Die Entwickelung de; Prolestantirmus.
109
um die Hofdame Anna Boleyn zu heiraten. Als diesem Wunsche der Papst seine Genehmigung versagte, verbot Heinrich der englischen Geistlichkeit, ferner mit ihm in Verkehr zu treten und ihm Gehorsam zu leisten, und machte sich selbst zum Oberhaupte der englischen Kirche, ohne indessen in Lehre und Kirchenverfassung weitere Änderungen zu treffen. Erst unter seinen Nachfolgern wurde auch in England die Reformation durchgeführt; die Königin Elisabeth, die Tochter Heinrichs Viii. und der Anna Boleyn, wurde ein Hort des Protestantismus.
Von großer Bedeutung wurde es ferner, daß in der Schweiz eine®Cn“te neuer Mittelpunkt der Reformation entstand. Johann Calvin, der aus dem nördlichen Frankreich stammte, setzte das Werk Zwinglis fort.
In Genf gelangte er seit 1541 zu maßgebendem Einfluß, ordnete die kirchlichen Verhältnisse und führte in dieser wohlhabenden und genußsüchtigen Stadt eine äußerst strenge Kirchenzucht ein. Er war ein Mann von großer Schroffheit, ja Härte, rücksichtslos gegen anders Denkende; aber in seiner Schule erwuchsen glaubensstarke Männer, denen ihre religiöse Überzeugung das Höchste war, die, streng gegen sich wie gegen andere, ihr ganzes Leben nach den Vorschriften ihres Glaubens zu formen suchten, Männer, die kampfesfteudig und zuversichtlich auch in den Tod gingen. In Deutschland wurde die K u r p f a l z das wichtigste Land, das sich zum Calvinismus be- Ausbreitung kannte, und der Heidelberger Katechismus die Bekenntnisschrift der deutschen Calvinismus Calvinisten oder, wie sie sich auch nannten, „Reformierten". Aber auch
nach Frankreich, nach den Niederlanden, nach Schottland und
England wurde die reformierte Lehre getragen.
§ 116. Die Wiedertäufer in Münster. Während das Luthertum in Nord- und Süddeutschland Fortschritte machte, gewannen an einer Stelle auch die Schwarmgeister und Wiedertäufer eine verhängnisvolle Gewalt. Die Stadt Münster in Westfalen hatte den evangelischen Glauben angenommen ; dann waren aber aus den benachbarten Niederlanden schwärmerische Anhänger jener Sekte eingewandert, hatten die Mehrheit im Rat gewonnen und ihre Macht dazu benutzt, um alle, die sich nicht zum zweiten Male taufen laffen wollten, aus den Toren zu treiben. An ihrer Spitze standen Jan Matthys, ein Bäcker aus Haarlem, und Jan Bockelson, ein früherer ver M-de» Schneider aus Leyden. Als der erstere im Kampfe gegen die Truppen des tiiuferftoat‘ Bischofs von Münster, der, von anderen Fürsten unterstützt, die Stadt belagerte, gefallen war, machte sich Jan Bockelson zum König des „neuen Jerusalem". Der Gewaltherrscher führte ein grausames Regiment und lebte in Pracht und Verschwendung., während die Lebensrnittel'in der Stadt
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114.
Geistiges Leben in Deutschland.
31
Zweiter Abschnitt. Die Zeit der nationalen Staaten-bildung, 18151871.
114. Geistiges Leben in Deutschland.
1. Die Literatur. Trotz der Verarmung und staatlichen Zersplitte-rung Deutschlands erlahmte das geistige Leben nicht. Die Werke der groen Dichter, die in der zweiten Hlfte des 18. Jahrhunderts aufgetreten waren, spornten fortgesetzt die jngeren Krfte zur Nacheiferung an. Der frucht-bare, formenreiche Rckert, der Romantiker Eichendorff, der Emigrant Chamifso, Platen, der Gegner der Romantiker, Uhland, der Snger deutscher Treue, der Dramatiker Grillparzer und der tiefempfindende Lyriker Lenan waren die bedeutendsten der vielen Talente, deren mannig-faltige Schpfungen Altmeister Goethe in Weimar (f 1832) mit dauerndem Interesse verfolgte.
2. Kirche und Schule. Die Not der Zeit, die das Nationalgefhl weckte, lie auch das kirchliche Interesse wieder erstarken. Die beiden Konfessionen der evangelischen Kirche wurden nach einem Aufruf des frommen Knigs Friedrich Wilhelm Iii. zur dreihundertjhrigen Jubel- 1817. seier der Reformation in Preußen und bald auch in anderen deutschen Lndern durch die Union zu einer Kirchengemeinschaft vereinigt. Freilich
rief dies manchen Widerspruch von lutherischer Seite hervor und fhrte zur Grndung altlutherischer" Gemeinden. Die katholische Kirche regelte ihre Verhltnisse durch Vertrge mit den einzelnen Regierungen.
In demselben Jahre setzte der König das Ministerium des Kultus (der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten) ein. Die Schulen wurden bedeutend vermehrt, und bald hatte jedes Dorf im Staate seine Schule. In den einzelnen Provinzen wurden fr die Leitung des hheren Schulwesens die Provinzial-Schulkollegien geschaffen, während die Aufsicht der die niederen Schulen den Kniglichen Re-gierungen" bertragen wurde. Schon damals gelangte das preuische Schulwesen auf eine solche Hhe, da es die Bewunderung des Aus-landes erregte. *)
Aus kirchlich-religisem Leben gingen bedeutsame Werke der Nchstenliebe hervor. Amalie Sieveking in Hamburg rief in den dreiiger Jahren einen weiblichen Verein fr Armen - und Krankenpflege ins Leben, der das Muster vieler derartiger Vereine in Deutschland und im Auslande wurde. Um dieselbe Zeit stiftete Wichern in dem Rauhen Hause (d. i. Ruges Haus) bei Hamburg eine
*) In Frankreich nannte man Preußen das Land der Kasernen und der Schulen.
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Extrahierte Personennamen: Eichendorff Chamifso Grillparzer Lenan Goethe Friedrich_Wilhelm Friedrich Wilhelm Amalie_Sieveking
Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Deutschland Deutschlands Uhland Weimar Hamburg Deutschland Hamburg Frankreich
36
9. Der Sturz Tassilos.
ihm gegen Karl keine Hilfe geschickt. Sicher beglaubigt aber sind die Reibereien zwischen dem herzoglichen Hose und den fränkisch gesinnten Mitgliedern des höheren Klerus, namentlich dem Bischof Arbeo von Freising.
Sein Nachfolger aus dem bischöflichen Stuhl von Freising hat später nach der Katastrophe von 788 den Schleier etwas gelüstet: „Tassilo und seine Gemahlin Liutbirga hätten der Freisinger Kirche viele Gotteshäuser entzogen aus Unwillen über den Bischos Arbeo, den sie beschuldigten, daß er dem König Karl und den Franken treuer sei als ihnen." Der Grund lag tiefer. Als Ausfluß des germanischen Begriffes vom Eigentum an Grund und Boden hatte sich in Bayern das Eigenkirchensystem, das Eigentum des Grundherrn an den von ihm gegründeten Kirchen, herausgebildet und im Zusammenhang damit das Recht den Vorstand der Kirche zu bestellen. Bischof Arbeo von Freising suchte dieses Eigenkirchensystem zu zerstören und der alten kirchenrechtlichen Anschauung, daß die Bischöfe Eigentümer des gesamten Kirchenvermögens ihrer Diözese seien, Geltung zu verschaffen. Der Bischof zwang die Eigenkirchenpriester die Kirchen an die Kathedralkirche zu übertragen. Auch die Grundherren selbst wurden veranlaßt ihre Eigenkirchen an die Kathedralkirche zu schenken. In vielen Fällen wurde das Ziel erreicht. Schwieriger war der Kamps gegen die Klöster. Die Bischöfe forderten Übergabe auch der klösterlichen Eigenkirchen in das bischöfliche Eigentum. Sie forderten von den Mönchen namentlich Herausgabe der öffentlichen Kirchen und Eiustelluug [ihrer Seelsorgetätigkeit. Die Bischöse suchten und fanden in dem Streite eine Stütze im Frankenreich, die Klöster suchten und fanden einen Rückhalt an der heimischen Dynastie. Darüber kam es bei der politischen Spannung zu einem schweren Konflikt. Die bischöfliche Partei beschuldigte den Herzog, namentlich aber die Herzogin Liutbirga der Feindseligkeit gegen die Bischöfe, der Begünstigung der Klöster. Das herzogliche Haus beschuldigte deu Bischof von Freising fränkischer Gesinnung.
Es kam ebenso zu Reibereien zwischen dem Herzog und den ins fränkische Interesse gezogenen, dem Herzog zu Aufseheru gegebenen königlichen Vasallen in Bayern. Das ist nicht bloß zu schließen aus der warmen Fürsorge, mit der Karl deren Interesse gegen das Herzogtum im Jahre 781 vertrat, sondern auch aus den späteren Ereignissen des Jahres 788. Vermutlich strebten diese Vasallen eine Stellung außer oder über der bayerischen Stammesverfassung an und wurden in diesem Bestreben von den Franken ermuntert, die sichtlich ihre Aufgabe nicht in einer Versöhnung, sondern in einer Verschärfung der Gegensätze erblickten.
Zugleich scheint die Forderung unbedingter Heeresfolge auf den Widerstand des Herzogs gestoßen zu sein, dessen Interessen wie früher so auch damals auf dem avarisch-slavischen Kriegsschauplätze im Südosten lagen. Unter diesen Verhältnissen ist es begreiflich, daß sich Tassilo zu Äußerungen hinreißen ließ: selbst wenn er zehn Söhne hätte, würde er sie lieber opfern
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Extrahierte Personennamen: Tassilos Karl Karl Karl Karl Arbeo_von_Freising Karl Karl Tassilo Tassilo
Die Wiedererhebung des Katholizismus und die Weltpolitik Philipps Ii.
115
2. Die Zeit der Gegenreformation.
Die Wiedererhevung des Katholizismus und die Weltpolitik Philipps Ii. von Spanien.
123. Die Gegenreformation. Das Zeitalter, welches auf den Augsburger Religionsftieden folgt, heit das Zeitalter der Gegen-reformation. Damals machte die wiedererstarkte, mit neuem Leben erfllte katholische Kirche den vielfach erfolgreichen Versuch, den Protestantis-mus zurckzudrngen und die Abgefallenen dem alten Glauben wieder zuzu-fhren. Das Konzil von Trient war, nachdem es zuerst durch denkonzil von Papst verlegt, sodann durch Moritz von Sachsen auseinander getrieben worden, von neuem zusammengetreten und wurde im Jahre 1563 geschlossen.
Dieses Konzil hatte die groe Bedeutung, die katholische Lehre zu einem inner-lich geschlossenen System zusammenzufassen; mancherlei Mibruche wurden abgestellt. Den Kampf gegen den Protestantismus fhrte man teils auf gewalt-samem Wege, indem man in den katholischen Lndern, in Spanien, Portugal,
Italien, die Ketzer durch die Inquisition versolgte und dem Feuer-Inquisition, tode berlieferte, teils durch die Mittel der Predigt, des Unterrichts, der berredung, durch die man die Gemter zu gewinnen suchte.
Von grter Bedeutung fr die Bestrebungen der Gegenreformation wurde die Grndung des Jesuitenordens. Diesen stiftete der Spanier Jesuiten-Jgnaz von Loyola, der frher spanischer Offizier gewesen, als solcher r6cn' verwundet worden war und auf dem Krankenlager den Entschlu gesat hatte,
sich ganz dem Dienste der Religion zu weihen. Der Orden Jesu verpflichtete seine Mitglieder auer den blichen Mnchsgelbden zum unbedingten Ge-horsam gegen den Papst; sein Zweck war die Mission unter den Heiden sowie die Bekehrung der Protestanten. Das letztere suchten die Jesuiten zu erreichen, indem sie Schulen und Universitten grndeten, indem sie als Beichtvter aus die Fürsten und ihre Hfe, als Prediger auf die hheren Stnde Einflu gewannen. Sie breiteten sich schnell auch in Deutschland aus; ihnen besonders hat es der Katholizismus zu danken, da er der Aus-breitung des Protestantismus einen Riegel vorschieben und wieder Boden gewinnen konnte.
124- Philipp n. von Spanien und der Abfall der Niederlande, mm n
Fr den Kampf der beiden Bekenntnisse wurde es besonders bedeutsam, da aus dem Throne Spaniens ein Fürst sa, der mit den groen Machtmitteln
8*
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Die Entwickelung des Protestantismus.
109
um die Hofdame Anna Boleyn zu heiraten. Als diesem Wunsche der Papst seine Genehmigung versagte, verbot Heinrich der englischen Geistlichkeit,
ferner mit ihm in Verkehr zu treten und ihm Gehorsam zu leisten, und machte sich selbst zum Oberhaupte der englischen Kirche, ohne indessen in Lehre und Kirchenverfassung weitere nderungen zu treffen. Erst unter seinen Nach-folgern wurde auch in England die Reformation durchgefhrt; die Knigin Elisabeth, die Tochter Heinrichs Viii. und der Anna Boleyn, wurde ein Hort des Protestantismus.
Von groer Bedeutung wurde es ferner, da in der Schweiz ein G"f';in neuer Mittelpunkt der Reformation entstand. Johann Calvin,
der aus dem nrdlichen Frankreich stammte, setzte das Werk Zwinglis fort. In Genf gelangte er feit 1541 zu magebendem Einflu, ordnete die kirchlichen Verhltnisse und fhrte in dieser wohlhabenden und genuschtigen Stadt eine uerst strenge Kirchenzucht ein. Er war ein Mann von groer Schroffheit, ja Hrte, rcksichtslos gegen anders Denkende; aber in seiner Schule erwuchsen glaubensstarke Männer, denen ihre religise berzeugung das Hchste war, die, streng gegen sich wie gegen andere, ihr ganzes Leben nach den Vorschriften ihres Glaubens zu formen suchten, Männer, die kampfesfreudig und zuversichtlich auch in den Tod gingen. In Deutschland wurde die Kurpfalz das wichtigste Land, das sich zum Calvinismus be-Ausbreitung kannte, und der Heidelberger Katechismus die Bekenntnisschrift der deutschen Calvinismus. Calvinisten oder, wie sie sich auch nannten, Reformierten". Aber auch nach Frankreich, nach den Niederlanden, nach Schottland und England wurde die reformierte Lehre getragen.
116. Die Wiedertufer in Mnster. Whrend das Luthertum in Nord- und Sddeutschland Fortschritte machte, gewannen an einer Stelle auch die Schwarmgeister und Wiedertufer eine verhngnisvolle Gewalt. Die Stadt Mnster in Westfalen hatte den evangelischen Glauben ange-nommen; dann waren aber aus den benachbarten Niederlanden schwrmerische Anhnger jener Sekte eingewandert, hatten die Mehrheit im Rat gewonnen und ihre Macht dazu benutzt, um alle, die sich nicht zum zweiten Male taufen lassen wollten, aus den Toren zu treiben. An ihrer Spitze standen Jan Matthys, ein Bcker aus Haarlem, und Jan Bockelson, ein frherer Der Wieder-Schneider aus Leyden. Als der erstere im Kampfe gegen die Truppen des tnufeiftaat Bischofs von Mnster, der, von anderen Fürsten untersttzt, die Stadt be-lagerte, gefallen war, machte sich Jan Bockelson zum König des neuen Jerusalem". Der Gewaltherrscher fhrte ein grausames Regiment und lebte in Pracht und Verschwendung., während die Lebensmittel 'in der Stadt
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Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
Regionen (OPAC): Preußen
Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
Kirchliche und politische Aufregung. 455
zu verwirren und zu trüben. Friedrich Wilhelm's ernstes Bestreben, die christliche Religion als wesentlichste Grundlage der allgemeinen Volksbildung neu zu befestigen, sowie seine Absicht, in der evangelischen Kirche selbst auf dem Grunde eines tieferen, lebendigen Glaubens eine kräftige Entwickelung anzubahnen, gaben zu falschen Deutungen und unbegründeten Befürchtungen Anlaß, als sei es dabei auf eine Beschränkung der Glaubensfreiheit abgesehen. Im Widersprüche gegen die strenggläubige Richtung des Kirchenregimentes traten in mehreren Provinzen sogenannte„Lichtfreunde" auf, welche vorgaben, das Christenthum nach den Forderungen des Zeitgeistes zu vereinfachen, und zu diesem Zwecke „freie Gemeinden" gründeten.
Gleichzeitig gingen auf dem Gebiete der katholischen Kirche ähnliche Bewegungen vor. Ein entlassener katholischer Kaplan, Johannes Ron ge in Schlesien, machte den Versuch, eine sogenannte deutsch-katholische oder christ-katholische Nationalkirche zu gründen, welche freilich von den eigentlichen christlichen Glaubenslehren wenig beibehielt. Obwohl sich der neue „Reformator" sehr bald als ein unbedeutender hohler Mensch erwies, so fand seine Sache doch eine Zeit lang vielfachen Anklang. Die sich bildenden christ-katholischen Gemeinden aber wurden ebenso wie die erwähnten „freien Gemeinden" der Lichtfreunde vorzüglich als Mittelpunkte einer gefährlichen Aufregung in den unteren Volksklassen benutzt und halsen die herannahenden Stürme in Deutschland vorbereiten.
So wurde von mehreren Seiten zugleich der Same der Unzufriedenheit und öffentlichen Zwiespaltes ausgesäet. Die meisten Führer der sogenannten liberalen Partei waren weit davon entfernt, eine wirkliche Revolution in Preußen herbeizuwünschen, aber sie beachteten nicht, wie die von ihnen beförderte Erregung des Volkes es verwegenen Geistern möglich machte, im Stillen schlimmere revolutionäre Zwecke zu verfolgen.
54. Negierung Friedrich Wilhelm's Iv. seit dem März-aufstande 1848.
Preußen und die Revolution. Als im Februar 1848 die überraschende Kunde aus Frankreich erscholl, daß Ludwig Philipp vom Throne gestoßen und durch einen kühnen Handstreich die Republik eingeführt sei, als hierauf in Italien, in der Schweiz und in einem Theile von Deutschland die revolutionäre Partei sich mächtig erhob, da begannen auch in Preußen alle Hoffnungen und Bestrebungen der liberalen Partei sich neu zu beleben und im ganzen Lande entstand ein mächtig erregtes politisches Treiben. Niemand aber wollte glauben, daß es auch bei uns zu einem wirklichen Aufstande kommen könne, weil Alles, was andere Völker durch die blutigen Waffen der Revolutionen zu erkämpfen suchten, in Preußen auf dem segensreicheren Wege friedlicher Reform theils schon erreicht, theils hoffnungsvoll angebahnt war. Seit Jahrhunderten durfte Preußen stolz sein auf eine fast ununterbrochene Reihe von Fürsten, welche des Landes Ehre, Größe und Wohlstand als den höchsten Leitstern ihres Strebend angesehen, seit Jahrhunderten war kein Staat in so unaufhörlicher Entwickelung vorgeschritten, nicht nur durch die Erweiterung seiner Grenzen, sondern vor Allem durch das Wachsthum der
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Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
Regionen (OPAC): Preußen
Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
Der geistliche Kampf (der sogenannte Culturkamps). 719
Beziehungen und das bisher von der Staatsregierung gezeigte wohlwollende Entgegenkommen für die Bedürfnisse und Wünsche der Kirche beruhen auf dem bestehenden Organismus der Kirche und auf der anerkannten Stellung der Bischöfe in demselben. Werden diese alterirt, so werden auch die Pflichten der Regierung andere, nicht nur in moralischer, sondern auch in juristischer Hinsicht, und letztere muß sich fragen, ob die veränderte Stellung der Bischöfe, welche ihr gegenüber die nächsten Vertreter und Organe der Kirche sind, nicht eine veränderte Behandlung in legislatorischer und administrativer Hinsicht erforderlich mache.
Im Concil trat alsbald das größte Widerstreben der deutschen Bischöfe gegen die „neue Lehre" hervor. Sie erklärten mit den österreichischen Bischöfen: „Da wir unter den bedeutendsten katholischen Nationen das bischöfliche Amt verwalten, so kennen wir ihre Verhältnisse ans täglicher Erfahrung; für uns aber steht fest, daß die Definition, welche verlangt wird, den Feinden der Religion eine Waffe geben würde, um gegen die katholische Sache auch bei anerkannt besseren Männern Groll zu erregen, und wir sind gewiß, daß diese Sache in Europa, wenigstens den Regierungen unserer Sprengel, den Grund oder doch den Vorwand bieten würde, die noch übrig gebliebenen Rechte der Kirche anzugreifen."
Aber bei der definitiven Abstimmung enthielten oder entfernten sie sich und so wurde am 13. Juli (1870) die päpstliche Unfehlbarkeit in der vorgeschlagenen Weise vom Concil beschlossen und ant 18. Juli verkündet.
Alsbald unterwarfen sich auch die deutschen Bischöfe dem Spruche des Concils. Wiederum versammelten sie sich in Fulda „ant Grabe des heiligen Bonifacius" und verkündeten: „das unfehlbare Lehramt der Kirche habe entschieden und daher müssen alle, die Bischöfe, Priester und Gläubigen, diese Entscheidungen als göttlich geoffenbarte Wahrheiten mit festem Glauben annehmen und sie mit freudigem Herzen erfassen und bekennen, wenn sie wirklich Glieder der einen heiligen katholischen und apostolischen Kirche sein und bleiben wollen. Behaupten, daß die eine oder die andere vorn allgemeinen Concil entschiedene Lehre in der heiligen Schrift und in der katholischen Ueberlieferung, den beiden Quellen des katholischen Glaubens, nicht enthalten sei, oder mit demselben sogar im Widerspruch stehe, ist ein mit den Grundsätzen der katholischen Kirche unvereinbares Beginnen, welches zur Trennung von der Gemeinschaft der Kirche führt."
Es schien nun eine Spaltung in der katholischen Kirche selbst einzutreten, indem ein Theil ihrer Anhänger jene Lehre nicht annahm, sich vielmehr als „Altkatholiken" zu einer besonderen kirchlichen Gemeinschaft vereinigte.
Für die preußische Regierung erwuchs hieraus die doppelte Ausgabe, die Altkatholiken in ihrem Glauben und in ihren daraus begründeten Ansprüchen zu schützen und die Rechte des Staats gegenüber der Kurie zu wahren.
Und doch wurde von Seiten der römischen Katholiken in Deutschland der Versuch gemacht, die neu entstandene Macht des deutschen Kaiserthums als Stütze der römischen Kirche zu benutzen: der neue Kaiser von Deutschland wurde noch in Versailles durch eine katholische Adresse aus-
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Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
Regionen (OPAC): Preußen
Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
720 Der geistliche Kampf (der sogenannte Culturkampf).
gefordert, sich für die Wiederherstellung der weltlichen Macht des Papstes zu verwenden, nachdem diesem das Königreich Italien bald nach dem Concil die Herrschaft über den Kirchenstaat entrissen hatte. Das deutsche Reich lehnte jedoch jede derartige Einmischung ab und verfiel um so mehr der Feindschaft der sich neu bildenden katholischen Partei.
Das Zeichen, daß die preußische Regierung den Kampf gegen kirchliche Uebergrisse für unvermeidlich hielt, aber auch zur Abwehr derselben entschlossen war, gab die Auflösung der besonderen katholischen Abtheilung im Cultus-Ministerium, indem für die Beziehungen des Staats zur katholischen Kirche nur noch staatsrechtliche Gesichtspunkte maßgebend sein sollren. Der Standpunkt der Regierung wurde dahin bezeichnet, daß sie keinem
Bischöfe, keinem Geistlichen oder Lehrer an ihrem Theile ein Hinderniß
bereite, die Lehren des Concils zu verkündigen. Nur das hat sie abgelehnt, katholische Lehrer, welche sich in ihrem Gewissen gehindert finden,
den Beschlüssen des Concils Geltung zuzuerkennen, durch Mitwirkung des weltlichen Arms znr Verkündigung von Lehren zu nöthigen, durch welche, nach der Ueberzeugung der Regierung selbst, nicht blos eine weltliche Aenderung des Glaubensstandes, sondern zugleich eine tief greifende Veränderung in der Gesammtstellnng der katholischen Kirche zum Staate eingetreten ist. „Es handelt sich für die Regierung nicht um die Anerkennung oder Nichtanerkennung eines Glaubenssatzes als solchen, — sondern darum, ob sie im Bereiche ihrer gesetzlichen Mitwirkung eine Lehre unterstützen soll und dars, welche sie für das Verhältniß zwischen Staat und Kirche verderblich erachtet."
Der Kaiser selbst sagte damals den Bischöfen: „Wenn innerhalb der katholischen Kirche Vorgänge stattgefunden haben, in Folge deren die bisher in Preußen so befriedigenden Beziehungen derselben zum Staate thatsächlich mit einer Störung bedroht erscheinen, so liegt es Mir fern, Mich zu einem auf Würdigung dogmatischer Fragen eingehenden Urtheile über diese Erscheinung berufen zu finden; es wird vielmehr die Aufgabe Meiner Regierung fein, im Wege der Gesetzgebung dahin zu wirken, daß die neuerlich vorgekommenen Conflicte zwischen weltlichen und geistlichen Behörden, so weti sie nicht verhütet werden können, ihre gesetzliche Lösung finden."
Die Nothwendigkeit, der katholischen Kirche gegenüber jetzt einen rein staatsrechtlichen Standpunkt einzunehmen, war auch der Grund für die Berufung des Dr. Falk, welcher als tüchtiger Jurist galt, zum Cultus-Minister (Anfang 1872).
Er erklärte es besonders für feine Aufgabe, durch eine umfassende Gesetzgebung auf dem kirchlichen Gebiete, die Stellung des Staates mit Bürgschaften gegen den Mißbrauch der geistlichen Gewalt zu umgeben. „Wo Rechte des Staats in Frage sind und Rechte, die der Staat schützen muß gegen Jeden und auch gegen die Kirchen-Gemeinschaften, da werden sie mich allerdings als Juristen sehen, ich werde alle unberechtigten Ansprüche vollständig zurückweisen."
Zuerst wurde versucht, auf dem Gebiete des Schulwesens durch das ^chulaufsichts-Gefetz die Autorität des Staates zu wahren, besonders gegenüber polnischen Geistlichen, in Posen u. s. w., welche sich mit na-
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Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
Regionen (OPAC): Preußen
Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
Der geistliche Kampf (der sogenannte Cnltnrkampf). 721
tional-polnischen Bestrebungen verbanden, um die Entwickelung des Unterrichts in der deutschen Sprache zu hemmen.
In Folge des energischen Vorgehens der preußischen Regierung wurde der Papst sehr erbittert, und als der Cardinal Fürst Hohenlohe, welcher als Freund der Deutschen bekannt war, zum Botschafter des deutschen Reichs in Rom ernannt werden sollte, lehnte es der Papst in verletzender Weise kurz ab.
Damals sprach Fürst Bismarck das berühmte Wort: „Seien Sie außer Sorgen, nach Kanossa gehn wir nicht." Er fügte htmu: „Die Regierungen des deutschen Reiches suchen emsig, suchen mit der ganzen Sorgfalt, die sie ihren katholischen wie ihren evangelischen Unterthanen schulden, nach den Mitteln, um in einer möglichst friedlichen, in einer die konfessionellen Verhältnisse des Reiches möglichst wenig erschütternden Weise aus diesem jetzigen Zustand in einen annehmlicheren zu gelangen. Denn die Regierung schuldet unseren katholischen Mitbürgern, daß sie nicht müde werde, die Wege aufzusuchen, auf denen die Regelung der Grenze zwischen der geistlichen und der weltlichen Gewalt, der wir im Interesse unseres inneren Friedens absolut bedürfen, in der schonendsten und konfessionell am wenigsten verstimmenden Weise gesunden werden könne. Die Souveräuetät kann nur eine einheitliche sein und muß es bleiben: die Souveräuetät der Gesetzgebung! und wer die Gesetze seines Landes als für ihn nicht verbindlich darstellt, stellt sich außerhalb der Gesetze und sagt sich los von dem Gesetz.
Auf Grund von Petitionen wurde zunächst gegen die Jesuiten, als die Hauptträger des ultramontanen Geistes vorgegangen: ein Reichsgesetz schloß den Orden Jesu und die ihm verwandten Congregationen vom Gebiet des deutschen Reiches aus.
Unterdeß bekundeten Conflicte mit dem Bischof von Ermeland und dem katholischen Feldpropst der Armee, daß die Besorgnisse der Regierung in Bezug auf die absolute Unterwerfung der Bischöfe unter den Willen Roms nicht unbegründet gewesen waren, daß sie vielmehr der staatlichen Tonveränetät eine andere, geistliche Sonveränetät gegenüber zu stellen versuchten.
Der Papst selbst aber hielt eine Ansprache an einen deutschen Verein, worin er unter Anderm sagte: „Wir haben es mit einer Verfolgung zu thun, die, von weitem vorbereitet, jetzt ausgebrochen ist; es ist der erste Minister einer mächtigen Regierung, der nach seinen siegreichen Erfolgen im Felde sich an die Spitze der Verfolgung gestellt hat. Jene feindliche Verfolgung der Kirche wird unfehlbar den Glanz jenes Triumphes in Frage stellen; wer weiß, ob nicht bald sich das Steinchen von der Höhe loslöst, welches den Fuß des Kolosses zertrümmert!"
Die preußische Regierung ging um so mehr mit der Gesetzgebung vor, welche den Schutz des Staats gegen die geistlichen Uebergriffe bezweckte. ^Dies geschah besonders durch die sogenannten Maigesetze (1873—74), welche unter Anderm die Vorbildung und Anstellung der Geistlichen regeln und den geistlichen Oberen namentlich die Pflicht der
Hahn, preuß. Gesch. 20. Aufl. 46
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meinden standen als Begrnder des Christentums die Apostel; die Ge-meindeglieder waren untereinander gleich, nur die mannigfache Verteilung der Gab end es h eiligen Geistes brachte Unterschiede unter ihnen hervor. Die wirklichen Gemeindemter bildeten sich aus dem Bedrfnis nach dem Vorbilde der jdischen Synagoge. Jeder Gemeinde wurden lteste (Pres-byter) als Leiter vorgesetzt, fr die Pflege der Armen und Kranken Diener (Diakonen) bestellt. In der nachapostolischen Zeit schlssen sich die Kirchenbeamten immer mehr zu einem festen, immer reicher gegliederten Stande zusammen, der sich als Klerus von der Menge der Gemeinde-glieder, den Laien, sonderte. Unter dem Klerus erhob sich der Bischof (Aufseher), der als Stellvertreter und Nachfolger der Apostel angesehen und geehrt wurde. Die Bischfe der Hauptstdte der Provinzen erlangten den Vorrang vor den brigen; die hervorragendsten Bischofsitzewaren die groen Städte des Reiches, Alexandria, Antiochia und vor allen die Welt-Hauptstadt Rom als Sitz des Apostelfrsten Petrus". Diese Entwicklung der Kirchenverfassung erheischten die Zeitverhltnisse. Je mehr Ver-folgungen die Kirche gefhrdeten, je mehr in ihr selber Irrlehren auf-kamen und Sektenwesen sie mit Spaltungen bedrohte, desto strker trat das Bedrfnis der festen Zusammenfgung und Einheit aller Gemeinden hervor: es bildete sich die eine allgemeine katholische Kirche.
4. Christliches Leben. Die Bruderliebe hob die Scheidung von Stand und Rang; namentlich wurde durch das Christentum die Sklaverei allmhlich beseitigt. Im Gegensatz gegen die heidnische Genusucht war die Sitte ein-fach und streng; immer mehr entwickelte sich die Vorliebe fr ein Leben der Entsagung; der ehelose Stand begann fr verdienstlich geachtet zu werden und wurde bei den Geistlichen zur immer allgemeineren Regel. Aus dieser Rich-tung des Zeitalters ging, zunchst im Morgenlande, das M n ch t u m hervor, dessen Begrnder der gypter Antonius (um 300) wurde.
5. Kultus.
In der apostolischen Zeit betrachteten sich die Christen zugleich noch als Juden, hielten mit diesen den Sabbat und den Synagogen-Gottesdienst, hatten aber auerdem ihre besonderen Versammlungen am Sonntage, dem Auferstehungstage des Herrn (dies dominica), und zwar in einem dazu ge-eigneten Hause eines der Gemeindeglieder; besonders gern whlte man dazu die Basilika" genannten Festsle, die sich in den Grten vornehmer rmischer Huser erhoben.
Bei diesen Zusammenknften wurden die Briefe der Apostel und die Evangelien verlesen und erklrt, soweit diese Bcher schon vorhanden und verbreitet waren, Psalmen und neugedicbtete Hymnen gesungen, und nach einem gemeinsamen Mahle, Liebesmahle,
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Extrahierte Personennamen: Apostel Apostel Antonius Apostel