8 Mittlere Geschichte. 1. Periode. Deutschland.
sie aus Ungarn über die Alpen, eroberten Oberitalien und mach-
ten Pavia zur Hauptstadt. Von ihnen wird noch Oberitalien die
Lombardei genannt. Alboin war ein roher Mensch. Er hatte,
ehe er nach Italien gekommen war, einen König der Gepiden in
Ungarn, Kunimund, erschlagen und aus dessen Schädel sich
ein Trinkgefäß gemacht, dessen er sich bei der Tafel bediente.
Auch zwang er die Tochter des erschlagenen Feindes, die schöne
Rosamunda, seine Frau zu werden. Wie konnte sie aber den
Mörder ihres Vaters lieben? Als er nun Italien eingenommen
hatte und einst in Verona ein festliches Gastmahl hielt, befahl er
im Rausche seiner Frau, sie solle aus dem Schädel ihres Vaters
trinken. Rosamunda bebte zurück, aber sie mußte gehorchen, ge-
lobte jedoch im Stillen, sich dafür an Alboin blutig zu rächen.
Und das that sie auch. Sie beredete seinen Schildträger, ihn zu
ermorden. Als Alboin eines Tages Mittagsruhe hielt, ließ sie
jenen in das Schlafgemach, und so wurde der mächtige König im
Schlafe durchbohrt. Aber die Strafe ereilte die Mörder. Rosa-
munda und Helmichis mußten vor der Rache der Langobarden
fliehen. Sie wandten sich nach Ravenna, wo der griechische Statt-
halter (Longinus) sie in Schutz nahm. Rosamunda hatte zwar
dem Helmichis die Ehe versprochen, da aber der Statthalter um
ihre Hand warb, wollte sie sich von Helmichis losmachen und
reichte ihm einen Giftbecher. Er trank; als er aber den Becher
erst halb geleert, merkte er die Natur des Trankes. „Wenigstens
sollst du mit mir sterben!" rief er zornglühend, zog das Schwert
und zwang Rosamunden, den Rest zu leeren. So starben beide
Uebelthäter.
53. Sitten, Sprache, Gesetze und Religion der deutschen Völker.
Ein großer Theil der deutschen Stämme war zur Zeit der
Völkerwanderung nach freniden Ländern gewandert und hatte hier
zum Theil fremde Sitten angenommen. Nur die in Deutschland
zurückgebliebenen bewahrten treu die von den Vorfahren ererbten
Gesetze, Gewohnheiten und Sprache. Die bedeutendsten derselben
waren unstreitig die Franken, die am Niederrheine wohnten und
Weiberstuben an den Spinnrocken zurückkehren — eine Anspielung auf ferne
kleine, unmännliche Gestatt. Da habe der gereizte Plann ausgerufen: „Nun
wohl! so will ich ihr denn einen Faden spinnen, an dem sie genug zu wickeln
haben soll!" Und nun seien die Langobarden durch ihn zu einem Einfall in
Iralien berufen worden.
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Wohnsitze. Sprache. Sitten. Gerichtswesen.
9
immer weiter nach Westen/ ins nördliche Frankreich vorrückten:
ein tüchtiger, kräftiger Menschenschlag. In der Mitte von Deutsch-
land wohnten die Thüringer; über ihnen, an der Weser, im
jetzigen Westphalen und Hannover, die Sachsen; und über die-
sen, an den Ufern der Nordsee, die wilden Friesen. In
Schwaben saßen die Alemannen, im jetzigen Baiern die Bai-
ern (Vojer), und in dem nordöstlichen und östlichen Theile von
Deutschland, der jetzt Mecklenburg, Pommern, Brandenburg,
Sachsen, Böhmen, Mähren und Schlesien heißt, nichts als Wen-
den und Slaven, die sich durch schwarze oder braune Augen
und schwarzes Haar von den blonden, blauäugigen Deutschen
unterschieden und auch eine eigene Sprache redeten. Erst im
vierten und fünften Jahrhundert breitete sich das Christenthum
auch unter den deutschen Völkerschaften aus, nicht sowohl unter
den Stämmen, die in Deutschland saßen, als unter denen, welche,
wie z. B. die Gothen, in die Provinzen des römischen Reiches
eindrangen; aber nur sehr allmälig. Einer der ersten Bekehrer
zum Christenthum war hier der wackere Bischof Ulphilas, der
zur Zeit des Anfangs der Völkerwanderung unter den Gothen
lebte und seinen Landsleuten die Schreibekunst lehrte. Er über-
setzte auch mit vieler Mühe die Bibel in ihrer Sprache, von
welcher Uebersetzung wir noch einen Theil übrig haben. Mit der
Kenntniß der christlichen Religion machten die Deutschen nun
auch größere Schritte zur Ausbildung ihrer Sitten.
Das Familienleben beruhte auf der Gewalt des Hausvaters
als Oberhaupt, mit der Verpflichtung, die Seinigen zu schützen.
Man nannte dieses „Muntw d. h. Schutz, Aufsicht. Wenn der
Sohn die Waffen führen konnte, wurde er mündig; die Tochter
trat bei ihrer Verheirathung in den Schutz des Gatten über.
Das Ehebündniß wurde mit vielem Gepränge in der Volks-
versammlung oder dem „Mahl" gefeiert, davon sich noch die
Wörter: Gemahl, Vermählung — erhalten haben. Die Kleidung
war kunstlos aus Fellen und Linnen verfertigt. Die Gesetze
unserer Vorfahren waren sehr einfach. Das Gericht, wozu die
ganze Volksgemeinde erscheinen durste, wurde an einem Hügel,
oder unter alten Eichen oder bei einem aufgesteckten Zeichen:
einem Schild oder einer Fahne, gehegt. Konnte man die Schuld
oder Unschuld eines Beklagten nicht ausmitteln, so mußte er
einen Eid leisten. Aber da kamen manche Fülle vor, wo nichts-
würdige Menschen einen falschen Eid geleistet hatten, und nun
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Extrahierte Ortsnamen: Frankreich Deutsch- Hannover Sachsen Nordsee Schwaben Deutschland Pommern Brandenburg Sachsen Deutschland
18 Mittlere Geschichte. 1. Periode. Franken.
ließ, während der andere sich selbst töbtete, und den vierten mit
einem Stückchen Land (Gens) abgefunden. Um nun einen Vor-
wand zum Kriege zu haben, verlangte Chlodwig die Hand der
Chlotilde, der Tochter jenes von Gundobald ermordeten Königs.
Chlotilde willigte mit Freuden ein, um aus der Haft des ihr
verhaßten Oheims loszukommen; desto verdrießlicher war der An-
trag dem Gundobald, aber er fürchtete sich, den Chlodwig zu
erzürnen und willigte ein. Vergnügt fuhr die Braut auf einem
mit Ochsen bespannten Wagen von dannen und ließ auf der
Reise, um sich an Gundobald zu rächen, alle burgundische Oerter,
durch die sie kam, niederbrennen. Dann forderte Chlodwig die
Mitgift seiner Frau; Gundobald schickte sie mit Ingrimm.
Bald darauf gab es für Chlodwig ein neues Geschäft. Die
oben erwähnten Alemannen, die theils im jetzigen Baden und
Würtemberg, theils in der westlichen Schweiz, theils auf dem lin-
ken Rheinufer wohnten, hatten sich ausgemacht und waren, den
Rhein abwärts ziehend, bis Cöln vorgedrungen, wo auch ein
fränkischer König, ein Vetter Chlodwigs, regierte. Chlodwig zog
seinem Vetter zu Hülfe. Es kam zur Schlacht bei Zülpich,
zwischen Aachen und Bonn (496). Die Franken wurden hart
bedrängt; die Alemannen erhoben das Siegesgeschrei. Da, in
der höchsten Roth, rief Chlodwig zu dem Gotte der Christen:
„Wenn chu mir den Sieg verleihst, so will ich an dich glauben
und mich aus deinen Namen taufen lassen; denn ich habe meine
Götter angerufen, aber sie haben mir nicht geholfen, und daher
muß ich glauben, daß sie keine Macht haben." Glücklicherweise
wandte sich der Sieg; die Alemannen mußten die Obermacht der
Franken anerkennen. Noch in demselben Jahre ließ sich Chlod-
wig taufen. Der Bischof von Rheims, der heilige Remigius,
verrichtete in der Domkirche dieser Stadt die feierliche Handlung,
die der Aberglaube jener Zeit durch ein angebliches Wunder ver-
herrlichen läßt. Als nämlich der Bischof den König salben wollte,
war kein Oel da, weil der Geistliche, der die Flasche holen sollte,
nicht durch das Volk dringen konnte. Während nun der Bischof
in Verlegenheit dastand, kam von der Decke eine weiße Taube
herabgeflogen, die im Schnabel ein Fläschchen trug, welches sie dem
Bischof darreichte. Das darin enthaltene Oel verbreitete in der
ganzen Kirche einen herrlichen Geruch, und man ging damit so
sparsam um, daß es bis zur französischen Revolution gereicht
hat, durch welche erst das Gefäß seinen Untergang gefunden.
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26
Mittlere Geschichte. 1. Periode. Franken.
Jene Reise des Papstes nach Frankreich war sehr erfolgreich;
Pipin nämlich zog über die Alpen, zwang die Langobarden, den
Papst in Ruhe zu lassen, und nahm ihnen zugleich Das, was sie
erobert hatten, Ravenna und die Umgegend, wieder ab. Dieser
District batte bisher dem griechischen Kaiser gehört. Pipin, der
nicht gesonnen war, das Land dem bisherigen Besitzer wiederzu-
geben, es aber auch wegen der Entfernung des Reichs nicht selbst
behalten mochte, schenkte es dem heiligen Petrus, also der Kirche,
und setzte den Papst zum Verwalter desselben ein. Späterhin
haben die Päpste behauptet, daß sie Herren dieses Landes wä-
ren, und so ist nach und nach der jetzige Kirchenstaat daraus
erwachsen.
Als Karls Vater, Pipin, 768 starb, war er erst 26 Jahre
alt; aber er griff die Geschäfte gleich mit solcher Geschicklichkeit
an, als wenn er im Regieren schon grau geworden wäre. Das
ist öfters den großen Männern eigen, die zu hohen. Dingen
bestimmt sind, daß sie sich ohne vorhergegangene Uebung gleich
in ihre Lage zu finden wissen. Rur die drei ersten Jahre re-
gierte er mit seinem Bruder Karlmann; dann starb dieser, und
überließ dadurch Karln das ganze große Reich, welches damals
fast ganz Frankreich und den ganzen westlichen Theil von Deutsch-
land umfaßte.
Es ist zu bedauern, daß Karl, dessen Gemüth keineswegs
zum Kriegführen geneigt war, doch fast sein ganzes Leben hin-
durch Krieg führen mußte. Am meisten machten ihm die Sach-
sen zu schaffen. Zweiunddreißig Jahre dauerte der Krieg mit
diesem damals noch heidnischen und wilden Volke, dessen Bund
alle Landschaften vom Niederrhein bis zur Elbe, vom Harze und
Weser, der Werra und Fulda und dem Westerwalde bis zur Nord-
see und Eider umfaßte. Drei oder vier große Abtheilungen die-
ses sächsischen Bundes hatten sich nach und nach in ihm heraus-
gebildet, deren jede ein unabhängiger Staat, und für Angriff
und Vertheidigung nach außen mit den andern verbündet war.
Hier hatten sich die ursprünglichen Zustände des deutschen Vol-
kes fast unverändert erhalten. Eine demokratische Verfassung mit
Wahlsürsten, ein uralter Adel, das nationale Heiligthum mit sei-
ner Sage und Poesie bestand noch in^ voller Blüthe, als der
fränkische König das Volk im Frühling 772 von Süden her an-
griff. Mit einem gewaltigen, wohlgerüsteten und krieggeübten
Heere war es ihm leicht, einen großen Theil des Berglandes an
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Extrahierte Personennamen: Petrus Karls Karls Karlmann Karlmann Karl Karl
Extrahierte Ortsnamen: Frankreich Ravenna Frankreich Fulda Westerwalde
Karl der Große.
27
der Weser zu erobern, darauf auch die Er es bürg, einen heili-
gen und mit Mauern und Wällen befriedeten Göttersitz. (Der
Kriegsgott, der bei den Sachsen Ere hieß, wurde hier verehrt.)
— Nicht weit davon lag gleichfalls an umfriedetem, befestigtem
Orte ein anderes Nationalheiligthum, die Ir minsul (die große
Säule), die mit der größten Ehrfurcht und heiliger Scheu von
dem Volke wohl als Symbol des Götterbaums, der Esche Igg-
drasil der scandinavischen Germanen, angesehen ward. In Eres-
burg wurde an der Stelle des heidnischen Heiligthums eine christ-
liche Kirche dem Apostel Petrus, dem Lieblings-Heiligen der Zeit
gewidmet, hier und an andern Orten Priester zurückgelassen,
welche als Missionäre wirken sollten.
Aber es fehlte viel, daß ein einziger Feldzug hingereicht hätte,
um den Freiheitssinn der Sachsen zu brechen. Sobald Karl den
Rucken wendete, brachen sie den ihnen aufgezwungenen Frieden,
namentlich von Widekind, dem Feldherrn der Westfalen auf-
gereizt, bis endlich die großen von den Franken im Jahre 783
bei Detmold und an der Hase erfochtenen Siege, so wie die un-
aufhörlichen Verwüstungen des Landes, welche durch ständige
fränkische Besatzungen möglich geworden waren, viele der Edel-
sten, darunter auch Widekind bestimmten, sich zu unterwerfen und
taufen zu lassen.
An Widekind ward die Taufe 785 zu Attigny vollzogen.*)
Jetzt wurden unter Zustimmung sächsischer Abgeordneten die Zu-
stände des Landes geordnet; nämlich Grafen für bestimmte Lan-
desabtheilungen ernannt, welche im Namen des Königs zu Ge-
richt saßen; eine Anzahl Bisthümer errichtet: Osnabrück, Münster,
Verden, Bremen, Minden, Paderborn, Halberstadt, Hildesheim
und strenge Verbote gegen allen öffentlichen und geheimen Götzen-
dienst erlassen.
Auch die Langobarden unterjochte Karl. Damals war
Desiderius König der Langobarden. Dessen Tochter hatte Karl
schon als Prinz zur Frau genommen, bald aber wieder zurück-
geschickt, weil sie ihm zuwider war. Daß Desiderius darüber
grollte, läßt sich denken. Dazu kam, daß Karlmanns Wittwe, die
ihrem Schwager nicht traute, mit ihren Söhnen zu Desider ge-
flohen war. Gegen den mächtigen Karl wagte er nicht geradezu
*) Seine Gebeine werden in einem Kasten in der Kirche von Enger, Reg.-
Bezirk Minden, aufbewahrt.
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Extrahierte Personennamen: Karl Apostel Petrus Karl Karl Desiderius Karl Karl Karlmanns Karlmanns Karl Karl
Extrahierte Ortsnamen: Sachsen Heiligthums Sachsen Westfalen Detmold Bremen Minden Paderborn Halberstadt Hildesheim Minden
Karl der Große.
31
Baiern-Herzog Thassilo vor den Reichstag zu Worms und
sandte, als er sich weigerte zu erscheinen, drei starke Heeres-
säulen gegen ihn ab. Thassilo überrascht und rathlos, unter-
warf sich. Aber schon 788 wurde er vor die Reichsversammlung
zu Ingelheim bei Mainz geladen, um sich wegen eines ver-
rätherischen Einverständnisses mit den Avaren zu vertheidigen;
da es ihm nicht gelang, wurde er abgesetzt und mit den Seini-
gen in ein Kloster gesteckt, Baiern aber nach fränkischer Weise
eingerichtet. Gegen die oben erwähnten Avaren, die slavischen
Nachbarn der Sachsen, wurde in den Jahren 791 — 798 ge-
stritten. Karls Sohn, Pipin, erstürmte das befestigte Hoflager
des avarischen Chans, den berühmten „Ring der Avaren", wo-
selbst sich eine unermeßliche Beute vorfand; eine dauernde Un-
terwerfung der mittlern und untern Donaugegenden aber ward
doch nicht erreicht.
Karl ist mehrmals in Rom gewesen; es gefiel ihm dort
ganz vorzüglich; kein Wunder, da die Städte in Deutschland
und Frankreich damals noch höchst elend gewesen sein mögen.
Keine seiner Reisen dahin war aber von so wichtigen Folgen,
wie die im Jahre 800. Die Veranlassung war folgende: Karl
war eben in Paderborn, als päpstliche Boten zu ihm kamen und
ihm den Papst Leo — Hadrian war vier Jahre vorher gestor-
den — anmeldeten. Sie erzählten, bei einer Procession sei er
von seinen Widersachern überfallen, fortgeschleppt, geschlagen
und aufs äußerste gemißhandelt worden und fast nur durch
ein Wunder dem Tode entgangen. Ein treuer Herzog habe ihn
nach Spoleto gerettet, und jetzt komme er selbst, um den großen
Karl um Hülfe anzuflehen. Karl empfing den heiligen Vater
in Paderborn nach seiner frommen Weise mit großer Ehrer-
bietung. „Ehre sei Gott in der Höhe!" rief Leo dem Könige
und der versammelten Menge zu; viele tausend Stimmen riefen
Amen; alle Anwesende fielen andächtig nieder und empfingen
den Segen. Nun ward Leo am Hofe herrlich bewirthet und
endlich ehrenvoll nach Rom zurückgesandt. Nächstes Jahr, so
versprach Karl, wolle er selbst hinkommen und die Frevler be-
strafen.
Er kam auch und hatte hier eine angenehme Ueberraschung,
wenn es ihm wirklich eine solche war. Als er nämlich am
Weihnachtstage in der Peterskirche andächtig vor dem Altare
gekniet und gebetet hatte und eben wieder aufstehen wollte, setzte
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Extrahierte Personennamen: Karl Thassilo Thassilo Karls Karl Karl Karl Leo_—_Hadrian Leo Karl Karl Karl Leo Leo Leo Leo Karl Karl
Extrahierte Ortsnamen: Mainz Baiern Sachsen Karls Rom Deutschland Frankreich Paderborn Spoleto Paderborn Rom Peterskirche
48
Mittlere Geschichte. 2. Periode. Deutschland.
er gerade im Harze auf dem Vogelfänge war, als die Gesandten
der Wahlversammlung ihm die Nachricht brachten, daß er gewählt
sei. Er heißt auch wohl der Vogelsteller oder Finkler, rich-
tiger aber und würdiger der Städte grün der. Ein tüchtiger,
kräftiger Mann, wohl werth, ein deutscher Kaiser zu sein, von
männlich schöner Gestalt und angenehmem Wesen, dabei von un-
bezwinglichem Muthe und großer Beharrlichkeit. Wenn er jagte,
so ließ er nicht eher ab, bis er eine Menge Hirsche, Eber und
Bären mit eigener Hand erlegt hatte; eben so war er auch im Kriege
unermüdlich, und allen seinen schönen Eigenschaften setzte er durch
eine reine Gottesfurcht und Frömmigkeit die Krone auf.
Unter seinen vielen Thaten ist keine merkwürdiger, als die
Bezwingung der wilden Ungern. In Ungarn, wo vor Zeiten
die Hunnen*) gehaust, hatte sich seit kurzer Zeit ein rohes, krie-
gerisches Volk, die Ungern oder Magyaren, iliedergelassen, wel-
ches vermuthlich vom Kaukasus hergezogen war. Arpad war
ihr Führer gewesen. Im höchsten Grade raubsüchtig, war es mit
feinen neuen Wohnsitzen nicht zufrieden, sondern machte unauf-
hörliche Einfälle in Deutschland, Italien, Frankreich und Griechen-
land, führte unermeßliche Beute und Gefangene, besonders Wei-
der und Kinder, mit sich fort und beging die abscheulichsten Grau-
samkeiten. Es war nichts Seltenes, daß sich die Ungern der
Leichen der erschlagenen Feinde als Sitze oder. als Eßtische be-
dienten und einander vom Blute der Feinde zutranken. Und
was diese Leute so gefährlich machte, war, daß man ihnen so
schwer beikommen konnte; denn fast alle Jahre erschienen sie in
einer andern Gegend. Schnell waren sie da, und ehe man Kriegs-
leute gegen sie zusammengezogen hatte, waren sie aus ihren klei-
nen raschen Pferden auch schon wieder mit der gemachten Beute
und den Gefangenen weiter gezogen. Sie waren eine große Land-
plage für unser Vaterland. Wie mancher Deutscher mußte es
mit ansehen, wie sein Weib und seine Kinder ihm unter vielen
Schlägen weggeführt wurden, ohne die Hoffnnng zu haben, sie je
wieder zu sehen! Die Weiber» wurden mit den langen Haaren
aneinander gebunden und dann mit Peitschenhieben nach Ungarn
in die Sklaverei getrieben.
Auch unter Heinrich dem Vogler machten diese Ungern Ein-
*) Die Hunnen waren bald nach Attila's Zeit von den Gepiden nach Asien
zurückgetrieben worden.
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Extrahierte Personennamen: Arpad Heinrich_dem_Vogler Heinrich
Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Ungarn Deutschland Italien Frankreich Ungarn Asien
Heinrich der Städtegründer.
49
fülle in Sachsen, verheerten das ganze Land, verbrannten die
offenen Städte, ermordeten die Menschen und trieben andern
greulichen Unfug; und wenn Heinrich seine Mannen gegen sie
führte, so halten diese eine solche Furcht vor den wilden Barbaren,
daß sie sich nicht an sie herantrauten. Da hielt er es für des-
ser, erst seine Sachsen nach und nach an den Krieg zu gewöhnen,
und ging mit den Ungern einen neunjährigen Waffenstillstand
ein, wofür er ihnen jährlich einen Tribut bezahlte. Diese neun
Jahre benutzte er nun herrlich, theils seine Leute im Kriege ge-
gen die in der jetzigen Mark und in Sachsen wohnenden slavi-
schen Völker, an deren Grenzen er Brandenburg befestigte
und das Schloß Meißen erbaute, zu üben, sie in Reihe und
Glied streiten zu lassen, theils die Städte seines Landes mit
Mauern zu umgeben. Er wird daher der Stüdteerbauer genannt.
Auch legte er viele neue Schlösser und Städte an. Damit nun
diese bevölkert würden, befahl er, daß von den Landbewohnern
immer der neunte Mann nach der Stadt zöge und da für hin-
längliche Wohnungen sorgte, damit, wenn die Ungern einmal
wiederkämen, die andern acht mit ihren Sachen hineinfliehen
könnten. Dafür mußten sie aber auch dem Stadtbewohner den
dritten Theil ihres Kornes geben, welches er theils für sich ge-
brauchte, theils für den Nothsall für Alle aufbewahrte. Eine
treffliche Einrichtung! Dadurch ist Heinrich recht eigentlich der
Stifter des Bürgerstandes geworden.
Nun waren die neun Jahre um. Heinrich berief seine Sach-
sen zu einer großen Volksversammlung. „Jetzt ist", sprach er,
„das Reich beruhigt; nur die Ungern sind noch unbezwungen.
Bisher habe ich euch besteuern müssen, um diesen Feind zu be-
reichern, nun muß ich gar Kirchen und Geistlichkeit berauben, um
ihrer Raubsucht zu genügen, bis uns zuletzt nichts als das nackte
Leben übrig bleibt. Wollt ihr nun. daß ich den Gott geweihten
Schatz angreife und den Feinden der Christenheit gebe, oder ihn
vielmehr zur Ehre Gottes anwende?" Da rief das Volk laut,
es begehre, daß das Geld dem heiligen Gotte geweiht werde. Es
hob die Hände gen Himmel und gelobte dem Könige treuen Bei-
stand. Nun kamen die Gesandten der Ungern und verlangten
den Tribut. Aber Heinrich gab ihnen einen räudigen Hund, dem
Ohren und Schwanz verstümmelt waren, mit dem Beifügen: wenn
die Ungern einen andern Zins begehrten, so möchten sie ihn
Weltgeschichte fiir Töchter. Ii. 14. Äufl. 4
TM Hauptwörter (50): [T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T36: [Stadt Mauer Tag Dorf Haus Burg Land Bauer Feind Bürger], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
TM Hauptwörter (100): [T98: [Volk Land König Krieg Zeit Feind Mann Macht Freiheit Kaiser], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T67: [Kaiser Türke König Jahr Ungarn Heer Land Friedrich Kreuzzug Jerusalem], T94: [Herr Tag Haus Kind Brot Geld Leute Mensch Hund Mann], T37: [Friedrich Brandenburg Heinrich Herzog Sachsen Land Albrecht Kaiser Mark Johann]]
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Extrahierte Personennamen: Heinrich Heinrich Heinrich Heinrich Heinrich Heinrich Heinrich Heinrich Heinrich
50 Mittlere Geschichte. 2. Periode. Deutschland.
mit den Schwertern holen.*) Drohend gingen die Boten fort.
Im Frühjahr 933 erschien ein ungeheueres Heer Ungern. Der
Schrecken ging vor ihnen her; sie verwüsteten und verbrannten
alle Felder und Oerter, die sie erreichten. Viele Männer wur-
den ermordet, Weiber und Kinder als Sklaven mitgeführt. So
kamen sie in die Gegend von Merseburg; hier, glaubten sie,
sei ein Schatz verwahrt. Heinrich eilte schnell herbei mit allen
Mannen, die er beisammen hatte, und lagerte sich auf einem
Hügel, von welchem er mehrere Tage in das Blachfeld, wo die
Ungern im Lager standen, hinabstieg, um seine Leute an den An-
blick der wilden Krieger zu gewöhnen. Ehe er die Schlacht wagte,
schickte er eine Reiterschaar in einen hohlen Weg in die Seite
der Ungern, um von da zur rechten Zeit hervorzubrechen. Nun
sammelte er alle Mannen um sich, ermahnte sie, auf die göttliche
Hülse zu vertrauen; dort, sagte er, stehe der gemeinsame Feind;
das Vaterland fordere Rache; männlicher Muth werde sicherlich
über die Wildheit des Feindes siegen. Mit Vertrauen blickte
das Heer auf zu dem Bilde des Engels aus der hochflatternden
Reichsfahne und hin auf den König, der, vor Allen hervorragend,
sie in das Feld hinabführte. Als er nun dicht vor dem Feinde
stand, betete er — und das ganze Heer mit ihm — noch einmal
zu Gott um Sieg, gab das Feldgeschrei: „Herr, erbarme dich!"
und nun ließ er einbrechen. Zugleich stürzten die im Hohlwege
verborgenen Reiter hervor in den Rücken der Ungern, die zu-
letzt, an Allem verzweifelnd, sich zur schleunigen Flucht wandten.
Die wenigsten sahen ihr Vaterland wieder; viele wurden in der
Schlacht, Viele auf der Flucht von den aufgebrachten Bauern
erschlagen. In ihrem verlassenen Lager fand man die ganze
Schaar der zusammengebundenen Weiber und Kinder, die nun
*) Recht naiv drückt sich darüber eine Chronik aus dem 15. Jahrhundert
in dem damals gebräuchlichen Dialekt aus: „Do zcogin dy Ungirn in Doringen
unde vordirtin jerlichen zcinß von den Doringin, unde von den andern Dutz-
schin. Do sante Konnig Henrich en zcu zcinse eynen schebcchtin Hunt, deine wa-
rin dy orin unde der zcagil abegesnetin, unde enpod en, wer eynen andirn
zcinß von den Doringin habin Wolde, das her queme, unde holete en, wanne
her wolde." D. i.: „Da zogen die Ungern nach Thüringen, und forderten
den jährlichen Zins von den Thüringern und von den andern Deutschen. Da
sandte König Heinrich ihnen zum Zins'einen schäbichten Hund, dem waren die
Ohren und der Schwanz abgeschnitten, und entbot ihnen, wer einen andern
Zins von den Thüringern haben wollte, daß er käme und holte ihn, wann er
wollte."
TM Hauptwörter (50): [T36: [Stadt Mauer Tag Dorf Haus Burg Land Bauer Feind Bürger], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T28: [Schlacht Heer Feind Mann Armee Napoleon Franzose General Truppe Preußen]]
TM Hauptwörter (100): [T23: [Stadt Feind Tag Heer Mauer Mann Lager Nacht Kampf Soldat], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T57: [Weser Stadt Hannover Harz Osnabrück Leine Kreis Aller Land Elbe], T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume]]
TM Hauptwörter (200): [T121: [Feind Reiter Pferd Heer Mann Flucht Lager Soldat Seite Reiterei], T156: [Schlacht Sieg Feind Heer König Mann Kampf Tag Tapferkeit Franzose], T10: [Sachsen Karl Franken König Land Jahr Chlodwig Reich Krieg Volk], T143: [Stadt Kind Tag Haus Straße Mann Mensch Weiber Nacht Soldat], T100: [Gott Herr Herz Wort Leben Hand Himmel Vater Kind Mensch]]
Extrahierte Personennamen: Heinrich Heinrich Heinrich Heinrich
Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Merseburg Blachfeld Doringen
82 Mittlere Geschichte. 2. Periode. Deutschland.
Schlacht, in welcher Heinrich selbst Proben eines großen Helden-
muthes gab und, auf einem wilden Schlachtroß reitend, viele Feinde
mit eigener Hand niederhieb, eine große Niederlage. Dies geschah
bei Langensalza in Thüringen an der Unstrut (1075). Er
drang mit seinen Franken ins Sachsenland ein und verheerte es
so, daß die Sachsen sich zu unterwerfen versprachen. Heinrich
befahl den Häuptern, bei Sondershausen sich einzufinden.
Hier erschienen sie in großer Zahl, auch die Bischöfe, in Demuth,
barhaupt und barfuß, und Heinrich hatte seine Franken dazu
versammelt, damit sie Zeuge der Demüthigung sein sollten. Daitn
ließ er, gegen sein ausdrückliches Wort, die sächsischen Großen
greifen und gefangen setzen. Da walldten sie sich denn in ihrer
großen Noth nach Rom an den Papst Gregor Vii., der damals
gerade schon mit Heinrich in großer Spannung lebte. Heinrich,
aufgeblasen durch seinen Sieg, empfing alle Warnungen Gregors
mit Spott und Hohn, antwortete aus seine Ermahnungen gar
nicht oder mit schnöden Worten und ahnete das schwere
Ungewitter nicht, das sich setzt über seinem sorglosen Haupte
zusammenzog. Da erschienen plötzlich päpstliche Legaten (Ge-
sandte) vor ihm, die ihnl vom Papste die ernstliche Weisung
brachten, sich binnen 60 Tagen in Rom vor einer geistlichen
Versammlung einzufinden, um von den gegen ihn angebrachten
Beschuldigungen Rechenschaft abzulegen; widrigenfalls würde er
an demselben Tage mit dem apostolischen Fluche aus der Kirchen-
gemeinschaft gestoßen werden.
Heinrich war erstaunt und erzürnt über die Anmaßung
des Papstes, einen deutschen König nach Rom zu citiren. Er
sagte die Legaten mit Schimpf von dannen, berief die deutschen
Bischöfe nach Wornis und hatte die Freude, daß diese Kirchen-
versammlung die Absetzung über den Papst anssprach. Heinrich
unterschrieb mit fröhlichem Herzen und dachte nun aller Gefahren
überhoben zu sein. Sein Vater hatte sa auch mehrere Päpste
abgesetzt. Aber er vergaß, daß er kein Heinrich Iii. und Gregor
kein gewöhnlicher Papst sei. Das Absetzungsschreiben schickte er
nun durch einen muthvollen Gesandten mit einem scharfen Briefe
nach Rom, wo eben Gregor die angekündigte Versammlung hal-
ten wollte. Was der königliche Gesandte bringe, wußte noch
Keiner; auch brachte Keiner ein Wort von ihm heraus, bis die
Versammlung zusammentrat. Hier saß Gregor im päpstlichen
Ornate auf seinem erhabenen Stuhle, um ihn herum die Cardi-
TM Hauptwörter (50): [T42: [Papst Kaiser König Rom Heinrich Italien Karl Kirche Bischof Jahr], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
TM Hauptwörter (100): [T56: [Papst Kaiser Rom Heinrich König Kirche Gregor Bischof Italien Papste], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T83: [Karl Heinrich König Otto Sohn Reich Kaiser Sachsen Ludwig Herzog], T16: [Ende Körper Strom Bild Hebel Hand Auge Wasser Gegenstand Seite], T1: [König Held Herz Mann Volk Siegfried Land Lied Hand Tod]]
TM Hauptwörter (200): [T77: [Papst Bischof Kaiser Rom Kirche König Heinrich Erzbischof Gregor Papste], T59: [Tod Leben Volk Herz Freund Mann Wort König Tag Feind], T10: [Sachsen Karl Franken König Land Jahr Chlodwig Reich Krieg Volk]]
Extrahierte Personennamen: Heinrich Heinrich Heinrich Heinrich Demuth Heinrich Heinrich Gregor_Vii Gregor Heinrich Heinrich Heinrich Heinrich Gregors Heinrich Heinrich Heinrich Heinrich Heinrich_Iii Heinrich Gregor Gregor Gregor Gregor Gregor Gregor
Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Langensalza Thüringen Sachsenland Sachsen Sondershausen Rom Rom Rom Rom