Hilfe und Dokumentation zu WdK-Explorer

Diagramm für Aktuelle Auwahl statistik

1. Bürgerkunde und Volkswirtschaftslehre - S. III

1910 - Leipzig : Voigtländer
Vorwort ^ie Einführung von Bürgerkunde und Volkswirtschafts- lehre als Unterrichtsfach in der Frauenschule beweist, daß die Mädchenerziehung unserer Zeit ein soziales Ideal vor Augen hat. Die Frau soll nicht mehr ausschließlich als Einzelwesen erzogen werden, sondern als Glied des Volksganzen, das sich dieser Zugehörigkeit voll bewußt ist und neue Rechte und Pflichten auf sich nehmen kann und will. Die Erziehung zu sozialer Gesinnung ist das Ziel. In zweiter Linie erst steht die Ver- mittlung von Kenntnissen; sie dient der Gesinnungs- und Willensbildung als unbedingt erforderliche Grundlage. Ge- sinnungen aber können nicht durch Lehrbücher vermittelt werden. Sie zu wecken — scheinbar absichtslos — ist die vornehmste, persönlichste Leistung des Lehrenden. Dem Leitfaden bleibt als bescheidene Aufgabe die Auswahl der Kenntnisse. Dabei nmß in der Darstellung eine gewisse Resignation eintreten: vieles, was den mündlichen Unterricht lebendig und anschaulich macht, wie das Ausführen von Beispielen, darf hier nur angedeutet werden. Denn niemals soll der Unterricht entbehrlich gemacht sein, nie das Werkzeug den Meister ersetzen. Es handelt sich bei der Auswahl der zu vermittelnden Kennt- nisse um eine pädagogische, nicht um eine wissenschaftliche Aufgabe. Auch dieses Buch will demnach ausschließlich als pädagogischer Versuch aufgefaßt und gewertet sein. Für das Stoffgebiet der Bürgerkunde liegen bereits Er- fahrungen vor. Besonders im Ausland — in der Schweiz und Belgien — sind Belehrungen aus der Staats- und Rechtskunde schon lange Unterrichtsgegenstand gewesen. Der Zweck dieses Unterrichtes ist die Erziehung zum Staatsbürgertum. Die Vaterlandsliebe der Frau soll aus dem primitiven Untertanen- patriotismus zum Staatsbürgerpatriotismus erhoben werden. Die Kenntnisse von Reich, Staat und Gemeinde, von der recht- lichen Stellung des Einzelnen im privaten und öffentlichen Leben dürfen nicht totes Wissen sein. Sie sollen ein Gleich- gewicht schaffen zwischen dem Abhängigkeitsgefühl, der Unter- ordnung unter die Gesamtinteresfen einerseits und dein Ver- antwortlichkeitsgefühl anderseits, dem stolzen Bewußtsein, ein kleines, aber doch kein überflüssiges Glied des großen Gebildes zu sein, das wir Staat, das wir Vaterland nennen. —

2. Bürgerkunde und Volkswirtschaftslehre - S. IV

1910 - Leipzig : Voigtländer
Iv Daß alle Möglichkeiten, die der Mitarbeit der Frau im öffentlichen Leben gegeben sind, besondere Berücksichtigung finden, versteht sich von selbst. Mit dem Unterricht in der Volkswirtschaftslehre betreten wir Neuland. Die Frau soll wirtschaftlich sehen und denken lernen, aufmerksamen Auges die großen Veränderungen des Wirtschaftslebens unserer Zeit erfassen und sich bewußt werden, auch hieran in kleinerem oder größerem Maße eigenen Anteil zu haben, und zwar nicht nur, wenn sie Berufsarbeiterin ist, sondern als Hausfrau, als Herstellerin oder Verwalterin von wirtschaftlichen Gütern, als Käuferin, Konsumentin, als Arbeit- nehmende oder Arbeitgebende. Wenn dies Wirtschaftlich-Sehen-Lernen das Ziel des neuen Unterrichtsfaches ist, so kann von vornherein nicht die Rede davon sein, die Grundzüge der theoretischen und praktischen National- ökonomie in stark verkürzter Form zu geben, etwa den Inhalt eines Einführungskollegs für Studenten. Es liegt ein ähnlicher Unterschied vor wie zwischen einem Chemiekolleg für Anfänger und der Chemiestunde, wie sie unsere Haushaltungsseminare be- treiben. Der Gesichtswinkel ist ein anderer, es muß also eine völlige Perspektiveverschiebung eintreten. Man könnte von „an- gewandter Volkswirtschaftslehre" sprechen. Das Theoretische darf ganz zurücktreten vor dem Praktischen, das an das täg- liche Leben anknüpft. Wo immer es geht, muß Darstellung und Erzählung, Schilderung von Zuständen an Stelle des Systemati- sierens und Schematisierens treten. Daher halte ich es nicht nur für entschuldbar oder berechtigt, sondern für unbedingt notwendig, daß soziale Einzelfragen — wie Armenwesen, Wohnungsfrage, Heimarbeit — verhältnismäßig ausführlich behandelt werden, während nationalökonomisch bedeutsame Fragen — wie Preis- bildung, Werttheorie — ausgeschaltet sind. Um solchen den Frauen naheliegenden Gebieten einen breiten Raum gewähren zu können, wurde hier die in wissenschaftlichen Lehrbüchern übliche Stoffeinteilung ganz fallen gelassen und da- für die bewußt unsystematische, aber, wie ich glaube, praktische Einteilung in zwei Hauptabschnitte genommen: Wirtschafts- geschichte und wirtschaftliche und soziale Zeitfragen. Sie hat den Vorteil, locker und dehnbar zu sein, sie gibt die Möglichkeit, auszuschalten oder einzufügen, ohne den Ausbau des Buches zu stören. — Das Schlußkapitel sucht die Beziehungen der Haus- frau zur gesamten Volkswirtschaft zusammenzufassen. Schöneberg-Berlin, Februar 1910. Eüy Heuß-Knapp.

3. Bürgerkunde und Volkswirtschaftslehre - S. 1

1910 - Leipzig : Voigtländer
Erstes Kapitel. Vom Staat. § 1. Entstehung und Aufgaben des Staates. Erziehung zum Staatsbürgertum: Der Mensch ist von der Geburt bis zum Tode Mitglied einer sozialen Ge- meinschaft. In den ersten Lebensjahren gehört er fast aus- schließlich dem Kreis der Familie an. Hier lernt schon das Kind sich seiner Zugehörigkeit bewußt zu werden. Es macht die Er- fahrung von geltenden Rechten, es lernt Mein und Dein zu unter- scheiden, seinen Willen dem der Eltern und Geschwister unter- zuordnen und auch eigene Rechte zu beanspruchen. Sehr früh schon greift die Gemeinde, greift der Staat in das Leben des Kindes ein. Zunächst ist das Kind Objekt, Gegen- stand der gemeindlichen und staatlichen Fürsorge. Die Anmel- dung der Geburt aus dem Standesamt, die zwangsweise durch- geführte Impfung, der Schulzwang sind Belege dafür. Die Schule soll für das heranwachsende Kind ein Abbild des Staates fein. Hier soll es lernen, durch Unterordnung und Kamerad- schaftlichkeit sich als tätiges Glied eines Ganzen zu fühlen, durch Ausbildung seiner Fähigkeiten zugleich sich und der Gesamtheit zu nutzen. Nur langsam wird dem jungen Menschen die Zu- gehörigkeit zu sozialen Verbänden — Familie, Gemeinde und Staat — bewußt. Diese Erkenntnis ist ihm notwendig, denn er entwickelt sich vom Objekt nach und nach zum Subjekt der Gemeinschastsordnung, d. h. er wird selbst ein Stück weit Träger der Staatsorganisation als Steuerzahler, als Wähler, in der Bekleidung von Ehrenämtern usw. Wir leben in einer Zeit der Ausbildung bürgerlicher Rechte und Pflichten, die ehemals un- bekannt waren. Besonders die Mittätigkeit der Frau im öffent- lichen Leben ist eine ganz neue Erscheinung. So hat der Staat ein großes Interesse daran, daß in seinen Gliedern das staats- bürgerliche Gefühl lebendig und bewußt werde. Dazu gehört ein Verständnis, das nur durch eine Reihe von Kenntnissen geweckt wird. Heimatkunde, Geographie und Geschichte haben diese Kenntnisse vorbereitet — der Unterricht in Bürger- kunde hat den Zweck, sie zusammenzufassen und zu ergänzen. Wie der Name sagt, soll Kunde gegeben werden von allem, was Heutz-Knavp, Bürgerkunde. 1

4. Bürgerkunde und Volkswirtschaftslehre - S. 4

1910 - Leipzig : Voigtländer
4 a) Monarchie (wörtliche Übersetzung: Einherrschaft). Die Staatsgewalt steht einem einzelnen zu, dem Monarchen, der unabsetzbar und unverletzlich, unverantwortlich ist. In der Wahlmonarchie wird der Herrscher vom Volke oder von bevor- zugten Standen gewählt (das alteheilige Römische Reich Deutscher Nation). In der Erbmonarchie geht die Herrschaft aus den direkten Nachkommen über (Preußen und die anderen deutschen Bundesstaaten). In der absoluten (unbeschränkten) Monarchie hat der Monarch unbegrenzte Herrschgewalt. Sein ausgesprochener Wille gilt als Staatswille, ist Gesetz. Beispiel: Ludwig Xiv. („E’Etat c'68t moi.“) Man spricht vom „aufgeklärten Absolutismus" z. B. Friedrichs des Großen, weil im 18. Jahrhundert, der Zeit der Aufklärung, die Herrscher zwar noch unbeschränkte Machtbefugnis haben, aber ein starkes Ver- antwortlichkeitsgefühl dem Volke gegenüber bekommen. iaus- spruch Friedrichs des Großen: „Ee princ6 n’est que le premier serviteur de l’Etat.“) Die ständisch beschränkte Monarchie ist diejenige Form der Einherrschaft, bei der Vertreter der Stände, d. h. des Adels, der Geistlichkeit und der Städte, < nicht aber des ganzen Volkes) dem Herrscher beratend zur Seite stehen. Beispiel: Das alte deutsche Reich hat als Ständevertretung den Reichstag. Die reine Form des Absolutismus besteht in keinem euro- päischen Staate mehr, seit Rußland 1905 und die Türkei 1908 Parlamente erhalten haben und damit zum Konstitutionalismus übergegangen sind, der Staatsform, die nach dem schon seit dem Ende des Mittelalters bestehenden Vorbilde Englands im Laufe des 19. Jahrhunderts von allen europäischen Völkern eingeführt wurde. In der konstitutionellen (verfassungsmäßigbeschränkten) Monarchie übt der Monarch nicht mehr allein die gesetzgebende Gewalt aus, sondern ist an die Mitwirkung des Volkes in irgend- einer gewählten Vertretung gebunden. Er bleibt unverletzlich und unabsetzbar. Seine Verordnungen treten aber nur dann in Kraft, wenn ein Minister gegenzeichnet. Dieser Minister trägt die volle Verantwortung für alle Regierungshandlungen des Monarchen. Eine absolute Monarchie verwandelt sich in eine konstitutio- nelle Monarchie, wenn der Monarch ausdrücklich auf seine Allein- herrschaft verzichtet. Damit erhält das Land eine Verfassung, die in schriftlicher Urkunde niedergelegt wird, und die zu halten der Monarch und seine Nachkommen sich eidlich verpflichten. Die gesetzgebende Gewalt wird jetzt vom Monarchen und

5. Bürgerkunde und Volkswirtschaftslehre - S. 38

1910 - Leipzig : Voigtländer
anlagt, d. h. sein Besitz, Einkommen usw. wird von der Behörde festgestellt und nach bestimmten Tarifen wird daraus feine Steuer berechnet. Diese ist direkt an die Staatskasfe zu zahlen; daher der Name direkte Steuer. l>) Zölle und Verbrauchsabgaben (indirekte Steuern). Der Staat setzt auf bestimmte Waren Abgaben fest. Sie werden entweder — von fremden Waren — beim Grenz- übergang erhoben (Zölle) oder von den im Inland produzierten Waren nach der Herstellung, ehe sie auf den allgemeinen Markt kommen. Der Hersteller hat die Möglichkeit diese Auflage durch Preiserhöhung auf den letzten Käufer abzuwälzen. Beispiel: Biersteuer, bei den Brauern erhoben, im erhöhten Bierpreis von den Konsumenten bezahlt. Die Entrichtung der Steuer an den Staat erfolgt also auf Umwegen; deshalb heißt sie indirekt. e) Verkehrssteuern. Beim Abschluß bestimmter Rechts- geschäfte, z. B. beim Übergang von Vermögensbeftänden aus einer Hand in die andere, bei Geschäftsabschlüssen im Börsen- verkehr, bei der Ausstellung gewisser Urkunden, beansprucht der Staat Abgaben und Gebühren. Dabei finden zur Beurkundung Stempel und Stempelmarken Verwendung, weshalb man diese Steuerart auch Stempelsteuern nennt. Beispiel: Börsensteuer. Beim Ankauf eines Wertpapieres wird die Kaufsurkunde mit einer Stempelmarke versehen, auf der nach der Höhe des Geschäfts eine bestimmte Abgabe verzeichnet ist. — Da auch diese Steuer nicht unmittelbar an die Staatskasse entrichtet wird, rechnet man sie mit zur Gruppe der indirekten Steuern. Eine gewisse Sonderstellung nimmt ä) die E r b s ch a f t s st e u e r ein. Sie erfolgt einerseits ab- gestuft, nach Maßgabe des Vermögens und wird unmittelbar an den Staat bezahlt, könnte daher als direkt bezeichnet werden; andererseits erfolgt sie nicht auf Grund fortlaufender Veran- lagung, sondern nur bei Vornahme eines Rechtsgeschäftes, der Übernahme der Erbschaft. 3. Anleihen. Bei besonderen Aufgaben, die an den Staat herantreten, etwa Krieg, große Bauten, Tunnel- oder Kanal- anlagen usw., kommt der Staat, ebenso wie die Gemeinde, in die Lage, Geld zu leihen, das dann verzinst werden muß. Er gibt über solche Anleihen Schuldscheine aus, die man Staatspapiere nennt. Charakteristik der Steuerarten: Die sogenannten indirekten Steuern haben den Vorzug der einfachen Erfassung. Sie verursachen keine sehr großen Erhebungskosten und find, wo sie Massenartikel ersassen, sehr ertragreich. Eine besondere Aus- bildung haben sie als Luxussteuer bei den entbehrlichen Genuß-

6. Bürgerkunde und Volkswirtschaftslehre - S. 6

1910 - Leipzig : Voigtländer
Zweites Kapitel. Die Verfassung des Deutschen Reiches. § 3. Entstehung des Deutschen Reiches. Das heutige Deutsche Reich ist keineswegs die Fortsetzung des alten „Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation". Von ihm sind nur die Namen „Reich" und „Kaiser" übernommen. — Das alte Reich war eine Wahlmonarchie. Die Kaiser suchten den Gedanken eines Weltreichs gleich dem der römischen Cäsaren zu verwirklichen. Die Fürsten, die Geistlichen und die Städte setzten diesem Streben den schärfsten Widerstand entgegen; sie wollten die Territorialmacht, also die Gewalt der einzelnen Landesherren und Gemeinwesen stärken. Das ganze Mittelalter zeigt diesen Kampf zwischen Reich und Einzelstaaten, zwischen der Idee des Einheitsstaates und der des Ständestaates. Mit dem Aus- gang des Dreißigjährigen Krieges ist dieser lange Streit zugunsten der Einzelfürsten entschieden. Die Landesherren erhalten das Recht der Landeshoheit und dürfen mit fremden Mächten Krieg führen und Bündnisse schließen. Die Stände bilden den Reichs- tag; doch haben auch hier die Fürsten die größten Vorrechte; die Macht der Städte ist fast völlig gebrochen. Der Kaiser muß sich den Entscheidungen des Reichstags fügen. — Die Einzelstaaten erlangen als absolute Staaten große Macht, der Reichsgedanke stirbt einen langsamen Tod. Während in den deutschen Einzel- staaten, z. B. in Preußen ebenso wie in Frankreich und England, diese Zentralgewalt der Herrscher wächst, nimmt die kaiserliche Gewalt ständig ab, bis schließlich am 6. August 1806 Kaiser Franz Ii. die Kaiserwürde niederlegt und damit das Reich auch der Form nach seinen Untergang findet. Es bleibt in Deutschland ein loses Nebeneinander zahl- reicher kleiner Staaten und freier Städte bestehen. Auch die Befreiungskriege brachten trotz der Erstarkung des National- gefühls keine innere Einheit als Ergebnis. Die Zersplitterung und die daraus folgende politische Machtlosigkeit wurde vom Volke drückend empfunden. Die Sehnsucht nach Einheit, einem neuen Reich unter einem starken Herrscher, wird die Triebkraft einer ganzen Generation von Deutschen. Dieses von Dichtern und Denkern erträumte Reich sollte im Gegensatz zum alten Reiche ein Nationalstaat sein, nicht ein Weltreich. Es sollte nur

7. Bürgerkunde und Volkswirtschaftslehre - S. 7

1910 - Leipzig : Voigtländer
Deutsche, aber auch alle Deutschen umfassen. Seiner Verwirk- lichung setzten sich große Schwierigkeiten entgegen; schon allein die Vorherrschaft von Österreich oder von Preußen war ein schwer zu entscheidender Streitpunkt. Im „Deutschen Bund" 1815—1866, einer losen völkerrechtlichen Vereinigung, die nur geringe Beschränkung der Einzelstaaten erforderte, hatte Öster- reich den Vorsitz. Die deutschen nationalen Interessen waren nicht genügend vertreten, die Zerrissenheit nicht aufgehoben. — Das Jahr 1833 bringt wenigstens auf wirtschaftlichem Gebiete eine Einigung durch die Gründung des Deutschen Zollvereines, dem Österreich nicht beitritt. — Immer stärker macht sich im deutschen Volke eine Bewegung fühlbar, die Reformen anstrebt. Unter der Einwirkung der französischen Revolution von 1848 traten führende Politiker aus allen Teilen des Reiches in Heidel- berg und dann in Frankfurt a. M. zusammen, und man beschloß, eine aus allgemeinen Wahlen hervorgehende deutsche National- versammlung als Volksparlament einzuberufen. Die Bewegung des Volkes war so stark, daß die Regierungen dem Einheits- gedanken Rechnung trugen und die Wahlen anordneten. Im Jahre 1848 trat in Frankfurt a. M. in der Pauls- kirche eine konstituierende Nationalversammlung zusammen, um den Entwurf einer Verfassung des Deutschen Reiches zu beraten. Hier wurde der Grundstein zum späteren Bau des neuen Reiches gelegt. Die Versammlung trug dem preußischen König Friedrich Wilhelm Iv. die erbliche Kaiserkrone an. Sie wurde abgelehnt, weil der König nur aus der Hand der Fürsten und nicht aus der des Volkes die Krone annehmen wollte. So hatte das Parlament in der Paulskirche keinen augenblicklich erkennbaren Erfolg. Seine Beschlüsse wurden später jedoch die Grundlage der Reichs- verfassung. Da die von der Nationalversammlung im Frühjahr 1849 beschlossene Reichsverfassung von den meisten deutschen Fürsten nicht anerkannt wurde, entstanden an verschiedenen Stellen (Sachsen, Baden) Ausstände zur Wahrung und Durchführung der einheitlichen Verfassung. Sie wurden von Preußen nieder- geschlagen. Die Idee der Einheit ruhte trotzdem nicht. Im Jahre 1859 schlossen sich im „Deutschennationalverein" eine große Anzahl führender liberaler Politiker zusammen, um die öffent- liche Meinung zu beeinflussen. Doch die Entscheidung brachte erst der Krieg zwischen Preußen und Österreich 1866, der die Vorherrschaft Preußens endgültig besiegelte. Der alte Deutsche Bund war damit erloschen. Bismarck, der damals seit vier Jahren die preußische Politik leitete, hatte von je erkannt, daß ein deutscher Nationalstaat nur unter Ausschluß der großen Habs-

8. Bürgerkunde und Volkswirtschaftslehre - S. 41

1910 - Leipzig : Voigtländer
41 schlossen, daß jährlich mindestens 3/5°/o der Anleiheschuld durch Rückkauf von Schuldverschreibungen getilgt werden müssen. Der Entschluß ist bisher nicht zur Ausführung gelangt. § 18. Die preußischen Staatsfinanzen. Während das Reich im wesentlichen nur aus der Post Erwerbseinkünste bezieht, spielen bei den Einzelstaaten der Besitz an Domänen, Forsten, Bergwerken und namentlich an Eisenbahnen eine große Rolle. Für Preußen kommen noch die Überschüsse aus einer Staatslotterie und einer Staatsbank (königliche Seehandlung) in Betracht. Diese Einnahmequellen decken fast drei Viertel des Staatsbedarfs. Der Rest stießt aus den Steuern. Es bestehen auch für Preußen eine Reihe von Stempel- abgaben für Urkunden (z. B. Mietsverträge usw.). In der Hauptsache aber sind die direkten Steuern nutzbar ge- macht. a) Einkommen st euer, 1891 durch den Finanzminister Miquel eingeführt. Einkommen bis zu 900 Mk. sind steuerfrei. Dann beginnt die Steuer mit 2/3°/o und steigt, in 17 Klassen eingeteilt, bis zu 4 °/o bei Einkommen von über 100 000 Mk. — In dieser Steigerung der Prozentsätze kommt der Charakter der Progressivsteuer zum Ausdruck. Für die kleinen Einkommen ist die Aufbringung einer Steuersumme unverhältnismäßig viel schwieriger als für die großen, da der Spielraum der baren Existenzbedingungen enger ist. Dem trägt das Gesetz Rechnung, indem es sozial ausgleichend die Minderbemittelten entlastet. Am schärfsten ausgebildet ist dieses Prinzip in England, wo Ein- kommen überhaupt erst von 30oo Mk. an zur Steuer herange- zogen werden. — Für Einkommen über 3000 Mk. hat Preußen die Selbsteinschätzung des Steuerpflichtigen gesetzlich festgelegt. Das Einkommen muß jährlich in seinen verschiedenen Quellen wahrheitsgemäß der Behörde angegeben werden. Die Steuer- hinterziehung wird scharf bestraft. Die Vermögenssteuer, im Jahre 1893 eingeführt, heißt in Preußen Ergänzungssteuer. Sie soll das Einkommen aus kapitalisiertem Besitz (nicht aus Arbeit) besonders treffen, ist jedoch nicht progressiv ausgestaltet. Sie beginnt bei 60oo Mk. Die Veranlagung geschieht alle drei Jahre. Der Steuersatz hat bisher als einzige Taxe V2 pro Mille betragen. Die Einnahmen des preußischen Staates betrugen im Jahr 1908 3320 Millionen. Preußen hat eine Staatsschuld von gegen neun Milliarden,

9. Bürgerkunde und Volkswirtschaftslehre - S. 42

1910 - Leipzig : Voigtländer
42 der in Eisenbahnanlagen und Grundbesitz ein wesentlich höheres Vermögen gegenüberstehen. § 19. Die Gerneindefinanzen. Auch die Gemeinde zieht, wie bereits besprochen, einen be- trächtlichen Teil ihrer Einnahmen aus Eigenbesitz und Eigen- betrieb. Sie ist in der Verwendung ihrer Finanzen relativ selb- ständig, in der Festsetzung von Steuern jedoch an staatliche Ge- setze gebunden. Als Preußen zu dem direkten Steuersystem über- ging, hat es seine bisherigen Hauptsteuern an die Städte abgetreten. Dies sind die sogenannten Realsteuern, die auf Grundbesitz, auf Gebäude und auf Gewerbebetrieb gelegt sind. Die Veran- lagung dieser Steuern geschieht durch ehrenamtliche Kommissionen. Die Gemeinden haben die Möglichkeit, die Grundsteuer und Ge- werbesteuer auszubauen: Grund und Boden der Kommune nicht nach ihrem landwirtschaftlichen Ertragswert, sondern nach dem „gemeinen Wert" als Bauplatz zu versteuern und Abgaben von Wertsteigerungen zu erheben. (Diese für die Wohnungspolitik bedeutsamen Steuern sind in der Volkswirtschaftslehre in dem 13. Kapitel „Wohnungsfrage" behandelt. Der Gewerbesteuer kann eine Sondersteuer für Wanderlager und auf den Umsatz von Warenhäusern angegliedert werden. Die früheren Kommunalabgaben auf Fleisch, Bier und andere Lebensmittel (Akzise oder Oktroi) sind durch Reichsgesetz vom 1. Januar 1910 ab aufgehoben. Dagegen ist den Städten das Recht auf Hundesteuer und Lustbarkeitssteuer (Abgaben bei öffentlichen Schaustellungen und Vergnügungen) geblieben. Die staatliche Einkommensteuer kann gleichfalls für die städtischen Finanzen nutzbar gemacht werden. Die Städte, welche zugleich das Einziehen der Staatssteuern besorgen, dürfen ihrer- seits beträchtliche Zuschläge zur Einkommensteuer machen. Wenn diese Zuschläge 100 "/o der Staatssteuer überschreiten, bedürfen sie der staatlichen Genehmigung. \

10. Bürgerkunde und Volkswirtschaftslehre - S. 43

1910 - Leipzig : Voigtländer
Fünftes Kapitel. Heer und Flotte § 20. Das Heer. Heer und Flotte umfassen die Macht, die ein Staat zu seiner Verteidigung oder zu Angriffszwecken entfalten kann. Die prak- tische Anwendung dieser Macht geschieht nur im Kriegsfall, dem Ausnahmezustand, in dem die Tötung von Menschen nicht nur erlaubt, sondern geboten ist in der gewaltsamen Austragung eines Streits zwischen Völkern oder Staaten. — Solange nicht ein oberster Gerichtshof besteht, der seinem Urteilsspruch dem Eigen- nutz der streitenden Mächte gegenüber Geltung verschaffen könnte, ist ein dauernder Frieden unter den Völkern kaum denkbar. Selbst ein solches Friedensgericht würde seine Entscheidungen schwer durchführen können, wenn ihm nicht eine Kriegsmachl zur Ver- fügung stände. — Immerhin sind die Härten der Kriegsführung durch allgemein anerkannte, völkerrechtliche Verträge gemildert worden. Geschichtliches: Kriege hat es zu allen Zeiten gegeben. Förmliche Kriegsheere und Flotten sind dagegen erst späteren Ursprungs. Sie entwickeln sich mit dem festen Ausbau eines Staatswesens. Bei den alten Germanen hatte jeder Freie Waffen- recht und Waffenpflicht. In feierlicher Versammlung erhielt der Jüngling mit Vollendung des 21. Lebensjahres die Waffen, die er nie wieder ablegte. — Mit dem Erstarken des Staates trat das Bedürfnis eines „stehenden Heeres" auf — aus dem Volks- heer entwickelt sich daher das (Söldnerheer; das „Kriegshand- werk" entsteht. Das geworbene Heer bedeutete zunächst kriegs- technisch einen Fortschritt. Doch hat es den Nachteil, daß der Heerführer beim Anwerben der „Soldaten" nicht allzu wählerisch sein konnte. Die Truppen waren mit schlechten Elementen stark durchsetzt; so kam es, daß der ruhige Bürger die Söldlinge fürchtete und verachtete. Erst die große französische Revolution schuf in diesen Verhältnissen Wandel. Sie organisierte die ge- samten Kräfte des Volkes zu einem Volksheer. Die großen Er- folge, die Napoleon mit diesem Volksheer errang, veranlaßten die anderen europäischen Mächte, die „allgemeine Wehrpflicht" einzuführen. Vor allem Preußen bildete nach der Niederlage von 1806 unter Scharnhorsts Leitung dieses System zu großer
   bis 10 von 673 weiter»  »»
673 Seiten  
CSV-Datei Exportieren: von 673 Ergebnissen - Start bei:
Normalisierte Texte aller aktuellen Treffer
Auswahl:
Filter:

TM Hauptwörter (50)50

# Name Treffer  
0 8
1 11
2 6
3 69
4 46
5 38
6 45
7 12
8 58
9 2
10 107
11 15
12 4
13 38
14 2
15 27
16 14
17 11
18 2
19 13
20 5
21 44
22 10
23 6
24 10
25 27
26 54
27 16
28 1
29 49
30 7
31 52
32 78
33 45
34 6
35 17
36 6
37 138
38 19
39 149
40 43
41 16
42 14
43 2
44 28
45 117
46 22
47 25
48 16
49 6

TM Hauptwörter (100)100

# Name Treffer  
0 25
1 12
2 3
3 46
4 76
5 7
6 20
7 27
8 8
9 15
10 44
11 52
12 8
13 5
14 2
15 2
16 28
17 186
18 34
19 0
20 44
21 9
22 1
23 2
24 10
25 12
26 15
27 12
28 13
29 0
30 52
31 0
32 7
33 48
34 17
35 7
36 58
37 27
38 9
39 72
40 37
41 59
42 30
43 6
44 25
45 117
46 11
47 4
48 11
49 10
50 5
51 1
52 45
53 79
54 16
55 2
56 14
57 15
58 13
59 18
60 25
61 16
62 26
63 3
64 17
65 18
66 34
67 4
68 44
69 30
70 6
71 71
72 117
73 53
74 10
75 17
76 88
77 51
78 28
79 28
80 11
81 16
82 6
83 19
84 5
85 12
86 11
87 29
88 7
89 9
90 5
91 11
92 181
93 6
94 68
95 19
96 12
97 15
98 30
99 10

TM Hauptwörter (200)200

# Name Treffer  
0 17
1 21
2 2
3 18
4 2
5 61
6 3
7 39
8 29
9 3
10 4
11 12
12 13
13 7
14 0
15 0
16 19
17 1
18 10
19 25
20 4
21 0
22 0
23 0
24 6
25 42
26 12
27 0
28 4
29 10
30 4
31 13
32 2
33 78
34 6
35 0
36 5
37 0
38 9
39 46
40 18
41 0
42 2
43 60
44 10
45 20
46 9
47 16
48 2
49 6
50 11
51 13
52 121
53 15
54 26
55 9
56 1
57 8
58 3
59 38
60 3
61 5
62 13
63 2
64 28
65 13
66 24
67 5
68 9
69 7
70 13
71 4
72 8
73 2
74 4
75 14
76 3
77 5
78 11
79 6
80 13
81 24
82 10
83 2
84 3
85 2
86 4
87 13
88 8
89 5
90 3
91 51
92 81
93 19
94 23
95 1
96 7
97 10
98 7
99 22
100 52
101 6
102 5
103 11
104 7
105 3
106 24
107 19
108 2
109 3
110 28
111 34
112 2
113 10
114 15
115 1
116 8
117 3
118 4
119 2
120 1
121 1
122 8
123 12
124 10
125 1
126 2
127 10
128 6
129 4
130 41
131 13
132 10
133 35
134 5
135 13
136 38
137 16
138 7
139 5
140 0
141 0
142 30
143 1
144 38
145 11
146 1
147 2
148 4
149 33
150 11
151 8
152 18
153 16
154 22
155 3
156 0
157 11
158 4
159 9
160 22
161 4
162 0
163 1
164 5
165 4
166 49
167 5
168 8
169 5
170 3
171 13
172 1
173 51
174 9
175 92
176 4
177 36
178 6
179 37
180 8
181 6
182 12
183 81
184 14
185 8
186 6
187 13
188 26
189 3
190 0
191 34
192 9
193 10
194 12
195 4
196 9
197 11
198 0
199 17