul residirt.
Kandahar, 80,000 E. Herat, 100,000 E., Fabriken, Mittelpunkt eines
ausgebreiteten Handels.
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221
§ 90.
Das asiatische Rußland.
(280,000 Q.-M., 10 Mill. Einw.)
1. Sibirien*)
(262,595 Q.-M. und 4,272,Ooo Einw.)
ist ein schreckliches Wort für russische Ohren; es bezeichnet ja den Verban-
nungsort so vieler Unglücklichen, wodurch die richtige Vorstellung von dem-
selben ganz geändert wird. Das Land ist um Tobolsk, Tomsk, Ieniseisk und
und Irkutsk bis Jakutsk manchem Bezirk des europäischen Rußlands vor-
zuziehen. Das Volk lebt in vieler Beziehung besser, als im europäischen
Theile; zugleich ist es reicher und wohlhabender. Im westlichen Sibirien
ist noch alles russisch; erst mit der Provinz Jakutsk beginnt das asiatische
Regiment mit den Jakuten und wandernden Tungusen. Wofern die An-
siedler nicht träge sind, pflügen und bauen sie den reichlichen Boden, schlagen
Holz, fangen Fische und Wild, treiben Viehzucht — sie können sorglos
leben. Freilich ist das Loos der Verbannten ein traurigeres; sie leben ge-
zwungen in einem fremden Lande, fern von Verwandten und Freunden und
dem gewohnten Kreise, sind zu Feldbau, Pelzlieferungen oder Berggruben-
arbeit, ihnen vielleicht ganz ungewohnten Beschäftigungen, verurtheilt, und
streng beaufsichtigt. An Lebensmitteln und Geld haben sie meist keinen
Mangel; Manche erwerben sich gar mehr, als in der Heimath. Man rech-
net im Durchschnitt 10,000 deportirte Verbrecher auf das Jahr.
Der Hauptreichthum Sibiriens besteht in edlen Metallen und Steinen,
Holz, Pelzwild und Fischen. Während die Verbannten und Angestellten in
dem Altai bei Barnaul und um Rertschinsk aus Silber, Blei und Gold
bauen, liegen die eingebornen Völkerstämme dem edlen Waidwerk ob: die
Tungusen fangen wilde Rennthiere, Zobel, Biber, schwarze Eichhörnchen und
Füchse; die Tschuktschen Wallrosse, Füchse und Zobel; die Jakuten liefern
die edelsten Zobel und Füchse, Hermeline, Bisamthiere und Bären; die Sa-
mojeden wilde Rennthiere, Wölfe, Hasen, Füchse, Vielfraße, Zobel rc. Die
Tungusen, Jakuten und Tschuktschen ziehen, wie die Kirgisen, vielfach umher
und treiben vorzugsweise Jagd und Rennthierzucht, die Jakuten auch Pferde-
zucht; alle leben im Winter in Erdhütten, um gegen die Kälte besser geschützt
zu sein.
Unter allen Nomaden in Ostsibirien sind die Tungusen die rohesten
und sorglosesten. Sie stammen von den Mandschu ab, ähneln denselben
aber nicht mehr, und leben von der Jagd. Während des langen, kalten
und tagelosen Winters leiden sie oft große Roth, und müssen zu den Nach-
barn betteln gehen. Sie lieben die Ortsveränderungen und bleiben an einem
Orte nicht gern länger, als einen Tag. Unbesorgt um den andern Tag
geht der Mann erst auf die Jagd, wenn die Vorwäthe aufgezehrt sind,
deutet mit dem Finger nach der Gegend hin, welche er besuchen will, und
überläßt das Weitere, was jetzt geschehen soll, seiner Frau. Diese bricht
das Zelt ab, ladet die ganze Habe auf Rennthiere, und schlägt das Zelt
an der Stelle wieder auf, wo sie ihren Mann zu finden hofft. Ist dieser
!) Vergl. § 78. 1. und § 79
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von hagerer Gestalt und brauner Gesichtsfarbe. Sie sind Christen, haben
sich aber im 6. Jahrhundert von der allgemeinen christlichen Kirche getrennt.
In religiösen Dingen sind sie abergläubisch und nichts weniger als neuerungs-
fähig. Ihr Glauben ähnelt dem griechischen, doch sind die Sitten der Ar-
menier reiner.
Die Maroniten sind ein tapferes, einfaches, sittenreines Volk, welches
die alte Gastsieiheit und Genügsamkeit wohl erhalten hat. Sie bilden eine
eigne christliche Sekte, welche die Oberhoheit des Papstes anerkennt, aber
der lateinischen Sprache sich beim Gottesdienste nicht bedient, und die Ehe-
losigkeit der Geistlichen nicht duldet. Sie bilden am Libanon eine Art von
militärischer Republik; ihre Zahl mag sich auf 120,000 belaufen.
Die Drusen, ungefähr 150,000 an der Zahl, wollen von den Franken
abstammen, sind aber eine halb muhamedanische Sekte geworden, und
wohnen am Libanon. Sie zahlen der Pforte zwar Tribut, sind aber sonst
ganz unabhängig und treiben Feld- und Weinbau, Seidenzucht rc. Sie sind
abgehärtete, tapfere und gastfreie Leute, welche nur gereizt eine wilde Grau-
samkeit an den Tag legen.
Die Kurden, ein rohes, lebhaftes Volk aus Persien, durchzieht nomadi-
sirend Assyrien, Kleinasien und Syrien. Sie sind weder schöne, noch ange-
nehme Gäste, denn ihre liebste Beschäftigung ist der Raub. Sie überfallen
einzelne Reisende und ganze Karawanen, plündern und stehlen auf höchst
listige, rasche Weise, und überlassen den Frauen die Besorgung der Heerden,
der Nahrung und Kleidung. Einige Stämme sind Christen, aber um kein
Haar besser als ihre muselmännischen Brüder.
Klima und Boden in der astatischen Türkei begünstigen den Ackerbau;
namentlich wird die Fruchtbarkeit von Kleinasien und Mesopotamien gerühmt.
Am wichtigsten sind der Oel- und Seidenbau, die Mohnpflanzungen, Arznei-
und Gewürzpflanzen, Baumwolle, Tabak, eine ausgebreitete Rosencultur zur
Bereitung zweier köstlicher Handelsartikel, des Rosenöls und Rosenwassers.
Dagegen fehlt es an Wäldern, welche, wie auch der Cedernwald am Liba-
non zeigt, stark im Abnehmen sind. Kameele, Angoraziegen, Pferde, Seiden-
raupen, Schafe, namentlich in Kurdistan, Bienenzucht ernähren viele Stämme
und Familien. Dagegen ist der Bergbau unbegreiflich vernachlässigt. Die
wichtigsten Erzeugnisse der Industrie, welche in der asiatischen Türkei auf
einer höheren Stufe steht, als in der europäischen, sind Seidenzeuge (Aleppo,
Damaskus, Mardin, Bagdad, Brussa), Baumwollenstoffe (Mossul, Damas-
kus, Diarbekr, Smyrna rc.), Linnenwaaren, Shawls und Kamelots von
Angora, Teppiche von Brussa und Damaskus, Saffiane, Säbelklingen (Da-
mastener), Glaswaaren, Färbereien re. Der Seehandel ist in den Händen
der Franken, so heißen im Orient die Europäer schon seit Karl d. Gr.;
den Landhandel treiben Karawanen. Man führt insbesondere aus: Seide,
Baumwolle, Kameelgarn, türkisches Rothgarn, Galläpfel, Oel, Meerschaum,
Saffian rc. Wir wenden uns zur Ortsbeschreibung.
1. Kleinasien*),
auch Natolien, die Levante, Anatoli genannt, war eins der reichsten Länder
') Vergl. oben § 76, 3.
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infei (4500 Q.-M.), ist unbewohnt; Jäger und Fischer kommen im
Winter hinüber und bringen sich ihre Wohnbuden mit. Sie fangen
Eisbären, wilde Rennthiere, weiße Füchse, Robben, Wallrosse, und keh-
ren im Sommer wieder heim. Spitzbergen, welches ebenfalls hierher
gehört, ist das nördlichst bekannte Land der Erde. Der längste Tag,
welcher in Tornea bereits 231/2 Stunde dauert, währt hier 4 bis 5
Monate. Nur im Sommer wird sie des Fischfangs wegen äußerst zahl-
reich besucht; der Hafenort Smeerenburg gleicht um diese Zeit einem be-
suchten Meßplatze. Den Mangel an Holz ersetzt das Treibholz.
4) Klein-Rustland.
Kiew, 71,000 E. „die heilige Stadt." Pultawa (Carl Xii. von
Schweden 1709) 32,000 E. Charkow in der Ukraine 52,000 E. Univ.
5) Weü-Rnstland.
a. Podolien: Kameuez (Kaminiec) am Dniepr, 21,000 E. Fabr.
b. Volhynien: Schitomir 38,500 E. Handelsplatz.
e Kitlhauen: Mohilew, 48,500 E. Wilna, 70,000 E. Minsk, 30,000
Einw. Unweit der Stadt Borisow ging die französische Armee 1812
über die Beresina zurück.
6) Süd-Russland.
Taganrog, 25,000 E., am asowh'chen Meere, Kriegshafen. Alexander 1.
tz 1825. Simferopol, 17,000 E., und Sewastopol, 82,000 E., 1855
durch die Franzosen und Engländer erobert und zerstört. Odessa, 120,000
Einw., der bedeutendste Handelsplatz in Rußland. In Bessarabien:
Kischenew 95,000 E. Das Dorf Warnitza (Earl Xii. von 1709 bis
1713). Akjermann (Salzbereitung aus Salzseen), 30,000 E. Im
Lande der Don'schen Kosaken: Alt- und Nen-Tscherkask.
7) Das Czaarthum Astrachan.
Astrachan: 45,000 E., auf einer Wolga-Insel, ist ein bedeutender
Fabrik- und Handelsplatz und eine regelmäßig gebaute Stadt. Saratow,
63,000 E., Sitz der obersten Regierungsbehörde fiir sämmtliche Deutsche
im Ezaarthum Astrachan. Die Herrnhuter - Eolonie Sarepta. Festung
Orenbnrg am Uralfluß, 28,000 E.
8) Das Czaarthum Kasan.
Kasan, 63,000 E. Jekaterinenburg, 22,000 E., Obexbergamtssitz über
alle Gruben am Ural und in Sibirien.
9) Das Königreich Polen
bildete ehedem ein selbständiges Königreich, welches noch vor 200 Jah-
ren gleichen Flächeninhalt wie das jetzige Kaiserthum Oesterreich hatte.
Drei Theilungen zwischen Rußland, Oesterreich und Preußen in den
letzten dreißig Jahren des 18. Jahrhunderts machten dem polnischen
Wahl-Königreich ein Ende; die Revolution von 1830 und 1831, welche
den Zweck hatte, die Unabhängigkeit von Rußland zu erfechten, nahm
dem Königreich im der Folgezeit so ganz Alles von seiner frühern selb-
ständigen Verwaltung, daß es gegenwärtig nur eine Provinz von
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Rußland ist. Die Pelen zeichnen sich durch Vaterlandsliebe, Tapferkeit,
militärisches Talent, Gelehrigkeit und Lebhaftigkeit aus. Während die
niedern Volksklassen als unreinlich, trunken und servil geschildert wer-
den, erscheinen die Vornehmen fein, nüchtern, höflich und sehr stolz. Die
Polen bekennen sich zur römisch-katholischen Kirche. Polnische Ordnung
auf den ehemaligen Reichstagen ist sprichwörtlich geworden.
Warschau, 170,000 E. (10,000 Juden), Univers., Residenz des Statt-
halters. Festung und Vorstadt Praga an der Weichsel. Kalisch, 12,600 E.
und Ljubliu, 19,000 E. Ostrolenka. Wallfahrtsort Czenstochau an der
Warthe.
8 54.
Das Königreich Schweden «nd Norwegen.
(13,830 Q.-M., 5,703,000 Einw.)
Schweden und Norwegen bildeten vom Jahre 1397 bis 1524 mit
Dänemark ein großes Reich, welches die dänisch-norwegische Königin Marga-
retha durch die in der schwedischen Stadt Calmar geschlossene Union vereint
hatte. 1524 riß sich Schweden von der Union wieder los und ward ein
selbständiges Königreich. Als endlich Schweden 1814 sich zu Napoleons
Gegnern schlug, erhielt es als Preis für seinen Beistand das Land Norwegen,
welches den mit Frankreich verbündeten Dänen durch den erwählten Kron-
prinzen von Schweden, den vormaligen französischen Marschall Bernadotte,
entrissen wurde. Seitdem bilden die beiden Königreiche eine gemeinschaftliche
Monarchie, jedes hat aber seine eigene Verfassung und Verwaltung. Die
Finanzen befinden sich in einem günstigen Zustande.
In Schweden ist der König durch einen Reichstag eingeschränkt, welcher
sich in jedem fünften Jahre versammelt. In Norwegen genießt das Volk
größere Vorrechte, als die Schweden haben. Das Volk wählt nämlich eine
Versammlung von 75 bis 100 Mitgliedern, den Storthing, welcher alle
3 Jahre ohne besondere Berufung auf drei Monate in Christiania zusammen-
tritt. Diese Versammlung theilt sich in 2 Kammern; haben diese einen
Gesetzes-Vorschlag berathen und angenommen, so bedarf derselbe noch der
Bestätigung des Königs, welcher ihn jedoch auch verwerfen kann. Wird aber
derselbe Vorschlag von den beiden folgenden Storthings erneuert, so muß er
Gesetzeskraft erhalten. Beide Reichstage haben die Steuern festzusetzen.
Die Schweden und Norweger sind deutschen Stammes, und bilden den
Kern der Landesbevölkerung; im diorden wohnen Finnen und Lappländer.
Die herrschende Religion ist die lutherische; die Lappen sind zum Theil noch
Heiden. Für das Volksschulwesen ist so gut gesorgt, daß man unter den
Schweden und Norwegern wohl selten Jemand findet, der nicht schreiben und
lesen kann. In Norwegen muß Jeder, der confirmirt werden soll, lesen
können, Jeder, der heirathen will, confirmirt sein, und wer im 20. Jahre
nicht confirmirt ist, kann gewaltsam im Zuchthause angehalten^werden, das
zur Confirmation Erforderliche zu leruen. Während aber die Schweden und
Norweger durch ihre Bildung und geistige Kraft eine hervorragende Stellung
Kitter den Earopäern einnehmen, stehen die Lappen und Finnen noch auf einer
niedern Culturstufe. Die Lappen sind insbesondere Nomaden, welche mit
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Die französische Industrie, welche an Großartigkeit der englischen nach-
steht, ist in Mode- und Luxusartikeln die Tonangeberin für den Continent
geworden. Die Seidenwaaren von Lyon, die Schmuck- und Bijouteriesachen
von Paris, ebenso seine Porzellan- und Bronzewaaren, seine Handschuhe und
Hüte, die Seidenbänder von St. Etienne werden allen ähnlichen Fabrikaten
als die nettesten und geschmackvollsten vorgezogen. Daneben leisten denn auch
die Baumwollen-, Wollen-, und Linnenfabriken in den verschiedenen Theilen
des Landes nicht Unbedeutendes. Außer Paris herrscht in den an Belgien
grenzenden Städten im Elsaß, in St. Etienne und Lyon die größte in-
dustrielle Thätigkeit, deren Erzeugnisse rasch in alle Theile des In- und
Auslandes entweder vermittelst der Eisenbahnen oder der Wasserwege ver-
sendet werden können. Die bedeutendsten Seehandelsplätze Frankreichs sind
Marseille, Bordeaux, Havre, Nantes und Brest; im Innern treiben Paris,
Lyon, Rouen, Straßburg, Nimes, Nantes u. a. den meisten Handel.
Das französische Volk wird von allen ziemlich gleich geschildert, und
in dem, was Julius Cäsar in seinem gallischen Kriege von dem Tempera-
mente der Gallier erzählt, treffen wir bereits die Anfänge des jetzt entwickel-
ten Volkscharakters. Die Franzosen sind im Allgemeinen gut gebaut, nicht
groß, leicht, behend und flink. Ihr Temperament neigt sich entschieden zur
Fröhlichkeit und Heiterkeit, aber auch zur Heftigkeit und Streitsucht. Wie
leicht braust eiu Franzose auf! Wie rasch ist er Feuer und Flamme! Wie
bald ist er für eine Sache begeistert, wie schnell verflackert aber auch seine
Hitze, sein Zorn, seine Begeisterung! Die Franzosen sind gesellig, sehr bös-
lich und gutmüthig. Die Sitten der Nation darf man nicht, wie häufig
geschieht, nach der Verdorbenheit der Hauptstadt beurtheilen. Besonders ist
den Franzosen eine große Eitelkeit, ein bedeutender Nationalstolz und eine
ins Kleinliche gehende Höflichkeit im geselligen Umgang eigen. Der Eng-
länder spricht nie mit einem Fremden und hält den letztem, wenn er eben-
falls schweigt, für einen gebildeten, anständigen Mann. Der Deutsche ent-
schließt sich schwer, der Franzose wird es nie unterlassen, mit Reisenden ein
Gespräch und eine Bekanntschaft anzuknüpfen, die aber bald wieder vergessen
wird. Im Genusse von Speise und Trank ist der Franzose entschieden
mäßiger, als der Engländer und Deutsche, bei welchen keine festliche Gelegen-
heit ohne einen großen Aufwand von Gerichten und Weinen begangen wer-
den kann. Besonderes Gewicht legt der Franzose im öffentlichen und Pri-
vatleben auf einen Witz (don-mot); dieser vermag eine ganze Geschichte zu
verderben und angesehene Personen für immer ihres Einflusses zu berauben.
Bei dieser Leichtigkeit des französischen Naturells ist es denn nicht zu ver-
wundern, daß die Bildung der Franzosen keine sehr gründliche ist. Viele
Tausende, denen es an äußerer Politur gar nicht fehlt, können weder lesen
noch schreiben. Noch jetzt wachsen viele Tausende ohne Unterricht auf, da
noch lange nicht jede Gemeinde eine Volksschule hat. Dagegen ist für die
höhere Bildung durch Privat- und Staatslehranstalten gut gesorgt. Beson-
ders viel haben die Franzosen in den Natur- und Militärwissenschaften und
in der Mathematik geleistet; in anderen Wissenschaften verschwinden dagegen
ihre Leistungen im Vergleiche mit den deutschen und englischen Studien.
Das französische Staatsschiff ist nach verschiedenen Stürmen wieder in
den Hafen der Ruhe eingelaufen. Kein Volk hat bisher so viele Revolu-
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mit einem Denkmal der Jungfrau Ieanne d'arc. Poitiers (32,000 E.),
in dessen Nähe Carl Martell 732 die Araber schlug, und die Kriegshäfen
la Rochefort und Rochelle; jenes besitzt bedeutende Arsenale und einen Bagno
für Galeerensträflinge, dieses ein besuchtes Seebad.
15. Die Bretagne,
eine Halbinsel, hat ihren Namen von den Briten, welche sich aus ihrem
Vaterlande vor den Angeln und Sachsen hierher flüchteten. Städte von
Bedeutung sind Nantes an der Loire (105,000 E.) ein wichtiger Handels-
platz mit gutem Hafen. Das Edikt von Nantes 1598. Rennes, 47,000 (5.,
war die alte Hauptstadt der Bretagne. Brest (70,000 E.) besitzt den be-
deutendsten Kriegshafen in Frankreich; er faßt 500 Schiffe. St. Malo hat
eine große Handelsflotte.
16. Die Normandie
hat ihren Namen von den eingewandeten Normannen, deren Herzog Rollo
911 das Land von Carl dem Einfältigen als Lehen erhielt. Die heutige
Bevölkerung wird als kriegerisch und streitsüchtig geschildert. Rouen an der
Seine (106,000 E.) ist eine sehr reiche Fabrikstadt. Hier wurde 1431 Ieanne
d'arc von den Engländern verbrannt. An der Seine-Mündung ist le Havre
de Grace zu merken (76,000 E.), das einen lebhaften Verkehr mit Nord-
amerika unterhält. Wichtiger noch ist der feste Kriegshafen Cherbourg.
Dieppe treibt ansehnliche Häriugsfischerei, und ist als Seebad besucht. Caen
(45,000 E.) ist nach Rouen der größte Ort im Binnenland.
17. Corsika
(160 Q.-M., 253,000 E.) ist eine gebirgige, an Erz und Marmor reiche
Insel. Ackerbau und Industrie bleiben unbedeutend, so lange der Corse das
ungebundene freie Leben auf der Jagd und beim Fischfang beibehält; bisher
konnte er dieser Beschäftigung nicht entsagen. Man schildert die Corsen als
ein wildes, tapferes und rachsüchtiges Volk. Hauptstadt ist Ajaccio, 14,200
Einw. Seeplatz. Hier wurde Napoleon Bonaparte am 15. August 1769
geboren; er starb bekanntlich am 5. Mai 1821 in der Verbannung auf
der Insel St. Helena. — Auf Corsika wird italienisch gesprochen.
18. Das Herzogthum Savoyen (200 Q.-M., 600,000 E.)
ist 1860 mit der Grafschaft Nizza durch Vertrag dem Kaiserthum Frank-
reich einverleibt worden. Die Bewohner des Herzogthums (Savoyarden)
haben in Sprache und Lebendigkeit viel mit den Franzosen gemein; sie sind
kleiner Statur, nicht sehr schön, aber von einer seltenen Gutmüthigkeit, Ehr-
lichkeit und Genügsamkeit. Das arme Bergland nöthigt Viele schon in frü-
her Jugend ins Ausland zu wandern, wo sie als Diener sich vermiethen,
oder mit abgerichteten Murmelthieren, musikalischen Leierkasten, Tinte- oder
Schmierfäßchen, Mausefallen oder Aeffchen ihr Brot verdienen. Hauptstadt
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im Innern ist weder durch Straßen und Kanäle noch durch ein großartiges
Eisenbahnnetz unterstützt. Seehandelsplätze sind Cadix, Barcellona, Malaga,
Santander, Bilboa rc.
Spanien war früher als ein goldreiches Land bekannt, und der Berg-
bau scheint stark betrieben worden zu sein. Erst seitdem die unerschöpflichen
Goldgruben Amerikas für Spanien versiegt sind, scheint man den heimischen
Gruben wieder mehr Sorgfalt zu widmen. Außer dem bereits erwähnten
Quecksilberbergwerk in Almaden sind die bedeutendsten Blei- und Eisengruben
in Granuda und den baskischen Provinzen. Das Land hat überdies großen
Ueberstuß an Steinkohlenlagern und Mineralquellen aller Art.
Der spanische Volkscharakter weist viele gute Seiten auf, welche aber
durch die strenge politische und religiöse Bevormundung des Volkes arg ver-
wischt worden sind. Man rühmt vor allem an den Spaniern echte Vater-
landsliebe, Tapferkeit, Muth und Ausdauer, Redlichkeit, Ernst, Einsicht
und Lebendigkeit. Es gibt wenig Völker in Europa, welche dem Spanier
an Mäßigkeit gleichkommen. Ein spanischer Soldat begnügt sich für einen
Tag mit Wasser, Brot und einer süßen Zwiebel; „Oliven, Salat und Ra-
dieschen sind Speisen eines Ritters." Eben wegen ihrer Mäßigkeit und tapfern
Ausdauer sind die Spanier die besten Soldaten und Festungsvertheidiger.
Richt mit Unrecht wirft man dem Spanier Grausamkeit, Hochmuth, Rach-
sucht und Geiz vor. Die Volksbelustigungen der Spanier, die Stiergefechte,
denen Männer und Frauen aller Stände mit unbegreiflich innigem Wohl-
gefallen beiwohnen, empören und beleidigen unser Gefühl. Während sich in
allen übrigen Ländern Vereine bilden, um jeglicher Art von Thierquälerei
entgegenzuwirken, ergötzen sich die Spanier bei den Stiergefechten um so
mehr, je ärger ein Stier gehetzt, gestachelt, gebrannt und gemartert wird,
und achten in ihrer Freude kaum der Gefahren und Wunden, denen der
muthige Kämpfer sich der Zuschauer wegen aussetzt. Bei allen größeren
Städten in Spanien gibt es schöne Alamedas, mit Baumreihen bepflanzte
Spaziergänge, auf welchen am Abend ein ungemein reges Treiben herrscht.
Da klingen Guitarren und Castagnetten, Gesang und Flötenspiel und nicht
selten kann man den Nationaltanz, den Fandango, sehen.
Die Volksbildung in Spanien steht auf einer sehr niedrigen Stufe. Von
17 Kindern wird eins unterrichtet, und kaum der vierte Theil der nach
unsern Begriffen schulpflichtigen Kindern besucht die Elementarschule. Die
sogenannten Gelehrtenschulen, Gymnasien und Lyceen, entsprechen ebenso wenig
wie die Universitäten unseren Anforderungen.
Die spanische Monarchie ist ein konstitutoneller Staat, dessen Königs-
würde in männlicher und weiblicher Linie erblich ist. Die Cortes, die spa-
nische Nationalversammlung, besteht aus 2 Kammern, dem Senat, der Kam-
mer der Proceres, und aus der Deputirten-Versammlung, der Kammer der
Procuratores. Der Kronprinz führt den Titel Prinz von Asturien, die
übrigen Prinzen heißen Infanten von Spanien. Die Finanzen der spani-
schen Monarchie sind sehr zerrüttet; die Staatsschuld, welche 4 bis 5000
Millionen Franken beträgt, hat in den letzten Jahren regelmäßig zugenommen.
Wir werden die wichtigsten Orte Spaniens nach den Kronländern auf-
führen, aus denen die Monarchie zusammengesetzt ist.
1867 -
Frankfurt a.M.
: Jaeger
- Autor: Lüben, August, Cassian, Heinrich
- Auflagennummer (WdK): 4
- Sammlung: Geographieschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten, Gymnasium
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Lehranstalt, Gymnasium
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): Jungen
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tritt die Sonne ins Zeichen der Fische, und weiter — am 21. März ins
Zeichen des Widders, am 20. April in das des Stiers, am 21. Mai in
das der Zwillinge, am 22. Juni in das des Krebses, am 23. Juli in
das des Löwen, am 23. Aug. in das der Jnngfrau, am 23. Sept. in
das der Waage, am 23. Okt. in das des Skorpions, am 22. Nov. in
das des Schützen, am 22. Dec. in das des Steinbocks. Diese 12 Zeichen
sind dem Thierkreis (Zodiakus) am Himmel, einer 20° breiten Zone zu
beiden Seiten der Ekliptik, entlehnt.
Der glückliche Gedanke, das unermeßliche Sternenheer in Bilder zu
gruppiren, rührt von orientalischen Völkern her, insbesondere den Chal-
däern in Babylon, welche anfangs tüchtige Astronomen, späterhin als Astro-
logen berüchtigt waren. Sie hatten wahrgenommen, daß die Sonne bald
diese Sterngruppe, bald eine andere bedecke, d. h. mit ihr auf- und unter-
gehe. Dies brachte sie auf den Gedanken, die Bahn der Sonne dadurch
zu bestimmen, daß sie den Thierkreis ersannen und die einzelnen Sterne
zu Bildern vereinigten. Wer auch nur zwei oder drei Sternbilder anr
Himmel kennt, muß die feurige Phantasie der Orientalen bewundern,
welche aus den einzelnen Sternen so kühne Figuren und Bilder construi-
ren konnte.
Die Bilder des Thierkreises paßten genau auf den Stand der Sonne
vor denselben in den damaligen Jahresverhältnissen. Die 3 Frühlings-
sternbilder Widder, Stier, Zwillinge bezeichneten den Stand der Sonne,
wenn im März die Heerde wieder auf die Weide getrieben, im April der
Acker geflügt und im Mai junge Ziegen geworfen wurden, die 3 Sommer-
sternbilder Krebs, Löwe, Jungfrau, wenn die Sonne im Juni den höchsten
Stand erreicht hatte und den Rückweg antrat, die große Hitze des Juli
dem feurigen Temperamente des Löwen vergleichbar war, und die Jungfrau
mit der Sichel an die Ernte im August mahnte; Waage, Skorpion und
Schütze stimmten mit den Merkzeichen des Herbstes überein; die Waage
weiset aus die Herbst-Nachtgleiche im September, der Skorpion mit giftigem
Stachel auf die im Oktober grassirenden Krankheiten, der Schütze auf die
einbrechende, fröhliche Jagdzeit im November. Die Wiuterzeichen endlich,
Steinbock, Wassermann, Fische, verdanken ähnlichen Verhältnissen ihre An-
wendung. Der Steinbock, halb als Gemse, halb als Fisch dargestellt,
deutet aus das Ende der Jagd und den Ansang der Ueberschwemmungen,
sowie auf das beginnende Eniporsteigen der Sonne, welche mit dem 21. Dec.
den tiefsten Stand für die Bewohner der nördlichen Halbkugel erreicht hat;
der Wassermann und die Fische auf die Ueberschwemmungen und die gün-
stige Zeit des Fischfangs im Januar und Februar bis nach der Mitte
des März.
Als man aber fand, daß die Tag- und Nachtgleichen jährlich um 50"
vorrückten, d. h. daß die Sonne nicht an der gleichen Stelle den Himmels-
äqnator alljährlich durchschnitt, da paßte nach Verlauf von mehreren Jahr-
hunderten auch die alte Ausdrucksweise nicht mehr. Wenn wir z. B. jetzt
noch sagen wollten, die Sonne trete am 21. März ins Sternbild des
Widders, so könnten wir uns leicht von dieser Unrichtigkeit überzeugen,
indem die Sonne am genaunten Tage erst im Sternbild der Fische an-
1867 -
Frankfurt a.M.
: Jaeger
- Autor: Lüben, August, Cassian, Heinrich
- Auflagennummer (WdK): 4
- Sammlung: Geographieschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten, Gymnasium
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Lehranstalt, Gymnasium
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): Jungen
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1) In Nordamerika: die Eskimos an den Küsten des Eismeers, in
Grönland und Labrador. Sie sind kleine Leute, zeigen Verwandtschaft mit
den Mongolen und scheinen von Asien eingewandert zu sein; die Alöuten
und Tschuktschen, welche mit den Ostsibiriern verwandt sind; die Irokesen
und Huronen am Eric- und Ontario-See; die Tscherokesen am Tenessee;
die Creeks und Seminolen in und um Florida; die Komanschen in Texas;
die Oregonvölker und Californier; die Azteken in Mexiko und Mittelamerika;
die Moskitos am Busen von Guatemala.
2) In Südamerika die Karaiben, ehedem auch auf den Antillen, jetzt
noch in Guyana und im Norden des Orinoko; sie sind zum Theil noch
Kannibalen (Menschenfresser); im Delta des Orinoko leben die Guarannos,
welche während der Ueberschwemmungen auf Palmbäumen leben; westlicher
die Ottomaken, welche von Fischen, Eidechsen, Pflanzen leben und auch Erde
verspeisen; die Botokuden in Brasilien. Die letzteren sind ein kleines Häuf-
lein von 4000 Seelen, welche noch Kannibalen sein sollen und ihre Unter-
lippen und Ohrläppchen mit Muscheln oder Holz gräßlich verunstalten. In
Peru hausen die kupferrothen Inka, in Chili die Araukaner, im äußersten
Süden die Patagonier und die kleinen Pcscherähs.
Die Eskimos sind in dem arktischen Amerika, namentlich in Grönland,
aus Labrador und in den Gestadeländern der amerikanischen Nordsee, sowie
in Asten ansässige Fischervölker und zerfallen in mehrere Nationen. Ihre
Kleidung fertigen sie aus den Fellen der Rennthiere und des pelztragenden
Wildes. Ihre Nahrung besteht vorzugsweise aus Wild, Seehunds-, Wall-
sisch- und Wallroßfett. Getrocknete Fische, Beeren und Thran sind ihnen
unentbehrlich. Sie sind nicht wählerisch und fragen nicht, ob ihre Gerichte
roh oder gekocht, frisch oder alt sind. Ihre Waffen sind einfach, ihre Speere
aus Tannenholz mit knöcherner Spitze, welche der Wallroßzahn bildet, ihre
Wurfspieße, Bogen und Pfeile, Messer und Aexte, welche sie von Europäern
erhalten haben, eignen sich mehr für die Jagd, als für den Krieg. Die
östlichen Eskimos unterscheiden sich durch ihre größere Einfachheit und Natur-
wüchsigkeit von den westlichen. Die östlichen sind kleiner und schmutziger,
haben einfachere Wohnungen und weniger Bedürfnisse. Der Charakter der
Eskimos ist eine Mischung von guten und schlechten Eigenschaften. Sie
sind gastfreundlich und setzen den Fremden das Beste vor, was das Haus
besitzt. Unter sich beobachten sie die strengste Ehrlichkeit; allein wenn sie bei
Fremden Etwas erblicken, was ihnen selbst werthvoll dünkt, so tragen sie
kein Bedenken, es heimlich an sich zu bringen. Ihre Neigung für Kinder
ist groß; ein Knabe wird gehätschelt, während ein Mädchen frühzeitig als
Sklavin angesehen wird. Die Frauen behandelt man besser, als es bei un-
gesitteten Völkern sonst üblich ist. Das Alter ehren sie nicht, sondern ver-
spotten es, nicht alle Eskimos entziehen demselben aber die Nahrung, wie
die Eskimos der Ostküste thun sollen. Allen Stämmen ist der runde große
Kopf, das platte, volle Gesicht mit Pausbacken, die hervorstehenden Backen-
knochen, die kleine, tief eingedrückte Nase, das dunkle, straffe Haar, und das
weiche, schlaffe Fleisch gemeinsam. Ihre Offenheit und Gutmüthigkeit hat
den Europäern stets einen günstigen Eindruck gemacht.
Die Indianer (vergl. S. 59) sind unter einander sehr verschieden; die
meisten Stämme von ihnen sind rohe Naturmenschen, und als die Europäer