Vorzeit und Mittelalter.
I. Deutsche Geschichte
bis zur Gründung des nationalen Staats 919.
1. Die germanische Vorzeit.
Die Urzeit.
§ 1. Von den ältesten Bewohnern des deutschen Landes berichtet uns keine schriftliche Überlieferung; wir wissen von ihnen nur durch die Reste ihrer Kultur, die sie uns in ihren Gräbern oder an ihren einstigen Wohnstätten hinterlassen haben. Unter den Wohnstätten sind die Pfahlbauten, deren Überbleibsel man vornehmlich in Alpenseen gefunden hat, besonders merkwürdig. Die Gräber sind, je nachdem die Leiche bestattet oder verbrannt wurde, entweder von einem Rasenhügel überwölbte Steinkammern, die sogenannten Hünengräber, oder es sind Urnengräber. Den Toten pflegte man Waffen, Werkzeuge, Schmucksachen, irdene Töpfe mitzugeben. Die Waffen und Werkzeuge wurden in der ältesten Zeit aus Stein, später aus Bronze, d. h. einer Mischung von Kupfer und Zinn, angefertigt; erst in den letzten Jahrhunderten v. Chr. wird das Eisen häufiger. Wir unterscheiden demnach eine Steinzeit, die wir in eine ältere und eine jüngere Steinzeit zerlegen, eine Bronzezeit und eine Eisenzeit.
Welchen Stammes die ältesten Bewohner des mittleren Europas waren, und wann die Germanen, unsere Vorfahren, eingewandert sind, ist uns nicht bekannt. Die vergleichende Sprachwissenschaft hat uns aber darüber belehrt, daß sie einst einem Urvolk angehörten, das vielleicht im mittleren Rußland wohnte und vorzugsweise Viehzucht trieb; aus diesem Urvolk, das wir als die Jndogermanen zu bezeichnen pflegen, sind nicht nur die wichtigsten Volksstämme Europas, die Slaven, Germanen, Kelten, Griechen und Italiker, sondern auch die Inder und Perser her-
Neubauer, Beschicht!. Lehrbuch. B. Iii. 6. Aufl. 1
Vorge-
schichtliche
Reste.
Die Jndogermanen.
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Gegen 8 Uhr setzte sich der Zug in Bewegung. Zwölf der geachletsten Ratsherren trugen den silbernen Sarg der beiden Heiligen auf ihren Schultern. Voran wehte die prächtige, goldene Ratsfahne mit den darauf gemalten Bildnissen der Märtyrer. Der schimmernde Sarg war von Weihrauchwolken umhüllt. Ihm folgten die sämtlichen Geistlichen in ihren prächtigen Gewändern, die übrigen Mitglieder des Rates, alle in Erfurt zur Zeit sich aufhaltenden fürstlichen Personen, Grafen und Ritter in ihren glänzenden Rüstungen und endlich die zahllose Menge der Bürger und frommen Wallfahrer. Alle Glocken läuteten, und die waffentra-genden Bürger begleiteten in ihren blanken Harnischen den Zug oder hatten in den durchzogenen Straßen Ausstellung genommen.
Im Jahre 1521 wurde die Prozession zum letzten Male abgehalten; das für Erfurt so merkwürdige und einträgliche Fest erreichte durch den Banernansruhr sein Ende. Der silberne Sarg wurde zur größeren Sicherheit auf das Rathaus geschafft, wo er eine Zeit verblieb. Später aber beschlossen die Väter der Stadt, der Ratskasse, die durch große Ausgaben völlig erschöpft war, neue Mittel dadurch zuzuführen, daß sie den Sarg zu Geld umprägen ließen. Die Geldstücke führten den Namen Sargpfennige. Die beiden Heiligen wurden einstweilen in einen hölzernen Sarg gelegt, den man nach dem Muster des silbernen gefertigt hatte. Noch heute kann man diesen Sarkophag mit seinen reichen Verzierungen sehen. (Nach Konstantin Beyer.)
37. Gesellschaftliche und wirtschaftliche Zustände Erfurts in der zweiten Baisse des fünfzehnten Jahrhunderts.
Krasser Aberglaube: Bei der Betrachtung der gesellschaft-
lichen wie wirtschaftlichen Verhältnisse am Ausgange des Mittelalters fällt uns der krasse Aberglaube auf, welcher allgemein bei hoch und niedrig, bei Ungebildeten und Gebildeten, ja selbst bei Gelehrten und Schriftstellern, in Laien- wie in geistlichen Kreisen herrschte. Dazu war eine schier unglaubliche Unwissenheit, besonders in geschichtlichen und geographischen Dingen verbreitet. Unser Chronist sagt: Mainz, Mognneia, liegt an zwei Flüssen, am Moygin und an der Ezya. Es war ihm unbekannt, daß seine Bischofsstadt also außer am Main am Rhein lag, und er erdachte sich in Anlehnung an den lateinischen Namen Mognneia den Fluß Ezya. — Selbst nicht einmal vor der biblischen und kirchlichen Ueberlieferung machten Aberglaube und Unwissenheit Halt. So wirb, um bafür ein Beispiel zu erzählen, die Geschichte des Verräters Jubas in der unglaublichsten Weise umgestaltet. Die Mutter des Jubas träumt, daß sie einem bösen und verworfenen Sohne, der „dem Teufel gleich wäre", das Leben geben Würbe. Das Kind wirb nach der Geburt von bett erschrockenen Eltern, die in Jerusalem wohnen,
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Kultur und ihre Anlagen die Ausgangspunkte für Bildung und Gesittung. Die Mönche pflegten die Wissenschaft und waren die Lehrer des Volkes; sie befleißigten sich der Malerei und Bildhauerei und entwarfen die Pläne für Kirchen und Kapellen. Aus Italien brachten sie die edlen Obstbäume und lehrten das Volk den Gartenbau. Als Ärzte und Seelsorger waren sie in gleicher Weise für das leibliche wie geistige Wohl des Volkes tätig.
Das älteste Kloster im Elsaß war das zu Maursmünster, welches von dem Hl. Leobard um das Jahr 590 gegründet wurde. Leo bar d war ein Schüler des Hl. Colnmban, der zu den bedeutendsten Bekehrern Deutschlands zählt.
Bald nachher wurde dasjhoster zu Münster im Gregoriental gegründet. Die Dendlinge des Hl. Gregor kamen zu Ansang des siebenten Jahrhunderts in diese Wildnis und bauten nach schweren Kämpfen mit Bären und Auerochsen ihre ersten Zellen in einsamem Tale. Bald entstand um das Kloster und seine Kirche (Münster) eine etndt, die sich allmählich zur Herrin von neun Orten im Tale machte. Später befreite sie sich von der Herrschast des Klosters und wurde eine freie kaiserliche Stadt.
Das reichste und mächtigste Kloster wurde das zu Murbach, das der Hl Pirminins erbaute. Ihm erlaubte Graf Eberhard von Egisheim, auf feinen Besitzungen ein Kloster zu gründen. Dieser Graf wurde später blind und vermachte, da er kinderlos war, alle seine Besitzungen dem Kloster. Im Verlaufe der Zeit wuchsen sie immer mehr an; sogar die Stadt Luzern in der
Schweiz gehörte eine Zeitlang dem Kloster.
Als die Ungarn im Jahre 923 das Elsaß verwüsteten, ergriffen die meisten Mönche beim Herannahen dieser Feinde die Flucht. Doch sieben blieben standhaft in dem Kloster. Als sie die Schätze der Abtei nicht verrieten, stetsten die Ungarn dtp Gebäude in Brand und schleppten die sieben Mönche mit sich fort. Hoch oben, nahe bei der Spitze des Belchens, ermordeten sie dieselben.
Noch heute heißt der Ort das Mordseld.
In späterer Zeit zählte der Abt von Murbach zu den Fürsten des Reiches.
Kloster und Stadt Masmünster verdanken ihre Entstehung und Namen dem Grafen Mafo. Auf dem Ringelstein hatte Maso sich ein schloß erbauen lassen, in dem er zeitweise zu seiner Erholung wohnte. Nun geschah es eines Tages, daß sein einziger Sohn beim Baden ertrank. In diesem Unglück suchten die tiefgebeugten Eltern Trost in der Religion und erbauten im Dollertale ein Kloster. Diesem schenkten sie auch zugleich alle ihre Güter in der Gegend.
In Metz wird als ältestes Kloster die Abtei des Hl. Johannes angegeben, die später den Namen St. Arnulf erhielt. Als
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Extrahierte Personennamen: Leo Gregor Eberhard_von_Egisheim Mafo Johannes
17. Der Bayernstamm im altdeutschen Schrifttum.
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Als da nichts nicht war der Enden und Wenden,
Und da war der eine allmächtige (Bott,
Der Männer mildester, und da waren auch manche mit ihm Gute Geister." . . .
Diese neuen Eingangsverse eines stabreimenden Gedichtes über den Anfang aller Dinge, mögen sie nun altsächsischen Ursprungs sein oder nicht, fanden jedenfalls in Bayern, vielleicht zu St. Emmeram in Regensburg, ihre Aufzeichnung und wurden in dem bayerischen Kloster Wessobrunn auf die Nachwelt gebracht. Aber auch eiue zweifellos selbständige Leistung steuert der Bayernstamm in so früher Zeit zu dem Schatze der deutschen Dichtung bei, das in den kraftvollen Klängen der altbayerischen Mundart gehaltene, in markiger Schilderung sich ergehende prophetische Gedicht vom Ende aller Dinge, Muspilli, das zu Regensburg, dem Sitze Ludwigs des Deutschen, in der nächsten Umgebung des Königs, vielleicht gar von ihm selbst niedergeschrieben ist. Und nicht nur die alte Römerstadt, der Fürstensitz der Arnulfinge und der Karlinge, war Mittelpunkt literarischer Bestrebungen, auch eine der kirchlichen Zentralen des Bayerlandes entfaltete nachweisbar eine nicht unwichtige schriftstellerische Tätigkeit. Im Freifinger Petrnslied, um minder Bedeutendes beiseite zu lassen, ist uns das älteste Beispiel geistlichen Volksgesanges ans deutschem Boden erhalten, eine Art Wallfahrtslied ober ein Bittgesang an den heiligen Petrus, dessen Fürsprache bei Gott erfleht wird.
Als weiterer Beleg für die schriftstellerische Betätigung des geistlichen Standes in Bayern sei die Übersetzung des Hohenliedes durch den gewandten, ehrgeizigen und weltlich gesinnten Abtwilliram von Ebersberg genannt, der dem großen Schulleiter von Sankt Gallen, Notker dem Deutschen, noch am nächsten kommt ohne ihn übrigens.zu erreichen.
Inzwischen hatte sich neben der geistlichen auch eine ausgesprochen weltliche Richtung im Schrifttum unseres Volkes Bahn gebrochen. Ihr gehört an „der älteste erfundene Roman der europäischen Literatur, der erste Ritter-roman der Weltliteratur", wie Wilhelm Scherer das Gedicht bezeichnet, das um 1024 in dem bayerischen Kloster Tegernsee in lateinischen Hexametern verfaßte Epos Ruodlieb, das uns die früheste Ankündigung des erwachenden Minnesangs in dem lateinisch-deutschen Liebesgruß überliefert hat:
„Melde ihm, Bote, von mir aus treu ergebenem Herzen Soviel Liebes (liebes) als nun auf Bäumen sprosset des Laubes (loubes), Soviel als Liederwonne (wunna) der Vögel, künde ihm Minne (minna), Soviel als Gras und Blumen ersprieszen, entbiet ihm der Ehren!"
Und wie beim Rnodlieb ein geistlicher Verfasser sich einen weltlichen Stoff gewählt hat, so übertrug wiederum ein Geistlicher das nationale Heldengedicht der Franzosen ins Deutsche und zwar war es wieder ein bayerischer Dichter, der pfaffe Kuonrät, der am Hofe Heinrichs des Stolzen (1126—1138) zitrcgens-burg das deutsche Rolandslied schuf. Derselbe Konrad scheint auch der
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Extrahierte Personennamen: Emmeram Ludwigs Notker Wilhelm_Scherer Wilhelm Heinrichs Konrad
22. Kloster Ettal und der Pfaffenwinkel.
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verpflegt worden," welcher die Ziele der gemeinsamen geistigen Arbeit in jeurige Worte faßte. Und wackere Kämpen der Aufklärung haben diese Klöster selbst, zuvörderst Stift Polling, der neuen Akademie gestellt. Da waren, um nur zwei zu erwähnen, der bescheidene Dechant Eusebius Amort, ein Kind des Jsarwinkels, und der gelehrte Pater Gerhof Steigenberger, der sich zum Leiter der kurfürstlichen Bibliothek in München emporrang, ein armer Häuslerssohn aus der Gegend von Peißenberg, „von geringen, aber gar ehrlichen und frommen Eltern geboren," dem das Kloster „auf eigene Hanskosten" zu seiner Ausbildung in Paris und Rom die Mittel bot.
Wohin auch der Lebeuspsad solcher Männer sich wenden mochte, die Anhänglichkeit an das Mutterkloster ist ihnen geblieben, es zog sie immer wieder zurück nach den stillen Räumen, wo sie die schönsten Jahre verlebt und an die ihre Jugenderinnerungen sich knüpften. Wohl mochte auch unserem Steigenberger das Herz höher schlagen, wenn er in späteren Jahren bei einem Besuche Pollings den hallenden Korridor hinabwandelte und die Bibliothek betrat, in welcher über achtzigtausend Bände der seltensten und kostbarsten Art aufgespeichert waren, wenn ihn dort sein Lehrer, der ehrwürdige, Prälat Franziskus, der vortreffliche Bücherkenner, inmitten der Folianten begrüßte, die er mit selbstloser Aufopferung Jahrzehnte hindurch in aller Herren Länder, hinab bis Spanien und Portugal, hatte sammeln lassen. Und wenn die beiden dann ihre gelehrten Gespräche unterbrachen um an das geöffnete Fenster zu treten und ihr sinnender Blick über die wunderstille Gottesnatur schweifte zu den blauenden Bergen, an deren Abhängen der Staffelfee emporglänzte, da empfanden sie wohl mit inniger Befriedigung, daß auch sie nach tausend Jahren den gleichen Bestrebungen treu geblieben waren, welche auf der idyllischen Insel drüben bereits in den Tagen der Karolinger hochgehalten wurden, in dem wasserumspülteu Benediktinerklösterlein Stasfelsee, das vor seiner Zerstörung durch die räuberischen Ungarnhorden neben einem Reichtume kostbarer Kirchengeräte auch einen namhaften Schatz von Büchern barg.
Die Klöster des Pfaffenwinkels sind durch die Jahrhunderte unentwegt die Träger des Kulturfortschrittes gewesen; an ihre Schulen, Seminarien, Büchereien und Meierhöfe knüpft sich in jenen Zeiten des erschwerten Verkehres die Entwickelung des Gaues. Die wirtschaftliche Entwickelung nicht minder wie die intellektuelle; und wenn der Abt von Wessobrunn in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts eine eigene Klosterdruckerei errichtete, so oblagen die Prälaten von Benediktbeuern mit gleichem Eiser der Fischzucht und jeder, der einmal zu Andechs oder sonst in einem kühlen Klosterbrünstüblein einen frohen Nachmittag vertrank, hat es an sich selbst erfahren, daß die frommen Jünger des heiligen Benedikt, getreu ihrer Ordensregel, welche nicht nur ernstes Studium und die Anlegung von Bibliotheken vorschrieb sondern auch Handarbeit, die für Bayerns wirtschaftliches Wohlergehen so bedeutsame Fähigkeit einen trefflichen Tropfen zu brauen bis in unsere Tage herübergerettet haben.
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11. Kloster Tegernsee.
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Zeiten in Tegernsee für den Unterricht der Jugend. Unter Abt Rupert
(1155 1186) besingt der Dichter Metellus in klassischen Versen die Wunder des
Hl. Quirinus, Priester Weriuher beglückt die fromme Welt mit einem anmutigen Marienleben, geschrieben in deutscher Sprache. Sein Buch schmückte Weriuher mit kostbarer Kleinmalerei, eine Kunstübung, die schon vor ihm Abt Ellinger in dem berühmten Tegernseer Salbuch zu herrlicher Geltung gebracht hatte.
In der Kunst der Glasmalerei behauptete Tegernsee, wenn diese Kunst auch nicht bort erfunden ward, frühestens einen hervorragenden Platz. Ist doch von Abt Gozbert besannt, daß er die bis dahin mit groben Tüchern verhängten Kirchenfenster durch buntfarbige Glasgemälde ersetzen ließ. Um das Jahr 1090 war das Kloster durch eine Feuersbrunst zerstört worden. Für das neue Münster fertigte ein anderer Weriuher fünf Glasgemälde. Der nämliche Werinher war auch in der Goldschmiedekunst und Bildhauerei wohl bewandert und darin den Spuren des Klerikers Adalrich, des ersten deutschen Glockengießers, gefolgt, der seinerzeit im Aufträge des Abtes Gozbert die Quirinusglocke gegossen hatte.
In Kunst und Wissenschaft, in strenger Selbstzucht und ernster Frömmigkeit war Kloster Tegernsee vom 10. bis zum 13. Jahrhundert gleicherweise ausgezeichnet und sein Ruhm in aller Munde. Kein Wunder, wenn sich fremde Klöster gerade ans Tegernsee Mönche als Lehrer und Reformatoren des geistigen und geistlichen Lebens erbaten, wie das (1015) neu errichtete Kloster St, Ulrich in Augsburg, Kloster Feuchtwangen (1000), das verfallene Stift Benediktbeuern (1032). Der Reformeifer der Tegernseer Mönche war in dieser Periobe vielfach zum Sauerteig geworben für das religiöse Leben und Streben im füblichen Deutschland Tegernsee hatte damit den Glanzpunkt seiner zweiten Blüte erreicht.
Die nun folgenden zwei Jahrhunderte haben in der Geschichte des Klosters wenige Spuren hinterlassen. Im ganzen genommen war es jedoch eine Zeit des inneren und äußeren Verfalles. Wiederholt geriet Tegernsee in Streit mit den Mächtigen und war darob mit Brand und Plünderungen heimgesucht worben. Die Äbte umgaben sich mit fürstlichen Ehren und Abzeichen und stürzten das Kloster in Schulden. Der Weltsinn hatte auch iit Tegernsee die klösterliche Disziplin gelockert. Doch früher als in anderen Klöstern setzte in unserm Kloster die Reform ein, hauptsächlich durch die Tätigkeit des Abtes Aindorfer (1426—1461), die den Beginn einer britten Blüteperiobe bezeichnet. In kurzer Zeit befreite er das Kloster von einer drückenden Schulbenlast, brachte die herabgekommenen Gebäube in neuen Stanb, verbesserte die lockere Disziplin und zog eine Reihe ausgezeichneter Ordensleute heran, die nachher als Äbte die Klöster Andechs, Benebiktbeucrn, Scheyern und Dberaltaich zu leiten berufen waren. Aindorfers Nachfolger in der Abtwürde, Ayrnschmalz (1461—1492), setzte das so glücklich begonnene Reformwerk fort, erbaute 1471 die Stiftskirche von Grund auf, schmückte sie
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11. Kloster Tegernsee.
mit herrlichen Gemälden und bereicherte die Stiftsbibliothek mit 450 wertvollen Handschriften. Ein wichtiges literarisches Ereignis bildete die Einrichtung einer Buchdruckerei durch Abt Quirin Ii. (1568—1594). Eine Menge meist asketische, aber auch geschichtliche Werke gingen aus dieser Druckerei hervor. Für den wissenschaftlichen Geist, der im 17. und 18. Jahrhundert noch immer das Kloster Tegernsee beherrschte, zeugen die Lehrer und Professoren, die, Tegernsee entstammend, uns fast überall an den bayerischen Gymnasien und hohen Schulen begegnen, während es selbst wiederum fremden Schülern und Gelehrten jederzeit edle Gastfreundschaft gewährte und ihnen seine literarischen Schätze zur Verfügung stellte, wie z. B. (1683) dem berühmten Geschichtschreiber Mabillon oder (1717) dem gelehrten Bernhard Pez.
Man braucht nicht lange zu fragen, ob wohl ein für Wissenschaft so hochbegeistertes Kloster wie Tegernsee auch der Bildung des Volkes durch Errichtung und Unterhalt von Volksschulen Rechnung getragen hat. In Holz-kiichen treffen wir bereits 1433 einen Jörg Rautter als „Schulmeister", 1494 einen solchen namens Pierochs, 1460 in Tegernsee selbst den „Schulmeister" Wilhelm Schwalb; 1500 finden wir eine Schule in Egern, 1514 eine Schule iit Krenth, 1520 eine solche in Gmund bezeugt. Holzkirchen, Egern, Kreuth, Gmuud waren Tegernseeische Kirchorte; das Kloster unterhielt dort nicht nur die Schulhäuser und Lehrer, sondern kam auch noch größtenteils für den Bedarf an Lehrmitteln auf.
Am 17. Oktober 1753 beging Tegernsee das tausendjährige Jubiläum seiner Stiftung. Es sollte das letzte Jubiläum sein, das dort gefeiert wurde. Der Geist der Aufklärung, 5er in Frankreich zur Revolution und zum Königsmord getrieben, hatte auch in Bayern feinen Einzug gehalten. Im Frühjahr 180o teilte das Kloster Tegernsee mit den übrigen bayerischen Klöstern das Schicksal der Aushebung und ward mit all seinen Besitzungen zum Staatseigentum erklärt. Die Gebäude wurden teils abgetragen teils mit den übrigen Habseligkeiten versteigert. Die Klosterbibliothek, welche damals 60000 Bände, darunter allein 2500 Handschriften und Erstlingsdrucke zählte, wurde aufgelöst. Wichtigere Bestandteile derselben kamen nach München und Landshut. Die Mönche zerstreuten sich um in der Welt draußen teils als Lehrer teils als Seelsorger einen Wirkungskreis zu finden. So ward der Stiftung Dtfars und Adalberts nach einer ruhmvollen Vergangenheit ein tragisches Ende bereitet.
Nur St. Quirins Münster war der Zerstörung entronnen. Inmitten eines weltlich-bunten Treibens, das sich heute an Tegernsees Usern abspielt, blieben seine Türme fast die einzigen hochragenden Zeugen einer tausendjährigen Kultur, welche hier für einen weiten Gau unseres Vaterlandes ihren wirtschaftlichen und geistigen Mittelpunkt gefunden hatte und deren Geschichte auss engste verknüpft ist mit der Geschichte der bayerischen Klöster nicht bloß sondern auch mit der Geschichte unseres ganzen altbayerischen Landes.
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Extrahierte Personennamen: Mabillon Bernhard_Pez Wilhelm_Schwalb Wilhelm
Extrahierte Ortsnamen: Holzkirchen Frankreich München Adalberts
74. Des Kurfürsten und Königs Max I. Joseph innere und äußere Politik. 403
waren, und veranstalteten auf Kosten ihrer abwesenden Wirte glänzende Bälle und Schmansereien. Doch ließen sich die Franzosen auch die edleren Genüsse nicht entgehen, die ihnen die Stadt bieten konnte. Wie Moreau große Borliebe für die deutsche Literatur hegte, so war General Desolle ein enthusiastischer Verehrer der deutschen Tonkunst. Auf seinen Wunsch wurde durch die kurfürstliche Kapelle, die einen hohen Rnf genoß, Haydns Schöpfung aufgeführt, die selten ein so begeistertes Publikum gefunden haben mag wie jene französischen Offiziere. Ihre Verehrung für die bildeudeu Küuste bekuudeten jedoch die Sieger in eigennützigster Weise. Als der Kommissär der Rheinarmee, Neven, in den Gemäldesaal der Residenz trat, rief er überrascht ans: „Wie war es nur diesen kleinen Herzogen und Kurfürsten von Bayern möglich Kunstschätze zu sammeln, wie sie die Tnilerien nicht besitzen!" Sofort schrieb er ans diejenigen Gemälde, die ihm am besten gefielen, mit Kreide: Republique Franeaise, zur Anweisung für die Greuadiere, welche deu Raub abholen mußten. Vorstellungen bei dem Gouverneur der Okkupationstruppen erzielten nur die Antwort: „Es kann nicht die Rede sein von Bedingungen und Schwierigkeiten zwischen Sieger und Besiegten; der erste befiehlt, der audre gehorcht gutwillig oder weicht der Gewalt." Auch die der Stadt auferlegte ungeheure Branbschatznng ließ die Einwohner über ihr Verhältnis zu den „Befreiern der bentschen Völker", wie die Franzosen in ihren Proklamationen sich nannten, nicht im Zweifel.
Auch bei Hohenlinben konnten die Österreicher nnb Bayern über Moreaus überlegenes Felbherrngenie nicht obsiegen, die Franzosen brangen in die kaiserlichen Erblanbe ein, so daß der Kaiser für seine Hauptstadt Wien bangend Waffenstillstand schloß und Unterhandlungen anknüpfte, die zum Frieden von Luueoille führten. Dem wachsamen Montgelas, dem einflußreichsten Minister des Kurfürsten, blieb nicht unbekannt, daß Vonseiten des Wiener Kabinetts neuerbings Anstrengungen gemacht wurbeu, um für die an Frankreich abzn-tretenben Gebiete Ersatz bnrch Einverleibung eines Teils von Bayern zu gewinnen. Es war bemnach in Wahrheit nur ein Akt der Notwehr, daß Bayern um sich seiner Freunde zu erwehren mit Frankreich einen Vertrag abschloß (24. August 1801), wodurch es allen Ansprüchen aus das linke Rheimtfer entsagte, sich dagegen eine Entschädigung an Land verbürgen ließ, „das so günstig als möglich gelegen wäre um als Ersatz für alle Verluste zu dienen".
Da durch die Bestimmungen des Lnneviller Friedens überhaupt eine Umgestaltung von ganz Deutschland notwendig geworden war, wurde ein Kongreß nach Regeusburg berufen, dessen Hauptschluß erst am 27. April 1803 zum Vollzug kam. Dank den freundschaftlichen Beziehungen zu Frankreich wnrde Bayern bei dem Gebietsaustausch in hohem Maße begünstigt. Es erhielt die Hochstifte Würzburg und Bamberg, die zu den schönsten und best-kultivierten Territorien des Reiches zählten, die Hochstiste Augsburg und Freising itrtb eine große Anzahl wichtiger Reich sstäbte. Erst bitrch diese Erwerbungen in Franken und Schwaben war zu einer politischen Entwicklung Bayerns die
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Extrahierte Personennamen: Max_I. Joseph Neven August
Extrahierte Ortsnamen: Haydns Rheinarmee Moreaus Wien Frankreich Frankreich Deutschland Regeusburg Frankreich Hochstiste_Augsburg Schwaben Bayerns
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65. Eine geistliche Stadt.
Entwicklung für alle Zeit schon geographisch verbürgt ist. Nur Eichstätt und Fulda rücken dem Charakter Freisings sehr nahe; wo man sie überhaupt nennt unter den deutschen Städten, da tut mau's wegen ihrer geistlichen Geschichte. Eichstätt ist aber doch nur ein Bischofssitz untergeordneteren historischen Ranges und wenn Fulda in ältester Zeit Freising überragt durch seine klerikale Knlturmacht, so hat es dieselbe doch nicht so lange und andauernd zu steigern und bis nahe zur Gegenwart zu behaupten gewußt.
Mau sieht aus alledem, daß ich das Beiwort „geistlich" bei Freising schon unterstreichen darf. Das Einzelbild dieser Stadt soll, zum Gattungsbild geworden, als eine Studie zur vergleichenden Kenntnis des deutschen Städtewesens dienen.
Die reiche sreisingische Spezialliteratur wird schon in ihren Büchertiteln und Autornamen zum lebendigen Bilde und versetzt uns unmittelbar auf den geistlichen Boden, der die Stadt und ihre Geschichte trägt. Fast alle Hauptautoren, die über Freising geschrieben haben, von der ältesten bis zur neuesten Zeit, sind Geistliche gewesen und der Bibliothekar kann bei den meisten Schriften zur Geschichte Freisiugs in Verlegenheit geraten, ob er dieselben unter der Rubrik hisioria ecclesiastica ausscheideu soll. Die umfassendste oder doch mindestens am sorgsamsten und selbständigsten gepflegte Sammlnng der Frisingensia befindet sich dementsprechend mich in geistlichem Besitze, in der Bibliothek des Domkapitels zu München.
Eine Geschichte der Stadt Freising ist noch nicht geschrieben; um so fleißiger schrieb man die Geschichte der freisingischen Bischöfe. Wie ein Heiliger (Korbinian) das Bistum gründete (724) und ein anderer Heiliger (Bonifatins) dasselbe zu einem ständigen Bischofssitze erhob (739), so beginnt auch die Spezialliteratur Freisings mit einem Heiligenleben, der Biographie Korbinians von Aribo. An dem Faden der Biographie der Bischöfe spinnt sich die Geschichte Freisings weiter und aus der Perspektive des Domberges können wir daun gelegentlich auch die Entwicklung der Stadt beobachten. Ganz ähnlich findet sich's anderwärts bei den echten Residenzstädten weltlicher Fürsten. Nicht bloß die Geschichte, auch die Geschichtschreibung der Stadt wird von der Fürsteugeschichte aufgesogen; in den Reichsstädten dagegen ist der fruchtbare Keimboden der bürgerlichen Städtechroniken.
Unter den Vertretern der historischen Literatur Freisings erscheinen Bischöse, Mönche, Domherren, Dompröpste, ein Domdechant, ein Kaplan, geistliche Professoren und Priester anderer Grade. Nun wäre es eben nichts Besonderes, wenn im früheren Mittelalter bloß Geistliche über diesen geistlichen Fürstensitz geschrieben hätten; allein anch zur Zeit der Renaissance (Veit Arnpecf und Joh. Freiberger) und im 18. Jahrhundert (Meichelbecf) herrschen die geistlichen Federn. Ja man kann sagen bis zur Säkularisation ist keine namhafte selbständige Schrift über Freising erschienen, die nicht entweder einen geistlichen Herrn zum Verfasser Hatte oder in den wenigen Ausnahmefällen mindestens solche
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34. Herzog Wilhelm V. von Bayern als Kunstfreund.
ein Frühlingshauch. Und daß es in langem gemeinsamen Überlegen ausgereifte Baugedanken waren, feine Augenblicksschöpfungen, die nunmehr zur Tat werden, beweisen eben die beiden Werke, in welchen die Kunstpflege Wilhelms V. ihren Höhepunkt und ihren vollendetsten Ausdruck findet.
Als Verwirklichung seines hochsinnigen Wahlsprnches »Servire Deo regnare est«, als monumentales Bekenntnis des unbeugsamen Festhaltens als Landesfürst an dem altererbten Väterglauben entsteht die Ordenskirche von St. Michael. Es lebt eine himmelanstrebende Großzügigkeit in diesem Baue, die ihn als Raumschöpfung hoch hinaushebt über alles, was damals in Deutschland ins Leben trat, etwas unendlich Ernstes und Feierliches, das unwillkürlich das Wort zum Flüstertöne dämpft, wenn der Blick die in prachtvollem Schwünge sich wölbende Halle umsaßt. Nichts kühl Vornehmes, nichts verstandesmäßig Berechnetes. Es ist der Geist tiefsten inneren Empfindens und Erfaffens des Göttlichen, der hier zu uns spricht, der Geist, aus dem heraus Orlando di Lasso seine in mächtig fortreißenden Rhythmen einherrauschenden Tonwerke gedichtet.
Und neben diesen Hymnus an den Erlöser tritt einschmeichelnd und graziös wie eine italienische Canzouetta das lauschige Idyll des Grottenhoses, jenes stille, kunstgeweihte Plätzchen voll Blumenduft und Brunnengeplätscher, das Wilhelm inmitten der weitläufigen Hofburg sich eingerichtet und wo er einsam träumen konnte oder in trauter Zwiesprach sich ergehen mit seinen Künstlern und Getreuen. Gewiß nichts erzählt uns eindringlicher von Sustris' hoher Meisterschaft, als daß es ihm baulich gelungen ist, zwei so ganz verschieden gearteten Stimmungen gleichzeitig und in gleich vollendeter Weise gerecht zu werdeu.
Und ehe ich abschließe, will ich noch von einem Unternehmen berichten, das während der letzten Regierungsjahre Wilhelms V. bedeutsam in den Vordergrund tritt und dessen Geschichte getreulich die Wandlung widerspiegelt im Seelenleben des Fürsten.
Das 16. Jahrhundert mit seinem gesteigerten Ruhmbedürfnis ist an fast allen Höfen Europas das Zeitalter der Errichtung der großen Familiengrabdenkmale. Was in Italien die Päpste und die Mediceer gewollt, sagt uns allein schon der Name Michelangelo. In Saint-Denis, der ehrwürdigen Begräbnisstätte der Könige Frankreichs, planen die Valois eine gewaltige Rundkirche, im Eskorial läßt Philipp Ii. von Spanien durch Leone und Pontpeo Leoni für sich und seinen Vater Karl V. ein kostbares Bronzedenkmal schaffen, die Habsburger fördern das Innsbrucker Werk ihres Kaisers Maximilian und selbst kleinere Herren bleiben nicht zurück, wie das Beispiel des Grasen Ernst von Schaumburg-Holstein beweist, der die Ausführung seines Grabmonumentes in Stadthagen dem gewandten Niederländer Adriaen de Vries, dem Meister des Augsburger Merkur- und Herkulesbruuuens, anvertraute.
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