282
Neueste Geschichte. 5. Periode.
der Kirchengüter, welche im Jahre 1848 dem Staatsvermögen
einverleibt worden, ihrer ursprünglichen Bestimmung nicht ent-
fremdet, die Kapitalien und Einkünfte der frommen Stiftungen,
der gemeinnützigen Anstalten, sowie das vom Baron von Püry
der Bürgerschaft von Neuenburg vermachte Vermögen gewissen-
haft respectirt und den Absichten der Stifter und den Stiftungs-
urkunden gemäß aufrecht erhalten würde.
Bei Publication dieses Vertrags erließ der König von Preu-
ßen eine Proclamation 6. d. Marienbad vom 19. Juni, mittels
deren er seine bisherigen neuenburger Unterthanen aus Eid und
Pflicht entläßt. Diese Proclamation, wie die Bestimmungen des
Vertrags selbst, geben einen zugleich rührenden und erhebenden
Beweis für die großherzigen Gesinnungen des Königs, welcher
nächst Wahrung der Ehre der Krone nur das gegenwärtige und
künftige Wohl seiner ehemaligen Unterthanen ins Auge faßte.
147. Asien.
Ehe wir in unserer Erzählung fortfahren, haben wir noch
einen Blick auf die außereuropäischen Reiche zu richten und be-
ginnen mit
Asien, der alten Culturstätte der Menschheit, wo wir die
Wiege unsers Geschlechts zu suchen haben, von wo aus die Bil-
dung ihren Ausgang nahm und wohin sie zurück zu kehren strebt.
— Wir haben bereits oben erwähnt, daß zwei europäische Mächte
um die Herrschaft über Asien streiten: Rußland und Eng-
land; obwohl auch Frankreich, Holland und andere Staaten
dort noch Colonien haben, welche aber von zu geringem Um-
fange sind, als daß deren Besitz einer großen Machtsphäre zur
Grundlage dienen könnte. Beide Staaten, Rußland und Eng-
land, sind in beständigem Fortschreiten begriffen und der Druck,
welchen sie in Folge dessen auf die Nachbarstaaten üben, reißt
auch diese in die Bewegung hinein, welche sonst in der Agonie,
in die sie seit vielen Jahrhunderten verfallen sind, zu Grunde
gehen müßten.
Indeß hat China, das große „Reich der Mitte", eine
eigenthümliche Bewegung aus sich selbst erzeugt, welche, da sie
nothwendig umgestaltend auf diesen alten, aber in absoluter
Starrheit verknöcherten Culturstaat wirken muß, unsere Aufmerk-
samkeit fesseln darf.
Durch geheime Gesellschaften genährt, ist dort eine Revolution
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Extrahierte Ortsnamen: Neuenburg Marienbad Asien Asien Frankreich Holland China
304
Neueste Geschichte. 5. Periode.
in den amtlichen Sphären Stellenjägerei und eine Corruption,
wie sie kaum in einem der alten Staaten Europas jemals zu
finden gewesen. — Jetzt wird die Republik auf die erste schwere
Probe gestellt —- wie sie dieselbe bestehen wird, kann keine mensch-
liche Weisheit voraussehen.
149. Europa nach dem Pariser Frieden.
Der Abschluß des Pariser Friedens schiert eine neue Periode
geistiger und materieller Wohlfahrt für Europa einweihen zu
sollen. Schon während des Krieges hatte man annehmen zu
dürfen geglaubt, daß die humanen Interessen der europäischen
Culturstaaten die lediglich politischett Gesichtspunkte überwuchern
müßte, und obwohl man nicht verkennen konnte, daß dem von
den Westmachten erhobenen Feldgeschrei: Civilisation! — ein gut
Theil Heuchelei anklebte, machten sich doch die Cultur-Interessen
während des Krieges so weit geltend, daß die rigorose Praxis
des seitherigen Seerechts ausgeschlossen blieb und auf dem Pari-
ser Congreß mit dem Friedensvertrage auch eine Convention über
die Grundsätze des Seerechts, welche künftig Geltung haben soll-
ten, zu Stande kam. Vermöge derselben ward dem Handel zur
See die liberalste Behandlung auch in Kriegszeiten gesichert.
Kaum aber war die Kunde über die von Seiten Rußlands
erfolgte Annahme der östreichischen Propositionen in die Oessent-
lichkeit gedrungen, so stürzte sich ganz Europa, ohne nur den
förmlichen Friedensschluß abzuwarten, mit einer wahrhaft fiebe-
rischen Hast in das weite Gebiet der Speculation; industrielle
Projecte aller Art tauchten auf, von riesigem Umfange, mitunter
aus die losesten Voraussetzungen gebaut, daher von ungewissem
Erfolge, aber eben so eifrig ergriffen, als ob sie die solideste
Grundlage hätten; denn die gleichzeitig auftauchenden Banken
oder Geldleihinstitute versprachen ja eine nicht zu erschöpfende
Fülle von Kapital.
Natürlich blieben die Täuschungen nicht aus und mit dem
Schmerz über erlittene Verluste verband sich vielfach das bittere
Gefühl der Beschämung über die handgreiflichen Täuschungen,
welchen man erlegen war; so daß man die ganze, plötzlich in
Fluß gerathene, finanzielle und commercielle Bewegung in Bausch
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Extrahierte Ortsnamen: Europas Europa Europa Oessent- Europa
118
Neueste Geschichte. 3. Periode. Deutschland.
Dritte Periode.
Von der Stiftung der heiligen Allianz bis zur Juli-
revolution.
126. Der heilige Bund. — Deutschland und Europa bis
zum Congreß von Verona, 1823.
Durch die ganze Geschichte der letzten Jahrzehnde seit der
französischen Revolution war es offenbar geworden, daß nicht
einzelne Umstände und zufällige Thaten, fortbmi der ganze Geist,
welcher die Völker und die Cabinette nach und nach ergriffen
hatte, der Geist des Uitglaubens, des frivolen Leichtsinns und
einer nur auf den Vortheil berechneten Staatskunst die Schuld
an dem allgemeinen Unglück trug. Die drei Herrscher, deren
Bündniß endlich den Folgen der Revolution Halt geboten und
einen sichern Rechtszustand in Europa äußerlich hergestellt hatte,
wollten sich mit diesem Ergebniß ihrer Thätigkeit nicht begnügen,
sondern sie wünschten, die ganze künftige Entwickelung des euro-
päischen Staatenlebens auf einer bessern, sittlichen Grundlage
zu befestigen, und schlossen zu diesem Zweck den sogenannten
heiligen Bund. Derselbe sollte an die Stelle der bisherigen,
nur auf Weltklugheit und Berechnung des Vortheils begründeten
Politik eine christliche treten lassen, indem die Vorschriften der
Gerechtigkeit, der Liebe und des Friedens sowohl der Verwaltung
der Staaten im Innern, als auch der Leitung ihrer gemeinschaft-
lichen Angelegenheiten zu Grunde liegen sollten. Die Fürsten
verpflichteten sich untereinander, die höchsten und heiligsten Zwecke
der Völker und Regierungen immer zur Richtschnur ihrer Hand-
lungen zu machen. Sie gelobten „gemäß den Worten der hei-
ligen Schrift, die allen Menschen befiehlt, sich als Brüder zu
lieben, durch die Bande der wahren und unauflöslichen Liebe
verbunden zu bleiben, sich stets Beistand und Hülfe zu leisten;
ihre Unterthanen als Familienväter zu beherrschen; die Religion,
den Frieden und die Gerechtigkeit aufrecht zu erhalten. Sie be-
trachten sich nur als Glieder einer und derselben christlichen Na-
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Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Deutschland Europa Verona Europa
Der heilige Bund.
119
tion, von der Vorsehung beauftragt, die Zweige einer Familie
zu regieren". Dieser große und schöne Gedanke ging zunächst
von dem religiös-schwärmerischen Kaiser Alexander aus, wurde
aber von dem ernst-frommen Friedrich Wilhelm und von dem
biedern Franz mit großer Bereitwilligkeit aufgenommen, und
bald traten fast alle übrigen Fürsten, außer England und dem
Papst, dem heiligen Bunde bei.
Leider hat derselbe wegen mancher betrübender Einflüsse,
welche wir noch erwähnen werden, die schönen Früchte nicht ge-
bracht, welche die frommen Urheber sich versprochen hatten; doch
ist dem Geiste, welcher bei Gründung dieses Bundes vorwaltete,
das friedlich einträchtige Wirken der Mächte seit jener Zeit großen-
theils zu danken.
Die ersten Jahre, welche aus die ruhmvollen Kriegsjahre
folgten, waren für Deutschland nicht so glücklich, wie man es
wohl hätte erwarten können; nach den großartigen Kämpfen
gegen den frenrden Feind machten sich beklagenswerthe innere
Meinungskämpse geltend, welche an die Stelle der jüngsten freu-
digen Begeisterung bald eine unglückselige Verbitterung der Ge-
müther treten ließen. Statt der Einigkeit und dem Vertrauen
zwischen den Fürsten und ihren Völkern, welche so eben ein-
müthig zur Errettung des Vaterlandes zusammen gewirkt hatten,
schlich sich bald ein Geist gegenseitigen Mißtrauens ein, welcher
die besten Früchte der neuen Friedenszeit verkümmerte.
Während des Kampfes gegen Frankreich hatte nur ein Ge-
danke und ein Wille alle Herzen beseelt, der Gedanke, das Vater-
land zu befreien, und der Wille, dabei zu siegen oder zu sterben.
Als jedoch das glorreiche Ziel erreicht war, trat die Frage in
den Vordergrund, was nun in Deutschland an die Stelle der
früheren Zustände treten sollte; und wie die Ansichten hierüber
bei den Staatsmännern ans dem wiener Congreß selbst sehr ge-
theilt waren, so noch viel mehr zwischen den Regierungen und
den Völkern. Sowohl über die künftige Einrichtung des ganzen
deutschen Vaterlandes, wie über die Verfassung in den einzelnen
Staaten entstanden die heftigsten öffentlichen Streitigkeiten. Ein
Theil von Denjenigen gerade, welche die Befreiung des Vater-
landes am thätigsten vorbereiten geholfen hatten, stellte jetzt An-
forderungen an die Regierungen, welche diese fürerst nicht be-
friedigen zu können glaubten. Gleich nach dem tilsiter Frieden
hatte sich unter dem heimlichen Schutz der allverehrten Königin
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Extrahierte Personennamen: Alexander Alexander Friedrich_Wilhelm Friedrich Wilhelm Franz Franz
Extrahierte Ortsnamen: England Deutschland Frankreich Deutschland
198 Neueste Geschichte. 4. Periode. Rußland und Italien.
und Uebereinstimmung herzustellen, welche er als Grundlage der
Kraft ansah, war er bemüht, alle Stamm- und Religionsunter-
schiede zu verwischen und durchweg russische Sitte und griechi-
schen Glauben, hier und da sogar mit Gewalt, einzuführen, bei
der größtmöglichsten Abschließung Rußlands gegen alle Berüh-
rung mit der Civilisation der Nachbarstaaten aber doch die Keime
äußerer Wohlfahrt und einer gewissen äußern Cultur auf alle
Weise zu pflegen, und Gewerbfleiß und Fabrikation nach Mög-
lichkeit zu fördern. Die große Macht, über welche der Czar
mit völliger Unumschränktheit gebietet, wendet er aber vorzugs-
weise zur Erweiterung des Einflusses nach außen an, wozu an-
dererseits die ausgezeichnete diplomatische Kunst des russischen
Hofes das Ihrige beiträgt. So war durch den Tractat von
Unkiar Skelessi (1833) die Türkei eng mit dem russischen
Interesse verknüpft worden. Die Donaufürstenthümer Moldau
und Walachei wurden zinspflichtige Fürstenthümer unter Hos-
podaren geworden, deren Wahl ganz unter russischem Einfluß
steht. Die Perser wurden von den Russen mit Glück bekriegt
und zwei ihrer Provinzen zum russischen Reiche geschlagen, wo-
gegen mit denl durch englischen Einfluß aufgeregten Bergvolk
der Tscherkessen der Kampf noch immer mit wechselndem Glück
geführt wird.
In Italien war am 1. Juni 1846 der alte, schwache Gre-
gor Xvi. gestorben, und an seine Stelle wurde unter franzö-
sischem Einfluß der Cardinal Mastai Ferretti gewählt, wel-
cher den Namen Pius Ix. annahm. Nach eigener Neigung und
auf den Rath der französischen Regierung, besonders des Ge-
sandten Grafen Rossi, betrat der neue Papst die Bahn der Re-
form 'in der Verwaltung. Er führte mannigfache Ersparnisse
ein, gab der Presse mehr freien Spielraum, genehmigte den Bau
von Eisenbahnen, eröffnete den bis dahin von allen höheren
Aemtern ausgeschlossenen Laien den Zugang zu denselben, berief
Männer des öffentlichen Vertrauens in seinen Rath, gab der
Stadt Rom eine freie Municipalverfassung und erweckte sogar
Hoffnungen zur Herbeiführung eines italienischen Staatenbundes.
Natürlich erweckten diese Neuerungen den größten Enthusiasnms,
durch ganz Italien erscholl der Jubelruf: „Ewiva Pio nono!“
und das Volk gab sich zuerst ohne Rückhalt der Leitung des ge-
feierten Kirchenfürsten hin; nur die alte Regierungspartei, ge-
stützt auf den Einfluß Oestreichs, hielt mit ihren Bedenken und
Il
TM Hauptwörter (50): [T4: [Reich Zeit Staat Volk Deutschland Jahrhundert Land Macht deutsch Geschichte], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T25: [Kaiser König Reichstag Recht Reich Verfassung Staat Regierung Jahr Fürst]]
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298
Neueste Geschichte. 5. Periode.
Die Geschichte führt eben gar oft auf seltsamen Bahnen das
menschliche Geschlecht vorwärts, und was dem Kurzsichtigen als
ein Hereinbrechen der Barbarei erscheint, ist nur eine rasche Be-
fruchtung des Bodens, aus welchem die Pflanze der Civilisation
emporschießt. Von diesem Gesichtspunkt aus ist auch die oft so
widerwärtig erscheinende, so gehässig beurtheilte und als unersätt-
liche Ländergier verdammte Vergrößerung des nordamerikanischen
Staats aufzufassen. Dem Einzelnen bleibt seine Verantwortlich-
keit für individuelle Zwecke und Mittel; aber wenn der anglo-
sächsische Volksstamm instinctmäßig sich getrieben fühlt, die ent-
artete spanisch-amerikanische Mischbevölkerung aus dem Besitz zu
drängen, wenn er Mexico dismembrirt, nach Centralamerika
seine Flibustier, wie den berüchtigten Walker, als Minirer vor-
ausschickt, lüsterne Blicke nach Cuba, der Königin der Antillen,
wirft und sich unter den Eilanden des stillen Oceans Stations-
orte heraussucht, so erfüllt er doch nur eine weltgeschichtliche,
eine civilisatorische Mission. Während alle übrigen Staaten Ame-
rikas, mit Ausnahme Chiles- und Brasiliens, sich in dem Zustande
der Anarchie befinden, ein Spielball persönlichen Ehrgeizes, welcher
die verschiedenen Länder aus einer Revolution in die andere
reißt; während die Bevölkerung immer mehr degenerirt und in
Faulheit, Unwissenheit und Nichtsnutzigkeit versunken, auf dem
gesegnetsten Boden der Erde immer mehr verarmt, bringt der
Nordamerikaner, wohin er vordringt, Gewerbfleiß, Kenntnisse,
Ordnung der staatlichen Verhältnisse und den Segen bürgerlicher
und individueller Freiheit. Man kann daher die Vergrößerung
des nordamerikanischen Freistaats nicht als ein Uebel bezeichnen;
die fremden Länder werden nicht in Besitz genommen aus Ehr-
geiz, nicht um sie auszubeuten, sondern uni sie der Cultur zu
eröffnen.
Nichtsdestoweniger zeigt Nordamerika bei viel Licht auch
viel Schatten und es ist jedenfalls ein Schandfleck, daß die
Sklaverei immer noch als eine staatliche Einrichtung erhalten
wird, ohne daß bei der Entschiedenheit der südlichen oder Sklaven-
staaten, welche eher das Band der Union zerreißen wollen, als
daß sie in Aushebung der Sklaverei willigen, eine nahe Beseiti-
gung des Uebels zu erwarten wäre. Vielmehr dreht sich die
innere Politik fast ausschließlich um diese Frage, welche selbst
den verschiedenen politischen Parteien ihre Stellung anweist.
Ursprünglich standen sich in den Vereinigten Staaten nur
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Extrahierte Personennamen: Walker
Extrahierte Ortsnamen: Centralamerika Cuba Brasiliens Nordamerika
Verfall des Staatsorganismus in Oestreich. 341
und Nichtachtung göttlicher und menschlicher Ord-
nn n g".
Oestreich. Während Preußens innere Zustände sich immer
gedeihlicher gestalteten und seine Stellung nach außen eine Ach-
tung gebietende wurde, hatte Oestreich eine Reihe schwerer Kämpfe
zu bestehen, deren Ende noch lange nicht gekommen zu sein scheint.
Der italienische Krieg hatte es in dem Momente überrascht,
als es gerade hoffnungsvolle Anstrengungen machte, seine Finan-
zen zu ordnen, welche nun in Folge desselben in die beklagens-
wertheste Verwirrung geriethen. Die Mißstimmung war allge-
mein und ihr fielen Minister Bach und später auch der erste
General-Adjutant Graf Grünne zum Opfer. Untersuchungen
wegen der schlechten Truppenverpflegung wurden eingeleitet und
führten einen Proceß gegen den höchsten Militairbeamten Feldmar-
schall-Lieutenant von Eynatten herbei, welcher sich selbst das
Urtheil sprach, indem er sich im Gefängniß erhenkte. (In der
Nacht vom 7. zum 8. März 1860.) Bald vernahm man, daß
der Director der östreichischen Creditanstalt Richter verhaftet
sei und das Erstaunen über diese Vorgänge stieg bis zum Ent-
setzen, als am 23. April der berühmte Finanzminister von Bruck
sich entleibte. — Solche Erscheinungen deuteten auf einen innern
Verfall des Staatsorganismus und richteten eine dringende Mah-
nung an die Regierung, besonders da sich auch in Ungarn
Symptome der Aufregung zeigten, welche nicht mißverstanden
werden konnten. Man suchte den drohenden Sturm durch Con-
cessionen zu beschwören; dieselben wurden aber, wie z. B. das
Patent vom l. September 1859 zu Gunsten der ungarischen Pro-
testanten, zurückgewiesen; man stellte nun die Comitatsverwal-
tung her und rief den verstärkten Reichsrath nach Wien, wel-
cher zunächst den Credit und das Vertrauen des Volkes in die
Regierung herstellen sollte. Derselbe wurde am 31. Mai in
Wien eröffnet, diente aber nur dazu, um den Ungern einen
glänzenden Sieg zu erfechten, welche in Verbindung mit dem
czechischen Adel die Herstellung der „historisch-politischen Indi-
vidualität" durchsetzten, d. h. die Autonomie Ungarns.
Durch Kaiserliches Diplom vom 20. October 1860 wurden
die Landtage zur Theilnahme an der Gesetzgebung berufen und
ausdrücklich bestimmt, daß die Landtage der zur Ungarischen
Krone gehörigen Länder im Sinne ihrer früheren Verfassung
hergestellt werden sollten. In Folge dessen erfolgte eine Recon-
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Extrahierte Personennamen: Oestreich Oestreich
Extrahierte Ortsnamen: Oestreich Bruck Ungarn Wien Wien Ungarns Ungarischen
Krone
326
Neueste Geschichte. 5. Periode.
152* Europa während und nach dem italienischen Kriege.
Die Geschichte Oestreichs und Frankreichs fiel während
des italienischen Krieges fast mit der Geschichte desselben zu-
sammen: England nahm durch seine Intriguen an demselben
Theil, Rußland aber benutzte denselben, um sich von seinen
Niederlagen zu erholen und innere Reformen auszuführen, ohne
deshalb auf eine Erweiterung seiner Grenzen zu verzichten.
Rußland. Die schwierigste Aufgabe stellte sich Alexander Ii.,
indem er die Leibeigenschaft der Bauern in Rußland auf-
heben wollte, ein Plan, welchen schon Alexander I. aufgefaßt und
wieder fallen gelassen hatte. — Die Nothwendigkeit, den im Kriege
tief gesunkenen Wohlstand der Nation neu zu beleben, mußte
die dringendste Aufgabe der Regierung sein; deshalb wurde
Rußland mit einem Eisenbahnnetz überzogen, die Zölle herab-
gesetzt, manche Erleichterung des Verkehrs getroffen und der
Versuch gemacht, der Corruption der Beamten zu steuern; aber
das Alles half nicht, wenn nicht die productive Kraft selbst ent-
faltet wurde. — Das schien aber nur möglich zu sein, wenn man
dem Bauer Liebe zu dem Boden einflößte, welchen er bebaute, d. h.
indem man ihn zum freien Eigenthümer machte. Im I. 1857
wurde in Petersburg eine kaiserliche Commission eingesetzt, welche
die wichtige Maßregel vorbereiten sollte; sie kam aber nicht recht
vorwärts, da natürlich der Adel der Bauernemancipation ent-
nung der Aufständischen als „Räuber" änderte nichts in der Lage der Dinge,
welche sich als eine Auflehnung der gesammten Landbevölkerung gegen die neue
Ordnung der Dinge darstellte.
Dies hatte zur Folge, daß, als nach Cavours Tode (6. Juni) Ricasoli,
der an seinem Herrn, dem Großherzoge, zum Verräther gewordene Florentiner,
an die Spitze der sardinischen Regierung trat, der Entschluß gefaßt wurde Neapel
zu erobern. Zu dem Ende ward Cialdini nach Süditalien geschickt und ihni
eine Armee zur Verfügung gestellt, welche allmälig bis auf 60,000 Mann er-
höht ward, ohne daß es bis jetzt (Anfang September 1861) gelang, das durch
Gräuel aller Art an den Abgrund des Verderbens gelangte Land zu pacificiren,
obwohl 6000 Menschen in den Gefängnissen ihre Anhänglichkeit an die Sache
ihres vertriebenen Königs büßen.
Die römische Frage ist in der Schwebe geblieben, insofern Frankreich noch
immer die Miene behält, die Herrschaft des Papstes gegen die Gelüste Sardiniens
zu schützen.
Ob dies wiederum nur ein Spiel ist, um Sardiuieu zu neuen Abtretungen
(Liguriens und der Insel Sardinien) zu nöthigen, kann nur die Zukunft lehren.
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Extrahierte Personennamen: Alexander_Ii Alexander Alexander_I.
Extrahierte Ortsnamen: Europa Frankreichs England Rußland Petersburg Neapel Frankreich Sardinien
338
Neueste Geschichte. 5. Periode.
ters Majestät, der Heldenkönig — so nannte ihn der nunmehr
Heimgegangene königliche Sohn — nach den Jahren des Unheils
sein Volk wieder aufrichtete und zu den Kämpfen stählte, an
welchen Mein verklärter Bruder hochherzig Theil nahm, war
König Friedrich Wilhelm Iv. ein heiliges Erbtheil, welches Er
treu zu pflegen wußte. Ueberall gewährte Er edlen Kräften
Anregung und förderte deren Entfaltung. Mit freier königlicher
Hand gab Er dem Lande Institutionen, in deren Ausbau sich
die Hoffnungen desselben erfüllen sollten. Mit treuem Eifer war
Er bemüht, deut gesammten deutschen Vaterlande höhere Ehre
und festere Einigung zu gewinnen. Als eine unheilvolle
Bewegung der Geister alle Grundlagen des Rechtes er-
schüttert hatte, wußte Meines in Gott ruhenden Bruders
Majestät die Verwirrung zu enden, durch eine neue politische
Schöpfung die unterbrochene Entwicklung herzustellen, und ihrem
Fortgange feste Bahnen anzuweisen.
Dem Könige, der so Großes zu begründen wußte, dessen un-
vergeßliches Wort „Ich und mein Haus wollen dem Herrn die-
nen" auch Meine Seele erfüllt, gebührt ein hervorragender Platz
in der glorreichen Reihe der Monarchen, welchen Preußen seine
Größe verdankt, welche es zum Träger des deutschen Geistes
machten.
Dies hohe Vermächtniß Meiner Ahnen, welches sie in un-
ablässiger Sorge, mit ihrer besten Kraft, mit Einsetzung ihres
Lebens gegründet und gewahrt haben, will ich getreulich wahren.
Mit Stolz sehe Ich Mich von einem so treuen und tapfern
Volke, von einem so ruhmreichen Heere umgeben. Meine Hand
soll das Wohl und das Recht Aller in allen Schichten der Be-
völkerung hüten, sie soll schützend und fördernd über diesem rei-
chen Leben walteil.
Es ist Preußens Bestimmung nicht, dem Genuß der
erworbenen Güter zu leben. In der Anspornung seiner
geistigen und sittlichen Kräfte, in dem Ernst und der Aufrichtig-
keit seiner religiösen Gesinnung, in der Vereinigung von Gehor-
sam und Freiheit, in der Stärkung seiner Wehrkraft liegen die
Bedingungen seiner Macht; nur so vermag es seinen Rang un-
ter den Staaten Europas zu behaupten.
Ich halte fest an den Traditionen Meines Hauses, wie Ich
den vaterländischen Geist Meines Volkes zu heben und zu stär-
ken Mir vorsetze. Ich will das Recht des Staates nach seiner
TM Hauptwörter (50): [T4: [Reich Zeit Staat Volk Deutschland Jahrhundert Land Macht deutsch Geschichte], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland]]
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Extrahierte Personennamen: Friedrich_Wilhelm_Iv Friedrich Wilhelm Ernst
Maria da Gloria.
181
aus „Septembristen", d. h. den Theilnehmern des Aufstandes
und ihrer Gesinnungsgenossen, gebildeten Ministeriums; aber
auch seitdem schwankte die Regierung zwischen freisinnigen und
freiheitsfeindlichen Einflüssen. In Folge der Verwaltung des
Grafen Terceira und des Grafen Costa Cabral entstand
eine Gährung im Lande, welche den Thron fast in Gefahr
brachte; da wurde der populäre Herzog von Palmella zum
Minister ernannt, kurze Zeit darauf aber wieder gestürzt. Noch
dauern die Schwankungen in dem unglücklichen Lande, welches
ganz und gar unter dem Einflüsse Englands steht, in der alten
Weise fort.
Während das Staatsleben im ganzen westlichen Europa sich
von Erschütterung zu Erschütterung fortbewegte, war England
allein mit einer friedlichen und allmälig reifenden Entwickelung
gesegnet. Das ist der Vorzug, welchen jenes Land vor allen
andern Staaten genießt, daß es eine seit Jahrhunderten nach
und nach ausgebildete Verfassung besitzt, in deren weiterm Ausbau
zwar niemals ein Stillstand eintritt, die jedoch in dem allgemei-
nen Volksbewußtsein zu fest wurzelt und zu viel Achtung genießt,
als daß von irgend einer Seite plötzliche Veränderungen ohne
reifliche Vorbereitung eingeführt werden durften. Dadurch eben,
daß das Staatsleben dort auf einer alten festen Grundlage ruht,
welche von Niemand freventlich angetastet werden darf, ist es
möglich, dem Volk nach und nach immer größere Freiheiten zu
gewähren. In dem Gefühle voller Rechtssicherheit wendet die
Nation ihre ganze Kraft der Gewerbthätigkeit, dem Landbau und
dem Handel zu, und während dieselbe an Reichthum immer mehr
zunimmt und ihre Herrschaft auf fernen Colonien immer weiter
ausdehnt, erhält sich ihre Macht und ihr Ansehen in den Bezie-
hungen zu allen Völkern.
Als in Folge der Julirevolution die Ideen größerer Bethei-
ligung aller Volksschichten an dem Staatsleben in ganz Europa
zur Geltung kamen, wurde auch in England eine wichtige Aen-
derung im öffentlichen Leben durchgeführt. Die Partei der Whigs,
welche den freisinnigen Adel und den reichen Mittelstand vertritt,
setzte gegen die Tories, die eigentliche alte Adelspartei, eine
Wahlreform durch, bei welcher den reichen Grundbesitzern ein
Theil ihres Einflusses genommen und eine billigere Vertheilung
der Wahlen für das Parlament eingeführt wurde. Die Whigs
selbst aber fanden bald Gegner an den Vertretern der unteren
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Extrahierte Personennamen: Maria_da_Gloria Maria Palmella
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