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40. Die königlich Deutsche Legion.
1. Nach Auflösung der hannoverschen Armee infolge der Konvention
von Artlenburg im Jahre 1803 wollte Georg Iii., König von England
und Kurfürst von Hannover, seinen Truppen Gelegenheit geben, auch
fernerhin gegen Napoleon zu kämpfen. Daher erhielten alle längs der
deutschen Küste kreuzenden englischen Schiffe den Befehl, diejenigen
hannoverschen Offiziere, Unteroffiziere und Soldaten, die nach England
übersehen wollten, an Bord zu nehmen und in britische Häfen zu bringen.
Den in den Dienst Englands eintretenden Truppen wurden besondere
Vorteile zugesichert, und die hannoverschen Offiziere verbreiteten die
Nachricht davon, wo sie konnten. Bald strömten denn auch die Rekruten
in solcher Zahl herbei, daß die Franzosen auf die zunehmende Auswanderung
der hannoverschen Truppen aufmerksam wurden. Nun wurde jeder, der
andere zum Eintritt in englische Dienste verleitete, mit der Todesstrafe
bedroht. Das wurde an drei aufeinander folgenden Sonntagen in allen
Kirchen des Landes öffentlich verlesen. Allein es hatte keinen Erfolg. Nicht
bloß der gemeine Mann und junge, tatendurstige Offiziere verliehen das
Land, sondern auch ältere und erfahrene Männer. Bald waren schon so
viel Hannoveraner in England wieder vereinigt, daß man daraus acht
Schwadronen Dragoner, mehrere Bataillone Infanterie und zwei Batterien
formieren konnte. Das war der Anfang der so berühmt gewordenen
Königlich Deutschen Legion. Sie stieg im Laufe der Jahre auf mehr als
12 000 Mann, war also ebenso stark wie die kurhannoversche Armee.
2. Zwölf Jahre hindurch hat die Legion unter den Fahnen Englands
in allen Teilen Europas meist siegreich, niemals rühmlos gefochten; zwölf
Jahre lang haben die Söhne Hannovers unentwegt gegen die Heere des
großen Soldatenkaisers gekämpft. Sie haben Stralsund an der Seite
der Schweden gegen die Franzosen verteidigt, waren dabei, als Kopen-
hagen zur Kapitulation gezwungen und die dänische Flotte nach England
weggeführt wurde; sie nahmen teil an der unglücklichen Expedition
nach der Schelde, die Groszbritanien beinahe die Hälfte einer der schönsten
Armeen kostete. Sie haben den verlustreichen Rückzug des Generals Sir
John Moore nach Corunna gedeckt. Sie haben ruhmvoll an der Seite
ihrer britischen Waffengefährten bei Talavera, bei Salamanca, bei
Albuera, bei Vittoria und bei Toulouse gefochten und sind an der
Spitze der britisch-alliierten Armee triumphierend in Madrid eingezogen.
Sie haben die Insel Sizilien siegreich gegen den König Murat verteidigt,
TM Hauptwörter (50): [T28: [Schlacht Heer Feind Mann Armee Napoleon Franzose General Truppe Preußen], T34: [Krieg Frankreich England Deutschland Preußen Frieden Rußland Napoleon Kaiser Jahr], T24: [Schiff Meer Insel Küste Land Fluß See Wasser Hafen Ufer]]
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Extrahierte Personennamen: Georg_Iii Napoleon John_Moore Albuera Vittoria
Extrahierte Ortsnamen: Artlenburg England Hannover England England Englands Europas Schweden England Corunna Salamanca Toulouse Madrid
sehen, sie konnte das nicht finden. Sein Kops erschien ihr von schöner
Form, der Ausdruck der Gesichtszüge verriet den Denker und den
Herrscher; besonders gefiel ihr der lächelnde Mund, und nn der ganzen
Erscheinung erkannte sie staunend den Typus der Cäsaren. Ausatmend
unter dem unerwartet günstigen Eindrucke, frei und unbefangen trat sie
ihm entgegen und ließ sich von ihm in ein Zimmer führen, während der
König zurückblieb und sich mit Mnrat unterhielt. Sie sprach ihm ihr
Bedauern aus, daß er eine solche Treppe zu ihr habe hinaufsteigen
müssen, beklagte mit leiser Ironie für ihn und seine Truppen den Auf-
enthalt im nordisch rauhen Preußen. Napoleon, etwas verlegen, wie die
Königin bemerken wollte, antwortete mit Komplimenten. Dann, ohne
Schwanken, ohne Scheu, kam die Königin rasch ans das, was sie hergeführt
hatte. Der Kaiser, so begann sie, habe sie angeklagt, sich zuviel in
Politik zu mischen, ein Vorwurf, den sie nicht verdient zu haben meine —
Napoleon unterbrach sie mit der Beteuerung, daß er selbst diese Aus-
streuungen nicht geglaubt habe — gleichviel, sie wolle ihn aufklären über
den Schritt, den sie tue. Als Gattin, die des Königs Besorgnisse und
Kummer teile, und als Mutter müsse sie den Augenblick benutzen und
freimütig mit ihm sprechen. Sie könne nicht annehmen, daß er seinen
Sieg mißbrauchen werde. Napoleon erwiderte, es sei nicht seine Schuld,
wenn es zum Äußersten gekommen sei; Preußen habe nach der Schlacht
von Auerstädt jedes freundschaftliche Abkommen zurückgewiesen und seine
Vorschläge nach Eylau kaum angehört. Die Königin erinnerte mit Recht
daran, daß die Friedensverhandlungen nach Auerstädt nicht von Preußen
abgebrochen seien, ging aber auf die Erörterung der Vergangenheit nicht
weiter ein, sondern wiederholte, daß sie als Mutter zu ihm spreche, der
das Schicksal ihrer Kinder am Herzen liege. Auf die Versicherung
Napoleons, daß von der Vernichtung Preußens nicht die Rede sei,
bemerkte sie: der Friede dürfe aber auch die Vernichtung in Zukunft
nicht vorbereiten, Preußen brauche einen erträglichen Frieden. Sie gebe
sich keiner Täuschung über die Lage hin und wisse, daß Opfer gebracht
werden müßten. Aber man solle doch von Preußen nicht Provinzen
trennen, die seit Jahrhunderten dazu gehörten, man solle ihnen nicht
Untertanen nehmen, die ihnen wie Lieblingskinder teuer seien. Sie sprach
von dem preußischen Volke, das seinem Königshause so rührende Beweise
der Anhänglichkeit gebe, und an das sie mit so vielen Banden gekettet
sei. Sie bat für die linkselbischen Lande, namentlich für Magdeburg,
das ihnen besonders wert sei. Napoleon verwies auf die allgemeinen
politischen Kombinationen, die den besonderen Rücksichten oft entgegen-
stünden. Dann versuchte er abzulenken. Wie es seine Art war Damen
gegenüber, begann er von Toilettefragen zu sprechen, in denen er gern
den Kenner zu spielen liebte. „Sie tragen da ein schönes Kleid,"
bemerkte er. „Wo ist es gearbeitet? in Breslau? Macht man Krepp
28*
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T34: [Krieg Frankreich England Deutschland Preußen Frieden Rußland Napoleon Kaiser Jahr], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
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Extrahierte Personennamen: Napoleon Napoleon Napoleon Napoleons Napoleon
können, und daß Königin Luise die berühmte Antwort gab: „Der Ruhm
Friedrichs des Großen hat uns über unsere Mittel getauscht." Vor dein
Schatten des großen Königs — Talleyrand hat es gesagt — wie klein
erschien plötzlich Napoleon! Dem Abendessen folgte eine neue Unter-
haltung mit Napoleon, bei der die Königin nochmals ihre Wünsche
vortrug, dabei sehr eingehend, vielleicht, wie Prinzessin Luise Radziwill
urteilt, zu eingehend die Einzelheiten der schwebenden politischen Fragen
erörternd. Sie bat, scheint es, nochmals besonders für Magdeburg, wollte
eine Rose, die Napoleon ihr bot, nur mit dem Versprechen der Rückgabe
Magdeburgs annehmen.
Die Hoffnungsfrende in der Umgebung der Königin stieg höher.
Alexander und auch einige Franzosen beglückwünschten das Königspaar
zu dem Erfolge, den die Königin errungen. Napoleon selbst sollte zu
Alexander mit höchster Anerkennung von der Königin gesprochen haben,
von ihrem Geist und ihrem Seelenadel; er wäre geneigt, etwas für sie
zu tun: statt ihr eine Krone zu nehmen, wäre man versucht, ihr eine
zu Füßen zu legen. Der Königin schien das Ergebnis des Tages in
doppelter Hinsicht bedeutungsvoll und vorteilhaft: von Napoleons Per-
sönlichkeit und seinem Wesen hatte sie einen nicht ungünstigen Eindruck
gewonnen; politisch hielt sie sich zu den besten Erwartungen berechtigt.
Schmeichelnde Hvffnungsträume, die nur eine kurze Sommernacht währten!
Hatte Napoleon seinerseits eine Enttäuschung erfahren? Scheute er
das verabredete zweite Zusammentreffen mit der Königin? Fürchtete er
für sich einen Augenblick der Schwäche, die Möglichkeit von Zugeständnissen?
Um der Menschheit willen möchte man es glauben, daß auch ein Napoleon
den rührenden Bitten einer unglücklichen Königin nachgeben zu müssen
besorgte. Am wenigsten wahrscheinlich ist, wenn es auch am preußischen
Hofe fast allgemein lind selbst von der Königin geglaubt wurde, daß
Talleyrand einen Gesinnungswechsel herbeigeführt habe. Wie dem sei,
Napoleon, der mit Rußland znm Einverständnis gelangt war, beschloß,
auch mit Preußen ein Ende zu machen. Gleich am nächsten Vormittag,
7. Juli, ließ er den Grafen Goltz rufen, dem er in schneidend harten
Worten die Bedingungen ankündigte, unter denen, ohne Aufschub und
ohne Verhandlung, der Friede zwischen Frankreich und Preußen geschlossen
werden müsse. Was er der Königin gesagt, seien nichts als höfliche
Phrasen gewesen; der König danke seine Erhaltung nur Alexander, ohne
ihn würde er die Dynastie verjagt und seinen Bruder Jerome znm König
von Preußen gemacht haben. Einen Versuch von Goltz, durch Hinweis
ans politische Interessen Milderungen zu erlangen, wies Napoleon schroff
zurück. „Was hat Ihr Herr," rief er, „in die Wagschale zu legen, was
mich veranlassen könnte, ihm bessere Bedingungen zu gewähren? Alle
Bande zwischen uns sind zerrissen, ich bediene mich meiner Rechte. Euer
König hat mich dazu gezwungen. Die Zeit der Verhandlungen ist vorüber!"
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Extrahierte Personennamen: Friedrichs Napoleon Napoleon Luise_Radziwill Napoleon Alexander Alexander Napoleon Alexander Alexander Napoleons Napoleon Napoleon Napoleon Goltz Alexander Alexander Goltz Napoleon
Extrahierte Ortsnamen: Magdeburg Magdeburgs Napoleons Frankreich
439
Der Kaiser: „In Breslau?“
Luise: „Nein, Sire, in Berlin.“
Der Kaiser: „Wird der Krepp in den königlichen Fabriken
gemacht ?“
Luise: „Nein, Sire, aber warum sprechen wir in diesem
großen Augenblick von Tand und Toiletten! Ew. Majestät sagt
mir nicht ein Trostwort über die Angelegenheiten, die mir so
teuer sind, die allein mein Herz in diesem Augenblick beschäf-
tigen, wo ich hoffe, von Ew. Majestät eine glückliche Existenz zu
erhalten für alle, die ich liebe.“
Der Kaiser (etwas in die Enge getrieben): „Aber haben
Majestät nicht selbst meine Freundschaft für Preußen zurück-
gewiesen ?“
Luise: „Allerdings, ich habe daran in einem Augenblick
nicht geglaubt, wo Sie mit England über die Rückgabe von Han-
nover verhandelten. Damals habe ich vielleicht zu warm gegen
Ihre Interessen und für die des Königs gesprochen.“
Der Kaiser: „Ja, ich weiß, Ew. Majestät haben damals den
Irrtum Ihrer Kabinettsräte geteilt. Ich habe nie die Absicht ge-
habt, Hannover an England zurückzugeben.“
Luise: „Ich gebe mich keiner Täuschung hin über unsere
Lage. Ich weiß, daß wir Opfer bringen müssen, aber wenigstens
trenne man von Preußen nicht die Provinzen, die ihm seit Jahr-
hunderten angehören, man nehme uns nicht Untertanen, die wir
wie Lieblingskinder lieben, und die unter einer andern Herrschaft
unglücklich sein würden. Der Krieg ist zu unsern Ungunsten
ausgefallen, aber er hat die Anhänglichkeit unsers Volkes an
uns nicht vermindert. Ich rufe es selbst als Zeugen auf, und das
ist ein großer Trost, der uns bleibt."
Der Kaiser: „Majestät, leider stehen die allgemeinen Kom-
binationen den besondern Rücksichten oft entgegen.“
Luise: „Davon verstehe ich nichts. Aber ich glaube der
Würde einer Frau nichts zu vergeben, wenn ich von dem grau-
samen Schmerz des Königs spreche, falls er die ältesten Provin-
zen seines Hauses abtreten müßte. Ich kann nicht glauben, daß
Standhaftigkeit im Unglück ein Unrecht in Ihren Augen ist. Es
kostet Sie nur ein Wort, um einen vernünftigen Frieden zu
machen.“
Der Kaiser: „Vous demandez beaucoup, Madame, mais je
vous promets de songer.“
Der Kaiser versprach nichts. Aber dennoch glaubte Luise,
daß er mit Interesse zuhörte, und sie meinte in seinem Antlitz
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Extrahierte Ortsnamen: Breslau Berlin England England
277
ist als vom Polarkreis, daß es, mit andern Worten, ein Land
des kalten gemäßigten Klimas ist.
Europa ist aber auch ein völkerreicher Erdteil. Wie liegt
nun Deutschland zu den großen Völkergebieten? In Europa
liegt nördlich vom 50. Breitengrad eine Gruppe von Ländern
mit vorwiegend germanischer Bevölkerung: Großbritannien, die
skandinavischen Königreiche, die Niederlande; der weitaus
größte Teil von Deutschland gehört zu dieser Gruppe nörd-
licher germanischer Staaten. Wie feindlich sich auch Nord-
und Südgermanen, Ost- und Westdeutsche manchmal gegen-
überstanden, immer bilden sie eine Familie, und so wie ihre
Völker stammverwandt sind, können wir ihre Staaten als lage-
verwandt bezeichnen.
Mit seiner nördlichen Lage erwirbt Deutschland den
Vorzug, dem Ausstrahlungsgebiet der stärksten, über die ganze
Erde wirksamsten geschichtlichen Kräfte anzugehören, wo die
mächtigsten Staaten, die tätigsten und reichsten Völker woh-
nen, wo darum auch die meisten Fäden des Weltverkehrs zu-
sammenlaufen und die Gewinne des Welthandels sich an-
sammeln.
Mit seiner Zugehörigkeit zur Alten Welt steht
Deutschland in der Reihe der Länder, die als alte den jungen
Gebilden des Westerdteils gegenüberstehen. Es trägt daher
im Vergleich zu diesen die Merkmale der Reife, aber auch die
Zeichen des Alters. Es ist ein Land der alten Geschichte, der
geschichtlichen Landschaften, des dichtbesetzten Bodens, zahl-
reicher Städte, der starken, ununterbrochenen, längst zur Not-
wendigkeit gewordenen Auswanderung. Unzählige Erinne-
rungen umweben seine Züge, in denen fast nichts Unorganisches
mehr ist; jeder Berg, jeder Fels spricht zu uns und hat aus
vergangenen Zeiten zu erzählen.
Deutschland ist umgeben von drei Großstaaten: Rußland,
Österreich-Ungarn, Frankreich, von drei kleineren Königreichen:
Holland, Belgien und Dänemark, und von der Schweiz und
Luxemburg. In Freud’ und Leid hat es die Folgen davon zu
empfinden gehabt, daß es so das nachbarreichste Land Eu-
ropas ist. Im weiten Umkreis Europas gibt es kein Volk, von
den Spaniern bis zu den Mongolen und von den Finnen bis
zu den Mauren, das sich nicht auf deutschem Boden geschlagen
hätte. Und wie zahlreich sind allein seit dem Westfälischen
Frieden die Friedenschlüsse, aus denen unser Boden verkleinert
hervorging. Die Natur und die Geschichte geben den Bezie-
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Extrahierte Ortsnamen: Europa Deutschland Europa Niederlande Deutschland Deutschland Deutschland Deutschland Frankreich Holland Belgien Luxemburg Europas
279
Nordfrankreich entsprechen einander in der Zonenlage, daher
auch im Klima. Norddeutschland hat nichts Ähnliches in
Frankreich, Südfrankreich nichts in Deutschland; Frankreichs
Eigentümlichstes liegt also im Süden, Deutschlands im Nor-
den. Nordfrankreich wäre dafür Norddeutschland näher gerückt
durch das Meer und das gemeinsame Tiefland, wenn nicht
Belgien dazwischen läge, dessen ausgezeichnete, tief in der
Richtung auf Deutschland einschneidende Scheldebucht den
nordwestlich gerichteten Verkehr Deutschlands mächtig an-
zieht. Die Linie Berlin—paris schneidet Brüssel. Belgien,
überwiegend germanisch, aber leider auch überwiegend fran-
zösiert, wird dem deutschen Verkehrsorganismus als Weg zum
Meer für dessen gewerbtätigste Provinzen immer enger ange-
gliedert, Luxemburg ist durch die Eisenbahnen und indu-
striell ein Teil dieses Organismus, was die Zugehörigkeit zum
Zollverein verbrieft.
Von Aachen bis zum Dollart legen sich die Niederlande
vor Deutschland, das sie von den Maas- und von den Rhein-
mündungen trennen. Dadurch entsteht Deutschlands unorga-
nischste, in jedem Sinne schlechteste Grenzstrecke. Belgien,
Luxemburg, die Niederlande sind Stücke des alten Lothringen
und des jüngern Burgundischen Reichs, und deshalb sind sie
Länder der deutsch-französischen Übergänge, Übergriffe, Kämpfe
und Verdrängungen. In dieser Hinsicht haben sie viel Ähn-
liches mit Elsaß-Lothringen und der Schweiz. Daß die Schweiz,
Belgien und Luxemburg neutrale Staaten sind, macht, daß sie
wie große Seen an unserer Grenze liegen. Solange diese Neu-
tralität aufrecht erhalten wird, liegt darin eine Verbesserung
unserer Lage zu diesen Ländern, die unser Reich wie herab-
gefallene Trümmer einen alten Turm umlagern.
Als letzten Nachbarn müssen wir Dänemark nennen,
das sich unmittelbar nur in einem schmalen Streifen der Cim-
brischen Halbinsel mit Deutschland berührt. Der Schwerpunkt
Dänemarks liegt aber auf den Inseln, von denen Fünen in
Sicht der schleswigisch-jütischen Grenze, Seeland vor dem Ein-
gang in die Ostsee, Bornholm der Odermündung gegenüberliegt.
Da eine Nachbarschaft immer auch eine lebendige Be-
ziehung ist, müssen alle Staaten, die Deutschland umgeben,
auf Deutschland wirken, und Deutschland muß mit Gegen-
wirkungen antworten. Das ist das Leben, die Größe und die
Gefahr eines zentralen Landes. Für Deutschland liegt in
seiner mittlern nachbarreichen Lage ebensowohl Schwäche
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Extrahierte Ortsnamen: Nordfrankreich Norddeutschland Frankreich Deutschland Frankreichs Deutschlands Nor- Nordfrankreich Norddeutschland Deutschland Deutschlands Belgien Luxemburg Aachen Deutschland Maas- Rhein- Deutschlands Belgien Luxemburg Lothringen Belgien Luxemburg Deutschland Seeland Ostsee Bornholm Deutschland Deutschland Deutschland Deutschland
278
hungen Deutschlands zu jedem einzelnen Nachbarn besondere
Merkmale und Folgen, die man am besten versteht, wenn man
das Zusammenliegen Deutschlands und seiner Nachbarländer
in Mitteleuropa betrachtet.
Sehen wir zunächst Rußland! Das ist der größte und
nach Natur, Geschichte und Zukunft fremdeste Nachbar, den
Deutschland hat, denn an der deutschrussischen Grenze stoßen
Mittel- und Osteuropa aneinander. Osteuropa ist aber nicht
von Asien zu trennen. So spinnen sich durch Rußland die
einzigen Fäden unmittelbaren Zusammenhangs von Europa zu
seinem großen Nachbarkontinent. Die selbständige Entwick-
lung Rußlands hat von Mitteleuropa asiatische Einflüsse abge-
halten, und in dieser Beziehung stimmt die geschichtliche Stel-
lung Rußlands mit der Österreichs und Ungarns überein. Aber
zugleich ist damit auch das Wachstum Deutschlands nach der
einzigen Seite gehemmt worden, wo Europa an Weite und
Breite, kurz an Wachstumsmöglichkeiten gewinnt.
Österreich-Ungarns Lage zu Deutschland ist in
manchen Beziehungen der Lage Rußlands ähnlich. Österreich-
Ungarn trennt Deutschland vom Orient; während es früher
Vormauer war, ist es in der Entwicklung zum Durchgangs-
lande schon viel weiter fortgeschritten als Rußland. Aber so
wie die Donau Deutschland und Österreich verbindet, sind sie
auch in anderer Beziehung aufeinander hingewiesen. Beide
liegen in Mitteleuropa, wo ihre heutige Lage die Folge eines
bis in die Neuzeit fortgesetzten Ostwachstums deutscher Völker
in slawische Gebiete ist. Sie sind im alten und im neuen
römischen Reiche beisammen gewesen. Darum ist auch in
dem Allianzvertrage von 1879 das feste Zusammenhalten beider
Reiche „ähnlich wie in dem früheren Bundes Verhältnis“ aus-
gesprochen worden. Während aber Rußland über Deutschland
nach Norden hinausragt, bedeutet Österreichs Überragen in süd-
licher Richtung die Verbindung mit dem Mittelmeer. In dieser
Beziehung gleicht die Nachbarschaft der Schweiz der Lage
Österreichs. Beide Länder haben bei ihrer Loslösung aus dem
Deutschen Reiche die alte Verbindung Deutschlands mit dem
Mittelmeer abgeschnitten, die einst eine Lebensverbindung war.
Daher sind sie auch heute die wichtigsten Durchgangsländer
für den deutsch-mittelmeerischen Verkehr.
Deutschland und Frankreich liegen nebeneinander wie
zwei Blätter eines Fächers, dessen Stiel einst beider Alpen-
anteile und Burgund gebildet haben. Süddeutschland und
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Extrahierte Ortsnamen: Deutschlands Deutschlands Mitteleuropa Deutschland Osteuropa Osteuropa Asien Europa Mitteleuropa Ungarns Deutschlands Europa Deutschland Ungarn Deutschland Donau_Deutschland Mitteleuropa Deutschland Deutschlands Deutschland Frankreich Burgund
434
Der Kaiser (etwas in die Enge getrieben): „Aber haben
Majestät nicht selbst meine Freundschaft für Preußen zurück-
gewiesen ?“
Luise: „Allerdings, ich habe daran in einem Augenblick
nicht geglaubt, wo Sie mit England über die Rückgabe von Han-
nover verhandelten. Damals habe ich vielleicht zu warm gegen
Ihre Interessen und für die des Königs gesprochen.“
Der Kaiser: „Ja, ich weiß, Ew. Majestät haben damals den
Irrtum Ihrer Kabinettsräte geteilt. Ich habe nie die Absicht ge-
habt, Hannover an England zurückzugehen."
Luise: „Ich gebe mich keiner Täuschung hin über unsere
Lage. Ich weiß, daß wir Opfer bringen müssen, aber wenigstens
trenne man von Preußen nicht die Provinzen, die ihm seit Jahr-
hunderten angehören, man nehme uns nicht Untertanen, die wir
wie Lieblingskinder lieben, und die unter einer andern Herrschaft
unglücklich sein würden. Der Krieg ist zu unsern Ungunsten
ausgefallen, aber er hat die Anhänglichkeit unsers Volkes an
uns nicht vermindert. Ich rufe es selbst als Zeugen auf, und das
ist ein großer Trost, der uns bleibt."
Der Kaiser: „Majestät, leider stehen die allgemeinen Kom-
binationen den besondern Rücksichten oft entgegen.“
Luise: „Davon verstehe ich nichts. Aber ich glaube der
Würde einer Frau nichts zu vergeben, wenn ich von dem grau-
samen Schmerz des Königs spreche, falls er die ältesten Provin-
zen seines Hauses abtreten müßte. Ich kann nicht glauben, daß
Standhaftigkeit im Unglück ein Unrecht in Ihren Augen ist. Es
kostet Sie nur ein Wort, um einen vernünftigen Frieden zu
machen."
Der Kaiser: „Vous demandez beaucoup, Madame, mais je
vous promets de songer."
Der Kaiser versprach nichts. Aber dennoch glaubte Luise,
daß er mit Interesse zuhörte, und sie meinte in seinem Antlitz
etwas von Güte und Freundlichkeit zu lesen, die zu einem Er-
folge ihrer Bitten führen könnten. Da trat König Friedrich Wil-
helm ein, und die Unterhaltung brach jäh ab. „Ein Seelenerguß
gegen einen Fels von Bronze“ hat die Königin später ihre Bitten
genannt, aber an jenem Nachmittage hoffte sie — mit Recht, wie
es schien.
Trügerische Hoffnung! Dem 6. Juli folgte ein siebenter,
der alles zunichte machte. Der Kaiser Napoleon ließ früh den
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T33: [Kind Vater Mutter Frau Mann Jahr Sohn Gott Haus Eltern], T34: [Krieg Frankreich England Deutschland Preußen Frieden Rußland Napoleon Kaiser Jahr]]
TM Hauptwörter (100): [T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T38: [Friedrich Wilhelm König Kaiser Iii Prinz Jahr Preußen Vater Sohn], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele]]
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Extrahierte Personennamen: Friedrich_Wil- Friedrich Napoleon