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der hohe Salzgehalt des Meeres (38 Promille, während der Atlantische
Ocean nur 35 hat). Das Mittelmeer hätte also schon längst zur
Salzsole umgewandelt sein müssen, wenn nicht Zuflüsse aus minder
salzhaltigen Meeren stattfänden und wiederum das Wasser des Mittel-
meeres abflösse. Thatsächlich ist eine submarine Ausströmung des
schweren und salzigen Mittelmeerwassers durch die gaditanische Meer-
enge in den Atlantischen Ocean nachgewiesen, während dieser seiner-
seits minder salziges Wasser an der Oberfläche in das Mittelmeer
abgiebt. Und ebenso erfolgt aus dem Pontus, der wegen des reich-
haltigen Zuströmens von süßem Wasser durch die russischen Flüsse
einen geringeren Salzgehalt besitzt, eine Oberflächenströmung in den
Dardanellen, die früher den Segelschiffen die Einfahrt erschwerte,
heute aber den Kriegsdampfern gegenüber kaum mehr von Bedeutung
ist. Wegen der verhältnismäßig niedrigen Bodenschwelle in der Meer-
enge von Gibraltar kann die Cirkulation vom Atlantischen Ocean
nach dem Mittelländischen Meere nur beschränkt sein und also auch
der Wärmeaustausch nicht frei und ungehindert stattfinden. In den
Tiefen des Mittelmeeres ist also die Temperatur um 10° höher als
im Atlantic, und da bei der geringen vertikalen Bewegung und Er-
Neuerung des Wassers der Sauerstoff sich nicht ausreichend ergänzt,
so hört in einer Tiefe von 322 in alles Tierleben im Wasser des
Mittelmeeres auf; in jenen Räumen herrscht die Stille des Kirchhofs.
Ebbe und Flut sind im Mittelmeer auch kaum wahrnehmbar, in
Korfu rechnet man 6 ein, bei Ägypten 35 ein und in der großen
Syrte P/2 ra.1 Alexander und Cäsar waren daher die Fluterschei-
nungen der Oceane unbekannt; ersterer lernte sie erst im Indischen
Ocean kennen, und der große Bezwinger Galliens mußte in seinem
Kampf mit den Venetern flache Boote bauen, die bei eintretender
Ebbe gut auf dem Sande aufsitzen konnten.
Die Uferlandfchaften des Mittelmeeres, alfo etwa zwischen 45 und
35° n. Br., haben gemeinsame klimatische Merkmale, so daß, wie es
schon Lukan gethan hat, man den Nordrand Afrikas in dieses ge-
meinsame Vegetationsgebiet hineinbeziehen kann. Der Hauptunterschied
gegen unsere nordischeren Klimaformen ist der, daß bei uns die Winter-
kälte den Vegetationsprozeß der Pflanzen unterbricht, dort die sommer-
liche Dürre den gleichen Einfluß ausübt. Die hauptsächlichste Wachs-
tumszeit fällt im Mittelmeergebiet in den Frühling, im Sommer wird
alle Saftbewegung eingestellt und erst beim Eintreten der Herbstregen
die Fruchtreife vollendet. Durch das ganze Gebiet ist der Ölbaum
das eigentliche „Leitgewächs" desselben; allerdings giebt es keine
Olivenwälder, ebensowenig wie bei uns Birnen- oder Apfelwälder.
1 In Venedig stehen zur Zeit der Flut die Treppen einige Stufen tiefer
im Wäffer.
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Extrahierte Personennamen: Alexander Alexander Cäsar
— 42 —
Ferner ist zu beachten, daß der Boden dort mit Stauden und Zwiebel-
gewachsen bedeckt ist, daß aber bei dem Mangel an sommerlichem
Regen ganz die rasenbildenden Gräser fehlen. Statt des Rindviehes
und der Pferde erscheinen als Haustiere Büffel und Maultiere. Die
Butter entbehrt man ganz und ersetzt sie durch Ol. — Was sonst
die Vegetationsformen betrifft, so sind ja vom Altertum her bekannt
die Pinie, der Lorbeer und die Cypresse. Letztere in ihrer bleistift-
ähnlichen Form hat den Orientalen als Vorbild für ihre Obelisken und
Minarets gedient. Es hat doch aber in diesen Gebieten künstliche
Einführung und Übertragung fremdartiger Gewächse sehr umgestaltend
auf das Pflanzenkleid eingewirkt. Wir können uns Süditalien und
Sicilien heute gar nicht ohne die stachligen Agaven denken, und doch
sind sie erst seit Entdeckung der neuen Welt dorthin übergesiedelt.
Alan muß es daher als einen Anachronismus bezeichnen, wenn Preller
seine Odysseelandschaften überall mit diesen Agaven schmückt. Zum
heutigen Landschaftsbilde gehören ferner die Agrumen und Gold-
orangen, von den Magnolien mit ihren Tulpenblüten ganz zu ge-
schweigen. Die Citrgsarten sind aber aus Indien über Persien ein-
geführt, und der Name Apfelsine deutet schon ohne weiteres in seinem
Namen: chinesischer Apfel auf die fremdländische Herkunft. Peschel
sagt mit Recht, daß die Flora des europäischen Südens, namentlich
Italiens, mit der Zeit völlig umgewandelt ist und als Kunstprodukt
alter Kulturvölker bezeichnet werden muß. Er fügt dann aber weiter
hinzu, daß die Pflanzengebilde Südeuropas ästhetisch unendlich höher
stehen, und daß man sast betroffen ist, wenn man nach Norden zurück-
kehrt, über „die Ordinärheit der Pflanzenwelt, deren Laub- und
Nadelholzmassen schier ungeschlacht und grob erscheinen. Darum" —
und dies ist sein geistvoller Schluß — „ist der Kunstsinn hier im
Süden so früh geweckt worden. Das Akanthusblatt wurde zum
Vorbilde der Arabesken an der korinthischen Säule, das Laub des
Lorbeers schmückte die Stirn des Siegers, und der Zapfen der Pinie
krönte den Thyrsusstab."
Wenn wir die südeuropäischen Halbinseln betrachten, so gebührt
der mittelsten der Vorzug, den unverfälschtesten Ausdruck dieses be-
sonderen europäischen Ländertypus in sich darzustellen, also Italien.
Das alpine Hochgebirge schützt die Halbinsel gegen alle klimatische
Rauhigkeit des Nordens; nur ab und zu spürt man den Wind, die
tramontana, und namentlich im Süden entwickelt das Land allen
Reiz einer ganz eigenartigen Flora und einer weichen, gleichmäßigen
Himmelsluft. Das sind die Eindrücke, die Platen die Verse eingaben:
Zeit nur und Jugend verlor ich in Deutschland, Lebenserquickung
Reichte zu spät Welschland meinem ermüdeten Geist!
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Extrahierte Personennamen: Alan Peschel
Extrahierte Ortsnamen: Indien Italiens Italien Deutschland Welschland
— 116 —
welche anderen Ländern künstlichen Ersatz geben müssen. Unzählige
Schneidemühlen werden dadurch in Bewegung gesetzt, alle Werke der
Industrie mit Hülse des Wassers betrieben. Es würden tausend und
aber tausend dabei bestehen; ja, man hat behauptet, daß die Gesamt-
industrie der Erde von den Flüssen und Bächen Norwegens in Be-
trieb erhalten werden könnte." In neuester Zeit, wo man die Wasser-
sälle für die verschiedensten elektrischen Werke ausnutzt, fällt dieser
nationale Reichtum Norwegens nur um so mehr ins Gewicht; hat
man doch auch Italien geraten, sich durch Benutzung seiner Wasser-
stürze von der Einsuhr der englischen Kohle zu emanzipieren, wieviel
mehr spielt diese motorische Kraft also in Norwegen eine Rolle. So
wehrt man sich denn auch in Hammersest (nördlichste Stadt Europas
unter 71°) durch elektrisches Licht ganz tapser gegen die lange Polar-
nacht. — Als vorhin die schöne Sage erzählt und von der segnenden
Hand des allgütigen Gottes berichtet wurde, hätte noch eines er-
wähnt werden können. Der Allvater ließ an dem von Natur übel
bedachten Felsenufer Norwegens den Golfstrom vorbeifließen und
schus so dein Lande die bekannte Temperaturanomalie, die stauueus-
wert genannt werden muß. Wo in Amerika unter den Breiten von
Norddeutschland schon alles vereist und unwirtlich ist, haben wir in
Norwegen noch unter 70° Ackerbau; nur schützt man die Saaten
gegen die eisigen Nächte, die Jernnätter, ganz wie die Winzer am
Rhein durch schmaucheude Feuer. Leopold von Buch und andere
Reisende sprechen öfter von italienischen Gegenden, die sie in Nor-
wegen sanden, und wirklich reifen im südlichen Teil des Landes noch
Aprikosen und Weinstöcke. Selbst das Nordkap soll seine Reize bergen,
wie das Marmiers Schilderung ergiebt:1 „Am Fuße der steilen Gipsel
war ein blühendes Rasenbeet ausgebreitet, und ein Bach eilte mur-
melnd über die Felsblöcke hin. An seinen Rändern lachte das blaue
Auge des Vergißmeinnichts, hob sich das goldene Köpschen der Ra-
nunkel, prangte das wilde Geraninm mit seinem violetten Kleide und
mit seinen samtenen Blättern; sogar die kleine Waldnelke sehlte nicht,
und weiterhin erhob sich aus dem grünen Boden die Angelika mit
chren hohen Stengeln." 52 Wir sehen also, die ganze Küste steht unter
dem wärmenden Einfluß des Golfstroms, der auch im Eismeer seine
deutliche Wirkung ausübt, so daß um das Nordkap herum das Meer
niemals zufriert ^ und erst 2 — 3° nördlich schwimmende Eisberge
angetroffen werden. Man kann darum sagen, nicht das Eismeer,
soweit es Norwegens Küste bespült, ist ein Gewässer eisiger Schrecken
und lähmender Kälte, sondern für Skandinavien müßte die Ostsee
* Bei Daniel.
2 Peschel warnt allerdings vor allzu übertriebenen Schildeningen der Anmut
des Nordkaps.
3 Im Winter hat das Wasser hier eine Wasserwärme von -f 3° C.
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Extrahierte Personennamen: Leopold_von_Buch Leopold Angelika Daniel Peschel
Extrahierte Ortsnamen: Norwegens Norwegens Italien Norwegen Europas Gottes Norwegens Amerika Norddeutschland Norwegen Rhein Nor- Norwegens Skandinavien
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martbie in übelwollendem Neide gern le Norman d fanfaron; wir
müssen aber bei dem echten Norweger dieses boshafte Urteil zurück-
weisen und brauchen nur an den Professor in Kristiania, Fridtjof
Nansen, zu denken, der in der bescheidensten, zurückhaltendsten Weise
austrat und doch zwei der größten Kulturthaten der letzten Jahr-
zehnte vollbrachte, die Durchquerung Grönlands und den Marsch über
die Eisselder dem Nordpole zu, dem er näher gekommen ist als je
ein anderer Mensch.
Der Ackerbau kann, wie wir schon oben erwähnten, durchaus
keine glänzende Rolle in Norwegen spielen; charakteristisch sür ein
norwegisches Landschaftsbild ist es auch, daß man die Bauernhäuser
statt mit Stroh, wie wir es gewohnt sind, mit Rasen deckt. Denn
Getreide wächst nicht viel und Stroh ist recht knapp. Aber dafür
ist dem Lande ein anderer Erwerb und Nahrungszweig beschert, näm-
lich der Fischfang. Die Gesandten des Unionskönigs Christian priesen
ihren König mit Recht als „die allerfischreichste Majestät". Auch
hier ist der warme Golfstrom der große Segenspender; denn er er-
möglicht die Winterfischerei in dem Westfjord der Lofoten, die man
in so hohen Breiten sonst nicht erwarten durfte. Und das ist ein
althistorischer Borzug des Landes; schon seit über 1000 Jahren wird
dieser Dorschsang in den Lofoten erwähnt. In der winterlichen
Polarnacht sammeln sich die Fischer an der Ostseite der Lofoten,
denn das Meer aus der Westseite ist zu stürmisch, und stellen ihre
Beobachtungen an der etwa 60 Faden unter der Oberfläche befind-
lichen Bank an. Die Fische besuchen vorzugsweise die Untiesen des
Meeres, und so sind z. B. die Doggerbank in der Nordsee und die
große Bank von Neusundland als Plätze des Fischsangs berühmt.
Anfangs Februar beginnen sich die Dorsche zu zeigen, zuletzt in
ganzen „Fischbergen"; das ist der sogenannte Jndsiig der Fische,
und nun stndet der lohnende Fang statt, denn die Fische, mit dem
Laichen beschäftigt, gehen wie blind in die Netze. Die gefangenen
Dorsche werden, nachdem die Köpfe abgeschnitten sind, an Stangen
ausgehängt, wo sie bis Juni bleiben und trocknen. Sie kommen
dann als Törstsk oder Stockfisch in den Handel. Andere Arten der
Ausbewahrung und Einsalzung ergeben den Klippstsch und den
Laberdan. Der Klippfisch wird nach Spanien verhandelt, der Stock-
stsch nach Italien; auch kommen die Russen von Archangelsk nach
Hammerfest, um die frische Fastenspeise selbst einzuhandeln. So
sammeln sich in jedem Frühjahr 15—20000 Menschen bei den Lo-
soten auf 4000 Booten. Wenn die Fischerei beendigt ist, kehrt die
„Nordlandsflotte" mit ihren schätzen zurück nach Bergen, „dem nor-
wegischen Hamburg". Auch hier war in der Hansezeit ein groß-
artiges „Kontor", und die Stadt zählte damals wohl 30 Kirchen
und Kapellen. Heute giebt es viele Holzhäuser, nur an den Ecken
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Extrahierte Personennamen: Norman Fridtjof
Nansen Christian
— 70 —
„Weintraube" hängt sie in das Meer hinaus, und dies Bild paßt
vorzüglich, mag man dabei an die südliche Vegetation denken oder
an den üppigen Reichtum, der sich an den Besitz des Landes knüpft.
An der Spitze der Halbinsel liegt Pola, das schon zur Römerzeit
wichtig war und das man jetzt als Kriegshafen der österreichischen
Marine das österreichische Portsmouth nennt. Ebenso hat Luffin
Piccolo im Quarnerifchen Busen eine große Anzahl von Fracht-
schiffen. Der eigentliche Wohlthäter Triests ist Karl Vi., und seit
1833 begann der österreichische Lloyd seine Dampser zu bauen, um
den Verkehr mit dem Orient zu unterhalten. Aber es ist thöricht,
wenn jetzt französische Hetzblätter Italien einreden wollen, in betreff
des Mittelmeeres und des Handels auf ihm drohe ihm nicht von
fetten Frankreichs die Gefahr, sondern Osterreich habe es zu sürchten.
Denn Triest und die dalmatinischen Häfen liegen doch nur an einem
Busenmeer des ohnedies schon als Binnenmeer zu betrachtenden
Mittelmeers. Die Handelsrichtung dieser österreichischen Häsen geht
nach dem östlichen Mittelmeer, „nach der Levante. In Bezug aus
den oceanischen Handel kommt Osterreich wenig in Betracht, es be-
sitzt auch keine Kolonieen. Die wachsende Bedeutung Triests könnte
also höchstens Venedig unbequem werden, das früher so verächtlich
von dem Schilfrohrnest (slav. Terst = Schils) zu sprechen pflegte.
Die große Ausdehnung der österreichisch-ungarischen Monarchie
^Cattaro 42^°, Reichenberg beinahe 51° n. Br.; Bregenz beinahe
10°, Ostgrenze 261// ö. L.) bedingt es, daß sich in Natur und
Klima bedeutsame Gegensätze ergeben werden. „In den Umgebungen
von Triest sieht man nichts als Weinberge, Ölbäume und Gärten
voll Feigen, Oleandern, Granaten, Pfirsichen und sogar einige
Cypressen. Dagegen haben wir im österreichischen Schlesien ein rauhes
Gebirgsklima; in Galizien brechen sich die kalten Nordwinde an den
Karpaten und fallen auf das Land zurück, und die Weichsel hat
14—20 Tage den Eisgang fpäter als die Oder, und gar 3—4 Wochen
beträgt der Zeitunterschied gegen die Schmelzperiode der Donau. Natür-
lich sind bei den vertikalen Erhebungen die klimatischen Gegensätze
von ähnlicher Schroffheit. Riva am Gardasee genießt alle Vorzüge
der oberitalischen Seeuser, die Edelkastanie, des südlichen Alpenlandes
schönster Laubbaum, entfaltet ihre mächtige Krone, und bei den
österreichischen Eisriesen der Tauernkette wagt es kaum noch der be-
haarte Gletscherhahnensuß, gegen die unwirtlichen Gipfel vorzudringend
Görz nennt man das österreichische Nizza, Töplitz- ist das böhmische
Paradies, und im Karst haben wir eine völlige Wüste, ohne Baum
und Strauch, ja sast ohne krautartige Pflanzen, wo nur nackte
' Er dringt nvch bis 3600 in nach oben vor.
* Ebenso Reichenberg. S. oben.
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Extrahierte Personennamen: Pola Luffin
Piccolo Karl_Vi Karl
— 94 —
Flächen zum Weideland und zur Viehzucht. Zunächst kommt das
Pferd in Betracht. Rußland ist der pferdereichste Staat Europas,
und während in Deutschland erst aus 10 Einwohner 1 Pferd ge-
rechnet wird, in Frankreich aus 12, in Italien gar aus 27, steht der
Prozentsatz in Rußland mit 1 : 3 äußerst günstig da. Pserde werden
daher auch in großer Zahl ins Ausland verkaust und erzielen 2 bis
3 Millionen Rubel. Die Potockis und Orlows besitzen hier große
Flächenräume, aus denen der Tabuntschik oder Roßhirt unumschränkter
Gebieter ist; dreiviertel seines Lebens bringt er im Sattel zu, er
kennt keinen Schlaf, außer zu Pferde, und auch dann muß er, wie
er selbst sagt, mit dem einen Auge nicken, mit dem andern die Ta-
bune (Herde) bewachen. So hat er vielleicht 1000 Pserde unter-
such, von denen die Halste Zuchtstuten sind. Furchtbar ist der Kamps
der Hengste mit dem Wolf. Das besiegte Raubtier wird von der
Tabune umzingelt, von hundert Husen zermalmt und in hundert
Fetzen zerrissen. Außer den Pferden werden alle Arten von Tieren
gezüchtet, vom Schafe bis zum Kamel, und eine ähnlich großartige
Ausnutzung des Tierreichs wie hier, sagt v. Klöden, findet kaum
noch anderwärts zum zweitenmal statt. Manche Viehzüchter haben
4—6000 Stück Rindvieh in der Steppe, in der Gegend von Zaritzyn
zählt man über 100000 Stück Hornvieh, und die Menge von Talg,
welche diese Bezirke dem Auslande liesern, ist ungeheuer. Das Fett-
schwanzschas ergiebt in seinem wunderlichen Anhängsel allein 20 bis
30 russische Pfund. Die Herden sind das ganze Jahr hindurch im
Freien, während das Vieh in den centralen Gebieten 150, im
Norden sogar über 200 Tage hindurch im Stalle gefüttert werden
muß. Der spärliche Schneefall gestattet den Tieren, sast überall zu
ihrer Nahrung zu gelangen. Allerdings bringt die mangelhafte
Schneebedeckung einen anderen Übelstand zuwege. Die Kältegrade
sind enorm/ der Schutz für die Getreidepflanzen zu gering, demnach
baut man hier fast durchweg Sommerkorn. Wenn die Herde den
Winter hindurch draußen bleibt, so ist sie freilich den furchtbaren
Schneestürmen, den Wjugas, schonungslos preisgegeben, und ein
solcher Sturm hat 1827 300000 Pserde, 10000 Kamele und
1 Million Schafe vernichtet. Als Vorbote und Warnerin erscheint
die „Windhexe", ein Klumpen von zusammengeballten Stengeln, den
der Wind pfeilschnell dahinjagt. Dann bricht der Sturm los, der
tagelang anhält und dichtes Schneegestöber mit sich sührt.^ Die Luft
ist völlig undurchsichtig geworden, und man kann höchstens einige
Schritte um sich sehen. So hat man nur die Wahl, liegen zu
bleiben und vom Schnee begraben zu werden oder blindlings seinem
Treiben zu solgen. Die Herden werden entweder in die Schluchten
* Im Wolgadelta bis — 32° C.
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Extrahierte Ortsnamen: Europas Deutschland Frankreich Italien Wolgadelta —
— 96 —
wir dazu, daß in dem alten Kolchis am Kaukasus, da wo das Hoch-
gebirge die im Sommer glühenden und im Winter eisigen Nord- und
Ostwinde abhält, eine Vegetation von fast tropischem Formenreichtum
erzeugt wird, so daß die Agrumen Südeuropas, die Citronen und
Pomeranzen, und die Magnolien im Freien gedeihen und üppige
Urwälder mit Farndickichten und immergrünem Unterholz den Wan-
derer aufnehmen, so möchte uns wohl der Wunsch aussteigen, dort
zu leben. Und doch erscheint uns das ganze Gebiet befremdlich, es
ist asiatische Lust, die uns entgegenweht, in Sitte und Volkstum,
und wohlgemerkt! in Astrachan giebt es neben 16 Moscheen auch eine
lamaitische Pagode!
Man muß sich überhaupt den Gegensatz, in dem Rußland zur
westlichen Kultur und Civilisation steht, recht einschneidend vorstellen.
Rußland, hat man gesagt, ist Halbasien, und wir müssen versuchen,
dieses Urteil in Bezug aus seine Berechtigung näher zu begründen.
In Rußland giebt es trotz der nicht unbedeutenden Zahl von Städten
nur 8% der Bevölkerung, die man als Stadtbewohner bezeichnen
kann.1 Die Landwirtschast bildet die Grundlage für das ganze
wirtschaftliche Leben des großen Länderraumes. Man rechnet
962 Städte; aber die Grenzen in der Unterscheidung von Dors und
Stadt fließen vielfach ineinander. Jedenfalls wiederholt sich, sagt
Daniel, der Charakter der Einförmigkeit, der dem ganzen Tieflande
eigen ist, auch in den russischen Städten: schnurgerade Straßen,
kasernenartig gebaute, gelb oder weiß übertünchte Häuser, — wer
Moskau gesehen hat, kennt alle russischen Städte. Die Häuser sind
vielfach von Holz, und das erklärt die furchtbaren Feuersbrünste,
die Rußland zum öfteren heimgesucht haben, wie denn Moskau 1812
zu zwei Dritteln eingeäschert wurde. Auch den Stadtbewohnern
steckt der Nomade noch in den Gliedern; der vornehmere Russe noma-
disiert sozusagen in seinem Hause und zieht unaufhörlich um. Bald
wird das Schlafzimmer zum Speisezimmer erwählt, bald wandert
man von Etage zu Etage, und es giebt gewiß kein dem Russen ge-
höriges Haus, das 14 Tage hindurch in demselben Zustande ver-
bliebe. Weil aus einen strengen Winter ohne allmählichen Ubergang
ein kurzer, heißer Sommer solgt, müssen in verhältnismäßig kurzer
Zeit sämtliche Felder bestellt sein. Daher berechnet man richtig, daß
doppelt und dreimal soviel Hände zur Bestellung einer bestimmten
Bodenfläche erforderlich sind als im westlichen Europa, * und darum
ist die Ackerbevölkerung auch ungewöhnlich groß. Der russische Bauer
oder Mushik ist die am meisten charakteristische Persönlichkeit in Ruß-
1 Peschel berechnet das Verhältnis der Landbewohner zu den Städtern
wie 1 i 10.
2 Wo bei nns 4 Pferde und 4 Knechte genügen, sind dort 7 Pferde und
7 Knechte nötig.
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TM Hauptwörter (200): [T83: [Klima Winter Sommer Land Meer Wind Regen Niederschlag Zone Gebirge], T127: [Volk Sprache Land Zeit Sitte Kultur Bildung Geschichte Bewohner Stamm], T183: [Kind Lehrer Schüler Unterricht Schule Frage Stoff Aufgabe Zeit Geschichte], T32: [Wald Baum Boden Eiche Steppe Höhe Ebene Wüste Teil Tanne], T87: [Meer Rußland Wolga Stadt Petersburg Moskau See Ostsee Hauptstadt Ural]]
Extrahierte Personennamen: Daniel
Extrahierte Ortsnamen: Kolchis Kaukasus Astrachan Moskau Moskau Europa Ruß-
— 14 —
in gewissem Sinne Englands und Irlands Wohlthäter genannt
werden kann, bringt leider viel Regen und Redet mit sich. Am
übelsten in dieser Hinsicht ist Irland daran, das ja allerdings dem
durch diese häusigen Niederschläge geförderten Graswuchs den Namen
des Emerald-Island i Smaragdinsel) verdankt. Während im mittleren
Deutschland nur etwa 155 Regentage gezählt werden, steigert sich
deren Zahl in: westlichen England aus 200 und an der Westküste
Irlands auf 250. Als daher der an der Küste Irlands Hinsahrende
Passagier verzweifelt den Kapitän fragte: Regnet es denn hier in
Irland immer? antwortete dieser gleichmütig: Nun, manchmal schneit
es auch. Valentia hat einen Januar wie Florenz, dafür aber einen
Juli wie Archangel. Berüchtigt ist in England das Vorherrschen
kalter Winde im Frühjahre, und die häusigen und heftigen Stürme
werden als eine besondere Schattenseite des britischen Klimas hervor-
gehoben. Ich spreche aber hier nicht allein von dieser physikalischen
Beeinträchtigung des agrarischen Kulturzustandes, viel einschneidender
sind gewisse sociale Mißstände. England und Schottland, von Jr-
land vorläufig ganz zu geschweigen, geht es eigentlich wie Italien zur
Zeit der Gracchen. Auch hier könnte der römische Volkstribun den
bedauerlichen Rückgang des Bauernstandes mit bitterem Schmerze
wahrnehmen. Statt des normalen Zustaudes kleinerer und behag-
licher Bauernwirtschasten sind hier, ganz wie in dem alten Italien,
die Latifundien an ihre Stelle getreten, so daß etwa 2000 Latifundien-
Herren die Hälfte des englischen Bodens ihr eigen nennen und in
Schottland 600 Herren 4/5 des Landes besitzen. In Sutherland
Eounty gebietet ein Magnat sogar über 86^ ^M. Die Pächter,
denen nur kürzere Zeiträume zur Pachtung zugestanden werden,
haben darum kein sonderliches Interesse, die Bodenwirtschaft rationell
zu heben, und die „fportliebeuden Magnaten lassen absichtlich weite
Flächen ihrer Besitzungen wüst liegen, um daraus gelegentlich große
Jagden abzuhalten". Die Parallele mit dem alten Rom kann aber
noch weiter geführt werden. Die Folge ist, daß von der Einwohner-
zahl immer ein Drittel in seinem Brotbedars abhängig vom Auslande
ist. Das sind wirtschaftlich sehr ungünstige Verhältnisse.
Ein zweiter Vorzug, aus den die Briten seit je stolz gewesen
sind, beruht aus der Annahme, daß sie politisch ein freiheitliches Volk
sind. Mit Emphase wird in dem berühmten Nationalliede in jedem
Refrain gesungen: Britons never shall be slaves ibriten werden
nimmer Sklaven sein), d. h. also nach außen und nach innen hin
dulden die Briten keine Gewalt und Tyrannei. Was die Knechtung
von außen her betrifft, so haben wir schon oben entwickelt, daß dem
wunderbaren Jnselreiche ja nur mit einer Flotte beizukommen ist und
daß selbst ein Napoleon I. sich nur beglückwünschen konnte, als
er 1805 seine zur Landung in England in Boulogne zusammen-
TM Hauptwörter (50): [T49: [Land Klima Europa Meer Lage Asien Winter Insel Afrika Zone], T41: [Insel Staat England Amerika Kolonie Mill Küste Nordamerika Land Stadt], T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht]]
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Extrahierte Personennamen: Napoleon_I.
Extrahierte Ortsnamen: Englands Irlands Irland Deutschland England Westküste
Irlands Irland Florenz England England Schottland Italien Italien Schottland Sutherland
Eounty England Boulogne
[— 23 —
über diesen Paß in die Ebenen Italiens. ^Natürlich machten sich
auch umgekehrt die Italiener diese Straße und ihre Zugänglichkeit
zu nutze. Die Segnungen der mittelmeerischen Kultur kamen den
nordischen Völkern nicht über die mittleren Alpen, sondern das Rhone-
thal herauf, und noch im 13. Jahrhundert sind die Messen in der
Champagne der „Hauptknotenpunkt des italischen Handels mit dem
Norden".
Ein zweiter Unterschied von England liegt darin, daß die Küsten-
entwickelung dem Flächenraum gegenüber in Frankreich nur schwach
ist. Es giebt hier nur wenig Halbinseln und sehr spärliche Inseln.
An der atlantischen und Kanalseite bieten zudem die Küsten manches
Hindernis, mögen sie nun steil sein wie die Falaisen am Kanal oder
flach wie die berüchtigten landes am Gols von Biskaha. Man be-
hauptet ja, daß Frankreich an der ganzen Kanalküste keinen günstigen
Hafen besitzt, und deshalb hat Kaiser Napoleon Iii. unter den nam-
haftesten Kosten den Kriegshasen Eherbourg gegenüber der Insel
Wight anlegen lassen, „das großartigste Werk der Wasserbaukunst
aller Zeiten". Besser steht es um die Riasartigen Einschnitte der
Bretagne, wo eine Menge Häsen liegen und die Bewohner als aus-
gezeichnete Seeleute bekannt sind. Hat doch auch in verschiedenen
Geschichtsperioden das Piratenwesen dort sehr geblüht. Die vor-
nehmsten Häfen finden sich an den trichterförmigen Mündungen der
Flüsse, und weit stromaufwärts können noch die Schiffe fahren, wenn
sie nur die Flutwelle benützen. Daher rührt wohl auch Napoleons
Ausspruch, daß man Havre, Rouen und Paris als eine Stadt be-
trachten müsse, deren Hauptstraße die Seine ist. Le Havre ist „das
französische Liverpool". Es spielt nicht nur eine Rolle als Ausfuhr-
Hafen, sondern von der anderen Hemisphäre werden Weizen und Roh-
baumwolle importiert. Was die Fluterscheinungen betrifft, so ist in
der Bai von S. Michel der Unterschied der Gezeiten 16 m, so daß
den Granitfels, der das berühmte frühere Benediktinerklofter trägt,
die Flut völlig umspült, und der Ort sich recht sür das abgeschiedene
Mönchsleben eignet. In die Garonne dringt die Flut noch über
Bordeaux hinaus, und oft entwickelt sich das „Maskaret" genannte
stürmische Vordringen der Welle, daß man das Gebrüll bis auf 15 km
Entfernung hören kann, und von der Gewalt der Wassermasse Anker
ausgerissen, Kabel zerbrochen und Boote zertrümmert werden. Man
wird unwillkürlich an die Pororoka des Amazonas erinnert. — Die
Mittelmeerküste Frankreichs hat bedeutende Vorzüge. Zwar finden
sich hier im westlichen Teile des Golfe du Lion die berüchtigten
etangs oder Strandseeen, so daß nur Cette, wo der canal du midi
endigt, in Betracht kommt, und der Rhonefluß, der keine Flut hat,
führt nur Geröll in die See hinaus; aber dafür haben wir östlich
von der Rhonemündung Häfen wie Marseille, Toulon und Antibes,
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Extrahierte Personennamen: Biskaha Napoleon Napoleons
Extrahierte Ortsnamen: Italiens England Frankreich Gols Frankreich Bretagne Rouen Paris Frankreichs Marseille Toulon Antibes
— 25 —
zösische Mittelgebirge fällt ostwärts ziemlich steil zum Rhonethale
und erscheint also hier am Ostrande als imposante Gebirgswand;
nach Westen dacht es sich zu einförmigen Plateaus ab. In der
Lücke zwischen Mittelgebirge und Pyrenäen findet sich eine Senke,
die der canal du midi durchzieht und die also Verbindungsglied ist
zwischen der westlicheren Ebene der Garonne und der Rhoneniederung.
Hier ist das Gebiet von Toulouse, Languedoc und Provence, be-
rühmt in der Kulturgeschichte durch das Zeitalter der Troubadoure
und durch seine religiösen Erweckungen. Noch im 12. Jahrhundert
blühte in diesem Landstrich der Troubadour Bertrand de Born, der
mit der gewaltigen Kraft seiner Lieder die Kinder gegen den Vater,
den englischen König Heinrich Ii., aufreizte: aus des Ölbaums
Schlummerschatten fuhr Dein bester Sohn empor, sagt der Dichter
in dem Uhlandschen Liede zu dem Vater. Die Troubadoure wurden
vorbildlich für unsere deutschen Minnesänger, und noch in einer
anderen Beziehung ist von hier mit Beispiel und Mahnruf das süd-
liche Frankreich den nördlicheren Völkern vorangegangen. Im Kreuz-
zugs-Zeitalter ist hier zuerst die Begeisterung erwacht, und das dien
le volt weckte überall die kampfbereiten Scharen. Welche Erinnerungen
erregen ferner Avignon und Vaucluse. In ersterem hatten die Päpste
im 14. Jahrhundert ihr babylonisches Exil, die vielen Kirchen und
Klöster verschafften der Stadt den Beinamen 1a ville sonnante, und
in Vaucluse führte Petrarca ein einsiedlerisches Dasein und dichtete
seine berühmten Sonette an Laura. Das Plateau des Felsens,
auf dem die päpstlichen Bauten stehen, gewährt eine entzückende Aus-
ficht über die charakteristischen Eigentümlichkeiten der proven^alischen
Landschaft, die düsteren Höhen des Alpengebirges, die mit Ölbäumen
bedeckte Flußebene und stromabwärts die Kieswüste der Crau und
das Sumpfland Camargue. Das Klima des Landes ist paradiesisch,
die Olivenpflanzungen erzeugen das Provenceöl, und die vielen
Veilchen- und Thymianfelder sichern Marseille den Ruf, die be-
rühmtesten Parsümeriesabriken zu besitzen. Allerdings weht mitunter,
namentlich im Frühjahr, von den Alpen der böse Mistralwind hin-
unter, und es ist vorgekommen, daß dann die Kälte die Oliven bis
an die Wurzel zerstört hat.
Wandern wir den Rhonefluß aufwärts, so kommen wir in ein
namhaftes Industriegebiet, wo an 200 Menschen auf dem [nkm
wohnen, es ist die Gegend von Lyon und St. Etienne. Das warme
italienische Klima des Rhonethales hat neben den Oliven und Süd-
srüchten noch eine dritte Pflanzung begünstigt, nämlich die der Maul-
beerbäume, und so ist Lyon Europas Hauptsabrikations- und Haupt-
Marktplatz für Seidenstoffe geworden; namentlich werden die geschmack-
vollen Muster sehr gerühmt. Lyon ist die zweite Stadt Frankreichs
mit über 400 Tausend Einwohnern — überhaupt das „industrielle
TM Hauptwörter (50): [T38: [Boden Wald Land Wiese Wasser Berg Fluß Feld See Dorf], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T1: [Geschichte Dichter Zeit Buch Werk Jahr Gedicht Nr. Bild Geographie]]
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Extrahierte Personennamen: Bertrand_de_Born Heinrich_Ii Heinrich Petrarca Laura Etienne