120 Die Länder um das Mittelmeer.
länder und weite Hinterländer desselben umfaßte. Im Mittelalter beherrschte
„die ewige Roma" als Sitz des mächtigen Papsttumes „die ganze Christenheit auf
Erden," und die italienischen Küstenstädte Venedig und Genua hatten die Leitung des
ganzen Welthandels an sich gerissen. Für die Jetztzeit ist Italien das Land
klassischer Erinnerungen und „der Kunsttempel Europas." Die
lateinische Sprache ist noch heute die Kirchensprache der katholischen Kirche und
gilt uoch heute als Gelehrtensprache. Das römische Recht hat die Gesetzgebung auch
des deutschen Volkes stark beeinflußt. Italien hat sich von allen Mittelmeerländern
allein die Stellung einer Großmacht unter den heutigen Weltreichen errungen und
zu bewahren gewußt.
c) Das französische Mittelmeergebiet (S. 103), das alte Südgallien, war die
natürliche große Eingangspforte, durch welche die Kultur der Mittelmeerläuder nach
Mitteleuropa kam. An den Küsten Galliens hatten Karthager und Griechen Kolonieen,
und die Römer verbreiteten von hier aus ihre Kultur über ganz Gallien und das
sw. Deutschland. Die alte Stadt Marseille (das alte Massilia) ist heute Frankreichs
größte Seestadt.
6) Die pyrenäische Halbinsel (S. Iii ff.), das alte Jberien, war im Altertum
zunächst ein Zankapfel zwischen den Karthagern und Römern, dann lange Zeit
römische Provinz, bis die Westgoten im Anfange des Mittelalters hier ihr
Reich gründeten. Dann gründeten die Araber hier mehrere Reiche und machten die
Halbinsel zu einem Hauptsitz maurischer Kunst und Wissenschaft. Ein Überrest
maurischer Baukunst ist der zum Teil noch wohlerhaltene Königspalast Alhambra
bei Granäda. — Zur Zeit Karls V. war Spanien das größte Weltreich und die
führende Macht Europas, die sich namentlich auch dem Deutschen Reiche fühlbar
machte. Dann sank es rasch von seiner Höhe, büßte die meisten seiner überseeischen
Besitzungen ein und ist heute eine Macht 2. Ranges.
Druck von August Klöppel in Eisleben.
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Extrahierte Personennamen: Karls_V.
Extrahierte Ortsnamen: Italien Sizilien Karthago Marokko Algier Tunis Italien Altertum Rom Venedig Genua Italien Italien Mitteleuropa Galliens Gallien Deutschland Marseille Massilia Frankreichs Alhambra Granäda Spanien Europas
— 212 —
b. Das Nekton, die selbsttätig schwimmenden Tiere.
c. Das Benthos, die am Boden dahinkriechende oder fest-
gewachsene Lebewelt.
£ap. Vii. Überblick über die Menschenwelt.
(Anthropogeographie.)
A. Das Atens ch eng es ch lech t und seine Oer-
breitung.
1. Ju'fcr und ibeimaf des Mienfcbengel'cbl'ecbts.
Unter den Organismen der Erde steht der Mensch an höchster
Stelle. Die Entwicklung des Menschengeschlechts ist naturgemäß
eine offene Frage, deren Beantwortung auch den scharfsinnigsten
Forschern bisher noch nicht befriedigend gelungen ist. Es ist
hier nicht der Ort, auf die bezüglich dieses Punktes ausgesprochenen
und hauptsächlich auf anatomischen Vergleichnngen beruhenden
Ansichten einzugehen. Auch über das Alter des Menschen-
geschlechts lassen sich vorläufig nur Vermutungen aussprechen.
Diese stützen sich aus Funde von Wirtschaftsresten, Geräten und
Knochen, die man in Gräbern oder in sedimentären Bodenschichten
inachte. Vor dem Eintritt in die Geschichte hatte die Menschheit
schon eine gewisse Kulturhöhe erreicht und verstand die Her-
stellung von eisernen Geräten. Dieser sogenannten Eisenzeit
ging die Bronzezeit vorauf. Auch schon in dieser gab es seßhafte
Menschen, wie die ausgefundenen Reste von Pfahlbauten und die
zahlreichen Urnenfelder beweisen. Die den Grabstätten aus jener
Periode entnommenen Geräte aus Bronze zeugen von einem
kulturellen Fortschritt der Menschen gegen die vorhergehende
Zeit, in der die Bearbeitung von Metallen noch unbekannt war.
Alle uns überkommenen Werkzeuge dieser frühereu Periode sind
aus Stein, meist Feuerstein, oder aus Knochen gefertigt. Man
unterscheidet eine jüngere und eine ältere Steinzeit. In der ersteren
verstand der Mensch schon die Steinwerkzeuge zu polieren, über-
Haupt feiner zu bearbeiten als in der älteren; er verfertigte Ton-
gefäße und hatte, wie aufgefundene Knochenreste beweisen, einzelne
Haustiere, besonders den Hund. Der Mensch der älteren Stein-
zeit begnügte sich mit ganz roh zugehauenen Fenersteinwerkzeugen.
Wie weit das erste Auftreten des Menschen in der älteren
Steinzeit zurückliegt, ist nicht mit Sicherheit zu bestimmen. Einen
Anhalt dabei geben die Bodenschichten, in denen man Knochen
oder Werkzeuge der Menschen gefunden hat. Die primitivsten
Feuersteingeräte wurden noch in Schichten gefunden, die sich im
Anfange der Diluvialzeit absetzten, während menschliche Knochen
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15. Die Landschaften der voralpinen Hochfläche. 69
decken abgelagert, vor allem aber in einer langausgedehnten Zone
an dem nördlichen Rande der Bayrischen Alpen. Die wichtigste
Partie des ganzen Zuges, auf die der Bergbau sich im roesent-
lichen beschränkt, liegt zwischen Inn und Lech, und läßt sich in
die drei Reviere von Au und Miesbach, Penzberg und Hohen-
Peißenberg trennen. Die jährliche Ausbeute der alpinischen
Kohlenablagerungen beträgt 1/2 bis 3/4 Millionen Tonnen.
Die Landschaften der voralpinen Hochfläche werden von
alten wichtigen Verkehrs st raßen durchschnitten, auf denen
die Römer am frühesten in deutsche Lande eindrangen. Augs-
bürg (Augusta Vindelicorum) wurde bereits im Jahre 15 v. Chr.
G. als römische Kolonie begründet. Späterhin wurde es als
freie Reichsstadt und emsige Handelsstadt (Fugger, Welser)
europaberühmt. Wenn es auch in der neuern Zeit ebenso wie
die Donaustädte durch die Bevorzugung Münchens etwas ge-
litten hat, so hat sich trotzdem eine bedeutende Industrie (Spinnerei,
Weberei, Tuchfabriken, Maschinenbau) entwickelt, der die Aus-
Nutzung der natürlichen Wasserkräfte sehr zu statten kommt; es
zählt heute über 102000 Bewohner. An der Donau, der alten
Völker- und Warenstraße zwischen Mittel- und Südosteuropa,
hat sich Regensburg (53000 E.) in bemerkenswerter Lage ent-
wickelt. Das „Castra Regina" der Römer, eine der ältesten Städte
Deutschlands, schon im achten Jahrhundert Bischofssitz, nimmt in
neuerer Zeit hauptsächlich an den Vorzügen teil, die das Ober-
Pfälzer Becken hinsichtlich der Bodenschätze aufweist. Maschinen-,
Steingut-, Bleistift-, Seifen- und Tabakfabrikation stehen in Blüte.
Die Dreiflüssestadt Passau (21000 E.) verarbeitet vorzugsweise
die natürlichen Schätze der Umgebung, wie Holz, Erden und
Felle (Parkettfußboden-, Papier-, Leder- und Porzellanfabrikation).
In der Mitte der alten Salzstraße, die sich zwischen den
großen Moorgebieten und den weiter südlich lagernden Seen
von Berchtesgaden nach den Brückenstätten Augsburg und Ulm
hinzog, wurde München begründet, das sich vom Mittelalter
ab immer mehr der Vorteile seiner zentralen Lage zwischen
Donau und Alpen, Lech und Inn erfreuen konnte. Schon vor
dem dreißigjährigen Krieg als eine der schönsten Städte Deutsch-
lands bekannt, t ist _ es heute ein Kulturzentrum von universeller
Bedeutung. Mit seinen 600000 Einwohnern ist München heute
die größte Stadt Süddeutschlands und die drittgrößte des Reichs.
Die künstlerischen Bestrebungen, von den Fürsten aufs tatkräftigste
unterstützt, kamen dem Leben und Schaffen der Stadt sehr zugute.
Der Aufschwung der Münchner Industrie stützt sich auf die elek-
trische Verwertung der Wasserkräfte der Isar. Die zahlreichen
Brauereien stellen des Jahres gegen S1j2 Mül hl Vier her. Die
großen Eisenbahnlinien Paris—wien, Berlin—rom kreuzen sich
in München. Hier ist auch die Zentrale des Verkehrs des ge-
samten Alpenvorlandes. Wohl wird der direkte Verkehr nach
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114 Iii. Die materiellen Grundlagen der deutschen Kultur.
und England zurück. Jetzt zählt Deutschland auf dem Gebiete
des Telegraphenrvesens zu den am weitesten fortgeschrittenen
Ländern. Die Länge der Drähte, l3/4 Million km, übertrifft
das englische Telegraphennetz um das doppelte, das französische
um das dreifache. (Uber die Anzahl der Telegramme vgl. stat.
Anh. Xxv.)
Wie die Telegraphie ist auch ihre jüngere Schwester, die
Telephonie, in Deutschland im Gegensatz zu mehreren andern
Ländern von Anfang an eine staatliche Verkehrseinrichtung
gewesen. Der eigentliche Erfinder des Fernsprechers
war der Deutsche Philipp Reis. Sein im Jahre 1861
erfundener Apparat wurde aber erst durch die Verbesserung von
Graham Bell in Boston 1877 gebrauchsfähig. Das Deutsche
Reich marschiert im Fernsprechwesen an der Spitze aller europäischen
Mächte, und Verlin steht mit seinen Telephonanlagen an der
Spitze aller Städte der Erde. Die Länge der Drähte des deutschen
Sprechnetzes beträgt über 4 Millionen km, d. h. das vierfache
des französischen und das sechsfache des englischen Sprechnetzes.
Die Gesamtzahl der von den deutschen Fernsprechstellen vermittelten
Gespräche beträgt reichlich ll/2 Milliarden (vgl. stat. Anh. Xxv).
Die deutschen Kabellinien sind in der Verkehrs-
gefchichte ein Ruhmesblatt, auf das Deutschland stolz sein kann.
Sie sind in der Hauptsache auf Grund einer ersten Versuchslinie,
die 1876 erbaut worden ist (von dem Carlswerk in Mülheim
a. Rh.), in der Zeit von 1876 bis 1881 angelegt worden. Als-
dann hat erst Frankreich und späterhin England ein unterirdisches
Telegraphennetz ausgebaut. (Über die Überseekabel und Funken-
telegraphie vgl. S. 116.)
Deutschland hat zuletzt auch an der Entwicklung des modernsten
Verkehrsmittels, des Luftschiffes, ganz hervorragenden Anteil
genommen. Den Ruhm, das Geburtsland der Aeronautik zu
sein, beansprucht mit Recht Frankreich, aber in der Konstruktion
von lenkbaren Luftschiffen, die teils Kriegs-, teils Verkehrszwecken
dienen, ist Deutschland bahnbrechend geworden. Mit Stolz wird
hier jeder Deutsche auf den Grafen Zeppelin blicken, _ dessen
unermüdlicher und bewundernswerter Ausdauer und Arbeitskraft
es gelungen ist, das Luftschiff dem Willen des Menschen dienst-
bar zu machen. Graf Zeppelin war auch der erste, der die
Wichtigkeit des Luftschiffes im Dienste der Kultur erkannte und
in die Tat umsehte. Wenngleich das erste Verkehrsluftschiff
„Deutschland" bei emer Fahrt in stürmischem Wetter im Teuto-
burger Wald verunglückte, so hat uns dies durchaus nicht entmutigt
und abgehalten, auf dem einmal beschrittenen Weg weiter zu
schreiten; und daß es ein richtiger Weg ist, beweisen die groß-
artigen Flugleistungen der neuen Verkehrsluftschiffe „Schwaben"
und „Victoria Luise". An dem Wettkampf in den Lüften sind
wir fernerhin mit Flugmaschinen, mit den verschiedenartigsten
Fliegern beteiligt. Auch die „Flieger" fangen jetzt an, Verkehrs-
zwecken zu dienen.
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Extrahierte Personennamen: Philipp Graham_Bell
Extrahierte Ortsnamen: England Deutschland Deutschland Boston Deutschland Mülheim Frankreich England Deutschland Frankreich Deutschland
120 Hi. Die materiellen Grundlagen der deutschen Kultur.
Hongkong aufrecht. Sonst finden wir regelmäßige deutsche
Postdampferlinien auch im Mittelmeergebiet, zwischen
Hamburg und Konstantinopel, Hamburg und Alexandrette, bez.
Mersina, weiterhin zwischen Genua und Nikolajew und zwischen
Marseille und Batum.
Die großen deutschen Verkehrslinien, die das ganze Erdenrund
umspannen, sind eine notwendige Folge und Ergänzung des aus-
gebreiteten deutschen Handels. Zuweilen sind sie auch
direkt die Ursachen neuer Handelsverbindungen und erwachenden
Handels. Beide bedingen sich gegenseitig; eins ist ohne das
andere nicht denkbar. Wie der Verkehr blickt auch der deutsche
Handel auf eine jahrhundert alte Geschichte und Entwicklung
zurück. In der Geschichte des deutschen Handels mit
dem Auslande unterscheiden wir drei Perioden: die erste ist die
Zeit des Mittelalters und fällt mit der Vlüte der Hansa zusammen,
die zweite bezeichnet den Niedergang des deutschen Handels
im 16. Jahrhundert und das allmähliche Wiedererwachen und
Erstarken desselben im 18. Jahrhundert, und die dritte
Periode reicht vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zur neuesten
Zeit. Die letzte Periode wurde durch Loslösung der englischen
Kolonien in Nordamerika vom Mutterlande eingeleitet. Hamburg
und Bremen knüpften sofort ihre Handelsbeziehungen mit den
neu erstandenen Vereinigten Staaten an (siehe S. 18). Doch war
der Aufschwung nur von kurzer Dauer; denn der deutsche Handel
wurde durch die von Napoleon 1806 verhängte Kontinentalsperre
auf längere Zeit lahmgelegt. Bei der so unterbundenen Konkurrenz
Englands nahmen indessen mit Ausnahme der Leinenindustrie
die meisten deutschen Industriezweige zu. Zudem belebte auch
die neu eingeführte Gewerbefrecheit sin Preußen) das Gewerbe.
Der Überschwemmung durch englische Waren nach Aufhebung
der Kontinentalsperre wurde durch Zollgesetze, die die einheimischen
Gewerbezweige schützen sollten, Einhalt getan.
Den weittragendsten Einfluß hatte die Gründung des
Deutschen Zollvereins am 1. Januar 1834, dem Preußens
erprobter Zolltarif zugrunde gelegt wurde. Durch diesen
Zollverein wurde die wirtschaftliche Einheit der
deutschen Staaten hergestellt, und sie hat wiederum
die politische von 1870/71 vorbereitet. Nur die beiden
Freihandelsstädte Hamburg und Bremen sind erst 1888 dem
Deutschen Zollverein beigetreten.
Nach der politischen Einigung Deutschlands nahmen Industrie,
Handel und Verkehr einen ungeahnten Aufschwung. Wohl hat
es auch nicht an wirtschaftlichen Krisen gefehlt, aber trotzdem ist
die gesamte Entwicklung des deutschen wirtschaftlichen Lebens
eine aufsteigende und hat Deutschland mehr und mehr auf die
Bahn der Macht- und Ausdehnungspolitik hingewiesen.
Den deutschen Erzeugnissen, die in übergroßen Mengen erzeugt
wurden, mußten Absatzgebiete gewonnen werden, sowohl in
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V.
Das Deutschtum im Auslände.
30. Die deutsche Auswanderung.
„Uberall in fernen Teilen der Erde rvohnen Tausende unserer
Landsleute. Deutsche Güter, deutsches Wissen, deutsche Betrieb-
samkeit gehen über den Ozean." Diese Worte unsers Kaisers
bezeichnen kurz und treffend nicht allein den jetzigen Stand der
Weltlage Deutschlands, sie weisen zugleich auf die' dem deutschen
Volke eigentümliche Beweglichkeit hin. Wenn es auch in der
Natur jedes lebenskräftigen Staatsgebildes liegt, selbst bei einem
ganz allmählichen Fortschritt zuletzt doch ans Meer zu gelangen
und alsdann die Vorteile des überseeischen Handels direkt zu
genießen, so wird doch bei uns die Tatsache noch nicht genug
beachtet, „daß das Meer die Ausbreitung einer politischen Herrschaft
erleichtert, und daß es dem Verkehr die Möglichkeit der größten
Ausdehnung gewährt," wie Fr. Ratzel in seiner beachtenswerten
Schrift „das Meer als Quelle der Völkergröße" nachgewiesen hat.
Verkehr und Politik gehen auf allen Stufen eines vorwärts-
schreitenden Staates Hand in Hand, und doppelt stark ist das
Band, das die Politik, die über die Landkarte hinausgreift, mit
dem Verkehre verknüpft. Diese Wirtschaftspolitik kann sich aber
nur auf einen beweglichen Volkskörper stützen. Jeder Staat,
jedes Volk läßt sich mit einem beweglichen Körper vergleichen, der
im Vorschreiten sich ausbreitet und im Zurückweichen sich zu-
sammenzieht; alte Zusammenhänge werden aufgegeben, neue
werden gebildet. Darauf deuten Bezeichnungen hin, die wir oft
gebrauchen, ohne uns etwas dabei zu denken, so „Völkerflut",
„Völkermeer", „Völkerinsel". Ein Volk ist indessen beweglicher
als das andere. Die größere oder geringere Beweglichkeit ist
bedingt durch die innern Eigenschaften des Volkscharakters, durch
die äußern Einflüsse der geschichtlichen Verwicklungen und durch
das mehr oder minder dichte Abhängigkeitsverhältnis des Staates
vom Boden.
Eins der beweglichsten Völker ist das deutsche Volk.
Im Charakter der Germanen ist der Trieb zum Wandern,
der von jeher deutsche Ansiedler in alle Weltgegenden gebracht
hat, stark ausgeprägt. Schon aus grauer Vorzeit dringen Nach-
richten von dem Wandertrieb unserer Altvordern zu uns. Von
bestimmtem Ausdehnungserscheinungen deutscher Völker berichtet
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26. Die deutschen Siedelrmgen. 139
theater, römische Thermen) vorhanden, wie sie sonst kein Ort im
Norden der Alpen aufzuweisen hat. Wie der Pfahlgraben befestigt
war, erkennt man vorzüglich in der Saalburg, auf dem Kamme
des Taunus an der Kreuzung der Landstraßen nach Usingen
und Obernhain gelegen. Die keltischen Grundlagen der
Vesiedelung in Einzelhöfen und Kämpen im westlichen und
südwestlichen Deutschland hat die römische Herrschaft wie auch
die deutsche Vesiedelung nicht zu verwischen vermocht; sie hat
sich in jenen Gegenden bis in die Gegenwart erhalten.
Die alten deutschen Siedelungen treffen wir zwischen
Weser, Westerwald und Saale-Elbe; an der Niederelbe auch
ostwärts und weiterhin in Schleswig-Holstein, Dänemark und
Schweden. Das Charakteristische und Typische dieser deutschen
Vesiedelung liegt darin, daß überall mehr oder weniger geschlossene
Dörfer entstehen; die Lage der Gehöfte untereinander ist unregel-
mäßig, zusammengewürfelt. Man spricht darum von Haufen-
dörfern. Insonderheit zeigt die Geest solche alte Haufendörfer
und das anschließende Gebiet nach dem deutschen Mittelgebirge.
In den Ackerbaugebieten am Nordufer der deutschen Mittel-
gebirge, im Westen von Saale und Elbe, haben sich viele
Haufendörfer entwickelt, so z. B. Geusa bei Merseburg, vor allem
die Orte mit den Endungen auf „leben" und „roda" in der
Thüringer Mulde.
Die Marschensiedelungen verdanken ihre Lage dem
Schutzbedürfnis gegen das Meer. In alten Zeiten wurden sie
auf einzelnen Hügeln (künstlichen Wurften) meist als Streu-
siedelung oder als Dorfwurften, z. V. Blexen an der Weser
gegenüber Geestemünde, und in neuerer Zeit den Deichen entlang
angelegt, z. B. Altendeich im Norden von Bremerhaven. In
den Moor- und Vruchgegenden Deutschlands treffen wir in der
Regel jüngere Kolonistendörfer, die in ihrer Form an die alten
Straßendörfer erinnern, so Hymendorf im Nordosten von Bremer-
Häven oder Neu-Lietzegöricke im Oderbruch, östlich von Freienwalde.
Ein weiteres Kennzeichen der alten volkstümlichen deutschen
Siedelungsweise bildet die Hufenverfassung. Unter Hufe
verstand man eine Besitzung, die von dem Hausvater mit seiner
Familie und wenigem Gesinde bestellt werden konnte, ihm aber
auch den Unterhalt und die Mittel zu den üblichen öffentlichen
Lasten zu gewähren vermochte; oder mit andern Worten: Hufe
stellt ein Bauerngut dar, das unter einfachen Umständen und
Ansprüchen imstande war, selbständig aus seinen eignen Kräften
zu bestehen. Späterhin wurde „Hufe" schlechthin als Land-
flachenmaß, wenn auch nicht überall einheitlich, benutzt. In
vielen und verschiedenen Teilen Deutschlands waren Hufen von
30 Morgen (4 Morgen ---- 1 da) sehr gewöhnlich, aber auch
solche von 151/2 bis 60 und mehr Morgen wurden gebraucht.
Mithin war die Hufe kein einheitliches Maß.
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I. Anhang.
Reicbsverfassung und Verfassung der einzelnen
deutschen Staaten^).
A. Die deutsche Reichsverfassung und die deutschen Reichsbehörden.
Die Zerrissenheit Deutschlands in viele Staaten ist das
Ergebnis seines Bodens, seiner Geschichte und des Charakters
seiner Bewohner, die sich nach Mundart, Sitte und Überlieferung
in verschiedene Stämme teilen. Besonders boten die deutschen
Staatengebilde nach dem dreißigjährigen Krieg ein trauriges
Bild der Zerrissenheit dar. Dadurch wurde späterhin die furchtbare
Demütigung Deutschlands durch Napoleon I. möglich, der dem
tausendjährigen römischen Reiche deutscher Nation ein Ende
bereitete. Nachdem Napoleon besiegt, wurde 1815 der Deutsche
Bund geschaffen, der aber nur ein lockerer Staatenverband
war und nicht der von den Besten des deutschen Volkes erstrebten
Vereinheitlichung der deutschen Staaten nachzukommen vermochte.
Unabhängig von der Bundesregierung führten besondere Ver-
träge die durch gleiche Interessen verbundenen Staaten zusammen.
In dieser Beziehung hatte vor allem der Zollverein große
Erfolge, der die Mehrzahl der deutschen Staaten zu einem ein-
heitlichen Zollgebiete zusammenschloß (S. 120); von ihm hatten sich
nur Mecklenburg, Holstein, die Hansestädte, Österreich und
Liechtenstein ausgeschlossen. Bei all' diesen Einrichtungen bildete
Preußen den Kern und wies somit schon auf die Rolle hin,
die es bei der Errichtung des neuen Deutschen Reiches zu
spielen berufen war. Und als der Krieg von 1866 die Vor-
Herrschaft in Deutschland zugunsten Preußens entschieden und
Österreich aus dem Deutschen Bund ausgeschlossen hatte, kam es
zur Gründung des Norddeutschen Bundes unter preußischer
Führung. Der Norddeutsche Bund schloß mit den süddeutschen
Staaten (Bayern, Württemberg, Baden und Südhessen) neben
einer Zollvereinigung auch Schutz- und Trutzbündnisse, durch die
die Beteiligten im Kriegsfalle verpflichtet wurden, ihre volle
Heeresmacht unter dem Oberbefehle des Königs von Preußen
zur Verfügung zu stellen. Diese Bündnisse sollten gar bald im
Kriege mit Frankreich (1870/71) ihre Feuerprobe bestehen, und
inmitten im Feindesland wurde zu Versailles am 18. Januar 1871
von den vereinten Fürsten und Städten die deutsche Kaiser-
*) Dieser Abschnitt, der meinem Arbeitsgebiet ferner liegt, wurde in
der Hauptsache nach dem „Handbuch der Verfassung und Verwaltung" von
Graf Hue de Grais bearbeitet.
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Extrahierte Personennamen: Napoleon_I. Napoleon Grais
Extrahierte Ortsnamen: Deutschlands Deutschlands Holstein Liechtenstein Deutschland Württemberg Baden Frankreich Versailles Graf_Hue
24 I. Deutschlands Größe und Machtstellung.
politischen Einfluß erweitert. Unser großer Historiker Treitschke
hat das Wort geprägt: „Die Zukunft unsers deutschen Volkes
roird davon abhängen, wieviel Menschen auf der Erde deutsch
sprechen." Im 16. Jahrhundert sprachen 3 Millionen Menschen
englisch, 15 Millionen deutsch, im 18. Jahrhundert 9 Millionen
englisch und 20 Millionen deutsch, und am Anfang des 20. Jahr-
Hunderts sprechen^ 125 Millionen Menschen englisch und nur
90 Millionen deutsch. Wenn Bismarck nicht seinerzeit in Afrika
die deutsche Flagge gehißt hätte, so wäre heute sicher ganz Afrika
englisch. Der Deutsche müßte hier seine Sprache opfern, er stünde
hier unter englischem Kommando. Wenn wir auch englische
Sprache und englische Kultur hochhalten, so wäre doch die Angli-
sierung des größten Teils der Erde, soweit sie vor zwei bis drei
Jahrzehnten noch herrenlos war, eine große Gefahr für unser
Volkstum gewesen. Wir halten deutsche Sprache und deutsche Art
für wert, gleichfalls eine weite Verbreitung zu finden. Wir
Deutsche sind von jeher ein Kolonisationsvolk gewesen. Wir haben
dies in Europa, zunächst sodann in außereuropäischen Diensten
bewiesen und beweisen es jetzt glänzend in unsern Schutzgebieten.
Wir haben zudem erfahren und fühlen es heute mehr denn je,
daß die Aufgaben der Kolonisation unser Volk jung erhalten und
seine sittliche Kraft erfrischen. Wir haben den festen Willen zur
Kolonisation, und wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg. Darum
wird das größere Deutschland, das einschließlich des Mutter-
landes gegen 31/2 Millionen Quadratkilometer umfaßt, einer
sichern Zukunft entgegengehen.
3, Deutschlands Weltgeltung.
(Fremde Kultureinflüsse in Deutschland und
deutsche Kultureinflüsse im Ausland.)
Die Weltgeltung eines Staates besteht nicht bloß in
dem politischen und wirtschaftlichen Einfluß, den er auf andere
Staaten ausübt, sondern vor allem darin, wieweit die andern
Staaten von seinen Ideen, von seiner Kultur beeinflußt sind. Das
ist w i r k l i ch e Weltgeltung. Betrachten wir Deutschland nach dieser
kulturellen Seite als weltgeltenden Staat, so besitzt es eine Welt-
geltung wie sie kein anderes Land, kein anderes Volk aufzuweisen
vermag. „Ihm ist das Höchste bestimmt. Und so wie er — der
Deutsche — in der Mitte von Europas Völkern sich befindet, so
ist er Kern der Menschheit. Er ist erwählt von dem Zeitgeist,
während des Zeitkampfes an dem ewigen Vau der Menschen-
bildung zu arbeiten. Daher hat er bisher Fremdes sich ange-
eignet und es in sich verwahrt, es ist ihm unverloren, die
Schätze von Jahrhunderten. — Jedes Volk hat seinen Tag der
Geschichte, doch der Tag des Deutschen ist die Ernte der ganzen
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Extrahierte Personennamen: Treitschke Bismarck
Extrahierte Ortsnamen: Deutschlands Afrika Afrika Europa Deutschland Deutschlands Deutschland Deutschland Europas