220
Iii. Geschichtsbilder.
Wittwe seines Bruders und dessen junge
Söhne zur Flucht aus dem Reiche.
Hiedurch gerieth er in Streit mit
den Langobarden, deren König De-
siderius, der Schwiegervater Karlmanns,
die Ansprüche seiner Enkel geltend machen
wollte. Karl zog mit zwei mächtigen
Heeren über die Alpen nach Italien, das
eine unter seiner eigenen Leitung über
den Mont Cenis, das andere unter
seinem Oheim Bernhard über den St.
Bernhard. Ohne Widerstand überließ
ihm Desiderius die Pässe und schloß sich
in seiner Hauptstadt Ticinus oder Pa-
via ein, das Karl nach einer harten
siebenmonatlichen Belagerung endlich er-
oberte und so Desiderius besiegte. Karl
herrschte nun selbst über das longobar-
dische Reich. Aus allen Theilen des
Landes kamen die Langobarden, um sich
zu unterwerfen und Geschenke zum Be-
weise ihrer Unterordnung darzubringen.
Doch blieb das Königreich dem Namen
nach selbstständig; es wurde nicht mit
der fränkischen Monarchie verschmolzen
und behielt sogar seine eigenen Gesetze
und Einrichtungen. Karl führte den
Titel „König der Longobarden", zählte
die Regierungsjahre darnach und setzte
im Jahre 780 seinen Sohn Pipin zum
König dieses Landes ein.
2. Weit hartnäckiger und blutiger
waren Karls Kriege gegen die im nörd-
lichen Deutschland wohnenden Sachsen.
Hier stand die zähe Ausdauer eines
unentnervten, kriegerischen Volkes, das
für seine Freiheit, seine Sitten und
seinen Glauben kämpfte, eine Ausdauer,
die überhaupt den freiheitsliebenden
Volksstämmen und Volksfürsten jener
Zeit eigen war, der eisernen Willens-
kraft eines Helden gegenüber, der unter
seinem Vater eine treffliche Kriegsschule
durchgemacht und vor Allem in den
Kriegen gelernt hatte, einen einmal ge-
faßten Entschluß nicht wieder aufzu-
geben, und der endlich selbst für seinen
großen Gedanken begeistert war. Das
war der Grund, warum der Kampf
sich über 32 Jahre hinzog und auf der
einen Seite die verzweifelte Empörung
immer wieder wach rief, auf der andern
stete Feldzüge herbeiführte.
Die kriegerische Jugend dieses Volkes
war dem benachbarten Frankenreiche
schon lange durch ihre verheerenden
Streifzüge lästig geworden, so daß schon
Karl Martell und Pipin die Unter-
werfung der wilden Nachbarn versucht
hatten. Karl dem Großen war es vor-
behalten, dies schwere Werk zu vollen-
den. — Die Sachsen wohnten zu der
Zeit, von der wir reden, vom Rhein
bis zur Elbe, von der Eider bis zur
Werra und Fulda. Sie zerfielen in
drei Hauptstämme; aber roh in ihrem
Glauben, wild in ihrer Vertheidigung,
barbarisch in ihrem Recht, zäh in ihrer
Freiheit, waren sie für eine gesunde
Fortentwicklung ihres Staatslebens nicht
recht geschaffen. Festes Zusammenhalten
der Stämme war ihnen fremd; sie zer-
fielen in freie Gemeinschaften, die nur
stammweise im Kriege zusammentraten
und sich einen Führer wählten; außerdem
hatten sie einen gemeinsamen Führer nicht.
Im Jahre 772 unternahm Karl
den ersten Heereszug in das feindliche
Sachsenland und errang einige Erfolge.
Wo er hinkam, Zerstörte er die heidnischen
Tempel und zwang die Sachsen zur
Annahme des Christenthumes. Die
Sachsen aber fielen nach Karls Abzug
in's fränkische Reich mit Mord und
Brand, ihrerseits durch Zerstörung der
christlichen Kirche Rache nehmend. Dies
war der wesentliche Charakter fast aller
folgenden Feldzüge dieses Krieges. Wenn
Karl persönlich gegen die Sachsen aus-
zog, zwang er sie zum Rückzug, eroberte
ihre Burgen und suchte die Unterwor-
fenen zur Annahme seines Glaubens
zu zwingen; war er dagegen aus fernen
Kriegszügen abwesend, so fielen die
Sachsen in sein Reich ein, und nahmen
für die erlittene Schmach blutige Rache.
Aber Karl brachte es endlich durch seine
Kriegsgewandtheit dahin, daß er in den
Jahren 775 und 776 die drei Stämme
mit ihren Vornehmsten an der Spitze
zum Eid der Treue bewog und zum
ersten male im Feindeslande eine Reichs-
versammlung in Paderborn abhalten
konnte, wo sich die Sachsen demüthigten,
Geißeln in größerer Zahl gaben und
im Falle der Abtrünnigkeit Freiheit und
Vaterland verlieren zu wollen erklärten.
Nur einer ihrer Führer, Widukind,
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Extrahierte Personennamen: Schwiegervater_Karlmanns Karlmanns Karl Karl Bernhard Bernhard Karl Desiderius Karl Karl Karl Karl Karls Karl_Martell Karl Karl Karl Karl Karls Karl Karl Karl Karl
Extrahierte Ortsnamen: Italien Karls Deutschland Sachsen Sachsen Rhein Fulda Sachsen Christenthumes Sachsen Karls Sachsen Sachsen Feindeslande Paderborn Sachsen
222
Hi. Geschichtsbilder.
See durch Ueberfälle die Küsten Galliens
und Deutschlands verheerten, mußte
sich Karl vertheidigen. Ihr König
Godfried erschien (808) mit einer Heeres-
macht sogar vor dem Königssitze Aachen.
In Eile sammelte Karl ein Heer; aber
ehe es noch zu der von Godfried ange-
drohten Feldschlacht kam, wendete des
letzteren Tod die Gefahr ab, und die
unter den Söhnen ausbrechenden Thron-
streitigkeiten verhinderten weitere Kriege.
Das Land zwischen Schlei und Eider
blieb den Franken und wurde später
zur Nord mark.
So hatte sich denn das Reich Karl
des Großen ausgedehnt von der Elbe
bis zu den Pyrenäen, von der Nord-
und Ostsee bis zum adriatischen Meere,
und Karls Scepter waltete über fast
ganz Frankreich, Deutschland :
und Italien. Deutsche, Slaven,
Avaren, Spanier, Araber, Langobarden,
Italiener waren ihm Unterthan, eine
„Herrschaft, wie sie seit dem Unter-
gänge des Römerreiches nicht war
gesehen" worden. Sein Ruhm aber
ging weit über die Grenzen seines
Reiches hinaus. Gothische, schottische,
irische Fürsten nannten sich seine Unter-
thanen; britische Fürsten kamen an
seinen Hof, der Patriarch von Jeru-
salem sandte ihm die Schlüssel zum
heiligen Grabe, zum Calvarienberge und
Zur Stadt sammt einer Fahne; der
mächtige Chalif Harun al Raschid be-
wunderte Karl und suchte dessen Freund-
schaft. Auch der Papst, dankbar für
Karls einstimmige Hülfeleistung, setzte
ihm die kaiserliche Krone auf und salbte
ihn zum römischen Kaiser und ernannte
dadurch ihn und seine Söhne zu
Schutzherren Roms. Dies geschah bei
der Scheide zweier Jahrhunderte, am
25. Dezember, am Weihnachtstage des
Jahres 800.
Von jetzt an arbeitete Karl haupt-
sächlich an der inneren Entwickelung
seines Reiches. So nahm er sich der
Kirche und des Staates gleichmäßig
und bis in's Einzelnste an. Aber ob-
wohl in Alles eingreifend, ließ er doch
Kirche und Völkern Freiheit und Selbst-
ständigkeit der Entwickelung. Er hatte
mit der Uebernahme der römischen !
Kaiserwürde nicht den germanischen
Sinn für Freiheit verloren.
Er gründete Kirchen und Klöster
und beschenkte sie reichlich. Eben so
sehr sorgte er aber auch für die Rechte
seiner weltlichen Unterthanen durch
weise Gesetze und Aufstellung tüchtiger
Beamten.
Die Bildung fand einen hervorra-
genden Beschützer an ihm; denn er
gründete Schulen, ließ eine deutsche
Sprachlehre schreiben und die alten
Heldenlieder sammeln, welche noch im
Munde des Volkes lebten.
Selbst in Bezug auf den Landbau
ward er durch Anordnungen für die
königlichen Güter das Vorbild eines
sorgsamen, weisen und gerechten Guts-
herrn. Er gab Verordnungen über
Ackerbau, Garten-, Weinbau, Hausein-
richtung, Jagd u. s. w.
Seinem Reiche suchte er von jetzt
an die Ruhe zu erhalten. Er ordnete
den Heerbann, schützte durch Aufstellung
von Markgrafen, denen er eine größere
Gewalt in die Hand gab, die Grenzen
seines Reiches und baute zur Wehr
gegen die Ueberfälle der Normanen
und Mauren Flotten und Festungen,
besichtigte sie selbst, legte Häfen an
und setzte Wachtposten hinein. So war
er fortwährend für sein Reich besorgt,
und es gibt kein Gebiet des Staats-
lebens, wo Karl nicht, an frühere Einrich-
tungen anknüpfend, rastlos die bessernde
Hand angelegt hätte, bald ergänzend,
bald ordnend, nie aufhebend oder zer-
störend. Nach allen Seiten hin hat er
so Samenkörner ausgestreut, von denen
zwar einzelne im Drange der Ver-
hältnisse erstickten, die Mehrzahl aber
doch Früchte trug. Aus allen seinen
Thaten, wie Gesetzen aber blickt stets
der Geist der Frömmigkeit, der Weis-
heit, des Rechtes und der Milde hin-
durch. Und wenn dennoch scheinbare
Härte aus diesem so harmonisch gestal-
teten Wesen hervorbrechen, so ist nicht
Willkür, sondern Ueberzeugung die
Quelle davon.
4. Nicht uninteressant dürfte es sein,
auch von der Person Karls des Großen
zu reden.
Er war eine gewaltige Erscheinung,
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Extrahierte Personennamen: Karl Karl Godfried Karl Karl Godfried Karl Karls Harun Karl Karl Karls Karl Karl Karl Karl Samenkörner Karls
Extrahierte Ortsnamen: Galliens Deutschlands Aachen Nord Ostsee Karls Frankreich Deutschland Italien Karls Roms
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Bajoarier erhielten. Die selbstständige Herrschaft
dieses Volkes mag wohl in seinem Jnnren wenig
oder nicht von Theodorich, dem Könige der Ost-
gothen beeinträchtigt worden seyn, da jenes'zweyte
Rhätien, das zu seinem Reiche gehörte, nach ei-
nem veränderten Sprachgebrauchs, der sich von nun
an durch viele Jahrhunderte erhielt, nicht mehr das
Land der Bayern, welches jetzt Noricum hieß, be-
deutete, sondern Tyrol, während unter Hohenrhä-
tien Graubündten verstanden wurde. ;
Das Chrtftenthum in den Donangegenden?
h. 3. Der Bewohner des jetzigen Bayerns oder
eines seiner Nachbarländer kann sich in diesen Ta-
gen der öffentlichen Sicherheit und guten Ordnung
kaum einen rechten Begriff machen von dem Zustand
der Dinge, der in jenen ersten Jahrhunderten unserer
Geschichte herrschte, deren Verlauf wir so eben be-
trachteten., Dü konnte Keiner sagen: diese Hütte,
welche meine Hand erbaute, dieses Stück Feldes,
worauf die Hütte steht ist mein, denn über Nacht
nahm vielleicht ein Heer der fremden Einwandrer
und Krieger Alles dahin was seift war; er selber,
wenn er anders mit dem Leben davon gekonnnen,
mußte sich als Flüchtling in's Gebirg oder in die
Wälder retten. Bei der Unsicherheit alles Eigenthu-
mes, alles Grundbesitzes theilte sich die Lust, in
Gesellschaft der durchwandernden Heere mit fortzuzie-
hen gar leicht auch Andern mit; ein großer Theil des
Volkes, mit Weib und Kind ließ sich in die Ge;
sahren des Krieges und der Harken Mühseligkeiten
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hindurch gieng, mit Feuer und Schwert verheert.
Dieses Volk wußte nichts von eignem Erwerb, es
lebte nur vom Raube des fremden Eigenthumes,
hatte seine Lust am Mord der Menschen, am Nie-
derbrennen ihrer Wohnsitze, am Zerstören aller Pflan-
zungen und Werke der Menschenhand. —■ So war und
ist überall und zu allen Zeiten der Mensch, der ohne
Gott und ohne Gottesfurcht in der Welt lebt.
Allmälig wagten die streifenden Raubzüge der
Ungarn einzelne Einfälle auch in die deutschen Län-
der, namentlich in Bayern. Zweymal schlug Luit-
pold ihre Heerhaufen, und errichtete zur Abwehr ihrer
Einfälle die Festung Ems bürg an der Ems. Als
jedoch im Jahr 907 jene furchtbaren Feinde mit ei-
ner Heeresmacht wiederkehrten, welche an ungeheurer
Menge der Einzelnen einem Heuschreckenschwarme glich,
da mußte, nach dreytägigem Kampfe das schwerbe-
waffnete -Heer der Deutschen den Angriffen der wohl-
berittenen, leicht beweglichen, streitbaren Ungarn un-
terliegen. Fast das ganze bayerische Heer sank un-
ter dem Schwert der Feinde; unter den Erschlagenen
war Luitpold selber, und mit ihm die Bischöfe
von Salzburg, Freysing und Seben, so wie viele
Grafen und Aebte. Nur mit einer kleinen Zahl der
Krieger hatte sich der vierzehnjährige König Ludwig
gerettet und zuerst nach Passau dann in die Rhein-
länder geflüchtet. Wie eine Fluth, welche ihre Däm-
me durchbrochen, ergossen sich jetzt die Räuberschaaren
der Ungarn über Bayern, das sie bis an den Lech
verwüsteten. Jede Nacht leuchtete die Flamme der
von den Barbaren angezündeten Ortschaften und
Klöster; alles Volk, das in ihre Hände gerieth, das
wurde, wo nicht ermordet, bey den Haaren zusam-
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