1
1911 -
Breslau
: Hirt
- Autor: Seydlitz, Ernst von, Hermann, Schütze
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
rte Sammlung von deutschen Landeskunden
>ft zur Grgänzung der Lehrbüd-er von C. von öeydlttz
Landeskunde
der
Provinz Posen
von
vr. Hermann Schütze
Mil 33 Bildern und 1 Karte
2
1911 -
Breslau
: Hirt
- Autor: Seydlitz, Ernst von, Hermann, Schütze
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
Bemerkungen des Verlegers.
Die Band- und Heftausgaben der E. von Seydlitzschen Geographie sind bisher
in fast 3 Millionen Exemplaren verbreitet worden.
Den Herren Direktoren und Fachlehrern sowie den Schulvorsteherinnen und Fach-
lehrerinnen, die den „Seydlitz" behufs etwaiger Einführung zu prüfen wünschen, stelle
ich gern ein Exemplar der in Betracht kommenden Ausgabe nebst der Landes-
kunde unberechnet zur Verfügung. Ich bitte aber bezügliche Wünsche unter Angabe der
Schulgattung mir mitzuteilen, damit Verzögerungen durch Rückfragen vermieden werden.
Breslau. Ferdinand Hirt.
= Alle Rechte vorbehalten! =
Diese Landeskunde wird auf Verlangen mit den Ausgaben A und B des „Seydlitz"
zusammengebunden geliefert. Die Preise stellen sich alsdann wie folgt:
Ausgabe A (Seydlitz - Oehlmann, 24. Bearbeitung) mit Landeskunde Posen M. 2.—
Ausgabe A (Seydlitz-Tronnier, 25. Bearbeitung) mit Landeskunde Posen M. 2.25
Ausgabe B (Seydlitz-Oehlmann, 22. Bearbeitung) mit Landeskunde Posen M. 4.—
Ausgabe B (Seydlitz -Rohrmann, 23. Bearbeitung) mit Landeskunde Posen M. 4.—
Einzelpreis dieser Landeskunde kartoniert M. 1.—
E. von Seydlitz!ch° Geographie
Neubearbeitungen nach landschaftlichem Prinzip. Mit zahlreichen Bildern in
Photographie- und Farbendruck.
I. Bandausgaben.
Ausgabe A:
Grundzüge. Bearb. v.oberlehrer R. Tronnier.
25. Bearbeitung. Neudruck 1910. Geb. M. 1.25
Ausgabe k:
Kleines Lehrbuch. Bearbeitet von Professor
vr. A. Rohrmann. 23.Bearbeitg. Geb.m.3.—
Neben diesen Neubearbeitungen bleiben die bisherigen Bearbeitungen bestehen:
Ausgabe A:
Grundzüge. Herausgegeben von Direktor
vr. E. Oehlmann. 24. Bearbeitg. Geb. M. 1,—
Ausgabe B:
Kleines Lehrbuch. Herausgegeben von Direktor
vr. E. Oehlmann. 22.Bearbeitg. Lwdbd.m.3.—
Ii. Heftausgaben.
Ausgabe Di In 7 Heften für Anstalten mit
wöchentlich Zwei Unterrichtsstunden auf der
Mittel- und Oberstufe. Bearbeitet von Pro-
fessor vr. A. Rohrmann.
kartoniert kosten
Ausgabe 0: In 5 Heften nebst Vorstufe u. Er-
gänzungshest für Anstalten mit wöchentlich einer
Unterrichtsstunde. Bearbeitet von Professor
vr. A. Rohrmann.
kartoniert kosten
V. Vi, Vii. Vorstufe ! I. Ii, Iii. Iv. V. Lrg.-Heft
— .90 —.90 1.— M.—.90 I —.70 -.70 -.80 1.— -.90 —.60
ere Mädchenschulen. Herausgegeben von Direktor Paul Gockisch.
kartoniert M. —.75 I Heft 3 kartoniert M. —.75
kartoniert M. I.— | Heft 4—7 kartoniert je M. 1,—
ic, Erdkunde für Höhere Mädchenschulen
Anstalten. In drei Teilen. Kartoniert je M. 1.50.
; wurde der gesamte geographische Lehrstoff der sieben Hefte der Ausgabe E
zusammengezogen. Line derartige Kürzung ohne Verzicht auf wichtige Ab-
dingen dadurch ermöglichen, daß viele Wiederholungen, die bei der Stoff-
klassen in Sonderheften unbedingt erfolgen mußten, hier in Wegfall kamen,
an passender Stelle eingereiht.
» für Mittelschulen und verwandte Anstalten
ruf Grund der E. von Seydlitz'schen Geographie,
n drei Teilen. Kartoniert je M. 1.60.
Als Ergänzung erschienen 22 reich illustrierte Landeskunden der Provinzen Preußens und der
deutschen Einzelstaaten zum Preise von 50 Pfennig bis 1 Mark je nach Umfang.
3
1911 -
Breslau
: Hirt
- Autor: Seydlitz, Ernst von, Hermann, Schütze
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
¡in nifi H'/t
Landeskunde
der Provinz Posen
Don
l)r. Hermann Schütze
Oberlehrer an der Kgl. Verger-Oberrealschule
in Posen
Mit 33 Bildern und 1 Karte
Hjitj „ y ¡J¡ g^j
*5) 'Ì Uo
Ferdinand Hirt
Königliche Universitäts- und Verlagsbuchhandlung
Breslau, Königsplatz 1
1911
4
1911 -
Breslau
: Hirt
- Autor: Seydlitz, Ernst von, Hermann, Schütze
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
Vorwort.
Einem Wunsche des Verlegers entsprechend, wurde die vorliegende Landes-
kunde von mir geschrieben. Als ein Kind der Provinz Posen habe ich mich
seit mehreren Jahren gerade mit der Landeskunde meiner Heimat besonders
beschäftigt, und glaubte daher die Aufforderung nicht ablehnen zu dürfen, obwohl
die Arbeit nicht leicht und oft wenig dankbar war. Denn keine Landschaft des
Deutschen Reiches besitzt eine so armselige geographische Literatur wie Posen.
Es seien daher die Lücken in der Darstellung, die vielleicht keinem so bekannt
sind wie dem Verfasser selbst, gütigst entschuldigt.
Das geologische Kapitel und die Kartenskizze sind von Herrn Geheimen
Bergrat Prof. Dr. Ientzsch, dem besten Kenner der Posener Geologie, durch-
gesehen worden; ebenso hat Herr Archivrat Prof. Dr. Warschauer, der beste
Kenner der Posener Landesgeschichte, die vorliegende Arbeit nach der geschicht-
lichen Seite hin geprüft. Beiden Herren sei für ihre Bemühungen auch an
dieser Stelle herzlichst gedankt. Dank gebührt ferner den Herren Gymnasial-
direktor Dr. Schjerning, Prof. Dr. Pfuhl und Prof. Dr. Wörner für
Überlassung von Photographien für den Bilderanhang. Endlich sei auch noch
den Herren Bürgermeistern und Ortsvorstehern unserer Städte und Dörfer
gedankt, welche so prompt und bereitwillig auf die Anfragen nach den (im
Buche bereits verwerteten) Ergebnissen der neuesten Volkszählung vom
1. Dezember 1910 geantwortet haben.
Posen, im Februar 1911. Dr. Schütze.
Inhaltsübersicht.
A. Das ganze Land.
Seite
I. Lage und Bedeutung des
Posener Landes .... 3
Ii. Name, Grenzen und Größe 4
Iii. Aufbau und Einteilung des
Posener Landes .... 5/
Iv. Entstehungs- und Entwick-
Seite
lungsgeschichte der Landober-
ffäche.....................12
V. Das Wassernetz .... 22
Vi. Das Klima . . , . . 28
Vii. Pflanzen- und Tierwelt . 30
Vili. Die Bevölkerung ... 33
B. Die einzelnen Landschaften.
Seite
I. Die Schildberger Hochfläche 39
Ii. Die Südposener Hochfläche . 40
Iii. Die Westposener Hochfläche 46
Iv. Das Zwischenstromland . . 51
Seite
V. Die Ostposener Hochfläche . 53
Vi. Die Kujavische Hochfläche . 58
Vii. Die Nordposener Hoch-
fläche ...........................62
5
1911 -
Breslau
: Hirt
- Autor: Seydlitz, Ernst von, Hermann, Schütze
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
A. Das ganze Land.
I. Lage und Bedeutung des Posener Landes.
Das Posener Land ist ein Teil jener gewaltigen Tiefebene, die sich vom
Fuße der Pyrenäen im Sw über Nordfrankreich, Deutschland und Rußland
bis an die Ketten des Uralgebirges im 0 hindehnt. Dort, wo die endlosen
Ebenen Westrußlands eine energische Einschnürung durch das Vordringen der
Ostsee im dl und die Aufwölbung der karpatischen und sudetischen Falten
im 8 erfahren, haben wir das Übergangsgebiet zwischen dem Norddeutschen
Flachlande auf der einen und der Russischen Tafel auf der anderen Seite.
Es sind zwei Gebiete, die einander äußerlich zwar recht ähnlich sehen, in ihrem
inneren geologischen Aufbau aber grundverschieden sind. Gerade am äußersten
Rande dieses Grenzgebietes ist unser Posener Land gelegen, und Zwar so, daß
es zum weitaus größten Teil zum Norddeutschen Flachland gehört und wohl
nur mit einem Zipfel im No auf die Russische Tafel übergreift. Es ist ungefähr
gleichweit von der Küste der Ostsee im N wie vom Rande der Sudeten im 8
entfernt; es entbehrt also sowohl der anregenden Kraft des Meeres, welches
den Sinn des Menschen in weite Fernen lenkt und in ihm weltumspannende
Pläne reifen läßt, als auch der Vielgestaltigkeit der Bodenformen, mit welcher
eine reichere Entwicklung staatlicher und geistiger Kultur verbunden zu sein pflegt.
Wie das Posener Land geologisch als ein Grenzgebiet gekennzeichnet ist, so
in noch stärkerem Maße anthropogeographisch: Germanentum und Slawentum
stoßen in seinen Grenzen aufeinander und liegen in jahrhundertelangem, noch
heute unentschiedenem Kampfe. Vielleicht hängt es mit diesem ruhelosen Völker-
getriebe und der Abgeschlossenheit von den beiden anregendsten geographischen
Elementen: Meer und Gebirge, zusammen, daß unser Land auf geistigem wie
auf politischem Gebiete gegenüber den anderen Landschaften Deutschlands so
auffällig zurücksteht: wir suchen umsonst nach Namen von weltbekannten Dichtern,
Künstlern oder Gelehrten, die unserer Heimat entstammen, mögen es Deutsche
oder Polen fein; während die Nachbarlandschaften Schlesien, Brandenburg,
Preußen und Pommern ihre Kant, Herder, Kopernikus, Opitz, Kleist u. a. m.
besitzen. Fast dasselbe Bild auch auf politischem (Bebtet; nur einmal hat
das Posener Land eine welthistorische Rolle gespielt: damals, als Boleslaus
Ehrobry es zum politischen und geistlichen Mittelpunkt seines Königreiches machte.
Aber mit dem baldigen Zusammenbruch seines Reiches unter seinen Nachkommen
hörte auch diese Rolle Posens auf; für das Königreich Polen lag es zu
peripherisch, um dauernder Mittelpunkt zu bleiben, daher übernahm Krakau und
später Warschau Posens Aufgabe. Ähnlich steht es mit der Bedeutung der Provinz
Posen für das Königreich Preußen: während Brandenburg die Wiege des
Preußischen Staates wurde, Pommern ihm den ersten direkten Weg zum Meere
gab, Preußen ihm die Königskrone verschaffte und Schlesien endlich seine Groß-
machtstellung begründete, hat Posen für Preußen wie für Polen nur eine Be-
deutung zweiten Ranges gehabt: es bildet das Bindeglied zwischen den beiden
Eckpfeilern der deutschen Macht an der russischen Grenze, zwischen Schlesien und
Preußen. Aber während es für Polen ein nach W weit vorgeschobener Posten
war, der auch hydrographisch mit dem Hauptstrom des Landes, der Weichsel,
gar nicht zusammenhing, ist es umgekehrt für Preußen-Deutschland ein
urnotwendiger Bestandteil; denn die Provinz Posen schließt eine tief in den
Leib des Reiches bis in die Nähe der Reichshauptstadt reichende Lücke.
1*
6
1911 -
Breslau
: Hirt
- Autor: Seydlitz, Ernst von, Hermann, Schütze
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
4
Landeskunde der Provinz Posen.
Ii. Name, Grenzen und Gröhe.
Name.
Die heutige Provinz Posen führt ihren Namen erst seit kaum 100 Jahren.
Vor der ersten polnischen Teilung im Jahre 1772 war ihr Gebiet nebst den
östlich benachbarten Landstrichen unter der Bezeichnung Großpolen (Polonia
Maior, Wielkopolska) bekannt. Posen war der Name der Hauptstadt und
zugleich einer Woiwodschaft in Großpolen, die fast halb so groß war wie die
heutige Provinz und ihren ganzen Westen einnahm. Im Jahre 1772 kam
ungefähr der heutige Regierungsbezirk Bromberg unter dem Namen „Netze-
distrikt" an Preußen und wurde zunächst ein Teil der Provinz Westpreußen.
Der Rest unserer Provinz kam 1793 zusammen mit dem Weichselgebiet bis
Warschau an Preußen und erhielt die Bezeichnung „Südpreußen". Im Tilsiter
Frieden 1807 fielen Südpreußen und fast der ganze Netzedistrikt an das
Herzogtum Warschau. Die Befreiungskriege aber brachten im Wiener Frieden 1815
das Gebiet der heutigen Provinz Posen an Preußen zurück,- damals erst ist die
heutige Ostgrenze des Posener Landes gegen Rußland abgesteckt worden, und
der Netzedistrikt nebst dem Rest von Südpreußen erhielt die Bezeichnung „Groß-
herzogtum Posen". Dieser Name ist später in „Provinz Posen" umgeändert
worden. So ist also der Name der wichtigsten Stadt erst in neuester Zeit
zugleich der Name für ein ziemlich altes Landschaftsgebilde geworden.
Grenzen.
Wie die Entstehung des Namens unserer Provinz schon zeigt, ist das
Posener Land in seinen heutigen Grenzen keine ganz jugendliche Bildung, da
es ungefähr dem mittelalterlichen Großpolen entspricht. Das dürfte wohl gleich
einen Fingerzeig für die Schärfe seiner natürlichen Grenzen geben, denn nur
Landschaften mit scharf ausgeprägten Grenzen pflegen ein hohes Alter zu haben.
Wenn wir an den heutigen politischen Grenzen des Posener Landes entlang-
wandern, sei es im 0 gegen Rußland, im 8 gegen Schlesien, in W gegen
Brandenburg und im N gegen Westpreußen, so werden wir, abgesehen von
dem Stückchen Weichselbogen an der Nordostgrenze, wohl nirgends den Eindruck
„natürlicher" geographischer Grenzen haben. Und doch wird unser Land im dl,
Xv und 8 von gewissen natürlichen Grenzlinien umfangen, die uns zugleich
geographisch sehr deutlich seine Zugehörigkeit zum 0, also zu dem ehemaligen
Polenreiche erklären. Es sind das im dl und 8 die breiten sumpfigen Täler
der Netze und Bartsch und im W, abgesehen von der Fraustädter Lücke, das
seenreiche untere Obratal. Diese Talzüge bildeten bis in die Zeit der Fluß-
regulierungen und der planmäßigen Wegebauten, die erst mit dem Ende des
18. Jahrhunderts beginnt, außerordentliche Verkehrshindernisse. Verstärkt
wurden diese Hindernisse noch durch mächtige, ausgedehnte Waldgürtel, besonders
an der Netze und Obra; diese haben sich zum Teil bis auf den heutigen Tag
erhalten und sind durch die Talsande zu beiden Seiten der genannten Flüsse
bedingt. Nur an den Stellen, wo aus dem sumpfigen Talboden Inseln festen
Landes aufragten, oder wo die Talufer einander möglichst nahetraten, gingen
enge, nur dem Ortskundigen bekannte Wege hinüber und vermittelten den
Verkehr mit dem Nachbarlande. Solche Talzüge mit ihren breiten Waldrändern
7
1911 -
Breslau
: Hirt
- Autor: Seydlitz, Ernst von, Hermann, Schütze
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
Iii. Aufbau und Einteilung des Posener Landes.
5
wirkten nicht minder trennend wie etwa der Kamm der Sudeten; und wie
bort, kann man auch hier von „Pässen" reden, an denen sich naturgemäß
Städte entwickeln mußten. Nur im 0 fehlt ein solch grenzbildender Talzug;
denn das Prosnatal, welches heute fast die Hälfte der Ostgrenze bildet,
ist zu schmal und unbedeutend, um eine natürliche Grenzsperre abzugeben.
Dieser Umstand erklärt eben die einstige politische Zugehörigkeit unseres Landes
zu Polen. Jene oben skizzierten natürlichen Grenzen haben heute ihre Be-
deutung längst eingebüßt, seit man den Flüssen einen tieferen Abfluß gegeben,
die Sümpfe dadurch vermindert und endlich viele Dämme für Eisenbahnen,
Chausseen und Landstraßen durch sie hindurchgeschüttet hat. Immerhin hat
die Netze, der am schwersten zu überschreitende Fluß Posens, noch heute von
Nakel abwärts bis zur brandenburgischen Grenze nur 5 Übergangsstellen.
Die politischen Grenzen des Posener Landes gingen aber schon im Mittel-
alter über die Talzüge von Obra und Netze hinaus nach W und N; ein Beweis
für die energische Politik der mittelalterlichen Polenherrscher gegenüber der
Schwäche des Deutschen Reiches. Polen setzte sich der größeren Sicherheit wegen
auch in den Besitz des feindlichen Grenzlandes, ein Verfahren, welches Friedrich
der Große im Jahre 1772 bei Besetzung des Netzedistrikts nachahmte: die
Netze sollte die Grenze sein, aber Friedrich nahm den ganzen Südrand des
Netzegebietes mit in Besitz.
Größe.
Das Posener Land erstreckt sich von 51° 8' bis 53° 28' n. Br. und von
15° 20' bis 18° 40' ö. L. von Greenwich; es reicht also über rund 2^/g Breiten-
grade und 31/3 Längengrade. Die größte ostwestliche Erstreckung hat es unter
der geographischen Breite von Schwerin mit 210 km und die größte nordsüdliche
Erstreckung unter dem Meridian von Krone a. Br. mit 257 km, so daß also die
Längenerstreckung von der Breitenerstreckung um rund 50 km übertroffen wird.
Wenn man von dem schmalen Landzipfel im 8 der Bartsch und dem Teil
russischen Gebietes absieht, welches an der Warthe nach W bis zur Prosna-
mündung vorspringt, so umschließen die Posener Grenzen eine Fläche, die ihrer
Gestalt nach der Idealfigur aller Flächen, nämlich einem Kreise, recht nahekommt.
Die Provinz Posen umfaßt 28 982 qkm. Das ist ein Areal, welches der
Mittelgröße einer preußischen Provinz ziemlich genau entspricht. Größer als
Posen sind nur die Provinzen Schlesien, Brandenburg, Ostpreußen, Pommern
und Hannover. Die übrigen 6 Provinzen sind kleiner. Verglichen mit anderen Land-
schaften sind z. B. die Königreiche Württemberg und Sachsen erheblich kleiner,
die Königreiche Belgien und Holland nur um wenig größer als unser Posener Land.
Iii. Aufbau und Einteilung des Posener Landes.
Als ein Teil des großen Norddeutschen Flachlandes zeigt das Posener Land
in seiner Oberflächengestaltung natürlich dieselben Züge, wie dieses ganze Gebiet.
Wie für das Norddeutsche Flachland überhaupt ist auch für das Posener Land
eine große Einförmigkeit des Aufbaues charakteristisch: weithin sich dehnende
schwachwellige Flächen, die von meist fiachen Talzügen durchschnitten werden,
ist die stetig wiederkehrende Hauptform im Aufbau der Landschaft. Die Täler
8
1911 -
Breslau
: Hirt
- Autor: Seydlitz, Ernst von, Hermann, Schütze
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
6
Landeskunde der Provinz Posen.
der größeren Flüsse sind bei ihrer oft mächtigen Breite nur so flach eingesenkt,
daß das Auge zuweilen umsonst den anderen Talrand sucht und mehr den
Eindruck einer Tiefebene als den eines Flußtales empfängt. Nur die engen
Täler der kleineren Flüsse bringen mit ihren Seen eine reizvollere Abwechslung
in das Landschaftsbild. Ausnahmsweise durchziehen auch Hügelreihen von mäßiger
Höhe und sanft gerundeten Formen das Gelände und geben dann, meist wald-
bedeckt, im Verein mit zwischengelagerten Seen einen Landschaftstypus, der an
lieblicher Schönheit manchen vielgerühmten Gegendendes Deutschen Mittelgebirges
kaum nachsteht. Die Höhenunterschiede der ganzen Provinz bewegen sich nur
in sehr engen Grenzen; denn der tiefste Punkt, dort, wo die Warthe die Provinz
verläßt, liegt 24 m über dem Meeresspiegel; der höchste, die Haideberger (früher
Kobylagoraer) Höhe im äußersten Südzipfel, erhebt sich auf 284 m. Die
größtmögliche Höhendifferenz beträgt also nur 260 m; sie kann sich aber kaum
bemerkbar machen, weil die beiden genannten Punkte über 200 km voneinander
entfernt liegen. Schon Höhendifferenzen von 100 m auf engem Raume gehören
zu den größten Seltenheiten, sie finden sich, abgesehen von den Talrändern der
mittleren Netze, wohl nirgends in der ganzen Provinz. In diesem für land-
schaftliche Schönheit gerade so wichtigen Moment dürfte die Provinz Posen
allen anderen preußischen Provinzen nachstehen, während ihre größte Höhe
(284 m) von den höchsten Punkten Brandenburgs, Pommerns und Schleswig-
Holsteins nicht erreicht wird. Die Durchschnittshöhe des ganzen Posener Landes
kann man auf rund 85 m ansetzen; denn die Durchschnittshöhe aller größeren
Seeflächen ist auf 76 m berechnet worden, und da die Seeoberslächen in der
Regel nicht sehr tief in die Landoberflächen eingesenkt sind, wird die mittlere
Höhe des Landes 85 m kaum viel übersteigen.
Wie bereits angedeutet, ist der äußere Aufbau des Posener Landes in
erster Linie gekennzeichnet durch den Gegensatz der schwachwelligen und nur
ausnahmsweise von Hügelreihen durchzogenen Hochflächen und der sie durch-
schneidenden Talzüge. Diese Talzüge bedingen die Hauptgliederung des Landes.
Sie erstrecken sich im wesentlichen in zwei Hauptrichtungen: nämlich von O nach Xv,
der sog. Längsrichtung, und von 8 nach dl, oder umgekehrt, der Querrichtung.
Natürlich kommen daneben auch noch alle anderen denkbaren Jwischenrichtungen
vor, so besonders in der Mitte der Provinz eine Nordwest-Südostrichtung, doch
spielen diese Iwischenrichtungen eine verhältnismäßig untergeordnete Rolle. In
der Längs- oder Ostwestrichtung sind besonders vier große parallellaufende Tal-
züge hervorzuheben, die nur teilweise noch heute von zusammenhängenden Fluß-
läufen durchzogen werden. Zwei von diesen Talzügen nehmen erst auf Posener
Gebiet ihren Anfang, die beiden anderen kommen weit aus dem 0 von der
Weichsel her; alle vier gehen schließlich ins Odertal über und haben in früheren
geologischen Perioden im Xv bis zur Elbe und vielleicht noch weiter gereicht.
Das sind die sogenannten Urstrom- oder Haupttäler.
Als erstes Urstrom- oder Haupttal geht im 8 das breite, bruchige Bartschtal
von einer sumpfigen Wiese aus, die durch die Faule Bartsch zugleich nach 0
zur Prosna entwässert wird, nach Xv zur Oder. Die Breite des flachen Tales
beträgt rund 2 bis 3 km, vermindert sich stellenweise aber auf km; sie paßt
wenig zu dem kleinen, wasserarmen Fluß. Dieses Bartschtal bildet den Anfang
des sog. Glogau-Baruther Urstromtals, das sich über ,Oder,- Bober - Neiße -
Spree bis zur Elbe im dl von Magdeburg verfolgen läßt.
9
1911 -
Breslau
: Hirt
- Autor: Seydlitz, Ernst von, Hermann, Schütze
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
Iii. Aufbau und Einteilung des Posener Landes.
7
Das zweite große Längstal kommt von der Weichsel nördlich Warschau
herüber zur mittleren Warthe, wird von der Warthe durchströmt bis Moschin
südlich Posen und geht von hier durch das breite Obrabruch zur Oder,
unteren Spree, Havel und Elbe. Man nennt es das Warschau-Berliner Urstromtal.
Auch dieses Tal hat eine Breite, die wenig mit der Größe der Flüsse über-
einstimmt, von denen es durchströmt wird. Es ist nämlich stellenweise fast 15 km
breit; so das Warthetal bei Neustadt a. W. und das Obrabruch bei Schmiegel;
Breiten von rund 10 km treten häufiger auf, so bei Schrimm, Rogalinek und
Priment. Eine Verengung von nur 2 bis 3 km Breite findet sich im Obra-
bruch nördlich von Lzempin. Die Höhe der Talränder erreicht nur im 8 dicht
an der russischen Grenze 50 m, sonst beträgt sie meist im dl wie im 8, am
Warthetal wie am Obrabruch, etwa 20 m, ein im Vergleich zur Breite außer-
ordentlich geringer Betrag. Das Tal hat von der Mündung der Prosna bis
zur Mündung in die Oder ein äußerst geringes Gefälle, nämlich von 71 m
auf 50 m über dem Meeresspiegel, daher ist es auch so wenig tief in seine Um-
gebung eingeschnitten. In seinem Übergangsgebiet zwischen Obra und Warthe
sowie zwischen Obra und Oder sind die Wasserscheiden noch so wenig aus-
geprägt, daß an beiden Stellen Flußgabelungen oder Bifurkationen der Obra
eintreten: an der Kostener Wasserscheide, welche ihre Entstehung dem breiten, von
Obra und Mogilnitza (oder Pruth) geschaffenen Schuttkegel verdankt, geht die
Moschiner Obra nach 0 zur Warthe und die drei Obrakanäle ziehen nach W.
Die Warthe brauchte bei Moschin nur um 10 m zu steigen, so würden ihre
Gewässer über die Kostener Wasserscheide hinweg durch das Obrabruch zur
Oder strömen. Die zweite Obrabifurkation tritt im Sw von Wollstein ein;
hier geht der Hauptteil des Obrawaffers nach dl zur Warthe, der Rest durch
die Faule Obra nach V/ zur Oder; bei sehr hohem Oderhochwasser ist hier
noch im Jahre 1854 Wasser von der Oder durch die Obra in die Warthe
geflossen.
Bon geringerer Bedeutung und kleineren Abmessungen ist das dritte Längs-
tal, welches die mittlere und untere Welna und in dessen Fortsetzung nach W
die untere Warthe von Obornik an durchströmt. Der kleine Welnafluß fließt
in einem Tale, das gelegentlich, wie z. B. bei Rogasen, meilenbreit (7 bis 8 km)
wird und so niedrige Ufer hat, daß man sie von der Talmitte aus kaum sehen
kann; besonders gilt das für das Nordufer, welches sich oft knapp 5 m über
der Talsohle erhebt. Die Fortsetzung des Welnatales, nämlich das untere Warthe-
tal, hat im 8 ein scharfes, wenn auch nicht hohes Ufer, das etwa 15 bis 20 m
hoch über dem Tale ansteigt; im dl dagegen beginnen hier die Grenzen des
unteren Netzetales mit denen des Warthetales ineinanderzufließen. Dieser vielleicht
als Rogasen-Wronker Urstromtal zu bezeichnende Talzug hat nur mehr eine
lokale Bedeutung, da er nach W zu keine selbständige Fortsetzung besitzt, sondern
sich noch auf Posener Gebiet mit dem ihm nördlich benachbarten Haupttal
vereinigt.
Ein wesentlich anderes Gesicht zeigt das vierte und letzte Längstal. Dieses
zieht sich von der Weichsel im dl von Thorn über die untere Brahe zur mittleren
Netze und weiter zur Warthe, Oder und über die vom Finowkanal benutzte
5enke zur unteren Havel und Elbe. Das ist das sogenannte Thorn-Ebers-
walder Urstromtal. Dieser mächtige Talzug unterscheidet sich vor allem durch
seine hohen Ränder, die mit kräftigem Steilabfall zur ebenen Talsohle absetzen,
10
1911 -
Breslau
: Hirt
- Autor: Seydlitz, Ernst von, Hermann, Schütze
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
8
Landeskunde der Provinz Posen.
von allen übrigen. Schon am Bromberger Kanal, der diesen Talzug zur
Verbindung zwischen Netze und Brahe benutzt, erheben sich die Talränder 30
bis 50 m über der Talsohle; weiter nach Xv, an der mittleren Netze, liegen die
Nordränder streckenweise 100, gelegentlich sogar 140 m über der Sohle, um
dann jenseits der Küddowmündung auf das übliche Posener Höhenmaß von
20 bis 30 m herabzusinken. Der Südrand weist nicht so bedeutende Höhen
auf, es fehlt ihm vor allem der geschlossene Zusammenhang des Nordrandes,
doch kann man seine Durchschnittserhebung auf rund 30 m über der Talsohle
ansetzen; zuweilen kommen auch hier 70 bis 100 m Höhendifferenzen vor,
wie bei Ezarnikau, Kalmar und Exin. Das Thorn-Eberswalder Haupttal hat
im Posener Lande ein rund doppelt so starkes Gefälle wie das Warschau - Berliner:
es senkt sich von 60 m oberhalb Rakel auf 20 m am Zusammenfluß von Netze und
Warthe; hieraus erklärt sich schon teilweise die größere Höhe seiner Ränder über der
Talsohle. In der Breitenentwicklung steht dieses Tal dem Warschau-Berliner etwas
nach. Seine größte Breite (bei Kolmar) beträgt 10 km. Im allgemeinen wird die
Breite von 6 bis 7 km selten überschritten, und gelegentlich treten Verschmälerungen
von 2 bis 3 km auf. Auch hier harmoniert der verhältnismäßig kleine Fluß wenig
mit dem oft riesigen Tal.
Diese eben skizzierten 4 großen Längstäler werden nun untereinander in
Verbindung gesetzt durch eine Reihe senkrecht zu ihrer Richtung, also von 14
nach 8, oder umgekehrt, verlaufender Quertäler; von ihnen seien hier nur
die wichtigsten hervorgehoben. Wenn wir auch wieder im 8 beginnen, so können
wir als Bindeglieder zwischen dem Glogau-Baruther und dem Warschau-
Berliner Urstromtal 3 Talzüge feststellen: 1. im 0 das Prosnatal, welches
ja durch die Faule Bartsch in direkter Verbindung mit dem Glogau -
Baruther Haupttal steht; 2. in der Mitte die Senke der Kania, die sich über
Rawitsch, Gostyn, Dölzig, Drzoneker See bis Schrimm im Warthetal verfolgen
läßt, heute aber nicht mehr von einem zusammenhängenden Flußlauf durch-
strömt wird, und 3. im Xv schon ganz auf schlesischem Gebiet das Odertal.
In ganz ähnlicher Form findet eine entsprechende Verbindung des Warschau-
Berliner Haupttales mit den nördlicher gelegenen Urstromtälern statt, und zwar
sind es hier auch gerade 3 Quertäler: 1. Im Xv das untere Obratal vom
Obrabruch bis zur Obramündung; es verknüpft das Warschau-Berliner mit dem
Rogasen-Wronker und weiterhin auch Thorn-Eberswalder Haupttal. 2. Im 0
der Talzug von der Warthe bei Konin über den Slessiner- und Goplosee, die
obere Netze entlang bis Nakel; er verbindet direkt das Warschau-Berliner mit
dem Thorn-Lberswalder Haupttal. 3. In der Mitte zwischen beiden verknüpft
das südnördlich gerichtete Warthetal von Moschin bis Obornik das Warschau-
Berliner mit dem kurzen Rogasen-Wronker Haupttal. Auch im dl des Thorn-
Eberswalder Urstromtales lassen sich in den meridional gerichteten Quertälern der
Brahe, Küddow und Drage Ansätze zu Verbindungstälern mit noch weiter
nördlich in Pommern gelegenen Urstromtälern erkennen. Man bezeichnet alle
genannten Quertäler auch als Durchbruchstäler, weil sie die zwischen den großen
Längstälern sich hinziehenden Hochflächen durchbrochen haben. Alle diese Durch-
bruchstäler mit Ausnahme des Odertales unterscheiden sich von den Längstälern
dadurch, daß sie im Vergleich zu jenen viel kürzer und vor allem lange nicht
so breit angelegt sind. 5ehr deutlich zeigt sich dieser Unterschied bei dem