60 Einzelgebiete,
C. Deutschland als Staatengebilde.
Das Deutsche Reich ist ein Bundesstaat, der aus 26 Staaten besteht (s. I.s.79).
Die obersten Reichsgewalten sind Kaiser, Bundesrat und Reichstag.
Die Kaiserwürde kommt stets dem König von Preußen zu. Der Kaiser ist
der oberste Befehlshaber des Heers und der Marine; er erklärt Krieg und schließt
Frieden, vertritt das Reich und ernennt die Reichsbeamten.
Der Bundesrat besteht aus den Vertretern der einzelnen (26) Regierungen.
Der Reichstag wird aus den Abgeordneten gebildet, die in den 397 Wahlkreisen
durch gleiches, direktes und geheimes Wahlrecht nach Stimmenmehrheit gewählt
werden. Bundesrat und Reichstag üben die Reichsgesetzgebung aus.
Der oberste Beamte des Reichs ist der Reichskanzler.
Als politische Einheit nimmt das Reich die Beziehungen zu fremden Staats-
wesen wahr. Reichsangelegenheiten sind z. B. die Vertretung des Reichs im Ausland
durch Gesandte und Konsuln. Auf allen wesentlichen Gebieten des Volkslebens be-
steht Rechtseinheit. Das bürgerliche Recht, das Strafrecht usw. sind einheitlich
geordnet. Einheitliche Rechtsgrundlagen gelten für das gewerbliche Leben und den
Handel. Auch Maß-, Münz- und Gewichtswesen haben eine einheitliche Regelung
erfahren. Dazu kommt die große und vielseitige Sozialgesetzgebung, durch welche das
Deutsche Reich weit über seine Grenzen hinaus bahnbrechend gewirkt hat.
Das Reich ist ferner eine wirtschaftliche Einheit. Es gibt innerhalb des
Reichs keine Binnenzölle oder andere Schranken des Verkehrs mehr. Insbesondere
ist auch das Nachrichtenwesen einheitlich geregelt und verwaltet; nur Bayern und
Württemberg verwalten selbst ihr Post- und Telegraphenwesen.
Einheitlichkeit herrscht endlich im Reich in bezug auf das Heerwesen und
die Marine. Das bayerische Heer hat jedoch einige Reservatrechte.
Die einzelnen Staaten sind konstitutionelle Monarchien mit Ausnahme
der Freien Städte, welche republikanisch regiert werden. Auch Elsaß-
Lothringen, das unter einem kaiserlichen Statthalter steht, erfreut sich einer
konstitutionellen Verfassung.
Zur Bestreitung der gemeinschaftlichen Ausgaben dienen die aus den Zöllen
und einigen Steuern fließenden gemeinschaftlichen Einnahmen, und, soweit diese
nicht hinreichen, Beiträge der einzelnen Bundesregierungen nach Maßgabe ihrer Be-
völkerung (sog. Matrikularbeiträge).
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88
Die £ett der zunehmenden Auslösung des Reichs 1273—1519.
England. Das englische Königreich war aus den kleinen angelsächsischen Staaten zusammengewachsen; um 900 wurde es von Alfred beherrscht, der den Einfällen der seebeherrschenden Dänen entgegentrat und als Gesetzgeber und Ordner des Reiches sich die größten Verdienste erwarb. Im Jahre 1006 wurde England durch die Schlacht bei Hastings von dem Normannenherzog Wilhelm erobert, der in der Geschichte den Beinamen der Eroberer trägt. Dem normannischen Geschlechte folgte das Haus Anjou-Plantagenet, das ebenfalls französischen Ursprungs war und zahlreiche französische Landschaften als Lehen besaß. Diesem Hause entstammten der sühne, aber unstete Ritter Richard Löwenherz, der am dritten Kreuzzug teilnahm, und sein heimtückischer Bruder Johann ohne Land, der sich vor Papst Innocenz Iii. demütigen mußte (§ 61) und fast den gesamten Besitz auf dem Festlande an Philipp August von Frankreich verlor.
Im vierzehnten Jahrhundert begann eine neue, hundertjährige Periode englisch-französischer Kriege, dadurch hervorgerufen, daß Eduard Hl nach dem Aussterben des Hauses der Capetinger Ansprüche auf den französischen Thron erhob. In glänzenden Schlachten siegte damals die englische über die französische Ritterschaft. Um die Mitte des 14. Jahrhunderts trug Eduard Iii. bei Cröcy, unweit der Küste des Kanals, einen glänzenden Sieg davon; König Heinrich Iv., aus dem Hause Lancaster, einst als Kronprinz der Genosse John Falstaffs und zu allerlei tollen Streichen aufgelegt, als König tüchtig und willenskräftig. siegte im zweiten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts bei Azincourt, das nicht fern von Cröcy liegt. Anders ward es seit dem sieghaften Auftreten der Jungfrau von Orleans, Johanna d’Arc, eines gottbegeisterten lothringischen Bauernmädchens, welches Karl Vii. zur Krönung nach Reims führte. Zwar fiel sie nachher in die Hand der Engländer und wurde 1431 als Hexe verbrannt; aber die Macht Eng. lands ging zurück, und schließlich mußte es die französischen Eroberungen wieder ausgeben.
Für die innere Entwickelung Englands war es bedeutsam, daß sich ein Parlament ausbildete, eine Vertretung der oberen Stände des Volkes, die in ein Oberhaus und ein Unterhaus zerfiel und das Recht der Steuerbewilligung besaß. So wurde England früh zum Verfassungsstaat. In die zweite Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts fallen die furchtbaren Bürgerkriege zwischen den Häusern Lancaster und Aork, die man nach den Abzeichen der beiden Parteien als die Kriege der roten und der weißen Rose bezeichnet. Sie wurden im Jahre 1485
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Extrahierte Ortsnamen: England England Reims Englands England
5. Die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Gegenwart. 125
der Welt; heute sind die Bankverbindungen mit Berlin ebenso vorteilhaft wie die mit London. Das englische Volk wird ausgereizt durch die Zeitungen; aber es sehlt auch nicht an Stimmen, die zur Besonnenheit mahnen. Die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen unserm Kaiser und dem Könige von England, die gegenseitigen Besuche deutscher Bürgermeister und deutscher Geistlichen in London und umgekehrt, vor allem aber die strenge Rechtschaffenheit der deutschen Staatsleitung werden, so hoffen wir, uns vor kriegerischen Verwicklungen bewahren.
Bezüglich der kleinern Staaten ist zu erwähnen, daß die Personalunion zwischen Norwegen und Schweden seit 1905 durch Beschluß des norwegischen Storthing (Abgeordnetenhaus) aufgelöst ist. Die Norweger wählten einen dänischen Prinzen zum König, der den Namen Haakon Vii. annahm.
Auch die Personalunion zwischen Holland und Luxemburg ist seit dem Regierungsantritt der jetzigen Königin Wilhelmina von Holland (1890) aufgelöst, da in Luxemburg weibliche Thronfolge nicht zulässig ist. Das Großherzogtum Luxemburg ging über an Herzog Adolf von Nassau, der 1866 sein Herzogtum an Preußen verlor. Er war der nächste männliche Anverwandte der jetzigen Königin von Holland.
5. Die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse und das Geistesleben der Gegenwart.
Die Worte, die der Kaiser bei seinem Regierungsantritt an das Volk und dessen Vertreter gerichtet hat, hat er in vollem Umfange wahr gemacht. Den Frieden mit dem Auslande hat er aufrecht gehalten, aber eingedenk der bewährten Worte altrömischer Staatsweisheit:. „Wenn du Frieden haben willst, sei bereit zum Kriege" — arbeitet er unausgesetzt an der Vervollkommnung des Heerwesens und der Flotte. Die Friedensstärke des Heeres beträgt */2 Million, die Kriegsstärke 5 Million Truppen, die Bemannung der Kriegsflotte 45000 Mann. (Fig. 30 u. 31.) Nur einmal war er gezwungen, zum Schwerte zu greifen und zu kriegerischen Zwecken von der Flotte Gebrauch zu machen, als die fremdenfeindliche Partei der Boxer in China im Sommer 1900 einen Aufstand gegen die Fremden erregte. (Vgl. S. 123.)
Den Handel hat er gefördert durch den Abschluß von Handelsverträgen mit andern Staaten und die Einrichtung von Dampferverbindungen nach außereuropäischen Ländern, besonders nach Ostasien, das für den Absatz unsrer Erzeugnisse eine steigende Bedeutung erlangt hat. Unsre Handelsflotte steht an zweiter Stelle, doch ist die englische noch dreimal stärker, die 47 Prozent, beinahe die Hälfte der Welthandelsflotte, ausmacht; an dritter Stelle stehen die Vereinigten Staaten. Die Vervollkommnung des Schiffbaues ist in den Fig. 27—31 dargestellt. In Afrika sind seine Bevollmächtigten bewaffnet gegen den Sklavenhandel
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Extrahierte Personennamen: Wilhelms Wilhelms Wilhelm
56
Iii. Preußen bis zum Tode Friedrich Wilhelms 111.
3> König Friedrich Wilhelm Iii. von Preußen.
Die Regierung keines preußischen Fürsten ist so reich an Wechsel-süllen und Umgestaltungen gewesen, wie die Friedrich Wilhelms Iii. Nus die Jahre der tiefsten Erniedrigung folgte die Zeit des höchsten kriegerischen Ruhmes. Daran schloß sich eine lange Friedenszeit.
Friedrich Wilhelm Iii. wird vielfach angegriffen, daß er die vorwärtsstrebende Partei, an deren Spitze Stein, Gneisenau, Blücher, Wilhelm von Humboldt standen, zurückgedrängt und sein Ohr mehr deut rückschrittlichen Polizeiminister von Witgenstein geliehen, daß er im Schlepptau der österreichischen und russischen Politik gestanden, anstatt eigne preußische Politik zu treiben, daß er seinem Lande eine eigentliche Verfassung nicht gegeben habe. Diesen Vorwürfen ist entgegenzuhalten, daß die Zeit für ein einiges starkes Deutschland unter Preußens Führung noch nicht gekommen war. Die Fürsten der deutschen Kleinstaaten hätten von ihren Befugnissen an den Oberherrn abtreten müssen, sie wollten aber ihre Selbständigkeit und Unabhängigkeit nicht preisgeben. Ferner ist zu bedenken, daß Österreich seinen jahrhundertelang behaupteten Vorrang in Deutschland sich auf friedlichem Wege nicht hätte nehmen lassen. Da aber die Kriege gegen Napoleon eine Schuldenlast von 200 Million Talern im Gefolge hatten, kann man wohl verstehen, daß der König sein Land in keinen neuen Krieg verwickeln wollte, sondern die Einigung Deutschlands seinen Nachfolgern überließ und diesen die Wege ebnete. Dies letztere hat er getan/ Seine sparsame Regierung hat innerhalb zwanzig Jahren nicht nur die große Staatsschuld getilgt, sondern auch noch einen Staatsschatz von 150 Million Mark angesammelt. Daß er ein vorwärtsstrebender Mann war, zeigt nicht nur die Gründung des Zollvereins, die seinem Gedanken entsprang, sondern noch mehr die Übertragung seiner Krondomänen an den Staat, aus deren Erträgnissen er sich jährlich nur eine bestimmte Summe vorbehielt. Seine Sorge war, die innere Verwaltung des Staates nach der neuen Einteilung in Provinzen, Regierungsbezirke und Kreise durchzuführen, die verschiedenartigen Bestandteile der Monarchie einheitlich zu verwalten, ein starkes Preußen zu schaffen sowohl durch ein wohlgeschultes Heer als auch durch die Verwaltung und durch verfügbare Geldmittel. Ehe er Anbauten machte, wollte er das Hauptgebäude ausbauen. Ein weiterer Fortschritt in der Staatsverwaltung war die Aufhebung des Geheimen
blewen. Un wat hadden roi denn dahn? Nicks, gor nicks. Blot in uns' Versammlungen un unner vir Ogen hadden roi von Ding' redt, de jetzt up ap’ne Strat fri utschrigt roarden, von Dütschlands Friheit un Einigkeit; oeroer tau’m Handeln roiren roi tau sroack, tau’m Schrieroen tau dumm, dorüm folgten roi de olle dütsche Mod, roi redten blot doröroer." Ut mine Festungstid, 3. Kapitel.
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Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Deutschland Deutschlands
60
Iii. Preußen bis zum Tode Friedrich Wilhelms Iii.
vollständige Trennung von Staat und Kirche durchführte, suchte er alle Parteien zu befriedigen. Die ersten Jahre seiner Regierung sind noch angefüllt mit Streitigkeiten gegen Holland, in denen es sich hauptsächlich um den Anteil handelte, den Belgien bei der Tilgung der Staatsschuld des früher vereinigten Königreichs zahlen sollte. Eine Einigung kam erst 1839 zustande, als Belgien eine jährliche Zahlung von 5 Million Gulden bis zur Tilgung der Schuld zu übernehmen versprach.
Unter Leopolds Regierung erreichte das Land eine große Blüte. Die Einführung des französischen Münzfußes erleichterte den Handelsverkehr mit Frankreich. Bergbau, Ackerbau, Industrie, Handel und Schiffahrt nahmen einen großen Aufschwung. Das Land erhielt das dichteste Eisenbahnnetz von allen Ländern der Erde. Von Vorteil war dem Lande der Anschluß an den Deutschen Zollverein. Leopold I. genoß auch im Auslande großes Ansehen.
Die Niederlande. Wilhelm I. regierte seit 1831 in den Niederlanden allein in patriarchalischer Weise. Dem Verlangen des Volkes nach einer mehr freiheitlichen Verfassung stand er unfreundlich gegenüber. Als die Kammer 1840 seine Zivilliste herabsetzte, dankte er ab und zog sich nach Berlin zurück, wo er 1843 starb. Sein Sohn Wilhelm Ii. regierte von 1840—1849.
Italien. In dem Königreich Neapel, auf Sizilien und Sardinien hatte eine Volkspartei dem König eine freiheitliche Verfassung abgerungen. Der österreichische Staatskanzler Fürst Metternich fürchtete, daß die Bewegung auf die österreichischen Besitzungen in Oberitalien, die Lombardei und Venezien, übergreifen würde. Daher stellte ein österreichisches Heer die alten Zustände in Unteritalien und den beiden Inseln wieder her. Die österreichische Regierung in Oberitalien wurde dadurch nicht beliebter.
Spanien und Portugal. Die freiheitliche Bewegung in Unteritalien war von Spanien ausgegangen. Dort hatten aufständische Truppen dem König eine Verfassung abgetrotzt. Mit Hilfe eines französischen Heeres wurden die Aufständischen zur Ruhe gebracht und die absolute Monarchie wiederhergestellt. Der König führte statt des bestehenden Thronfolgegesetzes das alte kastilische wieder ein. Nach diesem war weibliche Thronfolge zulässig. Als nun der König starb und nur eine Tochter Jsabella hinterließ, machte sein Bruder Don Carlos Ansprüche auf den Thron auf Grund des frühern Gesetzes. Das führte zu langwierigen Bürgerkriegen, die unter dem Namen Karlistenkriege bekannt sind. ^
Auch der reiche Kolonialbesitz in Amerika ging verloren. Da die Regierung dort fast nur Spanier als Beamte anstellte und diese das Volk zu ihrer eignen Bereicherung bedrückten, erhoben sich allenthalben
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Extrahierte Ortsnamen: Holland Belgien Leopolds Frankreich Niederlande Niederlanden Berlin Italien Königreich_Neapel Sizilien Sardinien Oberitalien Unteritalien Oberitalien Spanien Portugal Unteritalien Spanien Amerika
Kaiser Wilhelm Ii.
273
zahlen und durch Sendung eines Prinzen nach Berlin den deutschen Kaiser für den Bruch des Völkerrechts um Verzeihung zu bitten.
An der Fortbildung der A r m e e, mit deren Leben der Kaiser auf das ßrarine"? innigste verknüpft ist, wird unablässig und rastlos gearbeitet. Mit großem Interesse verfolgt der Kaiser auch die M a r i n e. Durch ein neues Flottengesetz ist eine starke Vermehrung ihres Bestandes angeordnet worden. Auch bei dem Bau des Kaiser-Wi lh e lms-Kanals, dessen Vollendung unter Teilnahme der meisten seefahrenden Nationen im Jahre 1895 feierlich begangen wurde, wurden vornehmlich militärische Zwecke verfolgt.
Daß zwei wichtige Glieder der Sozialr eforntnämlich das Gesetz Innere über die Alters- und Invalidenversicherung und das Arbeiterschutzgesetz, unter der Regierung Wilhelms Ii. zustande gekommen sind, daß ferner das Bürgerliche Gesetzbuch unter ihm abgeschlossen worden ist, wurde bereits erwähnt. Die Reform der p r e u ß i s ch e n S t e u e r n ist ebenfalls unter ihm durchgeführt worden. Dem umsichgreifeuden P o l e n t u m in den Ostmarken suchte man dadurch entgegenzutreten, daß man eine hohe Summe bewilligte, um in den Provinzen Posen und Westpreußen Rittergüter anzukaufen und daraus Bauernhöfe für deutsche Ansiedler zu schaffen.
Auch der Förderung des geistigen Lebens widmet der Kaiser das lebhafteste Interesse. Wenige Jahre nach seinem Regierungsantritt berief er eine Schulkonferenz, welche über die künftige Gestaltung des höheren Schulunterrichts zu beraten hatte. Er ist auch ein eifriger Freund der K u n st. Reiche Aufträge wurden den bildenden Künstlern zu teil. Gegen- Kunst, über dem königlichen Schlosse zu Berlin ist Kaiser Wilhelm I. ein von Reinhold Begas geschaffenes, großartiges Denkmal gesetzt worden, unweit davon hat sich ein prächtiger Dom erhoben, an den sich die Gruftkirche der Hohen-zollern anschließt, und in der Siegesallee stnd den brandenburgischen Markgrafen und Kurfürsten und den preußischen Königen Standbilder errichtet worden.
_ an Glück und Unglück, Glanz und Elend reiche Geschichte hat unser deutsches Volk hinter sich. Das herangebrochene Jahrhundert wird ihm neue, schwere Aufgabe stellen, neue Gefahren bringen. Möge es sie unter der Leitung seines Kaisers und seiner Fürsten stark und kühn, einig und opfermutig, treu und gottvertrauend bestehen! Das walte (Sott!*"
Neubauer, Geschichtl. Lehrbuch für Mädchensch. Ii. 5. Stuft.
18
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Extrahierte Personennamen: Wilhelm Wilhelms Wilhelm_I. Wilhelm_I. Reinhold_Begas Neubauer
Extrahierte Ortsnamen: Berlin Posen Berlin Siegesallee
Deutschland am Ende des dreißigjährigen Krieyes., - 131
p01itif chen Gebiete. Es war nunmehr klar, daß die Zersplitterung Deutschlands fortschreiten und der Reichsverband sich noch mehr lösen würde.
Das Reich wandelte sich allmählich in einen Staatenbund um, dessen Mitglieder, Kurfürsten, weltliche und geistliche Fürsten, Reichsstädte, nur lose miteinander verbunden waren und dem ein politischer Mittelpunkt fehlte.
Denn der kaiserliche Hof konnte nicht mehr als solcher gelten; aber der Reichstag, der nunmehr die Form eines Gesandtenkongresses annahm und ständig in Regensburg versammelt war, war viel zu schwerfällig in seinen Formen und viel zu ohnmächtig, als daß er ein Mittelpunkt des politischen Lebens hätte sein können. Damit hing die Ohnmacht des Reiches nach außen zusammen. Innerlich zwieträchtig, ohne einheitliche politische Leitung, ohne regelmäßige Geldeinkünfte, ohne ein geordnetes Heerwesen, befand sich das deutsche Reich in einer sehr unglücklichen Lage, desto mehr, weil sich in derselben Zeit das benachbarte Frankreich zu einem einheitlich zusammengeschlossenen, von seinem König mit absoluter Machtvollkommenheit beherrschten Militärstaat entwickelte.
Auf Kosten des Ganzen hatten sich die deutschen Einzelstaaten ausgebildet. Die meisten von ihnen freilich waren so klein und unbedeutend, ®Qten. daß man auf sie keinerlei Hoffnungen für ein künftiges Erstarken der deutschen Nation setzen konnte. In den engen und kleinlichen Verhältnissen dieser Staaten blieb der Gesichtskreis beschränkt und konnte der nationale Stolz nicht gedeihen. Manche der Regenten jener Zeit zeichneten sich durch landesväterliche Fürsorge für die wirtschaftliche und geistige Hebung ihrer Untertanen aus. Andere dagegen waren vor allen Dingen bestrebt, fürstlichen Glanz zu entfalten, Schlösser zu bauen und eine prunkvolle Hofhaltung einzurichten, um im kleinen das Beispiel des französischen Königs Ludwig Xiv. nachzuahmen; so wurden sie zu Bedrückern ihrer Untertanen. Die größeren Staaten aber, welche zu einer selbständigen Politik imstande waren, nahmen «g* vor allem ihre Sonderinteressen wahr. Österreich besonders wuchs, während es durch seine vom Glück begünstigte europäische Politik sich zur Großmacht entwickelte, aus Deutschland mehr und mehr heraus. Aber auch die übrigen Staaten waren in erster Linie aus das eigene Wohl bedacht, setzten die nationalen Angelegenheiten hintan und hielten es öfter für zweckmäßig, sich mit Frankreich zu verbinden. Auch Friedrich Wilhelm von Brandenburg trieb in erster Linie eine brandenburgisch-preußische Politik; er kräftigte seinen Staat nach innen und verfocht seine Interessen nach außen. Aber indem er den brandenburgisch-preußischen Staat, dessen Adler schon damals an der Memel wie am Niederrhein geboten, zu einem einheitlichen und machtvollen Staatswesen ausbildete, bereitete er die Ent-
9*
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264 Das Zeitalter der Zerstörung des alten und der Entstehung des neuen Reichs.
Das deutsche Reich ist endlich eine Wirtschaftseinheit. Ein einheitliches Münzwesen trat an die Stelle der Zersplitterung, die früher auf diesem Gebiete herrschte. Ebenso wurde ein einheitliches Maß und Gewicht geschaffen. Von besonderer Bedeutung für den Aufschwung des Verkehrs war die Schöpfung der Reichspost; ihr langjähriger, verdienstvoller Leiter von Stephan war zugleich der Gründer des Weltpostvereins, der heute alle Kulturstaaten der Welt umfaßt.
Die Zollpolitik des Reiches beruhte zunächst auf den Grundsätzen des Freihandels; die Zölle, welche, z. B. von Kolonialwaren, erhoben wurden, hatten nur den Zweck, als Finanzzölle dem Reiche gewisse Einnahmen zu verschaffen. Da leitete Bismarck seit 1879 auf dem Gebiete der Zollpolitik einen Umschwung ein; und trotz heftigen Widerstandes setzte er Schutzzölle, es durch, daß Jndustriezölle und Getreidezölle eingeführt wurden, die ersteren zum Schutze des einheimischen Gewerbes gegen den Wettbewerb der englischen Industrie, die letzteren zum Schutze der einheimischen Landwirtschaft gegen die Verbilligung des Getreides durch die überseeische Getreideeinfuhr.
Während unter dem Schutze der Jndustriezölle die deutsche Industrie außerordentlich aufblühte, wurden zugleich durch die Zollcrhöhung die E i n -nahmen des Reiches wesentlich gesteigert. Sie stammen heute besonders aus den Zöllen und Verbrauchs st euern, die auf Bier, Branntwein, Zucker, Salz und Tabak ruhen, ferner aus den Reichsstempelabgaben, wie sie z.b. von Kaufverträgen, Wertpapieren, Wechseln, Spielkarten erhoben werden, der P o st und Telegraphie, den elsaß-lothringischen Eisenbahnen, endlich den Beiträgen der Einzelstaaten. Der Reichshaushalt belief sich 1905 auf etwas über 2,2 Milliarden Mark. Unten den Ausgaben stehen die Kosten des Heeres und der Marine obenan. Dazu kommen u. a. die Ausgaben zur Verzinsung der Reichs schuld, die 1906 etwa 3,8 Milliarden Mark betrug.
Die Staatsverwaltung Preußens.
Ministerrum. § 262. Die Behördenorganisation. Die oberste Behörde des preußischen Staats ist das Staatsministerium. An dessen Spitze steht der Ministerpräsident, der zugleich für gewöhnlich deutscher Reichskanzler ist. Es gibt neun Ministerien: das des A u s w ä r t i g e n — dieses fallt mit dem auswärtigen Amt des Reichs zusammen —, des Krieges, der Justiz, der Finanzen, des Inneren, der geistlichen, Unterrichts - und Medizinalangelegenheiten, des Handels, der öffentlichen Arbeiten, der landwirtschaftlichen, Domänen - und Forstangelegenheiten.
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— 131 -
nicht zutrieben. Die Teilung deutschicirtbs in 38 selbstänbige Staaten erschien als eine Schwächung des Naterlanbes, weil sie dem Anslanbe es erleichterte, Deutsche gegen Deutsche zum ^Nachteile Deutschlaubs zu mißbrauchen. Viele hatten gehofft, das; das alte Deutsche Reich unter einer kräftigen Kaisergewalt hergestellt und seine frühere Macht und Herrlichkeit roieber erlangen werbe. Die Freiheitskriege hatten sa gezeigt, welche Kraft ba^ vereinigte Deutschlaub besaß. Allein, wie berechtigt biefe Hoffnungen und Wünsche waren, ihre Erfüllung war in jener Zeit unmöglich, wenn nicht einer der beiben Großstaaten Gewalt anwenben wollte, und baburch wäre nach den vielen Kriegs leiben 'der letzten zwanzig Jahre ein neuer Krieg und neue Einmischung der sremben Mächte unausbleiblich geworben. Viele Klagen über die Kleinstaaterei waren wohl berechtigt. Aber wenn wir gerecht sein wollen, müssen wir auch anerkennen, daß die kleineren Staaten sür das innere Wohl des deutschen Vaterlanbes nicht wenig getan haben. Kunst und Wissenschaft, Gewerbe und Raubbau würden in ihnen eifrig gesörbert, und insbesondere würde in ihnen der Ansang gemacht, durch laubstünbische Ver-sassnngen den Staatsbürgern einen berechtigten Anteil an der Sorge sür das Gemeinwohl zu gewähren. Das _ Herzogtum
Nassau erhielt schon 1814 eine lanbstänbische Versassnng, das Großherzogtum Sachsen-Weimar 1816, Sachsen-Koburg 1817, Baden und Bayern 1818, Württemberg 1819, das Großherzogtum Hessen 1820.
Die Regierungen von Österreich und Preußen wollten von einer laubstänbischen Verfassung lange nichts wissen. Besonbers war der österreichische Minister Fürst Metternich ein Fernb der bürgerlichen Freiheit und bewirkte, daß die Monarchen der heiligen Allianz, benen später auch anbete Fürsten bei traten, Maßregeln zu ihrer Unterdrückung trafen. Es saut so weit, daß vaterlänbisch gesinnte Männer, wie E. M. Atnbt, als Unruhestifter und Verführer des Volkes verlästert und verfolgt wurden. Die Freiheit der Presse würde aufgehoben; Bücher und Zeitungen würden der Zensur unterworfen, b. h. vor dem Druck mußten sie zur Durchsicht einem Regierungsbeamten übergeben werben, der ausstrich, was ihm nicht gesiel. Liebe zum bentfchen Vater-lnnbe haben, feine Einigkeit und Größe wünschen, nach einer vernünftigen Freiheit streben, das alles würde damals als straf-würbiges Vergehen angesehen. Dabnrch würde bei den Deutschen Abneigung gegen ihre Regierungen und hierburch wieber größeres Mißtrauen der Regierungen gegen das Volk erzeugt, llnb wenn ein Fürst, wie Großherzog Leopolb von Baden, der Liebe und Treue seines Volkes vertrauenb, freisinnige Einrichtungen gab, so würde er durch den Bunbestag gezwungen, sie
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