Hilfe und Dokumentation zu WdK-Explorer

Diagramm für Aktuelle Auwahl statistik

1. Sagen - S. 71

1912 - Berlin : Oehmigke
71 Und als der Kampf nun ausgetobt, der Kurfürst dankend den Herrgott lobt, in Andacht still sein Auge senkt und kaum noch des lieblichen Kindes denkt. Da sieh, an den Panzer geklammert, schaut es zum Retter empor so lieb und traut; den wettergebrännten Kriegesmann blickt's furchtlos und glückselig an. „Was, Kleiner, du hast die ganze Schlacht auf meinem Streitroß mitgemacht? Bei Gott, wirst einst ein Ritter stark, du jüngster Krieger der ganzen Mark!" Die bärtigen Helden drängen sich dicht, den Knaben zu schauen von Angesicht. Da plötzlich, o Wunder! das zarte Kind steigt hoch im Sattel; der Sommerwind trägt's in die Luft, zur Sonne empor. Noch einmal streckt es die Händchen hervor aus dem luftigen Schleier, umstrahlet von Gold, als wenn es den Fürsten segnen wollt'. — Verwundert halten die Reiter da. Das Kindlein keiner wiedersah. Der Knabe mit dem blonden Haar der Schutzgeist der Hohenzollern war. Wie er beschirmt den großen Ahn, so folgt er aller Zollern Bahn; im Kriegessturm, bei jedem Ritt die „märkische Treue", die reitet mit. W. Böhm. 56. Sage von Frau Harke. Vöör ollen Tiijen hett upp de Stoellensche Barge ene groot- müchtige Riesenfruu woant, dee hett Fruu Harke, ännere seggen ook Fruu Harfe, geheeten. Dee hett moal enen groten Steen her to soaten kreegen und hett doamett den Hoarelbargschenz *) Havelbergsche.

2. Deutsche Dichtung im Mittelalter - S. 32

1881 - Trier : Lintz
32 Zweiter Abschnitt. Dmtsdjc Dichtung mm der Mitte des 12. bis M Mitte dos 14. Jahrhunderts. (Blütezeit der mittelalterlichen Litteratur. Die Sprache ist die mittelhochdeutsche, die poetische Form zeigt eine kunstvolle Bildung in Vers und Stropheubau. Die Poesie, anfangs noch in den Händen der Geistlichen, gebt bald ganz in die Hände der Ritter über. Neben dem Volks- und Kunstepos blüht die Lyrik.) 1. Im Lause des 12. Jahrhunderts vereinigten sich eine Reihe von Umständen zur Hebung und Förderung der deutschen Poesie. Einmal regten die Kreuzzüge die Geister gewaltig an, erweiterten den Jdeenkreis der abend- ländischen Volker, belebten die Phantasie und gewährten eine Fülle neuer Stoffe. Von nicht geringer Bedeutung für den Aufschwung des deutschen Gesanges war dann auch der Glanz des staufischen Kaiserhauses und des deutschen Rittertums. Gerade die Ritter glaubten sich zur Pflege dev edlen Sangesknnst vor allem berufen, und es galt als eine ehrenvolle Aufgabe nicht nur des kaiserlichen Hofes, sondern auch der Fürsten, die Dichtkunst und ihre Vertreter auf alle Weise zu schützen und zu heben. Große Anregung fand die deutsche Poesie endlich noch durch die französischen Dichten (Troubadours im südlichen, Trouveres im nördlichen Frankreich genannt), welche für die Deutschen geradezu Muster und Vorbild wurden. 2. Die poetischen Gattungen, welche vorzugsweise gepflegt wurden, find das Epos, die Lyrik und die Didaktik. Das Epos erscheint in zwei nach Form und Inhalt geschiedenen Gestaltungen, als Kunst- und als Volks- epos. Träger des Kunstepos waren die Dichter ritterlichen Standes, die höfischen Dichter, während das Volksepos von Sängern aus dem Volke (varnde liute, spilman, videlaere) gepflegt wurde. Die höfischen Dichter behandeln fast nur fremde Stoffe, und auch diese meist nach französischen Vorlagen; die Volks- dichter dagegen sind die Hüter und Erneuerer der alten Nationalsagen. Das Kunstepos erhielt von der Persönlichkeit des Dichters eine subjektive Färbung, der Volksgesang blieb überwiegend objektiv. Die Form des Kunstepos bilden die sogenannten Reimpaare, während die Volkssänger ihre Stoffe in der Ni- belungenstrophe oder doch in einer derselben ähnlichen Strophenform behandelten. 3. Die Reimpaare sowohl wie die Nibelungenstrophe sind eine Fortbildung der althochdeutschen Langzeile. Die Reimpaare sind stumpf oder klingend gereimte Verse mit wier Hebungen. Die Nibelungenstrophe besteht aus vier paarweise gereimten Langzeilen; die Halbzeilen der vorderen Hälfte haben vier Hebungen und meist klingenden Schluß, die der hinteren Hälfte aber drei Hebungen und stumpfen Schluß; ausgenommen ist aber die achte Halbzeile, welche wieder vier Hebungen aufweist. Vgl. Anhang § 7. Anmerkung 1. In den Reimpaaren finden sich bei klingendem Reim nicht selten vier volle Hebungen, meistens aber gilt als vierte Hebung die nachklingende Silbe. — Ähnlich fällt auch in der Nibelungenstrophe die vierte Hebung der ersten Vershäffte meist, auf ein tonloses e.

3. Teil 5 - S. 192

1910 - Straßburg : Bull
192 seine letzte Stunde geschlagen, und von der deutschen Literatur machte Gottsched die deutsche Bühne wieder abhängig. Leider wußte er dabei nichts Besseres zu tun als die Nachahmung der Franzosen zu predigen und selbst zu üben, er dachte nicht daran, die brauchbaren Stoffe und Darstellungsmittel des Volksdramas zu retten, zu veredeln und so den nationalen Charakter des deutschen Schauspiels zu wahren. Er brach mit der Vergangenheit und machte dadurch Gegenwart und Zukunft ärmer. — Ans seinem Leipzig dachte Gottsched das Zentrum der deutschen Literatur zu machen, und in der Tat, der Ort war gut gewählt. Eine angesehene Universität mit stolzen Überlieferungen, ein fleißiges und durch seine Handelstätigkeit in jeder Beziehung gefördertes Bürgertum, ein Buchhandel, der von einer Ostermesse zur andern an Umfang und Bedeutung zunahm, eine „deutsche Gesellschaft", ans der man nach dem berühmten Vorbild der französischen Akademie einen obersten Gerichtshof des guten Geschmacks für die deutsche Literatur entwickeln konnte, das alles kam dem Ehrgeiz Gottscheds auf halbem Wege entgegen. In dieser Umgebung begann er eine eifrige Tätigkeit, um seinen Idealen der Klarheit, Deutlichkeit und Korrektheit zur Wirklichkeit zu verhelfen. So entstand seine „Sprachkunst", eine Grammatik, seine „Redekunst", ein Lehrbuch der Rhetorik, und eine „kritische Dichtkunst", eine Poetik auf antiker und französischer Grundlage: Horaz und Boileau waren für ihn, was Scaliger und Ronsard für Opitz. Er schrieb ein Handlexikon der schönen Wissenschaften und freien Künste, ein Buch voll von Kenntnissen und Belehrung, daneben viele literarhistorische Schriften und Aufsätze. Er suchte den ganzen Verlauf der deutschen Literatur zu durchmessen: bis in das 19. Jahrhundert herein, bis ans Jakob Grimm und seine Genossen hat niemand eine so weitreichende Kenntnis der ältern deutschen Literatur besessen und kundgegeben wie Gottsched. Bei allen diesen Bestrebungen leitete ihn ein Motiv nationalen Stolzes und patriotischer Eifersucht, wie sie die Gelehrten des 16. und 17. Jahrhunderts beseelt hatte: alle die Schätze einer vergangenen Literatur hielt er den Fremden, die uns verachteten, als deutsche Leistungen entgegen. Daneben glaubte er der Würde seines Lehrstuhls nichts zu vergeben, wenn er eigne Dichtungen wagte, wenn er zum Heil der deutschen Poesie mit Schau- spielern verkehrte und ihnen seinen Rat erteilte. Als Journalist vertrat er seine literarischen Interessen mit unermüdlicher Tätigkeit, und an seinen akademischen Zuhörern erzog er sich eine Schar von Aposteln seines Ruhmes und eifrigen Mitarbeitern an seinen Zeitschriften. Gewiß hat sich Gottsched dadurch wahrhafte Verdienste um die deutsche Sprache und Literaturgeschichte erworben; hätte er sie nur nicht selbst verkleinert durch die eifersüchtige Eitelkeit, mit der er seine ästhetische Alleinherrschaft zu wahren suchte. Aber je mehr die deutsche Literatur das Gängelband

4. Teil 5 - S. 287

1910 - Straßburg : Bull
287 gotischen Stil gefunden. Dieser war in hervorragendem Sinne auf den Kirchcnbau berechnet, mußte deshalb einer Zeit, die ausschließlich kirchlich gesinnt war, zum höchsten Ausdruck ihres Wollens und Könnens gereichen. Wohl hat das Mittelalter seine Rathäuser und Gildenhallen, seine Schlösser und Burgen sowie die städtischen Wohngebäude charaktervoll in diesem Stile ausgeprägt; aber eine zu starke Färbung kirchlicher Kunst verbindet sich damit, als daß sie den Ausdruck weltlichen Behagens rein gewähren könnten. Schon seit dem 14. Jahrhundert, wo das Bürgertum mächtig aufblüht, die Städte in Reichtum und Bildung wachsen, die Lebenslust sich überall kräftig regt, beginnt der Verfall des gotischen Stiles als ein notwendiger Reflex dieser Bewegung; eine andere Zeit mit neuen Gedanken verlangte neue Formen. Wie diese zuerst in Italien durch das Studium der antiken Denkmäler schon seit dem 14. Jahr- hundert vorbereitet wurden, bis sie um 1420 zum Durchbruch kamen, ist bekannt. Während diese Umgestaltung sich im Süden vollzog, brach der Norden nicht minder entschieden, wenn auch in anderer Richtung, mit den Traditionen des Mittelalters. Hubert van Eyck gehört sicherlich zu den größten Bahnbrechern und Pfadfindern der Kunstgeschichte, denn seine neue Art, die Natur streng zu studieren und die menschliche Gestalt mit ihrer landschaftlichen und architektonischen Umgebung lebensvoll hinzustellen, sie aus der schablonenhaften Form und vom Goldgründe des Mittelalters zu befreien, ist ein ebenso kühner Bruch, wie die Tat eines Brunellesco, Ghiberti, Donatello cs irgend war. Ging doch das ganze Streben der Zeit dahin, aus dem traumhaften Idealismus und der Scholastik des Mittelalters zu lebensvoller Weltwirklichkeit durchzudrängen. Hier war es die Natur, dort in erster Linie die Antike, aus der die Kunst sich verjüngen sollte. Wie diese Naturwahrhcit im Norden sich mit reißender Schnelligkeit zunächst in der Malerei und Plastik verbreitete, aus der flandrischen Schule bald über alle Gebiete Deutschlands drang, mußte die neue Kunst in scharfen Kontrast mit der abgelebten gotischen Architektur treten. Man mußte bald überall fühlen, daß dieser Stil hinter den Forderungen, welche die neue Zeit aufstellte, unrettbar zurückgeblieben sei. Zwar fristete er noch über ein Jahrhundert sein Dasein, denn nichts klebt so zäh am Althergebrachten wie das in der Routine ergraute Handwerk. Wir können uns daher nicht wundern, wenn wir bis ins 16. Jahrhundert den gotischen Stil in Deutschland herrschend finden, ja, wenn er in manchen Einzelheiten sich sogar noch bis ins 17. Jahrhundert zu erhalten weiß. Aber ebenso begreiflich ist es auch, daß bei den zahlreichen Berührungen Deutschlands mit Italien, den Kriegszügen der Kaiser, den Handelsver- bindungen, den wissenschaftlichen Beziehungen, die dort so glänzend

5. Teil 5 - S. 352

1910 - Straßburg : Bull
352 zu seinen ersten Ursprüngen an den Abhängen des Harzes, und gerade in jenen Bandcnkmalen, welche die Ottonen und ihre Zeitgenossen uns hinterlassen haben; bei aller Roheit durchbricht doch in ihnen ein freierer Geist, ein mehr individuelles Gefühl die aus dem römischen Altertum überlieferten Gesetze der Architektur. Wie geringfügig sind die Reste von Bauwerken, welche die karolingische Zeit in Deutschland zurückgelassen hat; wie viel lebendiger spricht zu uns die Ottonenzeit aus diesen alten Mauerwerken, mit denen die Geschichte der deutschen Baukunst beginnt! Gleich dem städtischen Leben hob sich, nachdem die inneren Kriege und die Einfälle der Ungarn, Dänen und Wenden Deutschland lange fast zu einer Wüstenei gemacht hatten, in staunenswerter Weise der An- bau des Landes; Heinrich Ii. nannte Sachsen wegen seiner Fruchtbarkeit einen Vorhof des Paradieses. Wie die Fortschritte in der Baukunst, ging auch die bessere Bodenkultur vor allem von den Kirchen und Klöstern aus, die das ihnen von den Königen übertragene Gut trefflich zu nutzen wußten. Mit eigentümlicher Befriedigung sieht man auf jene schönen Pergamenturkunden der Ottonen, wie sie fast noch überall in den deutschen Archiven sich finden; es sind meist Verleihungen von einzelnen Weilern und verödeten Feldmarken an Kirchen und Klöster, aber welches reiche Leben ist aus diesen toten Schenkungsbriefen erwachsen! Sie haben zahllose Ortschaften in das Leben gerufen, fruchtbare Landschaften ge- schaffen, Deutschland geradezu umgewandelt. Zu derselben Zeit gewannen auch Wissenschaft und Kunst unter uns eine bleibende Stätte. Wie dürftig die Literatur vor Ottos Kaiscrkrönnng ist, so schnell entfaltet sie sich nachher zu einer bemerkenswerten Höhe. Widnkind, Ruotger und Roswitha schreiben unter dem ersten lebendigen Eindruck, daß ein sächsischer Fürst an die Spitze der Welt gestellt ist; ihre Werke sind ganz von dem Stolz auf ihren großen Fürsten und ihr mächtiges Volk durchdrungen. Von da an wurde der kaiserliche Hof der Sammelplatz aller hervorragenden Geister des Abendlandes, und selbst ein Gerbert spricht es aus, daß sein Genie nur durch die Ottonen ge- weckt sei; die gelehrte Bildimg der Zeit sammelte sich wie in einem Brennpunkt damals am deutschen Hofe und durchdrang von hier aus zuerst und zumeist die deutschen Länder. Es war diese Bildung nicht eine originale, frei aus dem Geiste des Volkes geboren; auch hier war es die Tradition, die man aufnahm und der man sich anschloß. Jene neulateinische Wissenschaft und Literatur, welche die Kirche auf Grund- lage der altrömischen Bildung geschaffen hatte, ging auf das deutsche Volk über und mit ihr die klassische Literatur der alten Römer. Aber allem, was die Deutschen empfingen, gaben sie doch das eigentümliche Gepräge ihres eigenen Geistes. Sie schrieben in römischer Sprache, aber aus deutscher Anschauung, und sie schrieben von deutschen Dingen. Nicht * *

6. Deutsche Prosa - S. 5

1900 - Gera : Hofmann
Arbeit und Muße. 5 Macht entfaltet, wo ist es so sehr das Wahrzeichen und der ideale Mittelpunkt eines reich entfalteten Volkslebens geworden, wie die Leier bei den Hellenen, das Symbol hellenischer Muße! Von ihr dachten sie, daß sie Himmel und Erde beherrsche. „Denn auch des Krieges wilder Gott," sangen sie „läßt starrender Speere Gewühl hinter sich und labt sein Herz an Liedeslust. Auch die Herzen der Götter durchdringt der Saiten Zaubergewalt, von der Hand des Apollon gepflegt und der Kunst holder Musen." Die Musenkunst stattete die Feste so herrlich aus, daß die Bürger, allen Geschäften entrückt, tagelang in voller Spannung den Wett- kämpfen ihrer Dichter zuhörten. Auch beim häuslichen Mahle kreiste die Leier, und wie man das gesellige Zusammensein durch geistigen Genuß zu adeln, durch Scherz und Ernst zu würzen wußte, zeigt Platons Gastmahl in einem verklärten Abbild. Ja, wenn wir noch heute unablässig beschäftigt sind, den ganzen Reichtum dessen, was von den Griechen in ihrer Muße gedacht und gedichtet ist immer vollständiger zu würdigen, so hat man in der That den Eindruck, als wenn bei ihnen das natürliche Verhältnis umgekehrt und des Volks ganze Arbeit in die Ausstattung der Muße verlegt worden sei. Und doch war dies nur immer die andere Seite seiner Thätigkeit, die Ergänzung der praktischen Wirksamkeit, welche mit unbeschränkter Energie dem Ausbau der Verfassungen, der Leitung des Gemeinwesens, der Verteidigung seiner Unabhängigkeit zugewendet war. In der Pflege der musischen Künste war aber die volle Freiheit des geistigen Lebens so sehr die Hauptsache, daß man die Meisterschaft in einer einzelnen Kunst auf Kosten jener Freiheit nicht erkaufen wollte; Gesang und Saitenspiel, als ein besonderer Lebensberuf aufgefaßt, galt schon für Unfreiheit, für eine „begrenzte Sklaverei." Die Pflege der Muße war eine öffentliche Angelegenheit. Für die Muße des Volks hat die Architektur die großartigsten Werke er- richtet, die Theater, Stadien und Hippodrome, die parkartigen Gym- nasien und die Marmorhallen an den Märkten, wo die Bürger zwischen Statuen und historischen Wandgemälden in traulichem Ge- spräche auf und nieder wandelten. Auch die bildende Kunst konnte nichts Anmutenderes darstellen, als den Genuß der Muße, sei es in den Gestalten der Olympier, der „leicht lebenden," welche in seliger Ruhe neben einander lagern, oder in der Gemeinschaft der Bürger an ihren großen Jahresfesten. In Satyrgestalten stellte sie die niedrige Art der Muße dar, das gedanken- lose Hinträumen im Waldesschatten oder am plätschernden Brunnen, das äoles far niente des südlichen Naturmenschen, und die höhere

7. Deutsche Prosa - S. 96

1900 - Gera : Hofmann
96 Herman Grimm. Es war eine gewaltige Bewegung, als sich das Italien des 15. Jahrhunderts auf die Hinterlassenschaft der antiken Völker warf und Deutschland ihm in diesem Bestreben nachfolgte. Eine neue Kunst, eine neue Gelehrsamkeit, eine erneute Religion waren die Früchte dieser Anstrengung. Es schien, als sollte damals schon der Gewinnst für alle folgenden Zeiten gezogen und sichergestellt sein; aber noch einmal dennoch ging fast alles wieder verloren. Ein Zufall, könnte man sagen (wenn bei so ungeheuren Ereignissen dieses Wort erlaubt wäre), brachte gerade in den Zeiten, in denen die Dinge sich am schönsten zu entwickeln schienen, die Throne von mehr als halb Europa in eine einzige Hand zusammen. Ein wunderliches Glücksspiel war es, durch das bei so viel sich kreuzenden Heiraten und Todesfällen der einzige Karl der Fünfte zurückblieb, dem alle Einsätze zufielen. Und indem die Familie dieses Mannes, die keine nationale Dynastie sein konnte, weil zu verschiedenartige Nationen ihr gehorchen sollten, mit der größten Anstrengung zwei Jahrhunderte lang jede nationale Bestrebung in ihren Landen zu unterdrücken und das prote- stantische nördliche Deutschland zumeist in seiner freien Entfaltung niederzuhalten bestimmt war, brachte sie es endlich doch nur dahin, daß sie selbst samt ihren Völkern langsam zu Grunde ging, während Frankreich, der alte Feind der Habsburger, politisch und litterarisch allmächtigen Einfluß gewann. Erst nachdem auch dieser überwunden und abgethan war, trat Deutschland wieder ans. Sich zurückwendend zu den antiken Völkern und den Italienern der vergangenen Jahr- hunderte, hob es sich zu frischer Blüte empor. Soll diese neueste Arbeit, die bei uns geschah, mit dem Namen eines einzigen Mannes symbolisch umfassend bezeichnet werden, so sagen wir Goethe, und wollen wir den entscheidenden Moment seines Lebens nennen, in dem er für die große Mission gleichsam die letzte Weihe erhielt, so sagen wir Goethes Reise nach Italien. Auch die Blüte des französischen Geistes entstand aus der An- eignung der italienischen Kultur und aus dem Studium der antiken Muster. — Die bildenden Künste wurden in Frankreich nicht weiter gebracht, die Litteratur jedoch auf eine hohe Stufe erhoben. Und selbst dann noch blieb diesen Bestrebungen ihr eigentümliches Wachs- tum, als auch in Frankreich die bürgerliche Unabhängigkeit in Politik und Religion der ärgsten Unterdrückung anheim fiel. Der Aplomb und dennoch die Leichtigkeit, mit der die Franzosen die Dinge an- griffen, die elegante Deutlichkeit der Sprache, die für die feinsten Nüancen des Gedankens immer neue Wort- und Satzkombinationen bereit hatte, bewirkten im Reiche der Schriftstellerei eine Umwälzung, wie etwa die Einführung der Artillerie in der Kriegführung. Es er-

8. Deutsche Prosa - S. 112

1900 - Gera : Hofmann
112 Herman Grimm. Schillers und Goethes vereinigte Thätigkeit fällt in die Zeiten, in welchen Frankreich die geistige Übermacht einbüßte, in deren Besitz es bis dahin gewesen war. Doch ist der Übergang kein Plötzlicher; Goethe übersetzt noch Voltaires Tankred und Schiller die Phädra des Racine. Aber die Verhältnisse waren doch schon der Art. daß die französischen Werke gleichsam ins Deutsche erhoben wurden. Ein ge- waltiger Zug lenkte die Geister wieder Italien und dem Altertum zu. Goethe war die treibende Kraft dieser neuen Bewegung, die nicht ohne Widerstand blieb, dennoch aber siegreich durchdrang. Seit er nach Italien ging, seit er Winckelmann populär machte und die Werke Raphaels und Michelangelos auslegte, wurde Rom von neuem als die hohe Schule erkannt, in der ein männlicher Geist am schönsten seine Bildung vollendet. Und das gilt heute noch. Keine politische Veränderung kann dieser Stätte ihre allmächtig einwirkende Kraft rauben. Noch immer fühlen wir, daß man anders von dort zurückkommt als man gegangen ist. Italien hat Cornelius und Schinkel gebildet. Dort hat Platen ge- dichtet. Von Rom ging jene neue Blüte der deutschen Philologie aus, der wir heute so Ungemeines zu verdanken haben. Wilhelm von Humboldt befestigte dort seinen hohen Begriff von der Würde der Kunst und Gelehrsamkeit, die er später als preußischer Minister ver- wirklichte; Niebuhr und Bunsen aber machten das Kapitol zu der Pflanz- stütte gelehrter Bildung, indem sie als preußische Gesandte in edelster Weise den Pflichten genügten, die ihnen ihre Stellung in Rom Deutsch- land gegenüber auferlegte. — Goethe fühlte sich berufen, bis in seine letzten Tage der Ver- mittler zwischen Italien und Deutschland zu sein. Nicht nur die großen Italiener der vergangenen Jahrhunderte suchte er uns näher zu bringen, sondern für alles, was vom Süden kam, hatte er ein Herz gewonnen. Alfieri, den größten Dichter des modernen Italiens, lernte er nicht selbst persönlich kennen, aber er veranlaßte, daß von seinen Tragödien übersetzt und in Weimar aufgeführt ward. Für Manzonis Arbeiten wirkte er mit Eifer. Die italienische Sprache, die gleich der unsern und der griechischen, sich so schön und schmiegsam zum Ausdruck indivi- dueller Gedanken eignet, muß für jeden Deutschen, dem sie bekannt ist, ein harmonischer, freundlicher Klang sein. Möge das Gefühl der edelsten Verwandtschaft mit Italien, das Goethe hegte und pffegte, immer lebendiger bei uns werden, und das Bewußtsein klarer, wieviel Deutschland im höchsten Sinne der Nation zu danken hat, der jetzt, nach Jahrhunderten der Unterdrückung, die Möglichkeit freier geistiger Entwicklung zum ersten Male wieder geboten wird.

9. Deutsche Prosa - S. 136

1900 - Gera : Hofmann
136 Bernhard ten Brink. bewahrt. Er lebte in einem Städtchen, wo ländliche Arbeit sich mit Bürgererwerb paarte. Sein Vater war Ökonom und Kaufmann. Mannigfache Formen menschlicher Thätigkeit traten ihm schon in früher Jugend näher. Er gewöhnte sich daran, jede zu beobachten, bei jeder nach ihrem Zweck, nach ihren Werkzeugen, ihrer Methode zu fragen. Und diese Gewohnheit behielt er im späteren Leben bei. Daher kommt es, wenn er für jedes Ding aus jedem Gebiet den technischen Namen kennt, wenn er auch bei komplizierteren Verrichtungen irgend eines Handwerks jeden Vorgang genau darzustellen weiß. Daher die Über- lieferungen oder Hypothesen, wonach Shakspere bald ein Metzger, bald ein Wollhändler, dann wieder ein Schriftsetzer, oder auch ein Arzt oder auch Soldat gewesen sein soll. Die in solcher Weise geübte Beobachtnngs- und Kombinations- gabe wandte Shakspere ohne Frage frühzeitig auf sein eigent- lichstes Gebiet, auf das Studium des Menschen an. Die kleine Welt, die ihn umgab, und die Welt in seiner eigenen Brust boten ihm für dieses Studium ein vollkommen ausreichendes Material, und wie seine Bedürfnisse wuchsen, dehnte sich auch der Kreis seiner Er- fahrungen aus. Bekannt ist der Goethe'sche Spruch: „Einen Blick ins Buch hinein und zwei ins Leben, das muß die rechte Form dem Geiste geben." Wenn irgend ein hervorragender Dichter oder Denker aus neuerer Zeit, so ist Shakspere nach diesem Rezept gebildet. Wir haben anzudeuten versucht, wie er in Stratford jene Blicke ins Leben gethan haben mag. Was es mit dem Blick ins Buch bei ihm für eine Bewandtnis hatte, werden wir im Laufe unserer Betrachtungen zu erfahren Gelegenheit finden. Das geistige Besitztum eines Volkes, eines Zeitalters beschränkt sich aber nicht auf das, was in seiner Litteratur niedergelegt ist. Es giebt und gab besonders dazumal noch einen Schatz von Überlieferungen, die in Volksgebrüuchen und Sitten, in Lied und Sage sich fortpflanzten und bei einheitlichem Grundcharakter in den verschiedenen Landschaften vielfach eine verschiedene Färbung trugen. Auch diese gehören wesent- lich und zwar in hervorragender Weise zu der geistigen Atmosphäre, die den Menschen umgiebt. Im sechzehnten Jahrhundert verdiente England noch in vollem Maße den Namen des merry England. Puritanische Sittenstrenge hatte die lustigen, bunten Volksfeste noch nicht verpönt, die heitern Volksgesänge noch nicht verstummen lassen. Alte Sitten und Gebräuche wurden besonders auf dem Lande überall heilig gehalten: zu regel- mäßig wiederkehrenden Zeiten des Jahres wurden Umzüge, Spiele, Tänze veranstaltet, die oft in graue Vorzeit hinaufgingen, manchmal

10. Deutsche Prosa - S. 41

1900 - Gera : Hofmann
Zum Gedächtnis Friedrichs des Großen. 41 Angreifenden, aber der Krieg sei um des Friedens willen da, die kriegerische Unruhe nur um der friedlichen Muße willen, und der Frieden und die Muße für die Bildung." Friedrich hat die Verbesserungen und Gestaltungen während der Friedensjahre in dem Anfang seiner Geschichte des siebenjährigen Krieges bezeichnet. Der König richtet seinen Blick nach allen Seiten des Staats, uni zu sehen, wo etwas fehle, und schafft Rat und Mittel zur Abhilfe; er erspäht die verborgenen Bedingungen für neue fruchtbare Thätigkeiten und bereitet den Boden für neue Gründungen. Friedrich wußte, daß der Erwerb einer Provinz nicht der Friedensschluß oder die Urkunde der Verleihung sei, sondern die Förderung ihres eigentümlichen Lebens, ihres innern Gedeihens und in diesem Sinn erwarb er und fesselte er Schlesien und Ostfriesland, wie später Westpreußen, durch heilsame Einrichtungen und eine gerechtere Verteilung der Abgaben. Wir sehen ihn in den bezeichneten Jahren überall thätig und wir sehen im Frieden wie im Kriege seinen erhabenen und scharfen, seinen alles überschauenden und in alles eindringenden Blick. Hier tilgte er in jener Zeit ein- gewurzelte Mißbräuche der Verwaltung und verstand es, einen wach- samen und unbestechlichen, einen pflichttreuen und verschwiegenen Be- amtenstand zu erzeugen; dort schuf er ein einsichtiges Landrecht und unparteiische Rechtspflege. Hier baute er oder verstärkte er Festungen, wie in Schlesien, und sorgte für Zucht und Übung des Heeres oder gründete ein Haus für die „verwundeten, aber unüberwundenen Krieger;" dort nahm er fördernd an Wissenschaft und Kunst teil. Hier ermunterte er die Gewerbe, z. B. die Zuckersiederei in Berlin, die Manufakturen in Potsdam und Brandenburg, in Frankfurt a. O. und Magdeburg; dort legte er Eisenwerke an. insbesondere für die Zwecke des Geschützes, oder verbesserte Salinen. In dieser Zeit versuchte er den Seidenbau und pflanzte Maulbeerbäume, in späterer Zeit setzte er den Anbau der Kartoffel durch. Hier öffnete er dem Handel neue Wege, wie in Emden, oder erleichterte ihn, wie er z. B. den Stettiner Handel von dem schwedischen Zoll bei Wolgast durch das neue Fahrwasser und den neuen Hafen von Swinemünde befreite: dort entwässerte er Niederungen und bebaute sie mit fleißigen Dörfern, wie in dem Oderbruch. Es ist für seine Weise zu denken bezeichnend, wenn er da, wo er des glücklichen Anbaues dieser weiten, früher sumpfigen Strecken durch zwölfhundert Familien erwähnt, die Worte hinzufügt: „das bildete eine neue kleine Provinz, welche thätiger Fleiß der Unwissenheit und Trägheit ab- gewonnen hatte." Aber vor allen Dingen baute der König das Land mit dem Gesetz. „Die Gesetze sollen reden, aber der Monarch schweigen," sagt er in seinem politischen Testamente, und im Gegensatz gegen die Justiz unter
   bis 10 von 244 weiter»  »»
244 Seiten  
CSV-Datei Exportieren: von 244 Ergebnissen - Start bei:
Normalisierte Texte aller aktuellen Treffer
Auswahl:
Filter:

TM Hauptwörter (50)50

# Name Treffer  
0 1
1 24
2 0
3 36
4 48
5 31
6 1
7 33
8 5
9 10
10 25
11 0
12 0
13 12
14 0
15 7
16 2
17 0
18 7
19 7
20 0
21 1
22 7
23 0
24 59
25 0
26 3
27 1
28 1
29 15
30 2
31 2
32 1
33 7
34 1
35 1
36 2
37 51
38 19
39 26
40 1
41 8
42 1
43 1
44 9
45 119
46 0
47 3
48 1
49 19

TM Hauptwörter (100)100

# Name Treffer  
0 9
1 15
2 1
3 18
4 72
5 3
6 1
7 0
8 0
9 9
10 8
11 8
12 15
13 22
14 4
15 5
16 19
17 43
18 3
19 5
20 2
21 26
22 1
23 1
24 1
25 43
26 1
27 0
28 52
29 2
30 6
31 0
32 5
33 0
34 2
35 31
36 11
37 0
38 15
39 7
40 6
41 17
42 7
43 43
44 3
45 27
46 22
47 0
48 27
49 4
50 7
51 0
52 16
53 0
54 11
55 0
56 1
57 2
58 1
59 4
60 4
61 24
62 9
63 0
64 7
65 1
66 8
67 0
68 2
69 4
70 13
71 26
72 12
73 1
74 1
75 6
76 41
77 56
78 1
79 5
80 16
81 0
82 8
83 2
84 1
85 0
86 1
87 17
88 0
89 1
90 0
91 13
92 139
93 11
94 21
95 7
96 2
97 2
98 7
99 1

TM Hauptwörter (200)200

# Name Treffer  
0 845
1 290
2 926
3 765
4 86
5 189
6 1274
7 147
8 171
9 29
10 105
11 115
12 2464
13 1866
14 69
15 45
16 30
17 207
18 99
19 240
20 18
21 41
22 62
23 33
24 620
25 665
26 260
27 31
28 1473
29 762
30 72
31 77
32 505
33 3836
34 1047
35 215
36 129
37 34
38 73
39 518
40 32
41 1708
42 3250
43 1917
44 40
45 46
46 712
47 207
48 92
49 127
50 3919
51 9976
52 888
53 20
54 467
55 20
56 90
57 54
58 143
59 3709
60 103
61 432
62 121
63 67
64 143
65 857
66 33
67 87
68 52
69 98
70 33
71 207
72 271
73 21
74 402
75 481
76 77
77 40
78 154
79 16
80 88
81 14028
82 620
83 152
84 992
85 45
86 53
87 19
88 13
89 765
90 76
91 403
92 650
93 23
94 52
95 247
96 60
97 238
98 23
99 96
100 5347
101 79
102 4897
103 28
104 37
105 130
106 263
107 194
108 33
109 100
110 631
111 2459
112 1059
113 112
114 785
115 207
116 1737
117 55
118 22
119 226
120 329
121 1057
122 195
123 1586
124 986
125 2230
126 127
127 775
128 17
129 866
130 48
131 2337
132 37
133 306
134 22
135 88
136 5202
137 274
138 29
139 67
140 143
141 59
142 726
143 835
144 31
145 155
146 49
147 94
148 79
149 23
150 15
151 452
152 2744
153 28
154 582
155 280
156 377
157 255
158 20
159 72
160 77
161 194
162 26
163 71
164 225
165 129
166 645
167 294
168 877
169 691
170 79
171 75
172 1700
173 2226
174 18
175 3630
176 38
177 814
178 13
179 1296
180 52
181 56
182 414
183 4031
184 37
185 194
186 11
187 99
188 164
189 35
190 292
191 13
192 56
193 71
194 70
195 518
196 4877
197 21
198 50
199 355