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1. G. G. Bredows Leitfaden für die Weltgeschichte - S. 33

1889 - Hannover : Norddt. Verl.-Anst. Goedel
Ii. Deutsche Geschichte. L Deutschland vor 3000 Jahren. a. Land und Volk. Deutschland (Germanien) war vor 2000 Iahren mit Waldungen und Smpfen bedeckt; daher war es feuchter, klter und unfruchtbarer, als es jetzt ist. Man fand keinen einzigen Obstbaum; unter den wildwachsenden Krutern nennen die Rmer wilden Spargel und groe Rettiche; von Getreidearten baueteu die Deutschen nur Hafer und Gerste; aus jenem bereiteten sie ein Mus zum Essen, aus der Gerste Bier, Gerstenwein. Der einzige und liebste Reichtum der Deutschen waren zahlreiche Herden von Pferden und Ochsen. Pferde dienten nicht blo zum Fahren und Rettert im Kriege und auf Reisen, sondern auch zur Nahrung, und aus dem Wiehern einiger heiliger Pferde sagte man die Zukunft vorher. Auch fanden sich in Deutschland wilde Pferde, Elentiere und Auerochsen; die Hrner der letzteren gebrauchte man zu Trinkgeschirren. Die Jagden und die anwachsende Menschenzahl haben die Menge der wilden Tiere jetzt sehr vermindert. Auch war die Zahl der Vgel sonst weit grer. Salzquellen schtzten die alten Deutschen sehr hoch; doch war ihr Salz nicht wei, sondern schwarz. Die alten Deutschen werden von den Rmern gerhmt wegen ihrer Gre, ihrer blauen Augen und ihres rtlichen Haares, und sie waren gefrchtet wegen ihrer lebhaften Neigung zum Kriege. Waffen trugen sie im Hause, auf den Feldern, bei Gastmhlern, vor Gericht; mit Waffen legten sie sich schlafen; Waffen legte man den Toten ins Grab. Auch die Frauen waren kriegerisch. Daher wurden die alten deutschen Namen hufig von starken und raubenden Tieren herge-nommen, z. B. Br, Leo, Fuchs, Wolf. Ie strker und kriegerischer aber ein Deutscher war, desto weniger arbeitete er: Bestellung des Ackers und Besorgung des Hauswesens wurde den Frauen und Greisen berlassen. Der freie kraftvolle Mann ging auf die Jagd, zum Gast-mahl, spielte und verspielte wohl sich selbst und trank Tage und Nchte Bredow v. d. Laan, Ausg. A. 3

2. Teil 4 - S. 93

1912 - Hannover : Norddt. Verl.-Anst. Goedel
93 Thoms antwortete drauf und stellte die häckerlinglad' hin: 160„Splitter, Marie, und Karpfen verschaff' ich dir früher, denn not ist- wenn an dem heutigen Tage sich kitzelig zeiget der Fischer, treib' ich den Kitzel ihm aus, und bald ist der Halter geöffnet!" Klso der rüstige Knecht,- da rannte sie durch das Gestöber, stieg auf den Taubenschlag und pustete, rieb sich die Hände, 165 steckte sie unter die Schürz' und schlug sich über die Schultern. Rls sie mit schärferem Blick in des Schnees umnebelnden Wirbeln spähete, siehe, da kam's mit verdecktem Gestühl wie ein Schlitten, welcher vom Berg in das Dorf herklingelte. Schnell von der Leiter stieg sie herab und brachte der emsigen Mutter die Botschaft, l'o welche der Milch abschöpfte den Kahm zu festlichem Kaffee: „Mutter, es kommt wie ein Schlitten; ich weiß nicht sicher, doch glaub' ich!" Klso Marie. Da verlor die erschrockene Mutter den Löffel. Und ihr bebten die Knie, und sie lief mit klopfendem Herzen, atemlos,- ihr entftog im hastigen Lauf der Pantoffel. 175 Jene lief zu der Pfort' und öffnete. Näher und näher kam das Gekling' und das Klatschen der peitsch' und der Pferde Getrampel. Nun, nun lenkten herein die mutigen Koss' in den Hofraum, blankgeschirrt, und der Schlitten mit halb schon offnem verdeckstuhl hielt an der Tür, und es schnoben, beschneit und dampfend, die Kenner. 180 Mütterchen rief: „willkommen daher! Willkommen, ihr Kindlein! Lebt ihr auch noch?" und reichte die händ' in den schönen verdeckstuhl. „Lebt in dem grimmigen Gst mein Töchterchen?" Dann für sich selber nur zu sorgen ermahnt: „Laßt, Kinderchen!" sprach sie,- „dem Sturmwind wehret das Haus! Sch bin ja vom eisernen Kerne der Vorwelt! 185 Stets war unser Geschlecht steinalt und Verächter des Wetters,- aber die jüngere Welt ist zart und scheuet die Zugluft." Sprach's, und den Sohn, der dem Schlitten entsprang, umarmte sie eilig, hüllte das Töchterchen dann aus bärenzottigem Fußsack und liebkosete viel mit Kuß und bedauerndem Streicheln, 190 zog dann beid', in der Linken den Sohn, in der Kechten die Tochter, rasch in das Haus, dem Gesinde des Fahrzeugs Sorge vertrauend. „Kber wo bleibt mein Vater? Tr ist doch gesund am Geburtstag?" ftagte der Sohn. Schnell tuschte mit winkendem Haupte die Mutter: „Still! Das Väterchen hält noch Mittagsschlummer im Lehnstuhl. 195 Laß mit kindlichem Kuß dein junges Gemahl ihn erwecken! Dann wird wahr, daß Gott im Schlafe die Zeinigen segnet!" Sprach's und führte sie leis in der Schule gesäubertes Zimmer, voll von Tisch und Gestühl, Schreibzeug und bezifferten Tafeln, wo sie an pftöck' aufhängte die nordische winteroermummung, 2o0 Mäntel, mit Flocken geweißt, und der Tochter bewunderten Leibpelz, auch den Flor, der die Wangen geschirmt, und das seidene Halstuch.

3. Teil 4 - S. 101

1912 - Hannover : Norddt. Verl.-Anst. Goedel
101 Munter fördert seine Schritte 275 fern im wilden Forst der Wandrer nach der lieben Heimathütte. Blökend ziehen heim die Schafe, und der Binder breitgestirnte, glatte Scharen 280 kommen brüllend, die gewohnten Ställe füllend. Schwer herein schwankt der wagen, kornbeladen,' 285 bunt von Farben, auf den Garben liegt der Kranz, und das junge Volk der Schnitter stiegt zum Tanz. 290 Markt und Straße werden stiller, um des Lichts gesellige Flamme sammeln sich die Hausbewohner, und das Stadttor schließt sich knarrend. Schwarz bedecket 295 sich die Erde,' doch den sichern Burger schrecket nicht die Nacht, die den Bösen gräßlich wecket' denn das Buge des Gesetzes wacht. 300 heil'ge Ordnung, segensreiche Himmelstochter, die das Gleiche stei und leicht und freudig bindet, die der Städte Bau gegründet, die herein von den Gefilden 305 rief den ungeselligen wilden, eintrat in der Menschen Hütten, sie gewöhnt zu sanften Sitten und das teuerste der Bande wob, den Trieb zum vaterlande! 310 Tausend steiß'ge Hände regen, helfen sich in munterm Bund, und in feurigem Bewegen werden alle Kräfte kund. Meister rührt sich und Geselle 315 in der Freiheit heiligem Schutz. Jeder freut sich seiner Stelle, bietet dem Verächter Trutz.

4. Teil 4 - S. 56

1912 - Hannover : Norddt. Verl.-Anst. Goedel
56 urdeutsches, kräftiges Handwerk, das Schmiedehandwerk. war's nicht in einem Zweige meiner Familie Erbsitte, daß der Alteste Schmied wurde? Ich wäre wohl auch an die Reihe gekommen, aber — nun, grüß' dich Gott, waldschmied! Der Meister tat noch ein halb Dutzend Schläge, steckte dann das Eisen in die Esse und setzte den Blasebalg in Bewegung. Dann drehte er sich nach mir um. „woher des Wegs?" fragte er und besah mich gelassen. Ich gab ihm Bescheid. „hm, da habt Ihr einen redlichen Marsch hinter Euch," meinte er. „Aber schön ist's dort oben. Und wo soll's noch hingehen heute abend, wenn man fragen darf?" „Ins Nachtquartier, denk' ich. Ist kein Dorf in der Nähe?" „Freilich, da hinter der Schmiede. Aber übernachten könnt Ihr in den paar Häusern nicht. Eine Bierschenke haben wir ja, aber ein Bett findet Ihr da schwerlich. Ins Städtchen ist's eine halbe Stunde." Und ruhig, als ob er allein in seiner Werkstatt wäre, nahm er sein Eisen aus der Esse und setzte sein hämmern fort. „Zagt mir, Meister," fuhr ich nach einer besinnlichen weile fort, „wie kommt's, daß Eure Schmiede abseits vom Dorfe steht? Gab's keinen Platz drinnen?" „Meine Frau kann den Lärm nicht vertragen," war die Antwort. „Gho!" rief ich, „ich dachte bisher, nur die Städter wären nervenkrank! Fängt das jetzt auch bei Euch an?" „Sie ist seit fünfzehn Jahren siech," sagte der Mann am Amboß. „Ach so," machte ich und schwieg. Eine Pause entstand. Ein Nachtfalter surrte. Der Schmied hämmerte, und ich besah mir diesen ernsten Mann mit einer plötzlichen Ehrfurcht. „habt Ihr Kinder?" forschte ich weiter. „Ein Mädchen." „Erwachsen, so daß es seine Mutter pflegen kann?" „Das Annchen ist just so viele Jahre alt, als seine Mutter krank liegt. Bei seiner Geburt fing's mit ihr an. — was das Pflegen anbelangt," fuhr er fort und warf das fertige Eisen in den aufzischenden wassertrog, „so ist das so 'ne Sache. Vas Mädel ist von seiner Geburt an lahm. Es geht an Krücken." „Alle weiter!" entfuhr mir, „da seid Ihr schön dran!" „hat mir schon mancher gesagt," bemerkte er ruhig, scharrte die Asche über das Feuer und fing an, sich die Hände zu waschen. Ich auf meinem Amboß schwieg, stützte das Kinn in die Hand und sah sehr ernst dem wortkargen Manne zu. Als er fertig war, nahm er einen Schluck aus einer Kanne und langte sich von einem Nagel die Pfeife herunter. „woher sind Sie eigentlich, wenn's erlaubt ist zu fragen?" fing er an, während er gemächlich die Pfeife stopfte.

5. Teil 4 - S. 61

1912 - Hannover : Norddt. Verl.-Anst. Goedel
61 14. Und bei des nächsten Morgens Lichte, da tritt mit fröhlichem Gesichte ein Fischer vor den Fürsten hin: „Herr, diesen Fisch hab' ich gefangen, wie keiner noch ins Netz gegangen; dir zum Geschenke bring' ich ihn." 15. Und als der Koch den Fisch zerteilet, kommt er bestürzt herbeigeeilet und ruft mit hocherstauntem Blick: „Sieh, Herr, den Ring, den du getragen, ihn fand ich in des Fisches Magen. O, ohne Grenzen ist dein Glück!" 16. Hier wendet sich der Gast mit Grausen. „So kann ich hier nicht ferner hausen, mein Freund kannst du nicht weiter sein. Die Götter wollen dein Verderben; fort eil' ich, nicht mit dir zu sterben —" und sprach's und schiffte schnell sich ein. Friedrich v. Schiller. 30. Das Glück von Edenhall. 1. Don Ldenhall der junge Lord läßt schmettern Sesttrommetenschall; er hebt sich an des Tisches Bord und ruft in trunkner Gäste Schwall: „Nun her mit dem Glück von Ldenhall!" 2. Der Schenk vernimmt ungern den Spruch, des Hauses ältester Vasall, nimmt zögernd aus dem seidnen Tuch das hohe Trinkglas von Kristall; sie nennen's: das Glück von Ldenhall. 3. Darauf der Lord: „Dem Glas zum preis schenk Boten ein aus Portugal!" Mit Händezittern gießt der Greis, und purpurn Licht wird überall; es strahlt aus dem Glücke von Ldenhall. 4. Da spricht der Lord und schwingt's dabei: „Dies Glas von leuchtendem Kristall gab meinem Bhn am Mell die Fei; drein schrieb sie: Kommt dies Glas zu Hall, fahr wohl dann, o Glück von Ldenhall!

6. Teil 4 - S. 112

1912 - Hannover : Norddt. Verl.-Anst. Goedel
— 112 — Verse dazu machte der Legationsrat (spätere Zeremonienmeister) und hof- dichter von Besser, vanckelmann führte seine Bolle zwar mit vielem Eifer durch, erwarb sich aber dadurch auch viele Feinde, so daß man noch mehrere Jahre nachher bei seinem Prozeß auf die Scherenschleifer- geschichte zurückkam. Die Hauptneigung Sophie Eharlottens war der Musik zugewandt, die sie selbst mit Meisterschaft übte,' sie spielte, sang und komponierte, fast kein Tag verging ohne Konzert. Der König unterhielt eine bedeutende Kapelle, nahm ausgezeichnete Tonkünstler in Dienst und ließ die berühm- testen Länger und Längerinnen aus Italien nach Berlin einladen. Im Lommer 1702 wurde ein eigenes Theater in Lietzenburg fertig und zum Geburtstage des Königs mit einer italienischen Gper eröffnet. Bußer berühmten Künstlern spielten auch fürstliche Liebhaber und Liebhaberinnen mit. Neben Gpern und Balletten kamen die besten Ltücke der französischen Bühne zur Bufführung. Buf Lophie Tharlotte und Leibniz weist auch die Ltiftung der Berliner Bkademie zurück, die nach des letzteren Ideen das Gesamtgebiet der Wissenschaften umfassen, vorzugsweise aber die Naturwissenschaften pftegen und deren Zusammenhang mit den Beschäftigungen des Lebens, dem Land- und Bergbau, dem Gewerbe und Handel, dem Fabriken- und Manufakturenwesen darlegen sollte. Es war auf einem Nusfluge nach Oranienburg, im März 1700, als dem Kurfürsten dieser Plan vorgelegt wurde, und Friedrich, dessen Leele durch den Fortgang der Kronverhand- lungen zu Wien mit stolzen Hoffnungen erfüllt war, zeigte sich um so empfänglicher für einen Entwurf, durch dessen Busführung er zu dem Glanze der Königskrone den Buhm eines Beschützers und Förderers der Wissenschaften gewann. Leibniz wurde nach Berlin eingeladen und erklärte sich bereit, das Präsidium der Akademie zu übernehmen. Km 11. Juli 1700 wurde der Ltistungsbrief erlassen, in dem es als eine Bufgabe der Bkademie bezeichnet wird, daß „unter anderen nützlichen Studien" für dasjenige, „was zur Erhaltung der deutschen Lprache in ihrer anständigen Beinigkeit, auch zur Ehre und Zier der deutschen Nation gereicht, absonderlich milgesorgt werde, also daß es eine deutschgesinnte Sozietät der Lzientien sei, dabei auch die ganze deutsche und sonderlich Unserer Lande weltliche und Kirchenhistorie nicht versäumt werden soll". Der Tag nach der Stiftung wurde durch ein großes hoffest in Lietzenburg verherrlicht, über das Leibniz den folgenden Bericht nach Hannover erstattete: „Man stellte einen Dorfjahrmarkt vor, wo die Buden mit ihren Schildern standen, in denen Schinken, Würstchen usw. umsonst verkauft wurden. Herr von Osten, welcher den Wunderdoktor machte, hatte seine Lustigmacher und Marktschreier. Uber nichts war artiger als sein Zauberkünstler,' dies war der Kurprinz (Friedrich Wilhelm), welcher in der Tat das hokuspokusspielen gelernt hat. Die Frau Kurfürstin war die Doktorin. Bei Eröffnung des Theaters erschien der Doktor, auf einer Brt von Elefanten reitend' auch die Frau Doktorin zeigte sich in einer Sänfte, von Türken getragen. Der Zauberkünstler, die Spaßmacher,

7. Teil 4 - S. 68

1912 - Hannover : Norddt. Verl.-Anst. Goedel
68 Hans und Ernst kommen heim und Kart, unser stiller Musikant. Heute muß Vater alle seine Kinder um sich versammelt haben, damit er so ein rechtes Weihnachtsgefühl empfinden kann. Die Fenster der weih- nachtsstube sind dicht verhangen, die vielen Tinen, die ins Neich der Weihnachtswunder führen, verschlossen, wir schleichen an die Fenster und knien vor den Türen. Meine jüngste Schwester Dodo hat ein besonderes Talent, mit unserer Mutter, verborgen in den Falten ihres Schlepprockes, in die Weihnachtsstube zu schlüpfen. Vom frühen Morgen an kommen Scharen von Kindern, die von Haus zu Haus ziehen und im Flur ihre hellen Kinderstimmen ertönen lassen: „vom Himmel hoch, da komm ich her." Ein großer Korb mit wasserkringeln steht bereit, mit denen die kleinen Sänger belohnt werden. Mittags wird nach althergebrachter Sitte Kaffee getrunken und Butter- brot gegessen. Der Kaffeekanne entströmt an diesem Tage ein wundersamer Duft,' so duftet der Kaffee nur einmal im Jahr, und die Butterbrote schmecken uns wie der schönste Kuchen. Nm Nachmittag wandern wir Kinder, jedes ein Körbchen am Nrm, ins Kloster St. Jürgen, wir wollen zwei alten Großtanten dort be- scheren. „Tante Nnna und Tante Ehristine." Tante Nnna wird von uns bevorzugt. Sn ihrem kleinen, behaglichen Nltjungfernstübchen liegen wir schließlich aus der Erde vorm offenen Esten und schauen in die rote Glut der verglimmenden Kohlen. Die liebe Tante sitzt im Lehnstuhl neben uns, ihr feines altes Gesicht von einer weißen Spitzenhaube umrahmt. Sie erzählt uns altmodische Kindergeschichten, an die sich immer eine Moral knüpft, wir hören interessiert zu, knacken Nüsse und werfen deren Schalen in die rote Glut — das knistert so schön. So vergeht die Zeit — vom Kirchturm drüben schlägt es halb fünf. Tante Nnna hüllt uns sorgsam in unsere warmen Mäntel und Kapuzen, und fort -geht es. Nuf den Straßen liegt tiefe Dämmerung, der Schnee knirscht unter den Füßen. Schwärme von Kindern begegnen uns, hier und dort dringt aus einer geöffneten Haustür Gesang zu uns heraus, wir fassen uns an den Händen und laufen und kommen atemlos heim. Sm Flur bleiben wir stehen und singen, als gehörten wir zu den umherziehenden Sängern. Die Köchin kommt aus der Küche gelaufen mit den üblichen Wasser- kringeln. Sie jagt uns lachend und scheltend in die Kinderstube, wir werden nun festlich geschmückt und gehen dann in die Studierstube unseres Vaters, wo wir schon unsere Großmutter mit ihrer getreuen Lebensgefährtin, von uns „Tante Tine" genannt, und zwei alte Freunde des Hauses in behaglichem Geplauder vorfinden. Seit dem Tode unseres Großvaters schaut Großmutter unserer Be- scherung zu. Großvater war zwar niemals bei der Bescherung zugegen, aber wir wußten doch, er saß währenddes behaglich in seinem Kontor und freute sich über die kleinen Sendungen an Geld und viktualien ■— meistens ein großes Stück Kauchfleisch —, die er von dort aus an Kinder und Schwiegerkinder gespendet hatte. Nun auch er in das Land der

8. Teil 4 - S. 70

1912 - Hannover : Norddt. Verl.-Anst. Goedel
70 Edir haben uns müde gespielt — wir nehmen unsere Weihnachts- bücher und setzen uns im trauten Schein des Lichtbaumes und lesen. Gar verführerisch ist es, heimlich ein Stückchen Zuckerwerk abzurupfen und es ebenso heimlich zu verzehren. Vater tritt leise zu uns unter den Tannenbaum, streicht sanft mit seiner schönen, schlanken Hand übers haar und fragt: „hab' ich's getroffen?" Nachdem sich das erste Entzücken gelegt hat, bringt die Köchin das messingene Kohlenkomfort, auf dem gar bald der blitzblank geputzte Teekessel ein melodisches Lied anstimmt, und der Duft feinsten Tees ver- mischt sich mit dem der Tanne und der braunen Weihnachtskuchen. Die beiden Mädchen in den beiden gleichen maiengrünen Festgewändern, mit Häubchen und blendendweißen Schürzen angetan, reichen den Tee, wir Kinder den knusperigen Weihnachtskuchen. So sitzen wir recht traut beisammen. Da erklingt von draußen, vom Vorplatz, der Gesang einer tiefen melodischen Altstimme zu uns herein: „G du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit." Ein Helles Leuchten verklärt das liebe Angesicht unseres Vaters, er steht leise auf, öffnet die Tür und zieht ein gar liebliches, kleines Vettelmädchen herein. Das Kind, mit von der Kälte geröteten Wangen, strahlenden Kinder- augen, das Gesichtchen von blonden Locken umrahmt, bleibt stumm und wie verzaubert im Türrahmen stehen. Wir alle umstehen sie, sie muß noch einmal ihre glockenreine Stimme hören lassen. Dann erfaßt Vater eines ihrer kleinen schmutzigen Händchen und fragt sie liebreich: „Was willst du nun haben, etwas zu essen oder Kuchen?" „Danke, ich habe schon gegessen," spricht das Kind. Da heißt mein Vater sie ihr Schürzchen auftun, Mama nimmt vom Tisch einen vollen Teller Weihnachtskuchen und schüttet ihn in die ausgebreitete Schürze. voll leuchtenden Dankes schaut das Kind zu Mama auf, wirft noch einen scheuen Blick auf all den Lfchterglanz und die strahlenden Gesichter, und fort ist sie, die kleine Lichtgestalt,' denn so erscheint sie uns trotz ihrer Lumpen. Die Lichter sind erloschen, die glitzernde Pracht des Baumes leuchtet nur noch im malten Dämmerlicht der Lampen. Unsere Mutter ruft zum Festessen. — Wir Kinder trennen uns schweren Herzens vom Tannenbaum, unseren Puppen und Büchern. Sauerbraten und ein großer Apfelkuchen — Tante Moritz genannt — bilden das Festessen, Punsch, nach Vater kurzweg „Landvogt" genannt, ist das Festgettänk. Wir alle sitzen an unsern Plätzen, der Punsch ist in die Gläser geschenkt, Vater erhebt sein Glas, er nickt uns allen voll innigster Befriedigung zu und sendet dann in einem kleinen Trinkspruch „einen

9. Teil 4 - S. 75

1912 - Hannover : Norddt. Verl.-Anst. Goedel
75 den Lobpreisungen, die ihr noch von weitem nachgerufen werden, und langt kurze Zeit später glücklich daheim an. So ganz wohl zumute ist ihr nicht,- sie besinnt sich, daß sie ihr Portemonnaie in dem verschenkten Muff vergessen hat, und ärgert sich auch im voraus über das Verhör, dem sie der beiden Dinge wegen von der Kammerfrau unterzogen werden wird. Die Kammerfrau ist es auch, die auf ihr Schellen öffnet und sie mit der Nachricht begrüßt: „Der Herr General sind schon lange zu Hause." „Da geh' ich gleich zu ihm hinüber," antwortete die Gebieterin, gibt rasch Hut und Mantel ab und tritt in das Zimmer ihres Mannes. Der alte Herr erhebt sich beim Erscheinen der alten Frau. Er ist um ein weniges kleiner als sie, hat aber etwas ungemein Energisches; Gang und Haltung verraten den ehemaligen Kavalleristen. „Kommst du endlich!" ruft er der Eintretenden entgegen, „hat heute wieder schön lange gedauert, die Urschlerei." Mit diesem Kamen pflegt der General die Gesellschaften zu bezeichnen, die lediglich aus Damen bestehen. „Es waren auch Herren da," entgegnete die Generalin. „Beneide sie nicht," murmelt der Gatte und zieht den Tisch zurück, damit seine Frau auf dem Sofa Platz nehmen könne . . . Zu ihrem Schrecken trat jetzt die Kammerfrau herein, durchforschte das Zimmer mit spähenden Blicken und nahm von dem eifrigen Abwinken ihrer Herrin keine Notiz. „Lassen Sie es nur gut sein, Adele, lassen Sie es nur gut sein," sagte diese endlich in einem Tone, in dem die dringende Bitte wie ein kühler Befehl klingen sollte. Und der General, der längst überlebten Mode huldigend, in Gegen- wart der Dienstleute ein ihm nicht ganz geläufiges Idiom zu gebrauchen, fragte: „Qu’est-ce que veut-elle donc?“ „Ich suche den Muff," sprach Adele, „die gnädige Frau haben den Muff nicht mitgebracht, und hier ist er auch nicht." „Nun, wenn ich ihn nicht mitgebracht habe, kann er auch nicht hier sein," versetzte die Generalin. „Gehen Sie nur, Adele." Der treuen Dienerin war diese wiederholte Abweisung ein Stich ins herz, und ihre tiefe verletztheit äußerte sich in der Miene, mit der sie hervorstieß: „Aber der Muff ist weg!" Der General wendete rasch den Kopf und fragte kurz: „was Muff? wer ist Muff?" „Der große, der .schwarze, der schöne Muff," entgegnete Adele, und die Generalin bemerkte krampfhaft lächelnd: „Groß und schwarz allerdings, aber schön . . . daß er schön war, hat ihm wirklich schon lange niemand mehr nachsagen können." „Mag er nun sein, wie er will," erklärte der Mann, „da muß er sein !" „Man muß ihn halt wieder abholen," sprach Adele, „die gnädige

10. Teil 4 - S. 77

1912 - Hannover : Norddt. Verl.-Anst. Goedel
77 rasch an sich und drückte, bevor er's wehren konnte, einen Kuß darauf. Für die Frau gab es an dem Tage nichts, das imstande gewesen wäre, ihre Heiterkeit zu stören. Und als sie zur Ruhe gegangen war und die Uugen schloß, da schwebte das Bild eines welken Greisenangesichts, von Heller Freude verklärt, vor ihr empor, und sie schlief ein, gewiegt von Empfindungen, um die die Landgräfin Elisabeth von Thüringen Ursache gehabt hätte, sie zu beneiden. Um nächsten Morgen würde die Generalin ihres gestrigen kleinen Ubenteuers nicht mehr gedacht haben ohne die schroffe Einsilbigkeit, die Udele der Herrin gegenüber beobachtete. — Das wird nicht gut, dachte sie, wird nicht gut, bevor ein umfassendes Geständnis abgelegt ist. Und ich bin es ihr ja schuldig - habe ich doch eigenmächtig über einen Gegenstand verfügt, auf den sie sich durch die treue Hut, in der sie ihn mehr als ein Menschenalter hindurch gehalten, einigermaßen Rechte er- worben hat. Die Generalin war eben im Begriff, ihre Beichte zu beginnen, als die Hausglocke, mit unerhörter Heftigkeit in Bewegung gesetzt, er- tönte. Man hörte die Tür öffnen und zuschlagen, und aus dem Bor- zimmer herüber gellte Weibergeschrei, kreischend, durchdringend,' der Ge- neralin war die Stimme, wie ihr schien, nicht ganz fremd. Dazwischen donnerte ein ihr unbekannter kräftiger Baß. Einige bange Bekunden, dann sagte die Gebieterin: ,,Zehen Sic doch nach, was es gibt, Udele." Uber bevor Udele, bei der sich zu- gleich mit akuter Ztummheit auch immer Zchwerhörigkeit einstellte, dem Wunsche nachgekommen war, trat der General ein, in aller Gottes- frühe schon sorgfältig gekleidet, stramm militärisch. Zeine Brauen waren zusammengezogen, sein Udlergesicht hatte einen drohenden Uusdruck. „Voyez l’antichambre!“ sprach er zu seiner Frau, und sie, mit ver- sagendem Utem, von unbestimmten, aber schrecklichen Uhnungen erfüllt, ging ins Vorzimmer. Da stand das Unheil in zweifacher Gestalt: in lärmender — der der Bettlerin von gestern; in würdevoll stummer — der eines ungeheuer langen, pfahlgeraden Wachmannes, der den Muff und das Portemonnaie der Generalin in seinen Händen hielt. Der Diener, die Dienerin, das Ztubenmädchen waren auch zur Stelle, ohne Zweifel einem unbewußten künstlerischen Triebe gehorchend, um das Tableau durch Uusfüllung des Hintergrundes zu vervollständigen. Zobald die Generalin sich zeigte, wurde sie von dem alten Weibe mit ohrenzerreißendem Ziegesgeschrei begrüßt. „Da is sie! da is sie ja — jetzt können Sie 's selber fragen!" rief die Bettlerin dem Wachmann zu, stürzte der Generalin entgegen und faßte sie beim Urm: „Und Sie, Sie sagen ihm's jetzt gleich auf der Stell': bin i a Diebin? hab' i g'stohl'n? hab'n Sie mir die ver- dammte Grenadiermützen g'schenkt oder nit?" „Geschenkt," sagte die Generalin, „jawohl ganz gewiß. Ich habe der armen Frau diesen Muff geschenkt."
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